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Ein wenig aus der Zeit gefallen sind sie schon, die Eltern von Lilian Groth. Mit geradezu erdrückender Liebe und Sorge binden sie ihre immerhin schon dreiundzwanzigjährige Tochter an sich, die ihnen spät im Leben als Nachkömmling noch Ersatz für den tragischen Verlust ihres ersten Kindes geworden ist. Der Gedanke, Lilian irgendwann einmal an einen Mann "zu verlieren" ist ihnen so unerträglich, dass sie, egal wen die Tochter ihnen vorstellt, noch jeden Verehrer vertrieben haben.
Und Lilian? Die hängt zwar auch mit Liebe an ihren Eltern und will trotz allen Freiheitsdrangs nicht um jeden Preis mit ihnen brechen. Aber als der charmante Hendrik in ihr Leben tritt, wird alles anders - denn ihn wird sich Lilian ganz bestimmt nicht ausreden lassen. Ja, es ist die große Liebe, das müssen doch auch die Eltern endlich einmal verstehen! Aber die zeigen sich auch dieses Mal uneinsichtig, und Lilian muss die schwerste Entscheidung ihres Lebens treffen ...
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Seitenzahl: 110
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Das Kind, das Herzen versöhnte
Vorschau
Impressum
Das Kind, das Herzen versöhnte
Werden die Schatten der Vergangenheit endgültig weichen?
Von Heide Prinz
Ein wenig aus der Zeit gefallen sind sie schon, die Eltern von Lilian Groth. Mit geradezu erdrückender Liebe und Sorge binden sie ihre immerhin schon dreiundzwanzigjährige Tochter an sich, die ihnen spät im Leben als Nachkömmling noch Ersatz für den tragischen Verlust ihres ersten Kindes geworden ist. Der Gedanke, Lilian irgendwann einmal an einen Mann »zu verlieren« ist ihnen so unerträglich, dass sie, egal wen die Tochter ihnen vorstellt, noch jeden Verehrer vertrieben haben.
Und Lilian? Die hängt zwar auch mit Liebe an ihren Eltern und will trotz allen Freiheitsdrangs nicht um jeden Preis mit ihnen brechen. Aber als der charmante Hendrik in ihr Leben tritt, wird alles anders – denn ihn wird sich Lilian ganz bestimmt nicht ausreden lassen. Ja, es ist die große Liebe, das müssen doch auch die Eltern endlich einmal verstehen! Aber die zeigen sich auch dieses Mal uneinsichtig, und Lilian muss die wohl schwerste Entscheidung ihres Lebens treffen ...
Kann ich nicht mehr richtig zählen, oder bin ich nicht doch schon dreiundzwanzig Jahre alt?!, fragte Lilian sich frustriert.
Warum nur fiel es Eltern so schwer, das Erwachsenwerden ihrer Kinder zu akzeptieren? Die ihren behandelten sie jedenfalls immer noch so, als wäre sie eine dreizehnjährige Frühreife auf Abwegen – in dieser Hinsicht waren sie einfach zutiefst altmodisch und übertrieben es vielleicht auch etwas mit ihrer Liebe und Besorgnis um ihre einzige Tochter.
Warum lässt du das zu, lieber Gott?, hätte die junge Frau am liebsten hinausgeschrien.
Die hübsche dunkelhaarige Lilian Groth war verzweifelt. Sie war nahe daran, sich beide Augen zuzuhalten, um die vorwurfsvollen Blicke ihrer Eltern nicht mehr ertragen zu müssen. Beide saßen sie ihr in dem schmalen Esszimmer mit den gediegenen, vom Stil her schon etwas aus der Mode gekommenen Möbeln gegenüber. In gerader Haltung, die Blicke mit besorgter Strenge auf sie gerichtet, so redeten sie abwechselnd auf sie ein.
Lilian, die diese Blicke nicht länger aushalten konnte, erhob sich abrupt. Obwohl sie sicher war, dass ihre Eltern ihr dies übel nehmen würden, stellte sie sich aus Trotz mit dem Rücken zu ihnen vors Fenster und starrte in den Garten hinaus, wo die buschigen bunten Dahlien, ihres Vaters Lieblingsblumen, zurzeit üppig in Blüte standen.
