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Sieben Jahre haben sie sich nicht gesehen - und jetzt stehen sie sich plötzlich gegenüber. Robert, Lena und der kleine Junge an ihrer Hand. Es ist eine Begegnung, die süße Erinnerungen weckt und alte Wunden aufreißt. Die Zeit ihrer himmelstürmenden Liebe - und der grausame Moment des Abschieds, der für immer sein sollte.
Jetzt beugt sich Robert zu dem niedlichen Jungen hinunter - und Lena hält den Atem an. Hoffentlich fällt Robert die Ähnlichkeit mit sich selbst nicht auf. Denn dann kommt zu den Erinnerungen und dem Schmerz auch noch eine verhängnisvolle Lüge ...
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Seitenzahl: 112
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Mein Papi ging für immer fort
Vorschau
Impressum
Mein Papi ging für immer fort
Ein Familienroman über falsche Entscheidungen und eine neue Chance
Von Heide Prinz
Sieben Jahre haben sie sich nicht gesehen – und jetzt stehen sie sich plötzlich gegenüber. Robert, Lena und der kleine Junge an ihrer Hand. Es ist eine Begegnung, die süße Erinnerungen weckt und alte Wunden aufreißt. Die Zeit ihrer himmelstürmenden Liebe – und der grausame Moment des Abschieds, der für immer sein sollte.
Jetzt beugt sich Robert zu dem niedlichen Jungen hinunter – und Lena hält den Atem an. Hoffentlich fällt Robert die Ähnlichkeit mit sich selbst nicht auf. Denn dann kommt zu den Erinnerungen und dem Schmerz auch noch eine verhängnisvolle Lüge ...
»Nicht so herumtrödeln, Lena! Zum Träumen haben wir hier keine Zeit. Hast du die Hochzeit der Halderns etwa schon wieder vergessen!?«
Selbst wenn er eine Frage stellte, klang die Stimme ihres Vaters, dem der größte Gartenbaubetrieb in einem Umkreis von nahezu zwanzig Kilometern gehörte, noch wie ein Befehl. Clemens Gröpeling verlangte seinen Angestellten nicht mehr ab, als er sich selbst zumutete. Allerdings war er ein rastloses Arbeitstier, das Müßiggang verabscheute.
Den Erfolg seines Arbeitseifers dokumentierte sein Betrieb, den er aus einer ererbten bescheidenen Stadtrandgärtnerei zu dem ausgebaut hatte, was dieser heute darstellte. Und da seine Tochter Lena, Gröpelings einziges Kind, diesen Betrieb später einmal übernehmen sollte, schonte er auch sie nicht.
Gleichbehandlung für alle, die für ihn arbeiteten, war Gröpelings Devise. Doch gerade weil Lena nach seinem Tod hier einmal die Chefin werden würde, verlangte der Vater von ihr mitunter sogar noch mehr als von seinen übrigen Angestellten.
Nie hätte er auch nur einen Gedanken an die Frage verschwendet, ob er seine Tochter mit dieser strengen Haltung überforderte. Wer jung und gesund war, der konnte –nach Gröpelings Meinung – auch arbeiten. Und seine Tochter war beides, erst neunzehn Jahre jung und gesund dazu. Es war also nur recht und billig, wenn sie sich für das, was ihr einmal gehören würde, auch ins Zeug legte.
Lena hatte es nach dem frühen Tod ihrer Mutter gelernt – lernen müssen –, dass es nervenschonender war, sich den Anordnungen ihres Vaters zu beugen. Sich gegen seine Meinung auch nur ein einziges Mal durchzusetzen, das hatte sie bisher noch nie geschafft. Was zählten für den sechzigjährigen Workaholic schon die Anliegen einer unreifen Heranwachsenden? Und weil sie sich dieser Meinung ihres Vaters bewusst war, deshalb widersprach sie ihm auch so gut wie nie.
Durch ihre negativen Erfahrungen war Lena, die im Alter von knapp fünfzehn Jahren ihre Mutter nach kurzer, schwerer Krankheit verloren hatte, im Laufe der vergangenen Jahre allmählich zu einem immer mehr resignierenden Jasager geworden. Zu einem, der Auseinandersetzungen scheute, seine Meinung lieber für sich behielt und im Übrigen den glücklicheren Jahren nachtrauerte, in denen sich Lena noch mit jedem Kummer zu ihrer Mutter hatte flüchten können. Gerade mitten in der Pubertät steckend, hatte sie sich zu der Zeit weder wie Fisch noch wie Fleisch gefühlt. Fünfzehn Jahre jung, ein Alter, in welchem Mädchen die Mutter, die erwachsene Vertraute, am dringendsten brauchen, die sie auf das Leben vorbereitete.
