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Die Liebe hält sich nicht an Regeln: der turbulente Liebesroman „Verlieben für Anfänger“ von Annegrit Arens jetzt als eBook bei dotbooks. Ann-Sophie glaubt an die große Liebe – auch wenn sie selbst ihr noch nie begegnet ist. Mit ihrer Partneragentur LIEBESFORMEL möchte sie wenigstens anderen Frauen helfen, die ganz großen Gefühle zu erleben. Ein Team aus erfahrenen Frauen und chaotischen Praktikantinnen unterstützt sie dabei, für jede ihrer Klientinnen einen Mr. Right zu finden … den großen und kleinen Problemen des Alltags zum Trotz: Mal steht die Karriere im Weg, mal die liebe Familie, und zur Krönung tauchen auch noch eifersüchtige Exfreunde auf! Als Ann-Sophie jedoch Flo begegnet, tritt alles andere in den Hintergrund: Da ist er, ihr Traummann! Blöd nur, dass Flo noch einen Anhang mitbringt – Tochter Franzi, die alles tut, um „die Neue“ ihres Vaters auszustechen … Turbulent, witzig, romantisch – die Erfolgsserie DIE LIEBESFORMEL endlich in einem Band! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Verlieben für Anfänger“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 1108
Über dieses Buch:
Ann-Sophie glaubt an die große Liebe – auch wenn sie selbst ihr noch nie begegnet ist. Mit ihrer Partneragentur LIEBESFORMEL möchte sie wenigstens anderen Frauen helfen, die ganz großen Gefühle zu erleben. Ein Team aus erfahrenen Frauen und chaotischen Praktikantinnen unterstützt sie dabei, für jede ihrer Klientinnen einen Mr. Right zu finden … den großen und kleinen Problemen des Alltags zum Trotz: Mal steht die Karriere im Weg, mal die liebe Familie, und zur Krönung tauchen auch noch eifersüchtige Exfreunde auf! Als Ann-Sophie jedoch Flo begegnet, tritt alles andere in den Hintergrund: Da ist er, ihr Traummann! Blöd nur, dass Flo noch einen Anhang mitbringt – Tochter Franzi, die alles tut, um »die Neue« ihres Vaters auszustechen …
Turbulent, witzig, romantisch – die Erfolgsserie DIE LIEBESFORMEL endlich in einem Band!
Über die Autorin:
Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.
Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Väter und andere Helden«, »Herz oder Knete«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.
Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de
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Originalausgabe April 2018
Copyright © der Originalausgabe 2018 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Popartic, shutterstock/Antonava Ganna und shutterstock/ night flower
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)
ISBN 978-3-96148-189-7
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Annegrit Arens
Verlieben für Anfänger
Roman
dotbooks.
Ann-Sophie Sonntag (44) ist diplomierte Psychologin. In ihrem Beruf sucht sie Führungskräfte, die optimal zum jeweiligen Unternehmen passen. Doch so erfolgreich sie als Headhunterin ist, so unglücklich verlaufen ihre privaten Beziehungen. Im Grunde entdeckt sie rein zufällig etwas, das bei der Partnersuche bisher völlig vernachlässigt wurde. Ihr eigenes Tagebuch, das sie seit ihrem 15. Geburtstag führt und das inzwischen zwölf Hefte füllt, liefert den Schlüssel:
Während eines zufälligen Vergleichs ihrer bisherigen (gescheiterten) Beziehungen erkennt Ann-Sophie verblüffende Parallelen. Mit wissenschaftlicher Akribie arbeitet sie Schritt für Schritt heraus, was bislang unbeachtet blieb:
Fast alle Menschen folgen bei der Partnerwahl unbewusst einem Muster, das schon sehr früh angelegt wurde. Das ist inzwischen weitgehend bekannt. Menschen ahmen gern nach, was ihnen als Kind vorgelebt wurde, verfolgen in der Pubertät aber häufig das absolute Gegenteil. Beide Varianten werden dann bei der Suche nach dem richtigen Partner so lange »ausprobiert«, bis ein Echo erfolgt. Wie oft dieses Echo dem Zufall und der Sehnsucht geschuldet sind, belegt die steigende Anzahl von Trennungen.
Selbst als diplomierte Psychologin hat Ann-Sophie zwölf Tagebücher füllen müssen, um zu durchschauen, dass sie immer wieder auf Männer hereinfällt, die als ganze Kerle rüberkommen, etwa weil sie ihre Wohnungstür »knacken«, wenn sie den Schlüssel verloren hat. Ihr Beuteschema ist in Wahrheit das Beuteschema ihrer Mutter.
Die systematische Auflistung von Eigenschaften, Verhaltensweisen etc. dieser Ex-Männer bestätigt, dass schon Kleinigkeiten, die an kindliche Wohlfühlelemente anknüpfen, ausreichen, um Ann-Sophie immer wieder aufs Neue »blind« zu machen und sich auf Männer einzulassen, die nicht gut für sie sind.
Der Abgleich mit den Erfahrungen von Kolleginnen und Freundinnen und die Übersetzung in ein Computer-Programm bestätigen, dass es anderen Frauen ähnlich geht. Ann-Sophies Chef wittert ein geniales Geschäftsmodell – er gründet die Firma »Liebesformel« und macht Ann-Sophie zur Geschäftsführerin.
Um mit dem gesammelten Wissen anderen Menschen zu helfen, die große Liebe zu finden, erfragt Ann-Sophie mit ihrem Team nun scheinbar alltägliche und ganz banale Gewohnheiten und Verhaltensmuster und entdeckt den Schlüssel zu dem, was Menschen nach der ersten Verliebtheit »aufwachen« lässt.
Die Liebesformel analysiert den individuellen Mikrokosmos des Alltags von Probanden sowie deren Herkunftsgeschichte und leitet daraus ein neues Muster ab.
Um dieses neue Muster einzuüben, bietet die Liebesformel zusätzlich Workshops an, in denen die Teilnehmer Skills erlernen, die sie fit für die verschiedenen Lebenssituationen rund um die Liebe machen.
Wenn jemand Ann-Sophie fragen würde, wie sie sich selbst auf die Schliche kam, würde sie den Zufall nennen. Und vielleicht noch die Angewohnheit von Denis, sich ständig an ihren Sachen zu bedienen. Denis war zu diesem Zeitpunkt noch der Mann, mit dem sie sich eine gemeinsame Zukunft ausmalte und mit dem sie deshalb Tisch und Bett teilte. Jedenfalls hatte Denis wieder mal »Kleingeld« gesucht und war dabei in ihrem Kleiderschrank, hinter den Dessous, auf eines von insgesamt einem Dutzend Notizbüchern gestoßen.
Ann-Sophie hatte bereits als kleines Mädchen damit angefangen, abends in Stichworten alles aufzuschreiben, was ihr zum jeweiligen Tag in den Sinn kam, von Hand und mit dem alten Pelikan-Schulfüller. Inzwischen war sie beim zwölften Notizbuch angelangt, Denis gab es seit Nummer elf. Allerdings hatte er die Nummer eins erwischt. Genau das war im Grunde die Geburtsstunde der Liebesformel.
Aber der Reihe nach. Erst einmal hatte Ann-Sophie ihn beim Stöbern hinter ihren Pullis, Hemdchen und Höschen »erwischt« und zur Rede stellen wollen, aber wie meistens drehte er den Spieß um.
»Reg dich ab, Chica, wenn hier einer Grund hat, sich aufzuregen, dann bin ja wohl ich das!« Demonstratives Blättern und Vorlesen, angeblich hatte sie minutiös und obendrein bösartig alle seine kleinen, natürlich durch und durch männlichen Eigenheiten aufgeschrieben. Er las vor, und in Ann-Sophie machte es klick. Immer wieder. Klick, klick, klick.
»Das ist mein Diary number one«, stammelte sie. Mehr als ein Stammeln war wirklich nicht drin angesichts dessen, was in jenen Sekunden an Erkenntnissen auf sie einstürmte.
»Scheißegal, welche Number das ist. Da stehe ich drin. Du bist ’ne kleine Spannerin, wie?«
»Aber du stehst doch am anderen Ende. In Nummer elf und zwölf. Ich glaube … also das glaube ich jetzt nicht … das ist ja der Hammer.«
Und das stimmte, auch wenn Denis in diesem Augenblick rein gar nichts kapierte und sie ansah, als ob er ernsthaft ihren Abtransport in Zwangsjacke erwöge. Dabei hatte sie nie zuvor klarer gesehen!
Was Denis über ihren allerersten Freund vorlas, traf verblüffend oft auch auf ihn selbst zu, und zwar besonders dann, wenn es scheinbar um nebensächliche Kleinigkeiten ging. Dabei war sie offenbar dem ewig selben Muster gefolgt, immer und immer wieder, aber sie hatte es nicht gemerkt, weil sich die großen Ziele und die Jobs und die Lieblingslokale und die Hobbys und eben das ganze Drumherum änderten. Doch darauf kam es nicht oder nicht so sehr an. Es war wie bei den meisten alltäglichen Dingen: Sie gehen einem in Fleisch und Blut über und erscheinen oft zu banal, um sie zu beachten. Dabei muss man gerade bei der Partnerwahl auf Kleinigkeiten achten. Für Ann-Sophie beispielsweise war es schon als kleines Mädchen das Größte gewesen, in der Badewanne umringt von lustigen Plastikentchen süßen Milchbrei löffeln zu dürfen. Jeden Freitag hatte Ann-Sophies Mutter ihr diesen Brei an die Wanne gebracht, und jeder Kerl, der später irgendwie ihre Vorliebe für »Kinderpampe« verstand oder sogar teilte, ließ sie dahinschmelzen wie den Klecks Butter in besagter Babypampe, der goldgelb in der Mitte schwamm.
