Väter und andere Helden - Annegrit Arens - E-Book
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Väter und andere Helden E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Eine Frau zwischen Gestern und Heute, zwischen Verlust und Hoffnung: „Väter und andere Helden“ von Erfolgsautorin Annegrit Arens als eBook bei dotbooks. Für ihren geliebten Vater hätte Marga alles getan. Er war ihr Held und sie seine kleine Prinzessin – bis zu dem Tag, an dem er Babette traf, die Frau, für die er alles aufgab, seine Ehe, sein Leben, sogar seine Tochter … Und nun, Jahre später, ist er tot, und Marga muss sich um die Erbangelegenheiten kümmern. So beginnt eine Reise in ihre eigene Vergangenheit – zu ihrer ersten großen Liebe, zu bonbonrosa Hoffnungen, aber auch zur ersten großen Enttäuschung. Nach und nach erkennt Marga den roten Faden ihres Lebens: die Suche nach Anerkennung, die Suche nach Glück und das Bedürfnis, geliebt zu werden … Herzlich, amüsant und mit leiser Melancholie erzählt Annegrit Arens von einer Frau und ihrer Reise zu sich selbst. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Väter und andere Helden“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 531

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Über dieses Buch:

Für ihren geliebten Vater hätte Marga alles getan. Er war ihr Held und sie seine kleine Prinzessin – bis zu dem Tag, an dem er Babette traf, die Frau, für die er alles aufgab, seine Ehe, sein Leben, sogar seine Tochter … Und nun, Jahre später, ist er tot, und Marga muss sich um die Erbangelegenheiten kümmern. So beginnt eine Reise in ihre eigene Vergangenheit – zu ihrer ersten großen Liebe, zu bonbonrosa Hoffnungen, aber auch zur ersten großen Enttäuschung. Nach und nach erkennt Marga den roten Faden ihres Lebens: die Suche nach Anerkennung, die Suche nach Glück und das Bedürfnis, geliebt zu werden …

Herzlich, amüsant und mit leiser Melancholie erzählt Annegrit Arens von einer Frau und ihrer Reise zu sich selbst.

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlichte bei dotbooks bereits folgende Romane: »Der Therapeut auf meiner Couch«, »Die Macht der Küchenfee«, »Aus lauter Liebe zu dir«, »Die Schokoladenkönigin«, »Die helle Seite der Nacht«, »Ich liebe alle meine Männer«, »Wenn die Liebe Falten wirft«, »Bella Rosa«, »Weit weg ist ganz nah«, »Der etwas andere Himmel«, »Der geteilte Liebhaber«, »Wer hat Hänsel wachgeküsst«, »Venus trifft Mars«, »Süße Zitronen«, »Karrieregeflüster«, »Wer liebt schon seinen Ehemann?«, »Suche Hose, biete Rock«, »Kussecht muss er sein«, »Mittwochsküsse«, »Liebe im Doppelpack«, »Lea lernt fliegen«, »Lea küsst wie keine andere«, »Herz oder Knete«, »Verlieben für Anfänger«, »Liebesgöttin zum halben Preis«, »Schmusekatze auf Abwegen«, »Katzenjammer deluxe«, »Ein Pinguin zum Verlieben«, »Absoluter Affentanz«, »Rosarote Hundstage«, »Die Liebesformel: Ann-Sophie und der Schokoladenmann«, »Die Liebesformel: Anja und der Grüntee-Prinz«, »Die Liebesformel: Tamara und der Mann mit der Peitsche«, »Die Liebesformel: Susan und der Gentleman mit dem Veilchen«, »Die Liebesformel: Antonia und der Mode-Zar« und »Die Liebesformel: Ann-Sophie und il grande amore«.

Die Autorin im Internet: www.annegritarens.de

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eBook-Neuausgabe Oktober 2017

Copyright © der Originalausgabe 1999 Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Papa Art

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-96148-063-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Väter und andere Helden« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

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Annegrit Arens

Väter und andere Helden

Roman

dotbooks.

Kapitel 1 Ich fahre hin

Der Briefkopf hatte etwas Pompöses. Der Name auch. HAMMERSCHLAG. Notar Dr. Johannes Hammerschlag. Margas Finger walkten das schwere Büttenpapier, als ob es etwas für das, was passiert war, könnte. Das Papier stauchte, die kursiv gesetzten klotzigen Lettern des Briefkopfs knitterten mit, der Absender war schon nicht mehr zu lesen. Dem »Klagenfurt« fehlte das »Klagen«, das »Austria« war völlig verschwunden. Recht so, dachte Marga und war versucht, alles zu einer unleserlichen Kugel zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu schmeißen. Ab und davon mit der K.u.k.-Monarchie, Prinzessin Sissi und den edlen Lipizzanern, den Heurigen nicht zu vergessen. Das Land der Kaiser und Könige taugte allenfalls noch zum Schmachtfetzen, die alte Pracht war endgültig passé, was blieb, war eine hübsche Fassade für dumme deutsche Touristen, für solche wie sie und ihren Vater.

Früher war Marga Sommer für Sommer mit ihrem Vater nach Kärnten gereist. Nur sie beide, es war himmlisch gewesen. Marga konnte sich an keinen einzigen verregneten Urlaubstag erinnern, und falls es doch einmal geschüttet hatte, war’s ein lauwarmer und erfrischender Regen gewesen, der den See und die Berge ringsum hinterher noch strahlender aussehen ließ. Margas Mutter hatte etwas gegen den Wörthersee gehabt. Zuviel Rummel, hatte sie gemeint, schlimmer als Königswinter nach der Weinlese. Marga hatte ihr nicht verraten, daß es keinen Rummel gab. Höchstens jede Menge schicke Leute und tolle Boote und Diskos, in denen Topstars privat verkehrten. Hi, Udo! So in diesem Stil. Marga erinnerte sich an Udo Jürgens und andere Idole aus ihrer Teenagerzeit, die ihr Vater ihr dort hautnah präsentierte. Im »Gig«, das war die Disko. Die einheimischen Mädels durften nicht ohne Begleitung rein, der Türsteher hatte eine Nase für geldgeile Landpomeranzen. Babette war trotzdem reingekommen. Ausgerechnet in Babettes Fall hatte der unbestechliche Riecher des Aufpassers versagt. Babette hatte sich auf dem Parkplatz an Margas Vater herangemacht, ihn förmlich angebettelt, sich als ihr Begleiter auszugeben, und er hatte nachgegeben, wie er das sonst nur bei ihr, Marga, tat. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ihr Vater ihr buchstäblich keinen Wunsch abschlagen können. Vom Alter her hätte Babette sehr wohl auch eine Tochter von August Merlin sein können, sie war sogar zwei Jahre jünger als Marga und dreißig Jahre jünger als er selbst. Es war nun fast auf den Tag dreiundzwanzig Jahre her, daß sie drei sich auf dem Parkplatz des »Gig« zum erstenmal begegnet waren.

August Merlin. Marga Merlin. Babette Eschlborn.

Marga war an jenem Tag volljährig geworden, der Abend im »Gig« sollte ein grandioser Start in einen neuen Lebensabschnitt sein, in dem Gebote und Verbote abnahmen und alles, was Spaß machte, zulegte. Mit einundzwanzig Jahren hatte Marga sich ihr weiteres Leben wie eine Nonstopparty vorgestellt, zu der ihr Daddy – sie nannte ihn damals »Daddy«, obwohl ihre Mutter das affig fand – seinen Segen gab. Sie beide hatten sich sogar schon nach einer eigenen »Bude« für Marga umgeschaut, absolut schnuckelig und voll im Trend, sämtliche Freundinnen waren vor Neid gelb angelaufen, als sie von dem Projekt »Wohnen am Strom« hörten.

Marga schluckte. Es war verdammt voreilig gewesen, den Tag vor dem Abend zu loben. Zwar kam der Mietvertrag kurz nach ihrer Rückkehr vom Wörthersee zustande, doch Nutznießerin war eine andere. Ihr herzallerliebster Daddy quartierte seine gut dreißig Jahre jüngere Geliebte in dem Appartement im dreizehnten Stock ein. Eine Terrasse gehörte dazu, wochenlang hatte Marga davon geträumt, wie sie selbst dort sitzen und hinunter auf den Rhein schauen und natürlich all ihre Freunde einladen würde, um mit ihnen zusammen das unvergleichliche Panorama zu genießen. Aber soweit war es ja dann nicht gekommen, statt ihrer zog der Gast aus Kärnten ein. Es war ein brillantes Täuschungsmanöver, in das Marga zu allem Überfluß als unfreiwillige Gehilfin mit einbezogen wurde. Zunächst war nur von ein paar Wochen die Rede. Doch aus Wochen wurden Monate, und als der Herbst anbrach und Babette unter der Zugluft in luftiger Höhe zu leiden begann, siedelte Daddy sie in die Parterrewohnung einer Villa auf der anderen Seite der Rheinuferstraße um. Babette hatte das prächtige Haus aus der Gründerzeit immer wieder mit großen Kinderaugen bewundert. Es blieb nicht bei zweihundert Quadratmetern Wohnfläche. Das neue Domizil erwies sich rasch als viel zu groß für eine einzelne Person, sie begann sich zu fürchten und einsam zu fühlen, schließlich mußte sie von jetzt auf gleich ohne die eigene Familie und die alten Freunde auskommen.

Mußte sie das? Hatte sie etwa jemand gezwungen, einem bis dahin glücklich verheirateten Familienvater nachzureisen? Mitnichten! Sie hatte sich dem erfolgreichen Immobilienmakler August Merlin wie eine Klette an die Fersen geheftet, hatte ihm das große Glück in ihren Armen versprochen und ihm doch nichts als Unglück gebracht.