Und genau zu dieser Zeit war ihr Vater, vor dessen Herrschsucht Lena sich schon immer ein bisschen gefürchtet hatte, ganz plötzlich zum alleinigen Erziehungsberechtigten geworden. Das hatte zu dem denkbar radikalsten Einschnitt in ihrem Leben geführt.
Hatte Lena anfangs noch gehofft, ihrem Vater nach dem Tod der Mutter innerlich nun doch vielleicht ein wenig näher zu kommen, so hatte sie schon bald erkennen müssen, dass das nur ihr eigener frommer Wunsch gewesen war, wohl nicht der ihres Vaters. Der hatte sich nach dem Tod seiner Frau – die der introvertierte Mann sicher auf seine Weise geliebt haben musste, die er aber nie gezeigt hatte – noch mehr in sich zurückgezogen.
Doch das wäre für Lena noch nachvollziehbar gewesen. Was ihr mehr zu schaffen machte, war die Tatsache, dass ihr Vater seit jenem Schicksalsschlag noch strenger geworden war. Er duldete seitens seiner heranwachsenden Tochter nun überhaupt keinen Widerspruch mehr. Ein Zustand, der Lena, um des lieben Friedens willen, dazu zwang, jede eigene Meinung zu verleugnen und nicht einmal mehr zu protestieren, wenn sie sich überfordert fühlte.
Doch als ihr Vater sie heute, kaum, dass sie sich hingesetzt und ihre müden Füße von sich gestreckt hatte, sofort wieder hochscheuchen wollte, da begann sich in Lena nun doch Widerspruchsgeist zu regen. Statt darauf hinzuweisen, dass sie seit dem frühen Morgen nun gerade mal die erste kleine Pause mache, beantwortete sie seine Frage mit einem etwas ironischen: »Wie könnte ich, Papa?« Dabei umspielte ein etwas gequältes Lächeln ihren Mund. In einer Hand noch blassrote Moosröschen, deutete Lena auf eine Anzahl übereinstimmend aussehender geschmackvoller Gestecke, die auf der langen Tischplatte aufgereiht waren. »Du siehst doch, dass ich gerade an der Tischdekoration für die Hochzeit arbeite. Wie könnte ich sie dann wohl vergessen haben?«
»Schon gut«, knurrte ihr Vater. »Aber beeil dich ein bisschen, hörst du? Es gibt heute nämlich noch mehr zu tun. Wenn du die Gestecke und danach den Hochzeitsstrauß fertig hast, dann schaff anschließend die beiden Kränze für die Beerdigung Schäfer zum Friedhof. Den bestellten Blumenkorb zum Achtzigsten von Oma Kroog kannst du auch gleich mitnehmen und ihn der Bestellerin vorbeibringen, auch wenn das nicht auf deinem Weg liegt. Das macht dir doch nichts aus? Ich bräuchte dann niemanden sonst hinzuschicken. Und dann warten auch noch die Sonntags auf die Gewächse für ihren Steingarten. Ich hab' sie schon auftragsgemäß hergerichtet. Damit du die Kästen nicht wieder vertauschst – wie neulich die für die Rabenhausers und die Zankls –, lass ich dir die betreffenden Kästen gleich hierher schaffen. Und dann ... Herrjeh, was war das denn noch, was auch unbedingt noch heute erledigt werden musste!?«
In seiner Verärgerung darüber, dass ihm der momentan entfallene Auftrag nicht sofort einfallen wollte, zog Gröpeling die Stirn in Falten.
»Es hätte mich auch gewundert, wenn das tatsächlich schon alles gewesen sein sollte, was du mir heute noch auftragen willst, Papa«, entgegnete Lena mit beißendem Sarkasmus. »Bis Mitternacht bin ich nämlich noch nicht völlig ausgelastet.«
Gröpeling horchte auf. Diesen beißenden Ton glaubte er seiner Tochter doch schon längst abgewöhnt zu haben? Den sollte sie auch besser schleunigst wieder ablegen, wenn sie keinen Ärger mit ihm kriegen wollte. Doch dann überlegte er, ob Lena möglicherweise gerade ihre Tage hatte. Man sagte ja, dass Frauen in dieser Zeit ein wenig empfindlich sein sollten. Der Verdacht stimmte ihn etwas nachsichtiger. Nun, also dann tat er wohl besser daran, so kleine Bosheiten einfach zu überhören. Nach einer Auseinandersetzung mit seiner Tochter stand Gröpeling im Moment nicht der Sinn.