In jener Nacht entdeckte Ann-Sophie ihr ganz persönliches Muster, in zwölf Notizbüchern verewigt. Natürlich stieß sie auch auf spektakuläre Sachen, die sie mit diesem oder jenem Kerl geteilt hatte. Unterm Strich und in der Summe jedoch war es der regelmäßig wiederkehrende »Kleinkram«, der ihr anscheinend immer wieder ein Gefühl von Geborgenheit und Perspektive gegeben hatte, das ließ sich sogar zahlenmäßig belegen.
Also wartete sie, bis Denis nach dem Genuss von zwei Flaschen Wein (statt zwei Runden auf, unter und in jedem Fall mit ihr – in dieser Disziplin war er echt kaum zu schlagen) lautstark wie früher ihr Meerschweinchen durch die Nase pfiff. Dann rettete sie im Schutz der Dunkelheit in Nachthemd und Clogs die zwölf von Denis entsorgten Bücher aus der Mülltonne. Obwohl sie am nächsten Morgen früh aus den Federn musste, legte sie eine erste Excel-Tabelle an, das steckte einfach in ihr drin. Schließlich war sie Wissenschaftlerin und glaubte nur an Zahlen, die sie selbst verarbeitet hatte.
Es stimmte. Da hatte sie es schwarz auf weiß. Immer wieder war sie auf denselben Typen reingefallen, eine Beziehungspleite war zwangsläufig der nächsten gefolgt, ihr Griff ins Beziehungsklo hatte System. Je eher sie Denis in die Wüste schickte, umso besser.
Aber würde sie das schaffen? Als weibliches Wesen war sie schließlich darauf trainiert, an Wunder zu glauben – das änderte sich nicht, nur weil sie Psychologie studiert hatte.
Theoretisch hätte Ann-Sophie noch dreieinhalb Stunden schlafen können, nachdem sie ihren Laptop runtergefahren und noch einmal liebevoll die silbrige Außenhaut gestreichelt hatte. Eine alberne Angewohnheit, die sich in dieser Sekunde erstmalig mit der Frage verband, ob sie nicht vielleicht eine ehrlichere und wertvollere Beziehung zu ihrem Retina Display als zu den Männern in ihrem Leben pflegte. Jedenfalls verspürte sie nicht die geringste Lust, ihr ein-Meter-zwanzig breites Bett wie all die Monate zuvor mit Denis zu teilen. Auf Zehenspitzen schlich sie sich also ins Schlafzimmer, hielt sich mit einer Hand die Nase zu und schnappte sich mit der anderen ihr Kissen, dann siedelte sie aufs Sofa um, obwohl das eigentlich zu kurz und außerdem vollgekrümelt war. Denis fand es unmännlich, für jeden Happen einen Teller zu benutzen und sich den womöglich sogar selbst aus der Küche zu holen.
Statt sie mit einem Arm oder Bein oder nach entsprechendem Alkoholgenuss auch mit seinem hochprozentigen Atem zu blockieren, verfolgte Denis sie also in dieser Nacht mit Überresten von Chips, Pizza, gesalzenen Nüssen und einer noch vollen Flasche billigen Eierlikörs. Alles ziemlich widerlich. Und trotzdem irgendwie vertraut.
Ganz früher hatte sie schließlich oft genug auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen müssen und mehr erlebt, als man erleben wollte, wenn man noch ein Kind war. Die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens waren wie ein selbstgestrickter Schal, der eigentlich ein Pulli werden sollte. Aber bei ihrer Mutter – Ann-Sophie sollte sie wie ihre Freunde Josi nennen – war Spontaneität angesagt, da wurde zusammengestrickt, was ihr so an Wollresten in die Finger fiel und nicht zu kompliziert war. Leider fielen Josi nicht nur Wollreste in die Finger. Sie konnte und wollte nicht nein sagen, wenn jemand ein Dach über dem Kopf oder was zu essen brauchte, doch am Ende war es meist Ann-Sophie, die ihr Bett und ihr Nutella-Brot an eine naive Hinterglasmalerin oder einen herrlich primitiven Bildhauer abtreten durfte. Dann landete sie wieder mal auf dem Sofa oder – wenn das auch schon belegt war – auf der Luftmatratze. Josi nannte das Weltoffenheit. In Spitzenzeiten hatten sie auf nicht mal 50 Quadratmetern bis zu vier Schlafgäste beherbergt. Es waren auch Tänzer und Sänger und Dichter dabei gewesen. Manchmal blieben sie wochenlang, und am schlimmsten waren jene männlichen Exemplare, die von ihrer Mutter wie der Froschkönig im Märchen behandelt wurden. Eine dünne Trennwand hatte Ann-Sophie frühzeitig gelehrt, wie es sich anhörte, wenn ein Frosch durch Turbo-Knutschen zum Prinz mutieren sollte. Natürlich hatte es bei ihnen kein Happy End wie im Märchen gegeben. Wenn die Gäste verschwanden, nahmen sie, egal ob Männlein oder Weiblein, immer viel mit und ließen jede Menge Chaos zurück.
Trotzdem hatte Ann-Sophies Mutter die Hoffnung bis heute nicht aufgegeben, ihren Traumprinzen doch noch zu finden. Gerade suchte sie irgendwo in Australien Erleuchtung. Weil sie fürchtete, dass ihre einzige Tochter das pralle Leben verpasste, betete sie jetzt immer für Ann-Sophie zu Ka-Ro-Ra, das war für die Aborigines der Schöpfergott in Gestalt einer Beutelratte. So wie Ann-Sophie ihre Mutter kannte, hatte sie sich gleich einen Ka-Ro-Ra in persona gesucht. Bei der Vorstellung, dass ihre Mutter jetzt eine Beutelratte knutschte, musste sie grinsen.
Okay, man musste nicht nach Australien auswandern, um an eine Ratte zu geraten. Zu dieser Erkenntnis gelangte Ann-Sophie in dieser Nacht, assistiert von der Flasche Eierlikör, die Denis bei seinem Einzug mitgebracht und dann vergessen hatte, weil ihre Bar ihm anscheinend mehr zusagte und diese von ihr ja auch immer wieder frisch aufgefüllt wurde. Ann-Sophie hasste Eierlikör, vielleicht weil das in ihrer Kindheit ein beliebtes Mitbringsel gewesen war. Eine Flasche Eierlikör oder Spumante oder Pernod für zig Tage oder gar Wochen freie Kost und Logis. Trotz dieser negativen Vorbelastung trank Ann-Sophie die Flasche aus, es war zwanghaft und erlösend zugleich und damit der Auslöser für einen Befreiungsschlag, den sie sich nüchtern vermutlich niemals gestattet hätte. Solcherart enthemmt, machte sie sich nämlich auf die Suche nach Beweisen und wurde prompt fündig. Ihre persönliche Ratte hieß Denis, denn egal, wohin sie in ihrer bis vor einem Jahr perfekten Wohnung schaute, sie entdeckte plötzlich die Spuren oder besser gesagt den Müll des Mannes, für den sie alles, wirklich alles, getan hatte. Wobei das Wort Müll für das, was sie entdeckte, die Untertreibung des Jahres war.
Sogar im Bücherregal stieß sie auf leere Kondomhüllen, das war einfach nur widerlich und erniedrigend. Sie stopfte sie in den Müllschlucker und widerstand der Versuchung, nachzuzählen. Wie oft hatte er …? Mit wem …? Wenn sie eins wusste, dann dass sie selbst als Adressatin dieser Lümmeltüten ausschied. Schließlich hatte sie sich vor elf Monaten mit Rücksicht auf die angebliche Latex-Allergie von Denis ein Diaphragma einsetzen lassen.
Wann er wohl die andere kennengelernt hatte? Oder waren es womöglich mehrere gewesen? Dass er es offenbar sogar hier, in ihrer Wohnung, auf Teufel komm raus getrieben hatte, setzte dem Ganzen die Krone auf!