Da stand’s schwarz auf weiß direkt unter dem protzigen Briefkopf des Notars, was von ihm übrigblieb: »In Ihrer Erbsache August Merlin bitte ich Sie ergebenst…« Marga knüllte das Büttenpapier zusammen. Sagte sie doch, Arschkriecher alle miteinander! Arschkriecher und Absahner und Schöne-Worte-Drechsler.

»Ist der Brief von meinem Papa?« fragte Felix. Er spielte wieder einmal unter dem Tisch, weil dessen fächerartig gesetzte Beine sich vorzüglich als Rennstrecke für seine Matchbox-Autos eigneten.

»Nein.« Marga stopfte den Bogen in den Umschlag zurück. Horst Rumpf schrieb ihnen schon lange nicht mehr, aber das konnte sie seinem fünfjährigen Sohn schlecht so sagen. Neuerdings fing Felix an, immer öfter nach seinem Papa zu fragen. Das lag natürlich am Kindergarten. Die Kleinen verglichen sich miteinander, die Normalfamilie war Standard, da fielen die Merlins raus.

»Is’ er von Connys Papa?«

»Nein, verdammt!« Der Vater ihrer Tochter Conny schrieb sowieso nie Briefe, der schwang höchstens Reden. Früher als außerparlamentarischer Gesinnungstäter und heute gegen Bezahlung in der Karnevalsbütt und auf Betriebsfeiern. Aber das konnte sie Felix so auch nicht sagen.

»Ist er etwa von Conny?« Felix setzte vorsichtig seine beiden Rennautos ab und begann, umständlich einen und noch einen Finger aufzuklappen, bis er schließlich vier Finger hochhielt: »So lange war die Conny schon nicht mehr hier.«

»Ja«, antwortete Marga, »und wenn sie so weitermacht, schafft sie ihr Examen nie. Später tut’s ihr mal leid, ich gab sonst was drum …« Sie stockte.

Klasse, jetzt fing sie schon an, sich bei ihrem Sohn auszukotzen, der nichts dafür konnte, daß seine Mutter gleich auf drei Helden hereingefallen war und von zweien die Kinder großzog. Kinder waren etwas Wunderbares. Trotzdem wäre Marga lieber Kunsthistorikerin geworden, als Führungen und Kurzreisen für Leute zu organisieren, die unter einem launigen Motto im Schnelldurchgang eine Stadt abhaken wollten.

»Mit der U-Bahn durch den Untergrund von Paris«: ein Tag. »Dem Christkind auf der Spur«: zwei Tage. Zwei Tage deshalb, weil die Weihnachtsmärkte zahlenmäßig explodierten und zu weit auseinander lagen.

»Und von wem ist er dann?« Felix ließ es krachen. Massenkarambolage von zwei Rennautos, einem Krankenwagen und einem Tischbeinfächer.

»Paß auf den Schleiflack auf!« Marga zeigte auf das Tischbein. »Der Brief ist von einem Notar, das ist eine Amtsperson mit vielen Stempeln, so wie bei dir in der Kinderpost, aber hier geht’s um ein Haus in Österreich, das deinem Opi August gehört hat.«

»Dem toten Opi von der Kölner Omi?« fragte Felix.

Marga nickte. Die Kölner Omi war ihre eigene Mutter, und gemessen an Marga konnte sie immerhin von sich behaupten, daß sie aus Schaden klug geworden war und beizeiten vorgesorgt hatte. Ihr neuer Mann war neunzehn Jahre jünger. Offensichtlich ging der Trend zum Jung-Mann.

Marga stopfte sich den Brief aus Österreich in die Jeanstasche.

»Und wem gehört das Haus jetzt?« fragte Felix.

»Haus?« fragte Marga zurück. Sie war in Gedanken noch bei den Zweitmännern.

»Na, das Haus vom toten Opa in dem anderen Land.«

»Das Land heißt Österreich«, sagte Marga, »und der Ort heißt Agoritschach. Früher war ich oft und gern dort, damals haben dein Opi August und ich das Grundstück gekauft. Es gab noch kein fließendes Wasser und kein Klo und nichts; jetzt schon, jetzt kann man dort mit allem Pipapo Sommerfrische machen oder Ski laufen.«

»Fahren wir da bald hin? In den Ferien? In allen Ferien?« Felix setzte sich auf. Die Autos rumpelten zu Boden.

Marga schüttelte den Kopf. Hundertprozentig nicht. Nie im Leben würde sie unter einem Dach mit der Frau hausen wollen, die alles kaputtgemacht hatte. K.u.k.-Charme im Teeny-Look, Männer waren so was von blöd. Jetzt war Daddy tot, und Babette konnte mit seinem Geld aasen und sich einen Jüngeren kaufen. Konnte? Von wegen Möglichkeitsform, das war alles schon gelaufen.

Marga zog noch einmal den Brief aus der Tasche, um den Namen des Kaffs nachzulesen, aus dem der Typ stammte, von dem der Notar berichtete, daß er der Zukünftige der Witwe sei und als Käufer für die Immobilie geboten habe, die Ehefrau und Tochter zu gleichen Teilen von dem Verstorbenen geerbt hatten. Käufer! Marga konnte sich schon denken, von welchem Geld einer aus Kühtal ein Kaufangebot abgab, nachdem er die Witwe geschwängert hatte. Babette war im sechsten Monat schwanger. Sie hatte sich mächtig beeilt.

»Und warum wohnen wir nicht da?« Felix startete zur nächsten Attacke auf die empfindlichen Schleiflackfächerbeine des Tischs.

»Weil wir verdammt noch mal keine Bergbauern sind und du verdammt noch mal mit dem Tisch aufpassen und endlich aufräumen sollst.« Marga machte, daß sie hinauskam. Vielleicht sollte sie doch hinfahren. Die Vorstellung, gleich von zwei Bergbauern über den Tisch gezogen zu werden, ließ ihr jedes Haar einzeln zu Berge stehen. Immerhin hatte sie zwei Kinder. Sie war es schon ihnen schuldig. Auch wenn das eine ihr gerade den neuen Tisch demolierte und das andere großjährig war und nur noch heimkam, um die Wäsche zu wechseln und den Kühlschrank zu plündern und sich mal eben auf den letzten Drücker ein Referat überarbeiten und schön schreiben zu lassen: »Mit deinem PC ist das doch ein Kinderspiel!«

Marga wartete. Sie hatte Felix zu Bett gebracht, den Fernseher eingeschaltet, wieder ausgeschaltet, alte Zeitungen sortiert und schließlich angefangen, das Bücherregal aufzuräumen. Jeder normale Mensch wußte, daß Band zwei auf Band eins folgte, sogar Felix konnte schon bis zwanzig durchzählen, seine zweiundzwanzigjährige Schwester konnte das anscheinend nicht. Conny hatte sich wieder einmal bei den Nachschlagewerken ihrer Mutter bedient und die dicken Bücher kreuz und quer zurückgeschoben, die Lücke dort ließ sich garantiert bis in Connys Zimmer zurückverfolgen, wo irgendwo unter Klamotten und Kastagnetten Band elf, »Beiträge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie«, liegen mußte. Laut Literaturliste gehörte dieses Werk zur Pflichtlektüre all jener Studenten, die bei Professor Horst Rumpf ihr Examen abzulegen gedachten.

Marga hatte nichts gegen diese Pflichtlektüre, die sie selbst im Auftrag desselben Dozenten vor sechs Jahren durchgeackert und dabei davon geträumt hatte, bald ihr Examen nachzuholen. Sie hätte ihre Traumbilder auf Fachliteratur und Koryphäen beschränken sollen, die ihr nur gedruckt begegneten. Horst Rumpf war ein Blender. Es tat nicht eben gut zu wissen, daß der Vater des eigenen Sohnes nichts taugte und nicht mal davor zurückschreckte, ein naives Ding wie Conny aufzuhetzen. An ihrer Fakultät konnte Conny unter gut einem Dutzend Dozenten wählen. Warum mußte sie sich ausgerechnet für den Vater ihres Halbbruders entscheiden?

Marga rüttelte an Connys Zimmertür, die natürlich abgeschlossen war. Dann kochte sie sich eine Kanne grünen Tee, weil der am besten für die Zähne war. Das Zeug schmeckte eklig. Zum Ausgleich bediente Marga sich an der Konfektschachtel, die ein Teilnehmer an der von ihr im Auftrag eines Schokoladenfabrikanten zusammengestellten »Süßen Route Rheinland« ihr verehrt hatte. Die Pralinen ruinierten den Zahnschmelz und schmeckten obendrein eklig süß, was natürlich auch auf Connys Konto ging. Immerhin würde sie heute heimkommen, darauf wettete Marga jeden Betrag.

Nach der dritten Tasse Tee und dem sechsten Praliné klingelte es.

»Es gibt Schlüssel«, sagte Marga in die Sprechanlage.

»Ich kann ja wieder gehen.« Connys Stimme klang blechern. Die Gegensprechanlage bediente sechs Parteien. Bitte nicht! Marga drückte hastig auf den Türöffner und verkniff sich jeden weiteren Kommentar.

»Na also.« Dann folgte das klatschende Geräusch von flachen Sohlen im Treppenhaus.

Marga zog die Korridortür auf und erwischte einen Blick auf streng am Hinterkopf zusammengebundene Haare. Die Kleidung war entsprechend. Gammel-Look pur, alles deutete darauf hin, daß Conny für heute wirklich einen ruhigen Abend einplante. Vermutlich der erste in dieser Woche. Sie schien zu kapieren, wie ernst es ihrer Mutter damit war, ein vier von sieben Tagen nicht genutztes Zimmer beim Verkehrsamt für Messegäste anzubieten.