»Doch, was war's schon für heute«, sagte er gönnerhaft. »Falls jemand nach mir verlangt: Ich geh' zur Baumschule rüber.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den nach frischem Grün duftenden Laden.
♥♥♥
Die zierliche Lena Gröpeling mit den hellbraunen leicht gelockten Haaren, die sich umso stärker kringelten, je höher die Luftfeuchtigkeit in den Gewächshäusern anstieg, saß in ihrem Schlafzimmer vor dem ovalen Kippspiegel, vor dem sich einst schon ihre Großmutter für den Mann ihres Herzens schön gemacht hatte.
Mit kritischem Blick musterte Lena ihr Konterfei. Ihre Augenbrauen zogen sich beim Anblick der vielen winzigen braunen Flecken unwillkürlich zusammen, die sich quer über ihr hübsches Näschen von einer Wange zur anderen zogen. Dass diese Sprenkel Jahr für Jahr in den Sommermonaten deutlicher hervortraten als in der dunklen Jahreszeit, ging ihr mächtig gegen den Strich. Sie überlegte, ob sie sich nicht mal mit einem Hautspezialisten über etwaige Möglichkeiten unterhalten sollte, diese ungeliebten Sommersprossen auszubleichen.
Noch ehe Lena während dieser Überlegung zu einem Entschluss gekommen war, gab sie sich schon einen Ruck. Im Moment hatte sie nicht die Zeit, sich ernsthaft darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie konnte den Verabredungstermin ja jetzt schon nicht mehr pünktlich einhalten.
Damit die Sprossen nicht gar so deutlich aus ihrer porzellanhellen Haut hervorstachen, entschied Lena sich dafür, an diesem Abend ein etwas dunkleres Make-up zu verwenden. Gleich danach gab sie ihren zwar langen, dennoch aber sehr geraden Wimpern mit einer Wimpernzange einen dekorativen Aufwärtsschwung, ehe sie damit begann, sie zu tuschen. Dann zog sie noch sorgfältig ihre Lippen nach und tupfte sich ein paar Tröpfchen Chanel Nº 5 hinter die Ohrläppchen.
Erst ganz zuletzt, als ihre kinnlangen Haare in Form waren und Lena, von ihren Sommersprossen abgesehen, auch sonst einigermaßen zufrieden mit sich war, schlüpfte sie in ein kornblumenblaues Leinenkleid, das ihre Figur wie eine zweite Haut umschloss, nachdem sie den langen Reißverschluss zugezogen hatte. So vollständig angezogen und perfekt geschminkt, huschte sie nun ins elterliche Schlafzimmer hinüber, um dort vor dem großen Ankleidespiegel ihre Gesamterscheinung zu überprüfen.
Lena hätte den großen Spiegel gern für ihr Zimmer gehabt, doch darum wagte sie ihren Vater nicht zu bitten. Abgesehen davon, dass er ihr erlaubt hatte, die Kissen und die Bettdecke von dem zweiten Bett abzuräumen, war in diesem Raum nach dem Tod ihrer Mutter nichts verändert worden.
Ihr Vater hatte gewünscht, dass hier alles so blieb, wie es hier zu Lebzeiten seiner Frau gewesen war. Selbst von den Kämmen und Haarbürsten ihrer Mutter hatte er sich nicht trennen können, und auch die zierlichen Tiegel auf der Frisierkommode hatte sie dort stehen lassen müssen, obwohl deren Inhalt mittlerweile längst ausgetrocknet waren. Der ganze Raum erweckte den Eindruck, als könne ihre Mutter jeden Augenblick zur Tür hereinkommen.
Doch heute kreisten Lenas Gedanken nicht um solch unsinnige Vorstellungen, die gelegentlich noch schmerzten. Im Moment hatte sie allen Grund zur Freude. In weniger als einer halben Stunde würde sie den einzigen Vertrauten wiedersehen, den sie seit dem Tod ihrer Mutter noch hatte: Robert Baumann, der für die Dauer seiner Semesterferien ab dem kommenden Montag wieder im Betrieb ihres Vaters aushelfen würde.