Ann-Sophie war nach großer Szene, nach Teeren und Federn und in jedem Fall schön langsam Umbringen, sie wünschte ihm die Pest an den Hals, sie hasste ihn, und wie sie ihn hasste! Sie hasste ihn ganz besonders dafür, dass sie an diesem denkwürdigen Morgen so fühlte, wie sie fühlte. Sie fühlte sich an wie ein Schal aus Wollresten, bei dem immer mal wieder eine Masche fehlte, gespickt mit kratzenden Knötchen und an den Enden ausgefranst. Sie drehte noch durch. Allerdings tat sie das, diesem verfluchten Muster folgend, das sie dank Denis und ihrer Tagebücher soeben entdeckt hatte, zunächst lautlos. Und weil Denis noch mehr Hornhaut auf seinen Empathie-Antennen als an den Füßen hatte, bemerkte er auch nur, dass sie an diesem Morgen besonders »ungemütlich« war. Das störte ihn. Und er setzte noch eins drauf: Sie solle nur ja nicht denken, dass er ihre perverse Spanner-Aktion schon vergessen hatte. Bei dieser Mitteilung öffnete er demonstrativ eine neue Packung Eifelmilch, setzte sie an den Mund, trank und schluckte mit rollendem Adamsapfel und verschwand erst mal im Bad, dessen Rohre innig mit denen der Küche korrespondierten und jeden Pupser und jedes Gurgeln gigantisch aufblähten. Die offene Tür tat ein Übriges. Denis fühlte sich bei geschlossenen Türen eingesperrt. Während er sie also an seiner Körperhygiene teilhaben ließ, setzte Ann-Sophie die erstmalig von allen Sentimentalitäten befreite Analyse seiner Persönlichkeit fort und kam parallel zum Surren seines Rasierapparats – wetten, dass die Stoppeln gleich wieder im Waschbecken lagen? – zu dem Schluss, dass sie dumme Kuh vielleicht sogar eigenhändig die Attraktivität und damit den Marktwert dieses Betrügers gesteigert hatte. Seine neuerdings zu beobachtende Verwandlung zu einem zivilisierten Zeitgenossen in der Öffentlichkeit – und nur da – hatte er schließlich einzig und allein ihr zu verdanken.
Ohne sie würde er die Milch bis zu seinem letzten Schnaufer direkt aus dem Tetra-Pack schlürfen und sein Raubtiergebiss noch immer gierig in ein Riesenstück höhlengereiften Le-Gruyère-Rohmilchkäse für 30 Euro das Kilo schlagen. Irgendwann in der gemeinsamen Zeit hatte sie sich ein Herz gefasst und es ihm gesagt – schließlich wollte er Karriere machen, im Job und ebenso bei ihr, zumindest hatte er das immer behauptet.
Tempi passati! Und es war besser so, viel besser. Während es nebenan weiter gurgelte und sonst wie unappetitlich tönte, beförderte sie, einem Impuls folgend, die beiden dickwandigen Keramikbecher mit den peinlichen Bildern eines Penis hier und einer Muschi dort, die seit elf Monaten ihr eigenes schlicht weißes Frühstücksporzellan verdrängten, in den Korb zum Altglas. Es schepperte und klirrte und beendete symbolträchtig die Ära des Kerls, der diesen Schund mitgebracht hatte und den sie nicht kränken wollte.
Konnte man ein Stück rülpsende Hornhaut kränken?
Wie er sich über sie lustig gemacht hatte, wenn sie immer wieder versuchte, ihm die Grundbegriffe guten Benehmens zu vermitteln. Beispielsweise dass man einer Dame die Tür aufhielt oder ihr den Vortritt und sie immer rechts gehen ließ, außer von rechts drohte ihr eine Gefahr.
»Gefahr, wie?« Denis hatte gegrinst, wie nur er grinsen konnte. Verwegen und reichlich versaut.
»Beispielsweise von einem zu dicht vorbeifahrenden Auto«, hatte sie hastig ergänzt, aber genutzt hatte es nichts. Das Versaute steckt in ihm drin, das bewies seine flapsige Antwort.
»Du meinst, damit die Süße nicht unter die Räder kommt? Was sind vier Räder gegen mich, he?« Denis hatte sich vor Lachen ausgeschüttet und ihr plastisch ausgemalt, wie es aussah, wenn ihm eine Chica unter seine »Räder« kam.
»Für euch Mädels bin ich doch so was wie ein Jeep, der auch noch schwimmen kann.«
»Du meinst ein Amphibienfahrzeug?«
»Meinetwegen auch so, jedenfalls brauch ich den ganzen Firlefanz von deinem tollen Dr. Knigge nicht, um ’ne Punktlandung hinzukriegen.«
Offenbar doch! Wie war das vorhin noch mal gewesen? Denis würde ihre Entgleisung zwar bestimmt niemals vergessen, könnte sich aber vorstellen, ihr das Ganze noch einmal großmütig zu verzeihen, zumal ein paar von ihren Tipps ja doch ganz brauchbar waren und ihm wichtige Türen geöffnet hatten.
Türen? Ann-Sophie starrte auf den Müllschlucker.
»Willst du jetzt schon unserem Müll Manieren beibringen?« Denis hatte sich barfuß und mit nichts als einem viel zu kleinen Handtuch um die sehenswerten Lenden angeschlichen und fand sich offenbar sehr witzig. Dann fiel ihm wieder ein, dass er ja seine Socken suchte. »Die schwarzen, heute ist nämlich ein wichtiger Tag für mich, und du sagst ja immer, rote Socken sind vulgär.«
»Deine Socken interessieren mich nicht mehr.«
»Hey, was soll der Quatsch? Wenn hier einer Grund hat, sauer zu sein, dann bin das ja wohl ich. Aber Schwamm drüber, ich muss mich übrigens beeilen, her mit den Socken und dann drück mir die Daumen.«
Es war die geballte Ladung aus Ignoranz, schlechten Manieren, Überheblichkeit und die Erinnerung an weggeworfene Kondome, die Ann-Sophie nur einen Monat vor Ablauf des ersten gemeinsamen Jahres ihr Muster durchbrechen ließ. Sie war es und sie war es auch wieder nicht, die da einen Mann, den sie kraft ihrer Phantasie insgeheim sogar zum Bräutigam und Vater ihrer Kinder befördert hatte, aufforderte, ihre Wohnung bis abends zu räumen und ihr jetzt schon einmal die Hausschlüssel und vor allem den Wagenschlüssel zurückzugeben.
»Clown gefrühstückt, wie?« Er fischte die leere Flasche Eierlikör und die Scherben der beiden Porno-Becher aus dem Korb für Altglas, sonst übersah er großzügig jede Form von Müll, schon um sich vor der Entsorgung zu drücken. »Hey, das ist mein Eigentum, vielmehr das war’s, jetzt bist du mir erst recht was schuldig, Chica.«
Vielleicht hätte er noch eine winzige Chance gehabt, aber er verpasste sie. Mit dieser flapsigen Bemerkung besiegelte er sein Schicksal.
Laris Jordan sah schon zum wiederholten Mal auf seine Uhr, das fiel sogar seiner Tochter Maya auf. Dabei hatte die den Kopf eigentlich mit anderen Dingen voll. Sie wollte endlich dafür sorgen, dass ihre armen Kinder wie sie selbst nach der Scheidung mit Nachnamen Jordan hießen und nicht länger nach ihrem Erzeuger da Silva. Und dann musste sie zusehen, dass sie irgendwie in der Agentur ihres Vaters Fuß fasste, schon um ihr Selbstbewusstsein aufzupolieren, aber natürlich auch, um endlich finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Eine andere Wohnung brauchte sie ebenfalls, deshalb suchte sie gerade mal wieder im Internet, wo die Fotos einem oft etwas zeigten, was in der Realität dann viel schäbiger war. So wie bei den Männern, dachte sie und beobachtete, wie ihr Vater zum Fenster ging und jetzt gleichzeitig das Ziffernblatt seiner Uhr und den Parkplatz für Besucher und Mitarbeiter vor der alten Villa fixierte.
»Paps, erwartest du die Queen oder warum starrst du ständig nach draußen?«
»Die Queen interessiert mich nicht.«
»Dann vielleicht Angie? Hast du etwa wieder ein Date mit ihr?« Ihr Vater war ein Fan der Bundeskanzlerin, er hatte sich sogar schon einmal mit ihr bei einem gesetzten Essen durch sechs Gänge futtern dürfen. Als Experte für Führungskräfte standen ihm praktisch alle Türen offen. Natürlich war die Frage trotzdem nicht ernst gemeint, sondern eher ein Versuch, seine Aufmerksamkeit auf sich selbst zu lenken.
»Unsere Ann-Sophie ist überfällig.«
»Es ist gerade mal zwanzig nach neun«, widersprach Maya und zwang sich, dieses kleine Wörtchen »unsere« zu überhören. Sie hatte ein scheußliches Jahr hinter sich und witterte momentan überall Verrat. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass auch die auf den ersten Blick so loyale Ann-Sophie zwei Gesichter hatte. Frauen, die derart kontrolliert und perfekt und auch noch hübsch waren und trotzdem keinen Ehemann und erst recht kein Kind hatten, kaschierten damit bestimmt oft ein dunkles Geheimnis oder zumindest ein paar handfeste Macken.
»Sonst ist sie immer auf die Minute pünktlich, das passt nicht zu ihr«, sagte ihr Vater in ihre abirrenden Gedanken hinein. »Sie könnte wenigstens anrufen.« Es hörte sich vorwurfsvoll und zugleich besorgt an.
»Vielleicht hatte sie eine aufregende Nacht mit einem gewissen Herrn Römer.«
»Meinst du etwa diesen Luftikus, der neulich hier aufgekreuzt ist? So jemand ist ihrer unwürdig.«
»Leider war ich nicht dabei und kann deshalb nicht mitreden. Ist er wirklich so spektakulär?«
»Du hast nichts verpasst!«
»Frauen sehen das möglicherweise anders, Paps.«
»Ann-Sophie ist keine von diesen Frauen.«
»Du scheinst sie ja besser zu kennen, als ich dachte.«
»Sie ist mein bestes Pferd im Stall.«
»Ich weiß, sie ist mir weit voraus. Zumindest was die Akquise von klassischen Führungskräften angeht.«
»Du betonst das so merkwürdig.« Ihr Vater musterte sie irritiert. »Kannst du bitte mal Klartext reden.«
»Nun ja, es wird gemunkelt, dass sie bei ihren Männerbekanntschaften nicht ganz so treffsicher ist wie im Job. Dieser Römer-Verschnitt soll es mit der Treue auch nicht besonders genau nehmen.«
»Dann sollte unsere Ann-Sophie diese Type schleunigst loswerden.«
»Urteilst du jetzt als Psychologe oder als Mann?«
»Da kommt sie ja endlich.« Laris trat einen Schritt vom Fenster zurück, die Erleichterung war ihm anzusehen. Und um eine Antwort auf Mayas Frage war er auch herumgekommen.