»Weiß Fräulein Merlin schon von ihrem Glück?« hatte die Sekretärin von Connys Lieblingsprofessor am Telefon gefragt, als Marga sie um Übermittlung dieser Botschaft bat. Sie hatte sich nicht gerade betroffen angehört, worauf Marga sich wiederum einen Reim machen konnte, weil die andere ebenfalls zu den Verflossenen des smarten Professor Rumpf gehörte, der leider nur zu gern vergaß, daß er bereits in festen Händen war. Statt in Freiburg fremde Klosterschülerinnen in den zehn Geboten zu unterrichten, sollte seine Gattin sich lieber in Köln um die Einhaltung des Keuschheitsgebotes bei ihrem eigenen Mann kümmern, fand Marga.

»Schofel!« Conny kam ihr ins Wohnzimmer nach, allerdings nur bis zu dem Durchgang von der Eßecke zur Couchecke. »Ich find’s ausgesprochen schofel, daß du mich in der Uni lächerlich machst.«

»Und wie hätte ich dich sonst herbemühen sollen?«

»Ich bin erwachsen. Ich kann tun und lassen, was ich will.« »Aber bitte ohne meine »Beiträge zur Kritik der Bewußtseinsindustrie« und ohne meine Körperlotion. Hast du dir zufällig auch meine schwarzen Leggings unter den Nagel gerissen?« »Professor Rumpf sagt, du hättest das Zeug zur Bibliothekarin summa cum laude.«

»Weißt du, wie man’s schreibt? Vielleicht solltest du dich zur Abwechslung mal an meinem Wörterbuch der deutschen Sprache vergreifen.«

»Ich weiß, wie man’s übersetzt: XX-Sortiermaschine.«

»Sagt das auch dein Professor?«

»Er findet, daß du gute Gründe haben müßtest, ihm den Umgang mit Felix zu untersagen, wenn der tatsächlich sein Sohn wäre. Aber er kennt keinen solchen Grund.«

»Und was sagst du dazu?«

»Ich find’s schon komisch, daß du auf seinen Unterhalt verzichtest und mich anpfeifst, wenn ich mal zehn Minuten länger telefoniere.«

»Zehn Minuten länger als ’ne Stunde und nach Boston.«

»Da war ich schließlich ein Jahr lang, das sind meine Gasteltern.« »Und ich bin deine Mutter und nicht dein Geldesel.« Marga beschloß, zur Sache zu kommen. Ganz schnell, bevor sie etwas sagte, das nicht für Conny bestimmt war.

Natürlich wußte Marga, daß dieser Unrat nicht von ihrer Tochter kam. Die fand’s nur schick, plötzlich von zwei Männern hofiert zu werden, die mal mit ihrer Mutter verhandelt gewesen waren. Wirklich toll, sich zum Dank für erlassene Unterhaltsleistungen als Stänkerer zurückzumelden. Wußte Marga doch selbst noch, wie junges Gemüse auf Papi-Charme abfuhr. Kombiniert mit dem richtigen Anzug und der richtigen Automarke hatten väterliche Endvierziger eine kolossale Wirkung auf Kindfrauen.

»Ich könnte natürlich für Horst als studentische Hilfskraft arbeiten.« Conny lächelte. Sie war hübsch, verdammt hübsch, und ihr Lächeln war verdammt hinterfotzig. Natürlich wußte sie, daß ihre Mutter in genau dieser Funktion gearbeitet hatte, als sie von Horst Rumpf schwanger geworden war.

»Du wirst für deine Prüfung arbeiten«, sagte Marga, »und zwar hier zu Hause. Du wirst die nächste Woche sowieso viel Zeit zum Pauken haben, weil ich nämlich verreise und du mal zur Abwechslung das Haus und deinen kleinen Bruder hütest.«

»Geht nicht.«

»Wieso?« fragte Marga. Sie hatte den Studienplan ihrer Tochter bereits exakt mit den Zeiten von Felix’ Kindergarten abgestimmt, die Lücken mit einem fremden Babysitter aufgefüllt und für abends ihre Tochter eingeplant.

»Weil ich da schon alles mögliche zugesagt habe.«

»Sag’s ab!«

»Unmöglich! Du verlangst schließlich auch von mir, daß ich Termine rechtzeitig bekanntgebe.«

Marga verzichtete darauf, ihre Tochter nach der rechtzeitigen Bekanntgabe der soeben von ihr geltend gemachten unaufschiebbaren Verabredungen zu befragen. Statt dessen begnügte sie sich damit, knapp den Brief des Notars zum Erbe von »Opa August« zu erwähnen. »Ich tu’s für euch«, endete sie, »schließlich ist es das Haus von eurem Großvater.«

»Geil. Eine Villa am Wörthersee ist echt geil.« Conny kam näher, hockte sich auf eine Sesselkante und begann laut zu überlegen, welche Freunde sie im nächsten Sommer mit dorthin nehmen könnte.

»Agoritschach«, unterbrach Marga, »und das Haus liegt auf halbem Weg zu einer Alm inmitten von Kuhweiden, sehr idyllisch, außerdem haust dort deine Stiefgroßmutter, wenn ihr nach Urlaub ist.«

»Die Landpomeranze?« Conny stand wieder auf. »Igitt! Verkauf s!«

»Danke. Danke, daß du mir die Entscheidung abnimmst, aber ich würd’s gern vor Ort selbst entscheiden, okay?«

»Verstehe.«

»Was verstehst du?«

»Liegt doch auf der Hand, schließlich hast du uns oft genug von diesem Kitschschloß vorgeschwärmt, wo du anno Schnee zu ’nein dämlichen Trompetensolo übers Tanzparkett geschwoft bist. Du willst dich in deiner Vergangenheit suhlen, und ich soll auf deinen Fehltritt aufpassen.«

Es wurde laut. Sehr laut. Marga wußte nicht genau, was sie von ihrer Wut herausließ. Oder von ihrer Enttäuschung. Sie brüllte, ihre Tochter brüllte zurück, dann knallten Türen. Connys Tür. Peng. Margas Tür. Peng. Einen Moment lang blieb es still, dann brüllte Felix aus seinem Bett, daß er nicht schlafen könne und einer den verdammten Fernseher leiser stellen solle. Fernseher war gut. Wenn’s doch nur eine Familienfehde aus der Kiste wäre. Multicolor, beliebig abstellbar und zum Totlachen, weil fremde Pannen immer zum Kringeln waren. So lange war’s noch gar nicht her, daß Marga sich zusammen mit ihrer Tochter »Eine schrecklich nette Familie« reingezogen und sich glücklich geschätzt hatte, endlich statt eines verqueren Teenagers eine Vertraute zu haben, mit der sie in Zukunft alles bereden konnte.

Marga drückte sehr leise die Klinke von Felix’ Zimmertür nach unten, gab ihrem Sohn noch einen Gutenachtkuß und beteuerte, daß jetzt alles wieder im grünen Bereich sei: »Alles paletti, schlaf weiter!«

Felix grummelte, klemmte sich seinen Plüschhund unters Kinn und tauchte unter das Steppbett ab. Kluger Junge! Marga ging hinaus und überlegte, wie es kam, daß sie sich selbst immer alle Löcher zum Abtauchen zugestopft hatte. Mit zwei Kindern und ohne Zahlväter – selber schuld, ätsch! – gab’s nur eins: durchhalten! So gesehen war dieses Erbe vielleicht ihre letzte Chance, sich ein winziges Schlupfloch ins Paradies zu ergattern.

Als sie jung war, war’s jedenfalls ein Paradies. Marga sah die Hütte vor sich, wo heute das Haus stehen mußte. Sie wußte sogar noch, wie ihr Vater ein Loch, in dem sie ihre Vorräte kühlen konnten, neben dem Bachlauf ausgehoben hatte. Für Schokoladenkekse und Limo und alles, was Marga gerne mochte. Proviant für einen Nachmittag auf ihrer Hütte, wo nur sie beide waren. Abends mußten sie zurück ins Hotel, weil Margas Vater seinen Komfort liebte. Dann hatte sie staunend zugesehen, wie ihr Vater sich wieder in einen wohlduftenden und eleganten Herrn verwandelte, für den im Schloßhotel stets der beste Tisch im Speisesaal und natürlich auch ein Platz an der allseits begehrten Bar reserviert war. Direkt an der Tanzfläche, mit Blick auf den See. Jeden Abend spielte die Tanzkapelle als erstes und letztes Lied »Il Silenzio«, und wenn die Trompete juchzte und Marga schlucken mußte, weil es so schön war, hatte ihr Vater verstohlen nach ihrer Hand gegriffen. Unter dem Tischtuch. Das war am allerschönsten gewesen.

Es war sehr lange her.

Marga lag schon im Bett, als ihr einfiel, daß sie ihre Zahnhygiene vergessen hatte. Obwohl ihre Zungenspitze schon die pelzigen Ablagerungen von eklig süßen Pralinés ertastete, blieb Marga liegen und überlegte, wo ihr Knuddel wohl abgeblieben war. Sie war noch ein Kind, als Daddy ihr den Plüschbären mitbrachte, den sie mindestens genauso liebte wie ihr Sohn seinen »Struppi«. Knuddel war viele Jahre lang ihr Vertrauter gewesen, ein stummer Zeuge von großen und kleinen Kümmernissen ebenso wie von ersten Triumphen bei Jungs. Knuddel war auch mit nach Kärnten gereist. Vielleicht lag der Bär ja noch bei ihrer Mutter auf dem Speicher. Alles mögliche wurde dort aufbewahrt und vergessen.

Wenn sie Glück hatte, gab es Knuddel noch.