Lilian wusste aus bitterer Erfahrung, dass dieser schwache Versuch der Auflehnung nichts daran ändern würde, dass sie am Schluss der Auseinandersetzung doch wieder die Unterlegene sein – und nachgeben würde. Als Alternative wäre ihr nur der völlige Bruch mit ihren Eltern geblieben, und das wollte sie wiederum auch nicht, dafür hing sie doch zu sehr an ihnen. Aber gegen die beiden, wenn diese etwas durchzusetzen versuchten, kam sie einfach nicht an. Und so hatte Lilian ihrem derzeitigen Freund Marco Schratt insgeheim jetzt schon halb und halb den Laufpass gegeben. Etwas, das ihre Eltern von ihr erwarteten. Aus tiefer Besorgnis, wie sie übereinstimmend versicherten.
»Wir wollen doch immer nur das Beste für dich, Kind.«
Und kaum, dass sie nach hitzig geführter Debatte alle wieder ein wenig zu Atem gekommen waren, gingen die Vorhaltungen auch schon weiter: »Warum willst du es denn partout nicht begreifen, Kind, dass dieser mittellose Junge es nur auf dein Geld abgesehen hat?«, fragte Lilians Vater jetzt eindringlich.
Ha!, dachte Lilian. Dieser »Junge«! Genau wie ich ist auch Marco in Papas Augen immer noch ein unmündiges Kind. Dabei war dieser »Junge« namens Marco Schratt immerhin schon fünfundzwanzig. Aber was scherte das Vater Groth? Auch seine Tochter war für ihn mit ihren dreiundzwanzig Jahren den Kinderschuhen ja noch längst nicht entwachsen.
»Auf Geld aus, Papa, das ich noch längst nicht habe?« Lilian lachte verächtlich auf.
»Dass du aber einmal haben wirst, wie jeder weiß, der uns kennt!«, mischte sich nun ihre Mutter wieder ein. Deren im Alltagsleben meistens sanfte Stimme klang in der Erregung, in der sie sich gegenwärtig befand, hoch und schrill. »Oder glaubst du, dass dieser Bengel sich das noch nicht ausgerechnet haben wird, Lili?! Der hat zwar keine höhere Schule besucht. Aber zwei und zwei wird der bestimmt trotzdem noch zusammenzählen können! Der weiß doch mittlerweile, dass du unser einziges Kind bist und damit einmal auch die Erbin unseres Vermögens sein wirst.«
»Irgendwann einmal vielleicht. Aber bei eurer blühenden Gesundheit – von der ich hoffe, dass sie euch auch noch lange so erhalten bleibt – doch erst in fernen Jahren! Bestimmt jedenfalls noch nicht in absehbarer Zeit«, wehrte sich Lilian.
Auch ihre Stimme klang jetzt völlig verzerrt. Inzwischen war sie nämlich schon reichlich erschöpft. Sie wandte sich nun doch wieder ihren Eltern zu. Rückwärts gegen die marmorne Fensterbank gelehnt, die Hände seitlich aufgestützt, so, als wolle sie sich an dem kalten Marmor festhalten, sah sie betrübt zu den beiden hinüber. Doch bei so viel zur Schau getragener Unnahbarkeit verengten sich Lilians Augen vor lauter Frust auf einmal zu Schlitzen.
»Glaubt ihr denn im Ernst, dass jemand, wenn er es angeblich nur auf mein Geld abgesehen hat, darauf dann noch Jahrzehnte warten will?«, schrie es aus ihr heraus. »So was wäre doch unlogisch! Falls es sich nämlich so verhielte, dann würde dieser Mann an mein Geld doch bestimmt schon bald herankommen wollen, denke ich mir. Damit wäre aber doch vorerst noch keineswegs zu rechnen, wie Marco weiß. Nicht mal bei einer eventuellen Heirat!« Lilians hartes Auflachen klang wie ein trockener Husten. »Das habt ihr Marco neulich, nachdem ihr ihn scheinheilig zum Essen eingeladen hattet, doch unmissverständlich klar gemacht! Aber trotzdem hat er mir nicht den Laufpass gegeben, wie ihr gehofft hattet!«, trumpfte sie auf.
»Das kommt schon noch. Wart's nur ab«, höhnte ihr Vater.
Lilian war jetzt den Tränen nahe.