Ann-Sophie war noch immer nicht ganz sie selbst. Kein Mensch war das, wenn er eine solche Nacht hinter sich hatte. Wegen Denis kam sie jetzt auch noch zu spät zur Arbeit, sie hatte nicht mal gefrühstückt, ihre letzte »Mahlzeit« war dieser ekelhafte Eierlikör gewesen. So viel Eierlikör konnte sie gar nicht trinken, um die Erinnerung an das, was dieser Mistkerl ihr angetan hatte, auszulöschen.
»Ich bringe dich um, du Mistkerl.«
»Ist alles in Ordnung, Frau Sonntag?«
Erde, tu dich auf! Hatte sie ihre Drohung etwa mit Ton rausgelassen und zufällig den Hausmeister erwischt? Herr Rettich war bestimmt kein Mistkerl, allein seine Sorge gerade um sie war rührend und zeugte von seinen menschlichen Qualitäten.
»Tut mir leid, Herr Rettich, mein Kreislauf spielt nur gerade verrückt.« Ann-Sophie tastete nach einem Halt und erwischte die Kette, mit der die extra breite Parkbucht ihres Chefs abgetrennt war.
Es schaukelte – alles schaukelte plötzlich.
»Frau Sonntag, hören Sie mich?«
»Wie?« Das Gesicht des Hausmeisters kam immer näher, besonders hübsch war es wirklich nicht. Aus den Nasenlöchern wuchsen Haarbüschel, so liefe nicht mal ein Naturbursche wie Denis herum, obwohl Denis es sich leisten könnte, er war schließlich ein echtes Prachtexemplar. Natürlich nur rein äußerlich, wie sie spätestens seit gestern wusste.
»Es geht Ihnen nicht gut, Frau Sonntag. Gar nicht gut. Wir sollten vielleicht doch besser einen Arzt rufen. Einen Krankenwagen. Mit dem Kreislauf ist nicht zu spaßen.« Die Haarbüschel in dem Riechorgan keine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt vibrierten, dazu gesellte sich das lang gezogene Tuten eines Telefons, dann meldete sich der Notruf der Feuerwehr. Stopp! Ann-Sophie war plötzlich hellwach.
»Wenn Sie nicht sofort mit dem Schwachsinn aufhören, schlage ich Sie ungespitzt in den Boden«, drohte sie und merkte zu spät, dass sie in ihrer Not einen der Lieblingssprüche von Denis benutzt hatte. Es kam noch schlimmer. Ehe sie alles erklären oder sich wenigstens entschuldigen konnte, kam Maya Jordan angelaufen, ein paarmal knickte sie um, das lag an den viel zu hohen Absätzen. Bis vor kurzem hatte die einzige Tochter vom Chef nur Ballerinas und Sneakers getragen, die krass blonden Strähnchen waren ebenfalls neu, so neu wie die Trennung von ihrem Ehemann. Angeblich hatte er sie verlassen, aber gab ihr das etwa das Recht, sich ständig derart daneben zu benehmen? Bestimmt hatte sie schon am Fenster gestanden und nur darauf gelauert, Ann-Sophies Verspätung und den erhofften Rüffel des Big Boss hautnah mitzuerleben. Jedenfalls machte sie keine Anstalten, ihr wieder auf die Beine zu helfen. Für Ann-Sophie stand fest, dass Maya sie von Anfang an nicht hatte leiden können. Die Ursache für diese Abneigung stand in den Sternen. Gerade als Ann-Sophie in ihrem armen Kopf den Gedanken formulierte, dass sie beide ja jetzt quasi Leidensgenossinnen waren und deshalb eigentlich endlich netter miteinander umgehen könnten, wurde Maya unsanft beiseitegeschoben. Ann-Sophie fand es nicht übel, wie ihr Chef – der ja schließlich der Vater von Maya war – hier klare Prioritäten zu ihren eigenen Gunsten setzte und den Hausmeister gleichfalls in seine Schranken verwies.
»Sie haben doch gehört, dass Frau Sonntag keinen Arzt wünscht«, herrschte er Herrn Rettich an und machte eine eindeutige Handbewegung. Verschwinde, hieß das, und obwohl Ann-Sophie generell nichts davon hielt, wenn ein Mann sich als Macho aufführte, war sie gerade voll einverstanden.
»Aber so war sie noch nie, sie ist ja nicht sie selbst, sie hat mir sogar gedroht.«
Ihr wunderbarer Chef lief zur Höchstform auf. Er stellte die Frage in den Raum, ob jemand wirklich für den verantwortungsvollen Job des Hausmeisters qualifiziert sein könne, wenn er sich von einer zarten Frau wie Frau Sonntag bedroht fühlte. Zart hörte sich gut an, sehr gut sogar. Trotzdem sorgte sie jetzt doch besser ganz pragmatisch dafür, dass Herr Rettich sie nicht wortwörtlich zitierte, denn das würde absolut nicht zu ihrem zarten Image passen.
Ann-Sophies Chef war ein Ästhet der ersten Stunde und zudem ein Kavalier. Er gab nicht eher Ruhe, bis Ann-Sophie auf dem klassischen Kuhfell der leider etwas zu kurzen Corbusier-Liege in seinem Allerheiligsten ruhte und japanisches Pfefferminzöl inhalierte, während er höchstpersönlich alle Vorhänge zuzog und dann ungeduldig nach ihrem Ingwerwasser verlangte.
Unglaublich, dieser Mann hatte sogar abgespeichert, dass sie bei den wöchentlichen Meetings als Einzige immer nur Wasser oder Tee mit viel frischem Ingwer trank. Männer verabscheuten gewöhnlich Ingwer, ebenso wie Koriander und Pfefferminzblätter. In diesem Punkt waren sich auch jene Vertreter dieser Spezies einig gewesen, deren Boxershorts sich längerfristig mit ihren Dessous in der Waschtrommel hatten paaren dürfen.
»Maya, wo bleibt denn verdammt noch mal der Ingwertee? So schwer kann das doch nicht sein!« Laris Jordan war extra raus gegangen und hatte die Stimme gesenkt, trotzdem verstand Ann-Sophie jedes Wort, das er mit seiner Tochter wechselte. Maya schien nicht begeistert von der Idee zu sein, ihr zu helfen.
»Ich bin keine Krankenschwester«, hörte Ann-Sophie sie protestieren. »Das ist nicht mein Job.«
Die Tür wurde lautstark vom Gang aus ins Schloss gezogen, jetzt konnte man nur noch Vogelgezwitscher hören, was natürlich generell sehr beruhigend war. Gerade als es Ann-Sophie halbwegs gelang, ihre Neugier zu zügeln und eine Art Trance anzusteuern, stieg ihr ein unangenehmer Geruch in die Nase.
Sie nieste automatisch.
Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu niesen.
»Ihr Tee, Ann-Sophie, mit den besten Grüßen von meinem Vater. Er muss sich jetzt leider wieder um unsere Firma kümmern.«
»Natürlich«, sagte Ann-Sophie und richtete sich auf. »Ich bin auch gleich wieder fit, aber das ist trotzdem kein frischer Ingwer.«
»Das könnte daran liegen, dass ich aus Zeitgründen den fertigen Kräutertee genommen habe.«
»Schon gut.« Wut paarte sich mit Enttäuschung, Maya hätte bloß ein paar Scheibchen von einer der Knollen abschneiden müssen, die Ann-Sophie immer frisch vom Markt mitbrachte. Der Kräutertee roch muffig, gut möglich, dass er noch vom gemeinsamen Besuch auf dem Weihnachtsmarkt stammte. Wie kam ein so wunderbarer Mensch wie Laris Jordan bloß an solch eine Tochter? Andererseits war sie dank Mayas fieser Art jetzt wieder da, und das bewies Ann-Sophie auch in den folgenden beiden Stunden, in denen sie Vollgas gab. Selbstverständlich tat sie das, wie es sich gehörte, wieder in ihrem eigenen kleinen Büro.
»Sie sollten sich doch schonen, Frau Sonntag.« Der Chef war schon wieder zurück und entschuldigte sich, weil er plötzlich abberufen worden war. Obendrein wegen eines Missverständnisses, die fehlenden Informationen hätte der Notar auch von jedem x-beliebigen Mitarbeiter in der Firma erhalten können. Ein bedauerliches Missverständnis seiner Tochter. Nachtigall, ick hör dir trapsen!
»Kein Problem, Herr Jordan«, sagte Ann-Sophie laut. »Mir geht es wirklich wieder gut.«
»Ihr Tee scheint Ihnen aber nicht besonders gut zu schmecken. Stimmt etwas nicht damit? Er riecht auch seltsam.«
»Alles bestens, Herr Jordan.« Ann-Sophie sah in sein besorgtes Gesicht und wusste, dass es eine unsichtbare Mithörerin gab. Aber sie war loyal, komme, was da wolle, und wenn sie noch so allergisch auf muffigen Tee und erst recht auf Intrigen reagierte.