Marga zog sich die Bettdecke über den Kopf. Das Licht der Straßenlaterne erreichte sie nun nicht mehr, und das Mobiliar des Zimmers, in dem sie viele Jahre lang zusammen mit dem Mann geschlafen hatte, den ihr Vater nie gemocht hatte, war jetzt auch nicht mehr zu sehen. Ehemöbel, gekauft von ihrem Geld, ihr wilder Revoluzzer hatte ja keins. Der schwang Reden.

Sie mußte irgendwie falsch gepolt sein, weil sie zweimal hintereinander auf Volksredner hereingefallen war. Einer hatte im Namen der außerparlamentarischen Opposition herumgeschrien, und der andere dozierte im Auftrag des Staates. Dieselbe Aula. Dasselbe Auditorium. Politphrasen gegen Akademikerphrasen. Unterm Strich blieb’s sich gleich, weil beide Männer nur Blender waren.

Ihr Vater hatte keine Reden geschwungen, trotzdem gehörte er zu derselben Zunft. Es hatte verdammt lange gebraucht, bis sie ihrem »allerliebsten Daddy« auf die Schliche gekommen war. Ihm und seiner Landpomeranze mit den fürchterlichen Zähnen. Jeder hielt Babette für schüchtern, aber das war ein Irrtum. Kaum hatte Margas Vater der Landpomeranze einen kompletten Satz Jacketkronen spendiert, spazierte das »Füti!« mit breit geblecktem Gebiß durch Köln. Der Spezialist für täuschend echte Zahnfassaden saß in Köln. Zufällig lebte auch Margas Vater dort. Zufällig hatte er gerade ein Appartement im dreizehnten Stock mit Blick auf den Strom an der Hand. Zufällig war aus einer Stippvisite eine Ehe geworden. Bis daß der Tod euch scheidet! Gestorben war Margas Vater. Babette war guter Hoffnung. Aber von einem anderen.

In dieser Nacht hörte Marga nach langer Zeit wieder das Trompetensolo. Mächtig und sehnsuchtsvoll, gleichzeitig wurde die Hand mit dem Siegelring sichtbar. Ihr Vater hatte den Ring von seinem Vater geerbt und zeit seines Lebens getragen, obwohl Margas Mutter ihn protzig fand. Marga hingegen liebte diesen schweren Goldring, er gehörte einfach zu der Männerhand, die sie jeden Abend zugedeckt, willig beim Kartenspiel den »Schwarzen Peter« gezogen und ihr einen Zehner zugesteckt hatte, wenn das Taschengeld nicht langte.

Nun im Halbdämmer glaubte sie schon das kühle Metall auf ihrer Haut zu spüren, aber es passierte nichts. Der Ring glitt an ihr vorbei und wurde mit einem strahlend weißen Jacketkronenlächeln begrüßt. Marga schlug die Bettdecke zurück und tastete nach dem Knipsschalter der Leselampe. Es wurde hell. Es war nur ein Traum gewesen. Sie zog die Schublade des Nachttischs auf und nahm das Kästchen heraus. Erleichtert, fast schon triumphierend lachte sie auf, der Ring aus schwerem Gold mit den geschnörkelten Initialen befand sich nach wie vor in ihrem Besitz. Ihr Vater hatte ihn ihr geschenkt, weil sie ihm seinen Verrat zuletzt doch noch verziehen hatte. Es wäre unchristlich gewesen, einem Sterbenden einen Wunsch abzuschlagen. Vielleicht war’s auch unchristlich, über ihren Triumph zu lachen, aber das war ihr egal. Diesen Ring konnte ihr niemand mehr wegnehmen.

Kapitel 2 Il Silenzio

Das Taxi steuerte auf ein Rondell zu. Bunte Flaggen waren zu einem Strauß gebündelt, ein Transparent verkündete »Willkommen in Velden!«, einen Moment lang war es wie früher.

»Genau wie früher«, sagte Marga. In ihrem Kopf gesellte sich das Trompetensolo zu den stolz flatternden Fahnentüchern, majestätisch und herzergreifend. Fehlte nur noch der See. »Wartens nur ab«, erwiderte der Taxifahrer und bog auf die Seestraße ab.

»Schweinszüngerl« stand groß auf einer in die Mitte des Bürgersteigs gerückten Tafel, eine Tafel weiter waren »Brathenderl« im Angebot. Eine poppig bunte Menschenschlange bewegte sich in Slalomlinien zwischen den angepriesenen Touristenmenüs und Ständern mit Trachtenpüppchen Richtung Seepromenade, die entgegenkommende Schlange drängte frontal auf das Taxi zu. Marga starrte auf gebräunte, gerötete und bleiche Gesichter mit sich pausenlos bewegenden Mündern. Kauen-reden-kauen-reden, auch in ihrem Taxi-Kokon wußte Marga, daß der Rummel dort draußen schlimmer als in Königswinter nach der Weinlese war.

»Mein Gott«, sagte sie.

»Sehens!« Der Fahrer blinkte und bog ab. Wahrscheinlich Wales besser so, befand Marga. Ihr drehte sich der Magen um, wenn sie daran dachte, auch ihr Schloßhotel und der See könnten so geworden sein. Dann schon lieber gleich durchfahren zu der abseits gelegenen Pension, in der sie einmal gewohnt hatte, als im Hotel alles belegt war.

Sie war fünfzehn gewesen und krank. Sie hatte im Bett gelegen, gedöst, gegessen und rasch ihren Schmöker unter dem Kissen verschwinden lassen, sobald die Schritte ihrer Mutter sich näherten. Jedes Anzeichen von Gesundung hätte unweigerlich bedeutet, daß Marga in den geordneten Familienalltag hätte zurückkehren müssen: gemeinsame Mahlzeiten, ordentliche Kleidung und Nacharbeiten der Hausaufgaben, die Margas Mutter sich Tag für Tag von einer Schulkameradin – was für eine Verräterin! – ansagen ließ. Marga hätte ewig weiter in diesem warmen Bettümpel bleiben mögen, wenn nicht plötzlich diese Geschäftsreise nach Kärnten dazwischengekommen wäre.

»Ich habe da für Hannes ein Haus in Sicht«, hatte ihr Vater gesagt, »direkt am Hang und mit Blick auf den Wörthersee, eigentlich könnte ich Marga mitnehmen, damit sie sich wieder bekrabbelt.« Das bloße Wort »Wörthersee« hatte Marga elektrisiert, ihr Trompetensolo erklingen und sie aufspringen lassen: »Super!« Natürlich hatte ihre Mutter ihr die Sache vermiesen wollen: »Heute früh warst du noch zu schlapp zum Zähneputzen!« Aber Margas Vater hatte Schonung und Vokabelüben und eine klimabedingte Wunderheilung versprochen und sie trotzdem mitgenommen.

Das Wunder hieß Hannes. Hannes war Verleger, er war spezialisiert auf Kunst, und wenn er gelegentlich zu den Merlins zu Besuch kam, brachte er Marga immer eins von seinen Magazinen mit. »Du wirst immer hübscher«, sagte er, »und gescheiter, nach dem Abitur arbeitest du für mich, okay?« Seitdem hatte Marga sich in ihren Lieblingsfächern Deutsch und Kunst noch mehr angestrengt und sich vorgenommen, dieses »hübsch« in »schön« umzuwandeln und ganz groß als Kulturredakteurin herauszukommen. Hannes, der Kunde ihres Vaters, nannte ihre Mutter »schön«, was zweifelsfrei stimmte. Aber die Zeit spielte gegen die Mittdreißigerin. Damals hatte Marga angefangen, nach ersten Spuren des Alterns zu suchen, und ihre geplante Karriere war eine doppelte Trumpfkarte. Margas Mutter betrieb die Kunst nur als Hobby.

Fast wäre Margas Reise nach Kärnten dann doch noch geplatzt, weil ihr Vater kein Zimmer mehr für sie im Schloßhotel bekam. Aber er war clever. Vor seiner Frau bezeichnete er die »Römerschlucht« einfach als Dependance. Von wegen! Selbst mit dem Auto war’s eine Viertelstunde von Haus zu Haus, und Marga hatte es genossen, dieses Geheimnis mit ihrem Daddy zu teilen und als Fünfzehnjährige solo zu logieren. Solo? Die Bilder in ihrem Kopf waren um Hannes gekreist, den Mittvierziger und erfolgreichen Verleger und zukünftigen Chef.

»Ein Glück«, sagte Marga zu ihrem Taxifahrer, »ein Glück, daß ich so weit außerhalb gebucht habe, auch wenn’s dann bis zum See etwas weiter ist. Ich war nämlich früher schon mal in der ›Römerschlucht‹. Mit fünfzehn.«

Der Mann warf ihr einen Blick zu, so als ob er taxieren wolle, wie lange das wohl her sei. »Naja«, sagte er dann.

»Naja« hörte sich an, als ob Margas Teenagerzeit in grauer Vorzeit läge. Oder meinte er etwas anderes? »Erzählen Sie mir nicht, daß sich in den paar Jahren auch die Kuhweiden in einen Rummelplatz verwandelt haben.«

»Sehens selbst«, brummte der Fahrer und chauffierte weiter an endlosen Reihen von weiß gekalkten Häusern vorbei, deren auf rustikal getrimmte Balkone einheitlich mit Wäschespinnen und Plastikmöbeln mit geblümten Polsterauflagen bestückt waren. Davor parkten Autos mit deutschen Kennzeichen.