»Wenn du dir dieser Sache so sicher bist, Papa, warum wartet ihr beide denn dann nicht einfach ab – anstatt mich hier unter Druck zu setzen, dass ich mich von Marco trennen soll?«, schlug sie schmerzerfüllt vor. »Aber ich glaube, ich kann dir erklären, weshalb du darauf nicht warten willst, Papa: weil du nämlich erkannt hast, dass Geld für Marco überhaupt keine große Rolle spielt! Dass Marco nur mit mir zusammen sein möchte, weil er etwas für mich empfindet. Für deine Tochter als Person, Papa! Als Frau! Weil er mich zufällig ein bisschen gern hat«, fügte sie leiser werdend hinzu. »Mich! Nicht die spätere Erbin. Ihm ist doch längst klar, dass ich kein Geld habe. Auf lange Sicht noch nicht. Und obwohl Marco als Firmenelektriker nicht gerade üppig verdient, hat er nie erwartet, dass ich, die Unternehmertochter, mich an den Kosten beteilige, wenn wir hin und wieder zum Essen oder ins Kino ausgegangen sind. Da ist er nämlich altmodisch – und charmant!«
»Seit wann ist es denn üblich, dass eine Frau danach die Kosten übernimmt?«, fragte Vater Groth verwundert – was Lilian bei seiner generellen Einstellung zum Leben und zur heutigen Zeit gar nicht wunderte.
»Seit es vorkommt, dass Frauen mehr verdienen als ihre Männer«, ereiferte die junge Frau sich. »Und es hätte mir bestimmt nichts ausgemacht, auch mal die Kosten zu übernehmen – wäre ich nicht ständig so knapp bei Kasse. Und warum bin ich das? Weil ich – das sollte ich wohl endlich mal erwähnen – nichts weiter als eine weit unterbezahlte Verkäuferin in dem Geschäft bin, das immer noch euch gehört! Eine übrigens, die genau wie Marco auch ›nur‹ eine Lehre gemacht und nicht studiert hat. Nicht studieren durfte, weil ihr beide mir die Lehre im Verkauf sozusagen aufgezwungen habt, ohne meine persönlichen Berufswünsche zu berücksichtigen!«, fauchte sie böse – auch ein wenig böse auf sich selbst und ihr quasi nicht vorhandenes Durchsetzungsvermögen.
»Kind ...«, setzt ihre Mutter an, aber die Tochter unterbrach sie sofort.
Lilian wusste selber nicht, woher sie, die stets Nachgiebige, auf einmal den Mut nahm, plötzlich den Aufstand zu proben. Aber nun schon mal in ungewohnten Fahrwassern segelnd, war sie jetzt nicht mehr zu bremsen.
»Ihr beide wisst nur zu gut, wie gern ich Musik studiert hätte und Pianistin geworden wäre«, machte sie ihren Eltern zum ersten Mal schluchzend zum Vorwurf. »Aber das hat euch ja nicht besonders interessiert. Euch beiden ging's doch nur ums Geschäft. Statt mir ein Musikstudium zu finanzieren oder mich wenigstens dabei zu unterstützen, habt ihr behauptet, ein solches Studium sei vertane Zeit. Auf dem Klavier herumzuklimpern, sei brotlose Kunst, die ich doch am heimischen Klavier kostenlos ausüben könne, wann immer ich wolle.« Ihr Schluchzen wurde heftiger. »Und ich, was hab' ich getan?«, fragte sie verzweifelt. »Ich habe mich auch da eurer Anordnung gefügt, wie ich es von Kind an nicht anders gelernt habe. Aber einmal muss mit dieser Bevormundung doch Schluss sein!«, schrie sie auf. »Ihr könnt doch nicht von mir erwarten, dass ich mein Leben lang ausschließlich nach eurer Pfeife tanze! Nehmt ihr denn gar nicht wahr, dass ich mittlerweile erwachsen bin?! Und da ihr dieses Thema nun schon mal angeschnitten habt: Könnt ihr euch denn so gar nicht vorstellen, dass mich ein Mann auch um meiner selbst willen lieben kann? Und dass nicht jeder, der ein Auge auf mich geworfen hat, mit dem anderen dabei schon auf mein zukünftiges Erbe schielt?! Bin ich denn sooo hässlich, dass das den Rahmen eurer Vorstellungskraft sprengen würde?!«, rief Lilian voller Verzweiflung aus.
»Du brauchst nicht gleich hysterisch zu werden, wenn man dir mal die Wahrheit sagt, Lili«, antwortete Vater Groth mit hochrotem Kopf. »Du weißt genau, dass du ein sehr hübsches Mädchen bist. Aber mit dieser überflüssigen Frage wolltest du ja auch wohl nur von dem eigentlichen Problem ablenken, nehme ich an. Davon, dass dieser Habenichts auch noch anderes im Sinn hat, als dich glücklich zu machen.«
»Das eigentliche Problem ...« Der angefangene Satz blieb in der Luft hängen.