Denis konnte es noch immer nicht fassen: Ann-Sophie hatte ihn rausgeworfen, nun stand er da mit zwei alten Koffern, einer Luxus-Reisetasche mit dem berühmten Totenkopf drauf – passend zu seiner trendigen Lederjacke – und drei Pappkartons, die jeden Moment reißen konnten. Wohin jetzt, verdammt? Natürlich könnte er sich ein billiges Hotel suchen, aber das Geld fehlte ihm dann womöglich bei etwas Wichtigerem. Zum Glück hatte er gute Freunde, und bei der letzten Zockerrunde von Toni hatte er mit eigenen Augen gesehen, dass dort Platz genug für zwei war, also nichts wie los.
Das Mietshaus, in dem Toni wohnte, hatte Denis allerdings hübscher in Erinnerung – leicht enttäuscht stand er nun davor und musterte die schäbige Haustür und den Fries aus ockergelben Fliesen, der bestimmt schon ewig nicht mehr abgeschrubbt worden war. Sei’s drum, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Sein Gepäck ließ Denis erst mal unten an den Briefkästen stehen, dann machte er sich an den Aufstieg. Zu Fuß in den vierten Stock war Mord.
»Was willst du denn hier?« Tonis Begrüßung war nicht unbedingt herzlich zu nennen.
»Jetzt lass mich doch erst mal rein. Schließlich sind wir Freunde.«
»Wir haben uns zuletzt vor einem halben Jahr gesehen, deine Spielschulden hast du übrigens auch nie bezahlt.«
»Du kriegst dein Geld schon, ich hab da ein ganz großes Ding angeleiert.« Mit dieser Ankündigung drängte sich Denis an Toni vorbei. So schwierig hatte er sich das nicht vorgestellt. »Es ist auch wirklich nur für kurz«, fügte er beschwichtigend hinzu. »Ich bin gerade ohne Dach überm Kopf.«
»Du willst hierbleiben?« Toni wirkte gar nicht begeistert, ihm fehlte eindeutig der Riecher für die grandiose Punktlandung, die Denis demnächst als Führungskraft hinzulegen gedachte, aber der wichtigste erste Schritt war immerhin getan. Die aus dem Bestand von Ann-Sophie gerettete Flasche Jägermeister unterstützte die ganze Aktion, und so langsam taute Toni auf.
»Okay, drei Nächte, bis dahin wirst du ja wohl deine Ann-Sophie soweit bezirzst haben, dass sie dich in Gnaden wieder aufnimmt.«
»Never«, verkündete Denis mit großer Geste. »Diese Person ist für mich gestorben.«
»Dann eben die Hantel-Maus, mit der du auch sonst einiges trainierst.«
»Die ist verheiratet.« Und dann packte Denis aus, wie er sich seinen sozialen Aufstieg vorstellte. Er hatte zahlreiche Talente, das hatte ihm sogar Ann-Sophie immer wieder versichert und versucht, ihm diesen oder jenen Job aufzuquatschen. Etwas mit Niveau sollte es sein, und mit der Arbeit an seinem Niveau hatte sie auch ihr ständiges Nörgeln an seinen Manieren gerechtfertigt. Diese Meckerei wegen nichts und wieder nichts war die Hölle für jeden normalen Mann. Dazu kam diese nervige Wichtigtuerei, wenn es um ihre heilige Firma ging. Ätzend! Eigentlich war sie selbst schuld, dass er neulich aus Frust in ihrem Laptop gestöberte hatte. Die reinste Goldgrube, auf die er da gestoßen war. Schließlich vermittelte Ann-Sophies Firma Führungspositionen, genau da sah er sich, irgendwo an der Spitze. Das Passwort für sämtliche Daten ihrer heiß geliebten Firma hatte sie ihm selbst anvertraut. Er hatte ihr natürlich schwören müssen, dass er es nur mit ihrer ausdrücklichen Genehmigung benutzte. Aber hatte sie ihn etwa umgekehrt um Erlaubnis gebeten, bevor sie ihn in ihrem Tagebuch verwurstete?
»Sie hat mich regelrecht ausspioniert«, betonte Denis nochmals an seinen alten Kumpel gewandt, »meine persönlichen Sachen durchwühlt hat sie auch, sogar meine Lümmeltüten hat sie abgezählt, ist das nicht widerlich?«
»Kommt drauf an, bei wem du die Dinger eingesetzt hast«, wandte Toni ein. Seitdem er Werksleiter bei Opel war, wurde er, wie Denis fand, immer spießiger. Das hatte sich auch beim letzten Skatabend gezeigt: Toni war strikt gegen Damenbesuch zu fortgerückter Stunde gewesen. Weil er eine feste Freundin in Saarbrücken hatte, unglaublich, als ob das eine das andere ausschlösse.
»Das tut jetzt nichts zur Sache«, erwiderte Denis laut. »Jedenfalls finde ich es klasse, dass ich erst mal bei dir bleiben kann.«
»Halt, so habe ich das nie ge…«
Denis fiel ihm ins Wort. »Zur Belohnung erfährst du dann auch aus erster Hand, wenn ich den Job kriege, an dem ich heimlich seit zwei Wochen schraube. Als ob ich’s geahnt hätte, dass meine Ex Stress machen würde … Sei's drum, machen halt wir beide ein Fass auf, wenn alles klappt.«
»Du und ein fester Job?« Deutliche Skepsis schwang mit.
»Nicht irgendein Job«, betonte Denis. »Wenn alles läuft, wie es soll, bin ich demnächst King of Clip-in-Extensions.«
»Was ist das denn jetzt schon wieder für ein Schwachsinn? King von wem oder was willst du werden?«
»Du hast echt keine Ahnung, Kumpel. Haarverlängerungen mit Clip sind der letzte Schrei, da rennen die Weiber dir die Bude ein und lassen die Kasse klingeln, das hat ja sogar der alte Jordan geschnallt.«
»Jordan?«
»Der Chef meiner Ex.«
»Das ist dann also der Vermittler für Führungspositionen oder so?«
»Treffer! Und weil der ehrenwerte Laris Jordan dabei so viel Geld scheffelt, steckt er das auch gern mal als stiller Teilhaber in ein bombensicheres Geschäft wie das mit Haarverlängerungen. Jetzt muss ich mich nur noch als neuen Chef fürs Marketing entdecken lassen.«
»Und was ist mit dem alten Chef?«
»Der lässt sich gerade von der süßen Maya Jordan scheiden. Ich sage nur einzige Tochter. Die Jordans brauchen dringend einen Neuen für den Laden und privat einen ganzen Kerl für Mayas Bettchen. Ich bin die perfekte Besetzung für beides.«
»Wissen die denn nicht, wer du bist? Ich meine, Ann-Sophie hat doch bestimmt mal erzählt, mit wem sie seit fast einem Jahr zusammen ist.«
»Für sie und den Rest der Welt war ich immer nur Denis Römer. Meine Karriere starte ich als Denis Schultz.«
»Man kann sich doch nicht einfach umtaufen.«
»Brauche ich auch nicht. In meinem Ausweis steht ja noch immer Schultz, weil mein Erzeuger partout nicht will, dass ich wie er Römer heiße. Aber das kommt auch noch, wenn ich erst richtig durchstarte. Der ist noch mal stolz auf einen Sohn wie mich. Und fürs Erste ist es wahrscheinlich sowieso besser so, da halte ich mich als Denis Römer lieber etwas bedeckt. Wer weiß, sonst versaut meine Ex mir nachher noch die Karriere.«
»Noch mal für einen Normalo wie mich. Du segelst praktisch schon die ganze Zeit unter falscher Flagge, sogar bei deinen alten Freunden?«
»Römer klingt nun mal besser.«
»Und jetzt willst du dich bei der Firma von deiner Ex als Denis Schultz einschleichen und denkst, dass die nichts merken? Das sind Profis, für wie blöd hältst du die eigentlich?«
»Ich sage nur Maya. Sie ist noch ganz neu dabei, und zufällig weiß ich, dass der Papa sie vormittags als Telefontante einsetzt, damit sie alles von der Pike auf lernt. Natürlich ist die kleine Maus entsprechend frustriert und stürzt sich mit Wonne auf die erste von ihr selbst reingeholte Führungskraft. Wenn ich erst den Vertrag in der Tasche …«
»Und diese Führungskraft sollst du sein?«, fiel Toni ihm ins Wort.
»Logisch. Ich kenne schließlich alle Zahlen der Clip-In GmbH und weiß, dass der alte Jordan dort stiller Teilhaber und sein Noch-Schwiegersohn nicht ganz unschuldig an den roten Zahlen ist. Haare sind nicht sein Ding, Zahlen wohl auch nicht, deshalb will er jetzt lieber weiter Bäume und Sträucher und so was studieren.«
»Und da kommst du als Retter gerade recht?« Toni zog eine Grimasse.
»Da komme ich und rette in einem Aufwasch Papas Geld und Töchterlein!« Denis ging in Siegerpose.