Anscheinend hatte Margas Erinnerung die Entfernung schrumpfen lassen. Gleich mußte endlich das Weideland beginnen. Damals hätte sie bis dicht ans Schloß quer über Wiesen laufen können, was sie natürlich nicht getan hatte, weil dann der Stacheldraht ihre Kleider und der Kuhdung ihre Pikkoloabsätze gefährdet hätten. Im Schloßhotel erschien man nicht als Landpomeranze, und vor einem erfolgreichen Verleger – »Du wirst immer hübscher, Kleines!« – erst recht nicht. Hannes hatte ebenfalls im Schloßhotel gewohnt. Offiziell war das so.

»Da wären’s!« Der Wagen hielt.

Marga schreckte auf. Konnte nicht sein. Keine Wiese, geschweige denn Kühe, nur Hausfronten mit massenhaft deutschen PKWs vor der Eingangstür. Hier gab’s sogar eingezeichnete Parktaschen, was das Königswinter-nach-der-Weinlese-Ambiente noch verstärkte.

»Es muß noch eine andere ›Römerschlucht‹ geben«, sagte sie, »meine ›Römerschlucht‹ war quasi nur ein Landhaus mit vier angebauten Holzpavillons zur Obstwiese hin.«

»Da!« Der Fahrer streckte die Hand aus.

Marga sah in die gewiesene Richtung. Lediglich die vier Balkone verrieten, daß es sich um einen Anbau handelte. Am Haupthaus war das geschnitzte Holz dunkel, hier war es hell, früher hatte es im Anbau lediglich den ebenerdigen Austritt in den Garten gegeben. Der aufgesetzte zweite Stock war ebenso neu wie der Swimmingpool davor.

»Mein Gott«, sagte Marga. Es ging ihr schon selbst auf den Nerv, wie oft sie den da oben heute bemühte. Es war die pure Hilflosigkeit, und nützen tat’s erst recht nichts. Ihr Kontakt zu dem allmächtigen Drahtzieher machte schon schlapp, als es das Paradies hier unten für sie noch gab.

»Der da oben hat nichts damit zu tun. Zweihundertneun Schilling, bittscheen!« Der Fahrer zeigte vom Himmel auf sein Taxameter und fuhr fort, die Auswirkungen der Touristenschwemme auf seine Heimat in Schilling zu übersetzen, während Marga eben nach denselben in ihrem Portemonnaie suchte, wo sich zwei Währungen mischten. Am liebsten hätte sie gleich kehrtgemacht. Was sie natürlich nicht tat. Sie stieg aus.

Sie wurde schon erwartet. Brav ließ Marga den Rundgang durch die rustikaleichene Bar und den rustikaleichenen Frühstücksund Fernsehraum über sich ergehen, nickte folgsam zu der Aufzählung aller Modernisierungen wie Minibar, Bad und Television in sämtlichen Zimmern und verschwieg der stolzen Wirtin, daß sie beide sich bereits kannten. Vor fast dreißig Jahren war die Wirtin eine junge Frau und vernarrt in einen Dreikäsehoch, der mit seinem Tretroller die Kühe oder die Gäste verfolgte. Seine Mutter mußte ihn immer nur auf der hinter dem Haus gelegenen Weide oder in einem der Holzpavillons, die es nicht mehr gab, suchen. Er wurde »Bubbelchen« gerufen. Marga stellte sich ein dreißigjähriges Bubbelchen vor, das auf einem Tretroller durch die rustikaleichene Pracht hier düste. Sie grinste.

»Es gefällt Ihnen also.« Die Wirtin nickte zufrieden. Mittlerweile hatte der Rundgang sie in das für Marga bestimmte Gästezimmer geführt, sie standen nun unmittelbar vor einer ebenfalls rustikal ummäntelten Minibar.

Hatte sie, Marga, diesen Alptraum etwa gelobt? Braves Mädchen! Verlogenes Mädchen!

Eine Antwort schien sich aus Sicht der Wirtsfrau zu erübrigen, die Tür schloß sich bereits hinter ihr. Marga steuerte auf die Balkontür zu. Wahrscheinlich war das Läuten der Kuhglocke auch nur Einbildung oder ein Kunstprodukt wie die lila Schokoladenkuh oder die poppig bunte Babynahrung-Plastikkuh in der Werbung.

Der Türgriff sperrte, das Holz war alt, echt alt, und auch die reich geschnitzte Balustrade und die Dachsparren waren die von vor dreißig Jahren. Margas Zimmer lag zur Seite hin. Wenn sie sich vorbeugte, konnte sie den Waldsaum, drei friedlich grasende Kühe und den Schotterweg erkennen, der zuerst einen Schlenker zum Milchhof und zum Forsthaus hin machte und dann parallel zur Uferstraße nach Velden führte.

Hannes hatte immer diesen Weg genommen. Er fuhr einen Range Rover mit Vierradantrieb, für den es kein Hindernis gab. Fehlte nur noch das passende Haus in den Kärntner Bergen, dafür hatte Margas Vater gesorgt. Um das andere kümmerte sie sich selbst.

Morgens früh ist es frisch. In einem Fetzen Organza ist es verdammt frisch. Roter, durchsichtiger Stoff mit Volants, der eigentlich meiner Mutter gehört, obwohl sie allmählich aus dem Alter für rote Shorties à la Doris Day heraus ist. Ich nicht! Ich renne zurück ins Zimmer, klettere auf einen Stuhl, drehe und wende mich vor dem Spiegel über dem Waschbecken und finde mich schön. Hinreißend und verrucht und sehr verführerisch. Bei dem Gedanken, daß mein Vater unwissentlich zu meinem Komplizen wird, jagt’s mir noch heißere Schauder über den Rücken. Rot werde ich auch, naturrot, das ist weniger sexy. Ich bestäube Wangen und Hals mit dem Aknepuder aus der Apotheke, höre draußen Reifen knirschen, stürze zurück auf den Balkon, aber es ist nur der Mann von der Wirtin, der die Brötchen fürs Frühstück geholt hat. Ich frühstücke im Schloßhotel. Mein Vater hat eben angerufen: »Bist du fertig, Kleines? Hannes holt dich ab, er meint, sein neuer Rover würde dir Spaß machen.« Und wie der mir Spaß machen wird! Natürlich habe ich gesagt, daß ich fertig angezogen bin. War nicht mal gelogen, nur stimmt’s jetzt nicht mehr. Kleine Mädchen sind hübsch, Frauen sind schön. Mit bald sechzehn habe ich das Zeug zur Frau, Hannes wird staunen, die roten Volants, malerisch umrahmt von den Geranien auf meinem Balkon, werden ihn schaffen.

»Hallo, Rapunzel!«

»Wie?« Ich beuge mich vor, was schierer Blödsinn ist, weil er gar nicht »Rapunzel« zu mir gesagt haben kann, wenn noch nicht mal der winzigste Punkt von seinem Range Rover auf der Straße aufgetaucht ist. Alles leer.

»Unter dir, Rapunzel!«

»Wie?« Die Geranien pieksen, eigentlich mag ich die sowieso nicht, weil ich die bei uns daheim im Winter immer in den Keller schleppen und beim Beschneiden helfen muß. Dann sind’s nur noch kahle Stengel, und im Sommer ferkeln sie alles mit ihren Blüten voll. Nichts als Arbeit, hoffentlich tun sie meinem Organza nichts, besser gesagt, dem von meiner Mutter. H-i-l-f-e! Ich lande mit meinem Busen platsch in der fremden Geranienpracht, weil wirklich genau unter mir einer im großkarierten Jackett – gelb-schwarz, geil! – steht und hochstarrt. Jemand? Der Jemand ist Hannes. Der Typ hat sich heimlich rangeschlichen und guckt mir alles weg. Dieser Organzafummel ist plötzlich nur noch rote Farbe, aufs nackte Fell drapiert. Langsam bewege ich mich rückwärts und tauche hinter dem Blumenkasten und dem reichgeschnitzten Holzwerk der Balustrade ab.

»Gibt’s dich noch, Rapunzel?«

»Wo ist dein Pferd?« Ich spähe zwischen zwei Holzstäben durch. »Auto, meine ich.«

»Geparkt.« Hannes zeigt in eine Richtung, die genau entgegengesetzt zu der Zufahrt liegt, die mein Vater immer benutzt. »Das ist ein Forstweg«, protestiere ich.

»Ich fahre einen Geländewagen.«

»Okay.« Weiß ich doch. Blöde Kuh! Negligé im Geranienbusch! Von wegen Frau! Trampel! War meiner Mutter nie passiert. Niemals!

»Läßt du mir noch einmal deine Zöpfe herunter, Rapunzel?« »Ich hab keine Zöpfe«, protestiere ich und rucke hoch. Auch noch Zöpfe à la Bauerntrine, jetzt reicht’s. Ich sehe runter, er sieht hoch, und mir dämmert, daß »Zöpfe« nur ein Tarnwort ist. Er ist scharf auf das, was sich unter meinem geklauten roten Fummel bewegt. Für mein Alter hab ich jede Menge Busen, im Moment noch Cup B, aber wenn ich so weitermache, fülle ich demnächst C-Körbchen aus. Wenn er weiter so stiert, füll ich die C-Dinger in Null Komma nichts aus. Ich recke meine beiden Naturwunder vor, die Morgensonne malt Kringel drauf, unten im Haus knallt eine Tür zu. Ich düse in mein Zimmer. Halleluja. »Bin gleich fertig!« brülle ich. Bevor ich mich anziehe, steige ich noch einmal auf den Stuhl vor dem Waschbecken und begutachte in dem Spiegel darüber, was ich meinem ersten Liebhaber in spe soeben geboten habe. Nicht übel, ehrlich nicht! Ich ziehe den Bauch ein und nehme mir fest vor, heute kein einziges Kipferl zu essen. Nur Knäcke und Joghurt, weil die Wespentaille meiner Mutter eigentlich alles ist, was sie mir noch voraushat. Dann ziehe ich mich an. Minirock und enges T-Shirt, hoffentlich fällt meinem allerliebsten Daddy nichts auf!