Lena kannte den fünf Jahre älteren Robert, der Architektur studierte, schon von Kindesbeinen an. Die Familie hatte früher in der Nachbarschaft gewohnt. Nach dem Tod von Roberts Vater hatte seine Mutter die große Wohnung aufgegeben und war mit ihrem Sohn in eine kleinere Wohnung in einen anderen Stadtteil umgezogen. Doch dadurch, dass Robert in seinen Semesterferien regelmäßig im Betrieb ihres Vaters jobbte, war der Kontakt zwischen den ehemaligen Nachbarskindern nie abgebrissen.
Und nun war Robert also wieder mal zu Hause. Er hatte Lena angerufen und sich für diesen Freitagabend mit ihr verabredet. Sie wollten sich in einer Eisdiele treffen, in der sie als Kinder oft miteinander gehockt hatten. Ihr Herz klopfte vor Freude schneller, wenn sie an das bevorstehende Wiedersehen dachte.
Lena hängte sich ihre kleine blaue Umhängetasche über die Schulter und lief tänzelnd die Treppe hinab.
In der Haustür stieß sie mit ihrem Vater zusammen, der erst jetzt Feierabend machte.
»Ich hab' dir in der Küche dein Abendessen hergerichtet, Papa«, ließ sie ihn wissen, obwohl er es kurz darauf auch selbst gesehen hätte. Lena drückte sich zwischen Tür und Angel an ihm vorbei und nahm die zwei Stufen zum Hof hinunter mit einem großen Schritt.
»Hast du denn schon gegessen?«, fragte Gröpeling.
»Ich esse in der Stadt. Bin eingeladen«, rief sie über die Schulter zurück, während sie schon aus ihrer Tasche den Wagenschlüssel hervorfingerte.
»Wann kommst du zurück?«
»Kann ich noch nicht sagen, Papa. Kann spät werden. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon heil nach Hause.«
Clemens Gröpeling schaute seiner Tochter nach, vor der jetzt auf Knopfdruck die Garagentür aufschwang. Gar zu gern hätte er sich danach erkundigt, mit wem Lena verabredet war. Aber so fremd, wie sie beide einander im Grunde geblieben waren, traute er sich inzwischen nicht mehr, sich noch allzu sehr in ihr Privatleben einzumischen.
Was er noch vor geraumer Zeit für selbstverständlich, ja, geradezu für das Recht eines Vaters gehalten hatte, stets zu wissen, mit wem seine Tochter unterwegs war, war mittlerweile zu einem Tabuthema geworden. Zusehends mehr war er auf das angewiesen, was Lena aus freien Stücken von ihrem Privatleben preisgab. Wenn es ihm auch noch schwerfiel, sich damit abzufinden, so würde er dennoch wohl oder übel allmählich akzeptieren müssen, dass nicht nur die Kinder anderer erwachsen wurden.
Hoffentlich bringt mir das Mädel wenigstens mal den richtigen Mann ins Haus, wünschte der besorgte Vater.
Unter dem »richtigen« verstand Clemens Gröpeling einen Mann, der seiner Tochter etwas zu bieten hatte. Sie selber würde ja auch nicht mittellos eine Ehe eingehen müssen. Er, der sich aus kleinsten Verhältnissen hochgearbeitet hatte, konnte es sich heute leisten, für seine Tochter eine schöne Mitgift bereitzuhalten. Und nach seinem Tod war Lena sowieso seine Alleinerbin. Um den Betrieb, den er mit Fleiß und unter Verzicht auf vieles, was das Leben lebenswert machte, nicht herunterkommen zu lassen, würde sie einmal einen starken Mann an ihrer Seite brauchen. Einen vor allem, der es nicht auf ihr Geld abgesehen hatte.
Lena war inzwischen in ihr weißes Cabrio geklettert. Weil das Wetter so schön war, fuhr sie mit offenem Verdeck. Ohne den Blick zur Seite zu wenden, hob sie grüßend die Hand, als sie an ihrem Vater vorüber fuhr.
»Servus, Papa.« Sie verließ das Grundstück durch das offenstehende Hoftor und reihte sich rechterhand in den fließenden Verkehr ein.
Als der Witwer das Tor wieder verschließen wollte, war der kleine Sportwagen schon zu einem weißen Punkt zwischen Autos anderer Farben zusammengeschrumpft.
Clemens Gröpeling fühlte sich auf einmal sehr einsam.
♥♥♥
Als Lena die Eisdiele betrat und über die Köpfe der Besucher hinweg suchend ihre Blicke schweifen ließ, erhob sich im hinteren Teil des langgestreckten Raums ein junger Mann mit blondem Bürstenhaarschnitt, der ihr fröhlich zuwinkte.