»Und wenn du nicht der Typ der kleinen Jordan bist? Mal ganz abgesehen von deinen Qualitäten als Finanzgenie.«
»Ziemlich unwahrscheinlich, dass die Süße mich nicht mag, am Telefon hat sie jedenfalls schon mal angebissen. Und zur Not gibt es ja noch die Schwägerin von Maya Jordan, sie hält 55 % von dem Laden und ist für den kreativen Teil zuständig.«
»Und das weißt du alles aus dem Laptop Deiner Ex?«
»Jetzt hast du’s endlich gerafft. Ann-Sophie ist zum Glück immer sehr gewissenhaft und notiert alles und jedes. Ihr Liebesleben gibt es in zwölf Notizbüchern, die meisten fülle natürlich ich. Gibt es eigentlich noch was zu trinken? In der Zeit hol ich dann rasch meine Siebensachen hoch, eh die noch einer klaut.«
»Hast du eigentlich nie so was wie Gewissensbisse?«
»Wozu? Meine Ex hätte alles von mir haben können, vielleicht sogar Hochzeitsglocken und den ganzen Schmus, sie durfte mich ja sogar zum Gentleman dressieren.«
»Du und Gentleman, dass ich nicht lache.«
Denis demonstrierte kurz, was er alles drauf hatte, wenn er wollte, wie vornehm er reden und sich bewegen konnte, an den Eiern kraulte er sich höchstens rein privat. »Oder ich lasse kraulen«, mit diesen Worten und der entsprechenden Geste verschwand er im Treppenhaus, wo es unangenehm nach Kohl roch. Dafür begegneten ihm zwei niedliche Teenager, die er umgehend zu Kofferträgern umfunktionierte.
»Toni, haste mal gerade fünf Euro oder so?«, fragte er, als das Duo mit seinem Gepäck keuchend oben eintraf.
»Wozu brauchst du jetzt fünf Euro?«, tönte es genervt zurück.
»Trinkgeld, alter Junge, das gehört sich so. ’Ne Lektion in gutem Benehmen täte dir auch nicht schlecht, finde ich.«
Maya war zum Heulen zumute. Ihr wunderschönes Haus glich zunehmend einer Packstation, sie und die Kinder sollten tatsächlich hier raus, nicht mal ihr sonst so spendabler Dad war bereit, die Kosten noch länger zu übernehmen. Stattdessen verlangte er, dass sie endlich erwachsen wurde und den Tatsachen ins Auge sah. Als ob eine Mutter von zwei mehr als quirligen Kindern nicht automatisch mitten im Leben stünde. Es war auch nicht eben fair, ihr die Liebe zum Vater ihrer Kleinen zum Vorwurf zu machen. Sie liebte Abba noch immer, selbst wenn er gerade eine Krise durchmachte. Der Handel mit Haarverlängerungen war wohl wirklich nichts für ihn gewesen, jetzt wollte er endlich sein Studium beenden, was war daran so schlimm? Deshalb war er noch längst keiner, der sich um die Verantwortung für seine Familie drückte. Viel schlimmer war der Verlust dieses Hauses. Gesetzt den Fall, dass Abba als diplomierter Landschaftsarchitekt doch wieder zu ihnen zurück wollte, würden hier wildfremde Leute hausen. Menschen, die sich einen Teufel um die Lebensbäumchen von Emma und Felix und das Grab von Dackel Ali Baba scheren, auch die Meerschweinchen der Kinder waren hier im Garten begraben, außerdem brauchten Bonny und Clyde – die beiden Golden Retriever waren ja fast noch Welpen – extrem viel Auslauf …
»Maya, bist du da draußen im Garten?« Die Stimme ihrer Schwägerin Francesca riss Maya aus ihren düstern Gedanken. Sie lief zurück ins Haus und genau in die Arme der Frau, die Abba so ähnlich sah, dass es schon wehtat.
»Klar bin ich draußen, hier drinnen ist es ja kaum noch zum Aushalten. Sieh dich doch bloß mal um, und wir haben noch immer keine passende Wohnung gefunden.«
»Mein Bruder ist ein Idiot«, schimpfte Francesca, »wie kann er uns alle wegen einer fixen Idee wie diesem Studium im Stich lassen? Wenn kein Wunder geschieht, sind die da Silvas bald die längste Zeit Haarspezialisten gewesen.« Francesca schleuderte ihren fast armdicken Haarzopf nach hinten. Natürlich war der nicht echt, doch das sah man nicht. »Unsere armen Eltern werden sich im Grab umdrehen«, endete sie aufgebracht.
»Werden sie nicht«, widersprach Maya.
»Hilft dein Vater uns etwa doch noch mal aus der Patsche?«
»Besser. Wie es aussieht, habe ich einen Marketing-Profi für eure Clip-In Extensions gefunden. Dieser Denis kennt sich so gut damit aus, dass es fast schon unheimlich ist. Und einen heißen Draht zu Echthaar aus Asien hat er auch, das kostet dort nur einen Bruchteil.« Schon erzählte Maya von ihren Verhandlungen mit Denis Schultz. Natürlich schmückte sie ihren eigenen Anteil an dessen Entdeckung gebührend aus und ließ außen vor, dass eher Denis Schultz sie gefunden hatte – und das auch nur, weil ihr Vater sie für den kompletten ersten Monat vormittags zum Telefondienst verdonnert hatte. Sie sollte seiner Meinung nach alles, was ein guter Headhunter können musste, von der Pike auf lernen.
Headhunter! Allein dieses Wort war gruselig, die damit verbundene Tätigkeit war es nicht minder. Maya fühlte sich nicht zur »Kopfjägerin« berufen, gleichgültig welch wichtige Position der gesuchte Kopf irgendwo bekleiden sollte.
»Wo sind eigentlich die beiden Kleinen?«, fragte Francesca und sah auf ihre Uhr. »Es ist schon gleich halb sechs, gehen die Tanzmäuse nicht nur bis um fünf?«
»Verdammt, jetzt haben sie bestimmt wieder bei meinem Vater angerufen. Er bringt mich um, wenn er wegen mir nicht pünktlich zu seinen Rotariern kommt. Und die Hunde muss ich auch noch bei ihm abholen, der Hausmeister hat ständig Angst um seine Blumenzwiebeln, wenn sie frei im Park rumlaufen, dabei sind sie einfach nur noch sehr jung und übermütig.«
»Dann wird es ja erst recht höchste Zeit, den Papa mit deiner Wunderwaffe zu besänftigen. Wie sieht dieser Denis eigentlich aus?«
»Eins A«, versicherte Maya und verhedderte sich vor lauter Eile im Ärmel ihrer Kostümjacke, die aktuell etwas eng saß. Sie verschwieg, dass sie bislang lediglich die Fotos kannte, die Denis Schultz an ihren privaten Account gemailt hatte. Er sah auch in Pixeln umwerfend aus. Wie ein richtiger Kerl und trotzdem sehr smart.
»Vielleicht wäre er ja dann auch was für mich«, kicherte Francesca und fügte hinzu, dass sie schon gar nicht mehr wisse, wie Sex überhaupt ging.
»Untersteh dich«, warnte Maya und sah sich hektisch um. »Hast du zufällig meinen Autoschlüssel gesehen?«
»Nimm den auf dem Kaktus neben der Haustür«, empfahl Francesca.
»Das solltest du nur ja nicht deinen Bruder hören lassen. Der Kaktus ist eine Königin der Nacht und sein ganzer Stolz.«
»Für mich sieht’s eher wie viele unordentliche Gummiwürste aus, und so was will mein Bruderherz jetzt also studieren? Matto!« Francesca tippte sich passend zu diesem »Verrückt!« gegen die Stirn, hinter der es arbeitete, das sah Maya genau. Sie kannte ihre Schwägerin. Francesca stand in dem Ruf, nichts anbrennen zu lassen. Wie erwartet ließ sie auch jetzt nicht locker.
»Und wann kann ich den wunderbaren Denis mal selbst auf Herz und Nieren testen? Natürlich streng beruflich?«, fragte sie und zwirbelte zur Abwechslung am Pinselende ihres künstlichen Haarzopfs.
»Erst mal checke ich ihn durch. Ciao.« Obwohl Maya irgendwann den Vater ihrer Kinder geläutert und examiniert zurückhaben wollte, hätte sie in diesem Moment nichts gegen einen ganzen Kerl. Bei dem sie sich begehrenswert fühlte. Der ihr bei dieser elenden Packerei half und – nur zum Beispiel – jetzt die Kleinen abholte und ihr die Sprüche ihres Vaters zu Unreife und Verantwortungslosigkeit ersparte.
Es konnte nur besser werden. Die Leiterin der Tanzmäuse hatte sich aufgeführt, als ob die Welt untergegangen wäre. Von Anfang an hatte sie regen Anteil an allem genommen, was Mayas Vater betraf. Der war für sie schon deshalb eine Berühmtheit, weil er gelegentlich mit irgendwelchen Promis in der Gala oder ähnlichen Blättern abgelichtet wurde. Um einen so wichtigen Mann wie Laris Jordan pünktlich zu seinen Rotariern kommen zu lassen, hatte sie sogar etwas vom eigenen Feierabend geopfert, das betonte sie immer wieder. Ihr Selbstlob war fast so ätzend wie Mayas weiterer Abend. Sie hatte die falsche Pizza und statt Limo Multivitaminsaft besorgt – igitt. Das Gezeter der beiden Kinder im Bad war erst recht der Horror. Morgens ging es nahtlos weiter, und Mayas Verspätung an diesem Vormittag war praktisch vorprogrammiert. Beim Betreten der Villa, die mittlerweile das Herzstück der Firma Jordan war, vermied sie gezielt jeden Blick in die Spiegelfront links und steuerte den Empfang in der Mitte an, wo Renate, die Sekretärin ihres Vaters, offenbar die erste Dreiviertelstunde von Mayas Telefondienst übernommen hatte. Nicht ihr Job, alles klar. Jetzt hielt sie Maya statt einer Begrüßung mit ausgestrecktem Arm den Hörer hin.