Hannes entgeht jedenfalls nichts, als ich zu ihm in den Rover steige. Diese Geländewagen haben einen unheimlich hohen Tritt, und mein Verleger hat ein unheimlich scharfes Auge. Ästhet ist er auch, also bitte.

»Rapunzel, Rapunzel, willst du einen alten Mann um den Verstand bringen?«

»Naja«, sage ich, »die Prinzen im Märchen sind, glaube ich, auch nicht mehr so taufrisch.«

»Und woran erkennst du das?« fragt er zurück und startet gleichzeitig seinen Geländewagen.

»An den Pferdestärken«, antworte ich. »Die PS wachsen mit den Lebensjahren, das ist ’ne alte Kiste, und tüchtig was unter der Haube, das kann sich kein junger Spund leisten.«

Es ruckelt, Schotter stiebt auf. Erst als das Startgeräusch verklingt, registriere ich das Geräusch, das mein Kavalier produziert. Er schnauft und lacht, was das Zeug hält, so als ob ich eben einen wahnsinnig guten Witz gerissen hätte. Ich hab nichts dagegen, witzig und geistreich zu sein, nur im Moment erscheint’s mir als die falsche Reaktion auf meine coole Nummer als Frau.

»Wieviel PS haben Sie?« frage ich hastig.

»Eine Menge«, sagt er und fügt hinzu, daß wir uns dieses »Sie« schleunigst abgewöhnen müßten, weil er sich sonst wirklich wie eine uralte Kiste fühle. Was ich natürlich nicht will, weshalb ich Besserung gelobe. Himmlisch. Es ist himmlisch, fünfzehn zu sein und sich für einen richtigen Mann aufgespart zu haben. Meine beste Freundin hat’s schon hinter sich. Mit dem Freund von ihrem Bruder und im Kartoffelkeller. Sie wird Bauklötze staunen!

Mein Vater staunt schon vorher. Das geht bereits bei unserem Frühstück à trois los. Eisern verweigere ich die Kipferl und werde tierisch wütend, als mein Vater anfängt, Witze über meinen Babyspeck zu reißen, dem ich so langsam entwüchse. Dabei zwinkert er Hannes zu, der notgedrungen zurückzwinkert und gleichzeitig unter der Tischdecke mein Knie massiert. Ätsch! Unter den scheißedel gedeckten Tischen im Schloßhotel spielt sich eine Menge ab, mittags auch, nur abends beim ersten gemeinsam genossenen Trompetensolo komme ich kurz in Panik, weil das Zucken von meinen Augendeckeln fast synchron die Hände von meinem Vater und meinem zukünftigen Liebhaber in Bewegung setzt. Taschentuch gefällig? Es hätte nicht viel gefehlt, und die beiden Schneuzlappen wären sich auf meinem Schoß begegnet. Ich springe auf und wetze Richtung Klo, hoffentlich erzählt mein Vater jetzt nicht irgendeine Rührstory. Tut er wohl doch, aber die Wirkung soll mir recht sein. Denn bei der dritten Tanzrunde ertönt noch einmal mein heißgeliebtes »Il Silenzio«, diesmal auf besonderen Wunsch eines Gastes für sein »Rapunzel«.

Obwohl ich eigentlich noch nicht tanzen kann, spüre ich, daß ich das Zeug zu einer begnadeten Tänzerin in mir trage. Leicht und beschwingt, sogar das »Du, Hannes!« kommt mir problemlos über die Lippen. Als wir beide an den Tisch zurückkehren, bekringelt mein Vater sich über die »Rapunzelmasche von so einem Abschlepper«. Dabei nickt er Richtung Bar, wo üblicherweise ein paar einheimische Möchtegern-Papagallos lauern. Hannes scheint der Vergleich nicht zu behagen, aber ich tröste ihn so gut unter dem weit überhängenden Tischtuch, daß er seinen Gram vergißt. Vor dem letzten Trompetensolo um Mitternacht vereinbaren wir, daß er in gut einer Stunde zu mir herausgefahren kommt.

»Und wie kommst du ins Haus?« frage ich und male mir aus, wie er an der Dachrinne hochturnt oder ich ihn durchs Treppenhaus lotse und meine Wirtin uns erwischt. Bitte nein!

»Gar nicht«, sagt er, »ich melde mich übers Haustelefon.« Er verrät mir, daß er bereits einen Holzpavillon angemietet hat, und natürlich stehle ich mich mit meinen fünfzehn Jahren leichter aus dem Zimmer, notfalls sogar über die Dachkalle, oder ich muß mal eben ganz offiziell frische Luft schnappen. Kein Problem! Und er ist ein Genie, weil er wirklich alles bedacht hat und sogar in ein zweites Zimmer investiert, um ungestört mit mir allein sein zu können. Meine Freundin hat’s im Kartoffelkeller getan. Täte ich nie! In diesem Fall gebe ich sogar meiner Mutter recht, die mich immer davor warnt, mich billig zu machen: »Was gut ist, kostet auch!« Recht hat sie.

»Schlaf gut, Kleines!« sagt mein Vater, als er mich kurz darauf vor der »Römerschlucht« absetzt und mir meinen Gutenachtkuß gibt. Ein bißchen tut er mir leid, weil er so ahnungslos ist. »Du auch, Daddy«, sage ich und schmuse noch eine Runde an seinem Hals herum, bis er sich lachend befreit und findet, ich solle die Wirtin nicht auf dumme Gedanken bringen: »Nachher meint die brave Frau noch, ich hätte mich nur als dein Vater ausgegeben!« Ich gluckse, weil die frivole Assoziation bei einem Mittvierziger schließlich gar nicht so abwegig ist. »Verrücktes Ding!« ruft mein Daddy mir nach. Verrückt stimmt.

In meinem Zimmer habe ich eine Stunde lang Zeit, um mich zwischen durchsichtigen roten Volants oder unschuldsvoll weißem Batist zu entscheiden. Schwierig! Ich stecke gerade wieder in der weißen Montur, als endlich das Telefon klingelt.

»Ich warte auf dich, Rapunzel!« sagt Hannes. »Der hinterste Pavillon, die Tür ist offen.«

»Okay«, antworte ich und ziehe einen fast knielangen Pulli über mein weißes Shortie mit den rosa Samtbändchen. Rot und verrucht hatte er mich schließlich schon heute früh. Männer mögen die Abwechslung, behauptet meine Mutter. Ich glaube, in diesem Bereich hat sie jede Menge Ahnung, sogar mehr, als meinem Vater manchmal lieb sein dürfte.

Ich taste mich durchs Treppenhaus und über die Obstwiese, hinter dem Vorhang von Pavillon Nummer vier schimmert ein schwaches Licht, sonst ist es überall stockfinster. Ich steige über das Ziergitter, weil sonst womöglich die Pforte quietscht, sehe mich um, ziehe den sackartigen Pulli wieder aus und drücke die Tür auf.

Hannes liegt auf dem Bett. Es ist ein Doppelbett, eingerahmt von zwei Nachttischen, aber er hat nur eine der beiden Leselampen angeknipst. Eine mit einem rosa Lampenschirm, so rosa wie die Bändchen in meinem Shortie. Das Licht schneidet rosa Segmente in die Dunkelheit, zeigt mir die gesträubten Härchen auf meinen Oberschenkeln und den Mann, den ich nur in seinen schicken Sakkos kenne und der jetzt einen Schlafanzug mit so einem altmodischen kleinen Muster trägt. Er hat die Jacke nicht zugeknöpft, seine rosa angestrahlte Brust sieht seltsam fahl aus. Fahl und alt. Ich weiß, daß er wahnsinnig gut Wasserski läuft, sogar mono, segeln kann er natürlich auch. Ich hab mir vorgestellt, wie wir beide morgen zusammen über den Wörthersee kurven. Bunte Schnappschüsse in meinem Kopf, auf denen hat er alle Milchbubis, die sonst so auf dem Bootssteg rumhängen und Mädels anbaggern, in den Schatten gestellt. Die Jungs in meinem Alter haben fast alle Steckenbeine und Hühnerbrüste, natürlich ohne ein einziges Haar drauf, und wenn ihnen doch eins sprießt, zupfen sie dran herum, als ob’s aus purem Gold wäre. Jungs sind einfach Spätzünder. Hannes hat Haare auf der Brust, sogar massig viel. Die kräuseln sich, ein paar sind schon grau, die Haut dazwischen sieht komisch aus, schrumpelig. So in diesem Bett ist er nur noch alt und fremd.

Er klopft auf die Matratze neben sich: »Setz dich zu mir, Rapunzel!«

»Nee«, sage ich, »lieber nicht.«

»Magst du mich nicht mehr?«

»Schon«, sage ich, dann fällt mir zum Glück meine Periode ein. Ich könnte ja urplötzlich meine Periode bekommen haben, das kränkt ihn wenigstens nicht, und falls ich wirklich später mal für ihn arbeiten sollte, will ich es mir nicht mit ihm vermiesen. Ich weiß nicht, ob er mir die Story abnimmt, jedenfalls reagiert er nicht sauer oder so. Statt »Rapunzel« nennt er mich jetzt »Küken«. Seltsamerweise bin ich froh, daß er das tut. Ich bin happy, ganz schnell wieder ein Küken sein zu dürfen.

Hinterher in meinem Bett knuddele ich meinen Teddybären, ohne den ich nicht schlafen kann, und am nächsten Tag nehme ich meinen Knuddel sogar mit ins Schloßhotel, wo ich zum Frühstück zwei Nußkipferl und zwei Mohnkipferl verspeise.