So plötzlich, wie Lilian sich ungewohnterweise zur Wehr gesetzt hatte, genauso rasch schwand ihre neu gewonnene Energie auch schon wieder dahin. Die hatte, da lediglich aus der Verzweiflung geboren, ohnehin auch nur auf tönernen Füssen gestanden.
Schon wenige Augenblicke, nachdem ihr unverhoffter Temperamentsausbruch vorüber war, war Lilian bereits wieder das hilflose kleine Mädchen, das es hinnahm, wenn andere über sein Leben bestimmten.
Beide Eltern Groth, die an ihrer stets folgsamen Tochter eine aufsässige Seite überhaupt nicht kannten, waren diesem Ausbruch mit vor Überraschung geweiteten Augen fassungslos gefolgt. Nach dessen Beendigung reagierten sie nun grundverschieden.
»Das, was du da soeben uns gegenüber an ungerechten Vorwürfen von dir gegeben hast, war nun wirklich die Höhe, Lili!« Werner Groth schnappte empört nach Luft. »Ich will gar nicht von mir reden, aber bei deiner Mutter wirst du dich sofort für diesen Ausbruch entschuldigen!«, verlangte er streng. »Schau dir deine Mama nur an! Du spielst mit ihrer Gesundheit! Ein Leben lang hat sie immer nur dein Bestes gewollt. Und das dankst du ihr nun mit Vorwürfen und Unverschämtheiten! So etwas haben weder sie noch ich verdient.«
Groths Augen sprühten Funken.
»Entschuldigt beide, wenn ich da – ungewollt – wohl ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen bin«, flüsterte Lilian folgsam, obwohl sie wusste, dass sie mit diesen Beschwerden eigentlich schon viel zu lange hinter den Berg gehalten hatte. »Es tut mir echt leid ...«
»Dieser Marco scheint dir ja total den Kopf verdreht zu haben! Es wird allerhöchste Zeit, dass er den Laufpass kriegt«, fauchte der Familienvorstand.
Während dessen Zornesader an der linken Schläfe bedrohlich anschwoll, flüchtete Anna, seine Frau, sich in Tränen. Mit übertriebener Geste griff sie sich ans Herz.
»Das ist nun der Dank dafür, dass wir immer alles für dich getan und eigentlich nur für dich gelebt haben«, jammerte sie. »Wirfst dich nach allem, was du uns da an Gemeinheiten vorgeworfen hast, jetzt auch noch an den Erstbesten weg, der dir über den Weg gelaufen ist. An einen Proleten, der noch nicht mal Tischkultur hat. Und das sollen dein Vater und ich so einfach hinnehmen?«
Lilian hatte sich inzwischen wieder gefangen und sich die letzten Tränen von den Wangen getupft.
»Das behauptest du doch nur, weil Marco neulich bei seinem Besuch unter euren strengen Blicken vor lauter Nervosität die Bestecke für die Vorspeise und den Hauptgang verwechselt hat«, erwiderte sie müde. »Als ob so etwas nicht auch einem weniger Sensiblen hätte passieren können! Irgendwas musste ja schiefgehen – so, wie ihr den verstörten Marco ins Verhör genommen habt.«
»Die Serviette hat er auch zu benutzen vergessen und die Kartoffeln mit dem Messer zerschnipselt«, beschwerte Anna Groth sich verschnupft. »Du hast aber auch ein seltenes Talent, dir immer die falschen Männer auszusuchen, Lili! Und außerdem ...«
Anna Groth hatte noch eine ganze Reihe weiterer Beschwerden parat, jede für sich kaum erwähnenswert. Doch der anklagende Ton, mit dem sie diese vorbrachte, verlieh ihnen Gewicht.
♥♥♥
Lilian zog es vor, nicht länger hinzuhören. Sie kannte sie alle auswendig, die Vorwürfe und Beschwerden ihrer Eltern, die stets so ablehnend reagierten, sobald sie auch nur die Gefahr witterten, ihre Tochter an einen Mann verlieren zu können. An jedem von Lilians wenigen Freunden hatten sie bisher etwas auszusetzen gehabt. Oder sie hatten ihnen, wenn ihnen überhaupt nichts negativ aufgefallen war, Erbschleicherei und Raffgier nachgesagt. Der Mann, den ihre Eltern als möglichen Schwiegersohn akzeptieren würden, den gab es nämlich überhaupt nicht ...
Nach der harschen Kritik nun auch an Marco, mit dem Lilian erst ein paarmal ausgegangen war – lediglich ins Kino, einige Male zum Essen, einmal in ein Open-Air-Konzert – war ihr das nun endgültig klar geworden.