»Für Sie«, sagte sie spitz. »Soll ich das Gespräch gleich hier freischalten?«
Maya überlegte, welche Katastrophe sie jetzt schon wieder erwartete. Läuse in der Kita? Felix ohne Hausaufgaben in der Schule?
»Es ist schon wieder dieser Herr Schultz, irgendwie ist mir der Mann suspekt. Warum sagt er nicht wie jeder andere erst mal, worum es konkret geht? Jedenfalls will er wieder ausschließlich mit Ihnen reden.« Das Mienenspiel der Sekretärin verriet ihr Erstaunen darüber, dass jemand gezielt nach Maya verlangte.
»Herr Schultz ist ein wichtiger Neuzugang«, sagte Maya betont lässig und spürte, wie ihre Laune sich schlagartig hob. »Legen Sie mir das Gespräch doch bitte rüber auf die 3.« Mit diesen Worten griff sie nach ihrer gerade abgestellten Hermès-Tasche, die ein Geschenk von Paps war. Eine echte Hermès und als Trostpflaster für die gefakte Version, die Abba ihr zum letzten Hochzeitstag geschenkt hatte. Offenbar hatte ihm das Wasser da finanziell schon bis zum Hals gestanden, sonst hätte er so etwas niemals getan, davon war sie überzeugt, das ließ sie sich auch nicht von ihrem Vater ausreden.
Und dann lief plötzlich alles wie am Schnürchen. Denis schlug von sich aus ein erstes persönliches Treffen auf neutralem Terrain, wie er das nannte, vor. Er schloss mit der geheimnisvollen Andeutung, dass er ihr die Gründe für die erbetene Auslagerung natürlich gleich genauer erklären würde. Phantastisch! Sie war heilfroh, wegen dieses wichtigen Termins Schlag zwölf verschwinden zu können. Diesmal machte es ihr auch nichts aus, von der perfekten Renate beim Rausgehen von oben bis unten taxiert zu werden. Wie ein Fremdkörper, der nicht hierher gehörte. Dabei war Maya in dieser Villa aufgewachsen. Wetten, dass gleich hinter ihrem Rücken das Getratsche losging? Egal! Diesmal hatte sie wirklich und wahrhaftig eine geschäftliche Verabredung, und wenn alles lief, wie es sollte, würden hier alle demnächst Abbitte leisten.
Denis Schultz hatte eine nahe gelegene Tapas Bar vorgeschlagen, von dort war es nur ein Katzensprung bis zu dem Penthouse, das sie sich unbedingt ansehen wollte – auch darin glaubte sie eine Art Wink des Schicksals zu erkennen. In gut einer Stunde gab es vor Ort einen Sammeltermin. Der Andrang war offenbar groß, was für das Objekt sprach. Anschauen kostet ja nichts, dachte Maya. Und Hunger hatte sie auch. Eigentlich hatte sie seit Zustellung des Scheidungsantrages ständig Hunger.
»Was darf ich Ihnen bestellen? Die champiñones al jerez sind sehr zu empfehlen.« Denis Schultz war sehr aufmerksam, er hatte auch darauf bestanden, ihr persönlich den Mantel abzunehmen, und ihr dann den Stuhl zurecht gerückt, mit dem Rücken zur Wand und mit Blick in den Raum, so wie Frauen es am liebsten mochten. »Ich habe nicht viel Zeit.« Sie schluckte, es roch unglaublich gut. »Höchstens eine klitzekleine Kleinigkeit.«
Es wäre eine Schande gewesen, bei diesem Angebot nein zu sagen. Alles war köstlich, sie kaute und schluckte und kehrte erst in die raue Wirklichkeit zurück, als ihr Gegenüber wissen wollte, ob er frei von der Leber weg reden dürfe.
»Ähm, natürlich.« In Mayas Kopf überschlugen sich die Gedanken. Etwas war hier faul, oder? »Sind Sie etwa gar nicht ernsthaft an der Stelle interessiert?«
»Ich bin sogar sehr daran interessiert.« Er sah ihr tief in die Augen und legte kurz seine Hand auf ihre Hand, das hatte nichts Anzügliches, es diente lediglich der Vertrauensbildung, so zumindest interpretierte sie sein Verhalten. Zumal er ihr nun auch noch ein DIN-A-4-Blatt hinschob – wie er betonte, nur ein grober Entwurf, aus dem sich aber bereits ergab, dass unter Ausnutzung seiner Bezugsquelle in Fernost auf einen Schlag unglaublich viel Geld eingespart werden konnte.
»Das macht uns dann praktisch sofort wieder liquide«, sagte er und drückte nochmals ganz kurz ihren Handrücken.
Maya stutzte kurz. Woher wusste er um die finanziellen Probleme der Firma? Oder war es üblich, dass ein Bewerber bestimmte Informationen vorab erhielt, um dann einen Plan zur Behebung zu liefern und damit seine Qualifikation unter Beweis zu stellen? Leider war sie noch nicht lange genug im Geschäft, um das zu wissen. Sie räusperte sich kurz und fragte dann betont lässig: »Und wo ist der Haken?«
Niemand sollte ihr nachsagen, dass sie sich wie eine x-beliebige Anfängerin einwickeln ließ. Dieses »uns« war gut und schön, trotzdem hatte er ihr noch immer nicht verraten, warum er partout nicht zu ihr in die Firma hatte kommen wollen. Das holte er jetzt nach, sie traute ihren Ohren nicht.
»Ich will lieber von Anfang an mit offenen Karten spielen«, setzte er an und sah ihr in die Augen. »Jedenfalls sollten Sie wissen, dass ich Ihre Kollegin Ann-Sophie Sonntag nicht nur oberflächlich kenne, auch wenn ich bei unserem ersten Telefonat diesen Eindruck erweckt habe.«
»Hat Ann-Sophie etwa versucht, Sie mir unterzujubeln?«
»Bestimmt nicht. Also, was ich Ihnen sagen wollte, ist, dass sie und ich mal ein Paar waren. Natürlich würde ich voll verstehen, wenn Sie jetzt aus Gründen der Kollegialität lieber nichts mit mir zu tun … «
»Sie beide waren echt ein Paar?«, fiel Maya ihm ins Wort. »Das ist dann doch bestimmt schon länger her, oder? Ihr letzter Freund hieß jedenfalls Römer und war ein ziemlicher Hallodri, zumindest erzählt man sich das.«
Denis zuckte die Schultern. »Ich möchte lieber nicht darüber reden. Es gehört sich einfach nicht, etwas preiszugeben, das mehr oder weniger intim ist, finde ich.«
»Da sagen Sie was.«
»Trotzdem sollten Sie wissen, dass Ann-Sophie mich quasi gebrieft hat.«
»Sie meinen, all die Interna über meinen Ex und meine Schwägerin stammen von ihr?«
»Leider ist das so. Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen, ist schon klar.«
»Und warum sollte Ann-Sophie etwas so Unglaubliches tun? Und das, obwohl Sie beide längst getrennt sind? So was könnte sie glatt den Job kosten, das muss ihr doch klar sein.«
»Nennen wir es falsch verstandene Liebe! Sie ist förmlich besessen von der Idee, doch noch gemeinsam mit mir durchzustarten.«
»So richtig mit Ehering und Haus und Kindern?«
»Ohne Kinder, aber sonst das volle Programm. Sie ist sehr besitzergreifend, gelinde ausgedrückt. Keine Ahnung, warum ich Ihnen das alles erzähle, verzeihen Sie. Mein Privatleben gehört wirklich nicht hierher. Vergessen Sie einfach rasch wieder, was ich dazu gesagt habe …«
Maya schüttelte energisch den Kopf. In dem bronzierten Spiegel gegenüber sah das gar nicht mal so übel aus. »Warum sollte ich etwas vergessen, das Sie persönlich unterm Strich ehrt? Der Charakter spielt schließlich auch und gerade in einer Führungsposition eine wichtige Rolle.«
»Sie würden mir also trotzdem eine Chance geben?«
»Selbstverständlich. Ihr Verhalten imponiert mir, Sie imponieren mir.« Sie spürte, wie sie rot wurde, sie hatte sich gerade vielleicht etwas missverständlich ausgedrückt. Was sollte er nur von ihr denken? »Streng beruflich betrachtet«, fügte sie hastig hinzu.
»Sie sind eine bemerkenswerte Frau«, sagte er, »ganz anders, als Ann-Sophie Sie beschrieben hat. Pardon, das gehört natürlich ebenfalls nicht hierher. Wie auch immer würde ich es als große Ehre ansehen, Ihnen bei der Bewältigung Ihres Clip-In-Problems helfen zu dürfen. Immerhin reden wir jetzt bereits von einem sechsstelligen Betrag, mit dem die Firma im Minus ist.«
»Die genaue Zahl wissen Sie also auch schon?« Maya war ehrlich entsetzt. Unglaublich! So viel zum Thema »mein bestes Pferd im Stall«. Dieses »Pferdchen« ging hemmungslos mit Betriebsinterna hausieren.