»Die Hälfte ist für Knuddel«, sage ich.

Mein Vater lacht nur und drückt mich, dabei sieht er seinen Freund Hannes an: »Sie ist noch ein richtiges Kind!«

Ich weiß nicht, was Hannes antwortet, weil ich doch mit meinem Knuddel zugange bin. Ein bißchen verlegen bin ich auch. Ich hätt’s auch nicht gern, wenn einer mir einen Teller mit frischen Kipferln hinhielte und mir den wegzöge, sobald ich zulangte. Obendrein hab ich tierisch geschwindelt, meine Periode hab ich gerade hinter mir, aber das weiß er zum Glück nicht. Unterm Strich bin ich aber erleichtert, obwohl ich nun nichts gegen die Kartoffelkistenamour meiner besten Freundin zu bieten habe und noch immer Jungfrau bin. Zum Trost nehme ich mir noch ein fünftes Kipferl, danach ist mir leicht mulmig. Schön mulmig. Während die beiden Herren zu ihrer Immobilie mit Blick auf den See fahren, liege ich im Bett meines Vaters und lausche auf das fröhliche Strandtreiben unter mir. Morgen mische ich wieder mit. Oder übermorgen.

Übermorgen, dachte Marga. Vielleicht war jetzt »übermorgen«, oder es war schon vorbei, und sie hatte nur vergessen, beizeiten richtig mitzumischen. Den Schotterweg gab’s immerhin noch, sogar drei echte Kühe hatten die Touristenschwemme überlebt. Hannes gab’s nicht mehr.

Er war von seinem Geländewagen auf diverse Sportwägelchen und schließlich auf eine Harley Davidson umgestiegen und hatte damit irgendwo hier in der Nähe frontal gegen eine Felswand gesetzt. Exitus. Margas Vater hatte ihr im Krankenhaus davon erzählt: »Männer können so was von blöd sein. Da mimt er nur wegen so einem blonden Gift und trotz künstlichem Hüftgelenk den wilden Biker, und schon beißt er ins Gras. Wetten, daß seine Braut ihre Schäfchen ins Trockene gebracht hat?« Marga hatte die Luft anhalten müssen, weil es ihr vorkam, als ob ihr Vater sich selbst beschriebe, auch wenn der Exitus für ihn und ein dickes Erbe für sein blondes Gift in jenem Moment erst noch bevorstanden. Sogar die Haarfarbe stimmte. Falls Babette nicht inzwischen umgefärbt war.

Marga ging vom Balkon zurück in ihr Hotelzimmer, zog den Vorhang zu, hängte das Schild »Bitte nicht stören!« draußen an ihre Zimmertür und beschloß zu schlafen. Ihren Kindern ging es gut. Felix war bei ihrer Mutter, damit Conny heute abend nicht auf ihren »dancefloor« in der »Klapsmühle« verzichten mußte. Marga hatte schon zweimal aus dem Zug bei ihrer Mutter angerufen und die Order bekommen, den Jungen nicht mit ihrer Telefonitis verrückt zu machen. »Schließlich hat dich niemand gezwungen, deine Stiefmutter zu besuchen!«

Es war müßig, zum soundsovielten Mal nüchtern zu erläutern, daß es sich bei dieser Reise keinesfalls um einen freundschaftlichen Besuch handelte. Babette konnte Marga kreuzweise, ihre Mutter mußte das wissen. Aber ihre Mutter pflegte grundsätzlich nur die Dinge zur Kenntnis zu nehmen, die ihr ins Programm paßten. Eine Landpomeranze, die sie vor über zwanzig Jahren ausgestochen hatte, störte. Weg damit! Aus der Optik ihrer Mutter war’s ein Fauxpas, wenn Marga diese Person überhaupt noch zur Kenntnis nahm.

Ob’s Knuddel noch gab? Irgendwo oben auf dem Speicher bei ihrer Mutter?

Marga tastete nach dem Telefon neben ihrem Bett, nahm den Hörer ab – und legte ihn rasch weder auf. Ihre Mutter würde ihr sonst etwas erzählen, wenn sie ihr jetzt noch mit dem Ansinnen käme, doch eben mal auf den Speicher zu klettern und nach einem alten Zottelbären zu suchen.

Kapitel 3 Herz in Plüsch

Marga hatte nicht gut geschlafen. Träume rund um einen Teddybären, dessen Fell schon ganz knotig und abgewetzt war, hatten sie verfolgt. Es mochte gut und gern zwanzig Jahre her sein, seit sie ihn zuletzt in der Hand gehabt hatte. Ob ihre Mutter ihn wirklich weggegeben hatte? So wie den Puppenherd und den Kaufmannsladen und die Babypuppe mit dem Fellhaar?

Marga erinnerte sich, sie einmal nach dem Verbleib ihrer alten Schätze gefragt zu haben, die Antwort war in Form einer Gegenfrage erfolgt: »Was willst du noch damit? Die Sachen haben dich jahrelang nicht interessiert.«

»Es sind meine Spielsachen gewesen«, hatte Marga gesagt und das »meine« betont.

»Dann hättest du sie mitnehmen sollen, als du ausgezogen bist. Wir brauchten Platz für die Sauna. Ich war heilfroh, daß meine Putzfrau ein Großteil von dem Zeug mitgenommen hat. Für ihre Enkelin, vermute ich. Mit dem, was du an Spielzeug hattest, hätte man allerdings einen ganzen Kindergarten ausstatten können, dein Vater war ja nicht zu bremsen, wenn er einmal loslegte. Er war einfach maßlos …«

An das Wort »maßlos« erinnerte Marga sich ebenfalls noch sehr gut, es war des öfteren in Zusammenhang mit ihrem Vater gefallen. Maßlos, verschwenderisch, geltungssüchtig, nicht zu bremsen. Eine Heimsauna hatte er allerdings nie haben wollen, die kam erst nach ihm. Mit Julian, seinem Nachfolger. »Natürlich ein Junger«, hatte Margas Vater gemeint, als er von Julian erfuhr, es klang gerade so, als ob ihre Mutter ihn bei der Wahl seines Nachfolgers nur hätte nachahmen wollen. Maßvoller als er selbst, denn zwischen ihr und Julian lagen schließlich nur knapp zehn Jahre Altersunterschied und nicht dreißig.

Was mochte Babette empfunden haben, wenn sie einen Mann umarmte, der soviel älter als sie selbst war? Eine Frage, die Marga sich in dieser Form nie gestellt hatte. Schließlich war es nicht ihre Sache, sich in die Perspektive einer Frau zu versetzen, die der Familie nichts als Unheil gebracht hatte. Diese Umgebung hier mußte schuld sein. Es war die Heimat von Babette und der Ort, an den es ihren Vater immer wieder hinzog. Er hatte stundenlang auf der Bank vor der Hütte in Agoritschach sitzen und die Landschaft anträumen können, was ihre Mutter haßte. »Sieh ihn dir an! Es macht mich verrückt, wie er dasitzt. Wie ein uralter Mann«, hatte sie gesagt und war seitdem nie mehr mit nach Kärnten gereist.

Uralt? Auf Marga hatte ihr Vater damals nicht alt oder ungehobelt – das war ein weiterer Vorwurf – gewirkt. Er war hochgewachsen und füllte den Raum, den er betrat, und obwohl seine Stimme und die Art, wie er sich bewegte, sehr ruhig waren, bekam er immer überall den besten Platz und genoß die volle Aufmerksamkeit von Kellnern oder Verkäufern. Das galt erst recht, wenn diese weiblich waren. Marga erinnerte sich daran, wie stolz sie als junges Mädchen auf ihren Daddy gewesen war, wenn sie an seiner Seite ein schickes Restaurant oder Geschäft betrat. Ein Gefühl, das allerdings gleich einen Dämpfer bekam, sobald ihre Mutter mit von der Partie war. Ihre Mutter sah Seiten an Margas Vater, die kein bißchen glanzvoll waren. »Laß dich nicht so hängen! Denk an deine Tochter!« sagte sie gern. Tausendmal ausgesprochen, wurde etwas davon wahr. Margas Augen schärften sich für kleine Nachlässigkeiten. Wie er ging, die Schultern leicht vorgezogen. Wie er aß, trank oder sprach, mit dem Genetiv schluderte er besonders gern, doch welcher Rheinländer tat das nicht? Wie er vor sich hin träumte …

Auch wie er liebte? Konnte man jemandem vorwerfen, er benähme sich auch im Bett wie sein eigener Urahn, wenn darin jeden Nachmittag etwas lief?

Solange Marga sich zurückerinnern konnte, endete der Arbeitstag ihres Vaters offiziell um ein Uhr mittags, danach vereinbarte er höchstens noch mit besonders guten Kunden Besichtigungstermine in dieser oder jener Immobilie. Der frühe Feierabend unterschied ihn ebenfalls von den anderen Vätern, Margas Mutter nannte ihn deshalb manchmal spöttisch ihren »Frührentner«. Jedenfalls erschien er stets pünktlich zum Mittagessen, und danach legten sich Margas Eltern regelmäßig eine Stunde hin. Das Elternschlafzimmer lag direkt neben Margas Zimmer, sie konnte die beiden durch die dünne Wand hören. Sobald die Bettfedern zu quietschen begannen, drehte Marga ihre Musik auf. Volles Rohr, am häufigsten lief »Sergeant Pepper’s Heart Club Band«, sie schwärmte für die Beatles. Während sie im Takt mitwippte, vor sich auf der ausziehbaren Lederplatte ihres Sekretärs ein Heft mit englischen Vokabeln oder Algebra, horchte sie hinüber auf die Laute der beiden in dem Ehebett, das eine Sonderanfertigung war und dem Gardemaß ihres Vaters Rechnung trug. Marga wollte nicht lauschen, doch sie kam nicht dagegen an, obwohl sie gleichzeitig alles tat, um nicht Zeugin der elterlichen Turnübungen werden zu müssen, YEAH! YEAH! YEAH! Irgendwann hämmerte es an die Wand: »Stell endlich leiser, Marga!« Dann wußte sie, daß sie jetzt wirklich schlafen wollten.