»Schlimm?« Denis beugte sich vor und applizierte einen perfekten Handkuss auf ihrem Handrücken.
Sie starrte auf die Stelle, die er natürlich nicht wirklich mit seinen Lippen berührt hatte. Das Ziffernblatt ihrer Armbanduhr fiel ihr ins Auge. Der Sammeltermin für das Penthouse konnte jede Minute beginnen.
»Verdammt«, entfuhr es ihr, »ich muss dringend weg.«
»Wegen mir? Bin ich so unerträglich?«
»Bestimmt nicht.« Sie war derart verwirrt, dass sie impulsiv damit herausrückte, was sie rein privat gerade beschäftigte. Viel Zeit blieb nicht mehr, und das Objekt ihrer Begierde war gleich um die Ecke.
»Darf ich Sie begleiten?« Denis schob einen Geldschein unter sein Glas und stand auf. Sein Vorschlag war offenbar ernst gemeint.
»Aber das geht doch nicht«, widersprach sie schwach und spürte, wie gut es tat, wenn einem ein Mann ganz selbstverständlich zur Seite stand. »Bestimmt wartet schon jemand auf Sie.«
»Und ob das geht. Es wartet auch niemand auf mich, leider. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, doch noch die Richtige zu treffen.« Er war so unglaublich selbstsicher und zugleich sensibel. Die Verkörperung all dessen, wonach sie sich sehnte. Ihre eigene Arroganz war natürlich nur Maske, davon hatte dieser Mann sich keine Sekunde lang täuschen lassen. Und solo war er auch.
»Aber ich habe praktisch keine Chance«, wandte sie ein und hoffte, dass er sie vom Gegenteil überzeugte. Trotzdem wollte sie ihm nichts vormachen. »Ich habe nämlich zwei kleine Kinder plus zwei nicht ganz so kleine Hunde.«
»Dann werde ich Ihnen erst recht helfen, das ist doch Ehrensache.«
In der folgenden Stunde bewies Denis ihr, dass er meinte, was er sagte. Er war ein ganzer Kerl und der geborene Verkäufer. Genau so jemanden brauchte ihre Schwägerin als Partner an ihrer Seite, um endlich wieder schwarze Zahlen zu schreiben. Er hatte Biss und Charme. Allein wie er vorhin dem Hausbesitzer klargemacht hatte, dass Maya die perfekte Mieterin für sein Penthouse war. Und wie er sich quasi einen Freifahrtschein in den Himmel sicherte, weil er schließlich eine alleinerziehende Mutter davor rettete, demnächst unter einer Rheinbrücke nächtigen zu müssen, war der Hammer gewesen. Ihm allein verdankte sie es, dass sie ab dem Monatsersten wieder ein Dach überm Kopf hatte. Und was für eins. Sie war so happy wie schon lange nicht mehr.
Zwei Tage waren seit dem Denisʼ Rausschmiss vergangen. Zweimal war Ann-Sophie mit einem mulmigen Gefühl heimgekommen und hatte mehr oder weniger damit gerechnet, dass er auftauchte und Stress machte. Doch alles blieb ruhig. Im Büro hatte sie nur erzählt, dass vielleicht ein Infekt bei ihr im Anflug und sie deshalb momentan nicht so ganz auf der Höhe sei. Woraufhin ihre Kolleginnen besonders nett zu ihr waren, wenn man mal von Maya absah. Maya gab sich sogar noch unfreundlicher als sonst. Deshalb konnte Ann-Sophie auch gleich besser atmen, als die Tochter des Chefs an diesem Nachmittag mehr als zwei Stunden vor Feierabend verschwand. Ein neuer Rekord. Angeblich handelte es sich um einen Termin mit einem besonders publikumsscheuen Neukunden. Solche Kunden gab es natürlich wirklich, das waren dann normalerweise irgendwelche Größen aus Politik, Wirtschaft oder Showbusiness, aber irgendwie konnte Ann-Sophie sich ebenso wenig wie die anderen in ihrem Team vorstellen, dass ausgerechnet Maya solch einen dicken Fisch an Land gezogen haben sollte. Bis jetzt hatte sie sich, gelinde ausgedrückt, nicht besonders geschickt angestellt, und ein Bein ausgerissen hatte sie sich erst recht nicht. Ihr größtes Engagement galt bislang dem Inhalt des Kühlschranks, dem Kramen in einer ihrer Luxustaschen von Hermès, Prada, Louis Vuitton, Tot’s und wie die Labels alle heißen mochten und endlosen Telefonaten, die in den seltensten Fällen beruflich waren. Wäre sie nicht die Tochter von Laris Jordan, so wäre sie die längste Zeit bei ihnen gewesen. Natürlich schwärzte niemand sie an, und auch die Zweifel an Mayas Kompetenz wurden eher verklausuliert laut, auch nach ihrem plötzlichen Verschwinden. Immerhin musste dieser geheimnisvolle Herr Schultz tatsächlich existieren und schon mehrmals explizit nach Maya verlangt haben. Angeblich war er Experte für irgendeine Clip-in-Technik, wonach sie tatsächlich gerade suchten.
Bei dem Wort »Clip-in« ertönte in Ann-Sophies Kopf eine Art Warnton, irgendwas war da, nur was? Sie kam nicht drauf, ihre Denkmaschine war noch immer blockiert, daher fand sie es umso netter, wie ihre Kolleginnen sich bemühten, sie zu entlasten. Sie waren insgesamt acht gestandene Frauen zwischen Ende zwanzig und sechzig, der Chef war der Hahn im Korb, wenn man von Rudi absah. Der hatte eigentlich auf einen Studienplatz an einer Elite-Uni in den Staaten gehofft, zumal sein Abiturschnitt 1,0 war. Als das nicht geklappt hatte, hatte er sich hier bei ihnen um eine Ausbildung beworben. Vielleicht machte ihn die weibliche Übermacht so still, dass sie seine Anwesenheit immer wieder vergaßen und oftmals ungefiltert rausließen, was ihnen aus Frauenwarte zu diesem und jenem Thema einfiel.
Ann-Sophies leichtes Schwächeln in diesen Tagen ließ ausgerechnet Rudi zu Hochtouren auflaufen. Er bildete eine Art Schutzwall zwischen der Neugier ihrer Kolleginnen und ihr selbst. Rudi brachte ihr alles, vom Energydrink bis zur Kopfschmerztablette. Er war unermüdlich, und insgeheim war Ann-Sophie ihm zutiefst dankbar, dadurch tiefer schürfenden Fragen nach dem Grund ihres Blackouts zu entkommen. Das funktionierte allerdings nicht ewig. Weil Rudi zweimal die Woche zum Blockunterricht musste, machte er auch heute wieder auf die Minute pünktlich Schluss, wogegen alle anderen wie immer blieben, bis sie mit dem Wichtigsten durch waren. Sie waren schließlich eine wie die andere hoch motiviert und wurden zudem überdurchschnittlich gut bezahlt, daher konnte der Fürst – wie sie den Chef gern nannten – das von ihnen erwarten. Jedenfalls schirmte niemand mehr Ann-Sophie ab, nachdem Rudi zur Berufsschule aufgebrochen war.
»Nun erzähl endlich!«
»Seit zwei Tagen spannst du uns jetzt auf die Folter.«
»Unser Rudi ist weg, du kannst frei reden.«
»Du musst! Wir wollen jedes schmutzige Detail wissen.« In Nullkommanichts knubbelten sich alle in Ann-Sophies winzigem Büro. Die Tür wurde automatisch von innen blockiert, keine machte aus ihrer Neugier einen Hehl.
»Da gibt es nichts zu erzählen«, wehrte Ann-Sophie ab. »Mir ging’s nur gerade mal nicht so gut.«
Niemand glaubte ihr. Das hatte man nun davon, wenn man von der ersten Minute an durch Zuverlässigkeit und Selbstbeherrschung hervorstach. Jetzt argumentierten sie tatsächlich damit, dass normalerweise nicht mal ein Atompilz eine derartige Wirkung auf sie haben würde. Angeblich hatte sie vorgestern den armen Hausmeister wüst als »Mistkerl« beschimpft und zuletzt dem Fürsten gestanden, dass er auch als Silverager glatt noch das Zeug zum Traumprinzen habe.
»Hab ich das wirklich gesagt?«
»Du hast.«
»Vielleicht sollte ich besser gleich freiwillig kündigen.« Ann-Sophie wurde heiß und kalt bei dem Gedanken, was der Fürst jetzt insgeheim von ihr denken musste. Zum Glück war er heute den ganzen Tag über in Berlin …
»Brauchst du nicht. Echt nicht.« Angeblich hatte diese höchst peinliche Vorstellung sogar ein ganz spezielles Funkeln in die Augen des Chefs gezaubert. In Kombination mit der Entführung auf die Designerliege im Allerheiligsten, dem Anpfiff der eigenen Tochter und so weiter wurde daraus glatt eine Szene à la Pilcher, wo die spröde Heldin pünktlich zum Happy End von einem Grandseigneur mit silbergrauen Schläfen, Schloss und Rolls Royce ins rosarote Liebesglück entführt wurde.
Ann-Sophie protestierte erneut aus vollem Herzen und fügte sicherheitshalber hieb- und stichfeste Argumente hinzu.