Hinterher deckte ihre Mutter den Kaffeetisch. Drei Stoffsets, jeden Tag gab es frische, in der Tischmitte das geerbte Silbertableau mit Milchgießer und Zuckerdose, dazu frische Blumen, und ihr Vater holte Kuchen, werktags wie sonntags. Selbst wenn er nur zu »Mölder« gleich um die Ecke wollte, nahm er das Auto, was Margas Mutter ebenfalls seiner »Frührentnermentalität« anlastete. Trotzdem spielte sie bei dem Kaffee & Kuchen- Ritual ebenso mit wie im Bett.

Es gab abwechselnd frische Hefeteilchen, Reiskuchen und gedeckte Apfeltorte aus der Bäckerei »Mölder« und Flockensahne- und Schwarzwälderkirschtorte aus dem Café »Frank«, das eine Ecke weiter lag. Die Sorten blieben sich stets gleich, es war das Beste aus dem jeweiligen Angebot. Obwohl Margas Mutter sich über die »Dickmacher« beschwerte, griff sie zu und aß dafür abends nur einen Salat oder rohes Sauerkraut. Sie liebte Sahniges und Cremes und Butter, damals war es eine Haß-Liebe, sie wollte nicht und aß doch. Zugleich mit der süßen Fülle machte sich die Angst in ihr breit, ihre Form zu verlieren. Sie hatte eine wunderschöne Figur, wie abgezirkelt, nichts schlaff, straff gespannte Schönheit über grazilen Knochen. Marga hatte die schönste Mutter von allen; in der Schule hatten sie sie alle um solch eine Mutter beneidet.

War es der Neid der anderen, der ihren Vater über zwanzig Jahre bei der Stange hielt? Egal, wie oft sie ihn niedermachte? Tausend kleine Sticheleien, trotzdem konnte Marga sich nicht darauf besinnen, daß ihr Vater jemals aus der Haut gefahren wäre. Wenn überhaupt, so wehrte er sich leise, leistete passiven Widerstand, was Margas Mutter erst recht wütend machte. Auch in Zusammenhang mit den nachmittäglichen Kuchenorgien gab es solche scheinbar harmlosen Gefechte, und die Auslöser waren stets dieselben.

»Dann fahr ich mal rasch zu ›Mölder‹ in die Schamizzelstraße«, sagte ihr Vater etwa und schien förmlich darauf zu warten, daß Margas Mutter ihn verbesserte, was sie auch prompt tat.

»Es heißt Chamissostraße. Chamisso war ein Dichter. Wann merkst du dir das endlich?« Margas Mutter las viel, bei ihr zu Hause war viel gelesen worden, die Sucht nach Sprache, nach Schönheit überhaupt war in ihrer Familie beheimatet.

»Ich bin ein einfacher Mann. Ich hab’s nicht mit deinen Dichterlingen.«

Ein weiteres Reizthema war die Kuchenplatte mit der Tortenspitze, die Margas Mutter selbst dann benutzte, wenn nur ein paar einfache Hefeteilchen darauf zu liegen kamen.

»Du könntest sie direkt auf den Teller geben.« »Firlefanz«, stand in den Augen von Margas Vater, auch daran erinnerte sie sich noch gut. Ihre Oma, seine Mutter, war noch mit der schweren gußeisernen Pfanne an den Tisch gekommen und hatte jedem sein Stück Fleisch aufgetan und mit dem Löffel Bratfett oder Soße abgeschöpft.

»Es ist keine Arbeit, eine Platte mehr zu spülen. Hast du dir die Hände gewaschen, Marga?«

Solche an Marga gerichteten Standardfragen, die auf den ersten Blick in keinerlei Zusammenhang mit dem standen, was gerade Thema war, gehörten ebenfalls zum festen Repertoire von Margas Mutter. Schon sehr früh begriff Marga, daß nicht wirklich sie gemeint war. Es war ein albernes Spiel. Trotzdem hatte Marga nach dieser Frage oft genug auf die Hände ihres Vaters gestarrt. Er ging mit dem Kuchentablett immer schnurstracks von der Haustür zum Eßtisch durch, obwohl bei den Merlins vor allen Mahlzeiten Händewaschen angesagt war. Er war Auto gefahren, hatte Geld berührt, womöglich jemandem die Hand geschüttelt, trotzdem ging er konsequent am Badezimmer vorbei durch die Küche in den Wintergarten, wo sie aßen. Natürlich gab es keine sichtbaren Spuren, wovon auch? Von einem Händedruck oder einer Münze? Rückblickend erschien Marga ihr eigenes Verhalten mehr als kindisch. Hatte sie tatsächlich geglaubt, das Aussehen von Händen könnte darüber entscheiden, wer recht hatte? sie oder er? Denn darum ging es doch wohl.

»Dein Löffel«, erinnerte Margas Mutter ihn, auch das immer wieder.

»Ich weiß.« Drei Stücke Zucker und ein Schuß Sahne, er rührte, manchmal schwappte es über, er trank ab, und der Löffel kippelte in der Tasse, bis nur noch Sud am Tassenboden übrigblieb. Dann erst nahm er ihn heraus.

»Du stichst dir noch ein Auge aus«, insistierte sie.

»Keine Bange.« Er besaß eine Hartnäckigkeit, die Marga imponierte. Damals hatte sie nicht begriffen, was ihre Mutter daran so in Rage brachte.

Einmal hatte er sich versehentlich Kaffee über sein Hemd gekippt. »Verdammt!«

»Siehst du!«

Daraufhin hatte er stumm sein Hemd aufgeknöpft, es ausgezogen und über die Lehne des leeren Stuhls neben sich gehängt. »So!« Dann hatte er wieder nach seiner Kuchengabel gelangt, es war einer von den Tortentagen gewesen. Teilchen durften mit den Fingern gehalten werden.

»Das ist nicht dein Ernst, August!«

»Wieso?« Er, im Unterhemd, gerippt und weiß, lächelte ein unschuldsvolles Lächeln.

»Wie ein Bauarbeiter!«

»Was hast du gegen Bauarbeiter? Mein Großvater war nur Bauer.«

»Das ist primitiv. Ich mag keine primitiven Männer.« Marga hatte es sich nicht nur eingebildet, ihre Mutter hatte tatsächlich Tränen in den Augen, sie litt. Warum?

Da stand er auf. »Du sollst mich mögen. Das genügt.« Er ging hinaus, ein paar Minuten später kam er zurück. Ohne ein frisches Oberhemd, auch ohne Unterhemd, seine Brust war nackt und beschrieben: »Mutters Liebling« stand darauf, weinrot wie Blut. »Besser so?«

»Du spinnst!« Aber ein Lachen gluckste in ihrem Rüffel.

»War gar nicht so einfach, auf dich zuzuschreiben. Ich hab’s vor dem Spiegel gemacht, mit deinem Konturenstift.«

»Ferkel!« Zärtlich, schön, so konnte es auch sein. Sie hatte ihm noch einen Kuß gegeben. Es gab solche Situationen, halb komisch und halb ernst, Kipp-Situationen, in denen sie sich trafen und es komisch fanden. Bei den Merlins war viel gelacht worden, daran erinnerte Marga sich nun auch. Ob er mit Babette auch so herzhaft lachen konnte?

Bis ihre Zähne vollständig saniert waren, hatte sie beim Lachen nur die geschlossenen Lippen verzogen, das sah wie eine Grimasse aus. Es fiel Marga schwer, sich vorzustellen, daß die andere so von Herzen albern sein konnte wie sie selbst oder ihre Eltern. Wenn ihr Vater etwa den Komiker Jürgen von Manger imitierte, wie er einer feinen Dame die Kirschkerne von seinem Dessert – wohin damit? – flugs ins Dekolleté spuckte, konnte sie sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen.

»Marga ist eine Lachmaus!«

»Ich bin keine Maus.«

»Dann eine Möwe? Bist du meine Lachmöwe?«

»Hast du schon mal eine Möwe lachen sehen?«

»Ja, dich, es gibt nichts Schöneres, als wenn du so losgickerst.«

Es war ein Stück schöne Erinnerung. Der Teddybär gehörte auch dazu. Marga wollte nicht, daß er fort war. Sie hätte jetzt gerne diesen Stoffbären bei sich gehabt, um ihn zu knuddeln, er hätte ihr helfen können. Eine Brücke in die Zeit zurück, als sie ein junges Mädchen und eine Lachmöwe war.

Nach dem Frühstück in der »Römerschlucht«, das sich zum Büfett ausgewachsen hatte, mit Müllbehältern aus Plastik auf jedem Tisch und sehr anonym, rief Marga bei sich zu Hause an. Sie hatte schon gewählt, als ihr einfiel, daß Conny und Felix noch längst nicht da sein konnten.

Doch es wurde abgehoben.

Felix meldete sich. »Hallo?«

»Hast du noch immer nicht gelernt, wie man sich korrekt meldet, Zwerg?«

»Hi, Mom! Rufst du deshalb an?«

»Wieso bist du nicht längst im Kindergarten?«

»Vorschule, und bald komme ich in die richtige Schule, außerdem hat Conny verpennt und kann mich erst bringen, wenn sie fertig mit Auftakeln ist.«

»Wozu muß sie sich morgens früh auftakeln?«