Frauenwege und Hexenpfade - Uwe Goeritz - E-Book

Frauenwege und Hexenpfade E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

Anfang des 14. Jahrhunderts brach über Europa eine kleine und viele hundert Jahre anhaltende Kaltzeit herein. Nach den warmen Jahrhunderten zuvor kam nun eine Zeit des Hungers und der Unwetter. Unruhen und Krankheiten dezimierten die Bevölkerung Mitteleuropas in einem nie zuvor gekannten Maße. Diese Geschichte handelt in der Zeit von 1321 bis 1337 und erzählt vom harten Wege dreier unterschiedlicher Frauen. Karola, die Nonne, Maria, die Bäuerin und Bärlinde, die freie Frau aus dem Wald, treffen zusammen. Sie vereinigen ihre Kräfte und Fähigkeiten. Sie helfen sich gegenseitig und versuchen anderen Frauen beizustehen. Immer in der Gefahr als Hexen verbrannt zu werden. Die Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29. 11 2016) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Inhaltsverzeichnis

Frauenwege und Hexenpfade

Der Hungerwinter

Abschied für Immer

Ein weiter Weg

An der Pforte des Klosters

Hohe und niedere Damen

Die erste Nacht

Ein Garten voller Kräuter

Schrecken einer Ehe

Neue Aufgaben

Das Elend der Kinder

Ein Winter im Harz

Unerhörte Gebete

Der Tod als Erlösung

Auf der Flucht

Schrecken im Wald

Zeit der Prüfungen

Noch eine Flucht

Dem Licht gefolgt

Neue Lehrstunden

Zwei Kinder

Verfolgungen und Rettung

Drei Frauen im Wald

Gemeinsam alt werden?

Ein Leben ohne Kloster

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Frauenwege und Hexenpfade

Anfang des 14. Jahrhunderts brach über Europa eine kleine und viele hundert Jahre anhaltende Eiszeit herein. Nach den warmen Jahrhunderten zuvor kam nun eine Zeit des Hungers und der Unwetter. Unruhen und Krankheiten dezimierten die Bevölkerung Mitteleuropas in einem nie zuvor gekannten Maß.

Diese Geschichte handelt in der Zeit von 1321 bis 1337 und erzählt vom harten Wege dreier unterschiedlicher Frauen. Karola, die Nonne, Maria, die Bäuerin und Bärlinde, die freie Frau aus dem Wald, treffen in dieser Zeit zusammen. Sie vereinigen ihre Kräfte und Fähigkeiten. Sie helfen sich gegenseitig und versuchen anderen Frauen beizustehen. Immer in der Gefahr, als Hexen verbrannt zu werden.

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Der Hungerwinter

Mit vor Schrecken geweiteten Augen drückte sich das Mädchen mit dem Rücken gegen die Hüttenwand. Sie starrte auf den Vater, der die Mutter immer wieder schlug. Das Mädchen war gerade zwölf geworden und die Älteste von fünf Geschwistern. Schon oft hatte der Vater die Mutter oder sie geschlagen, aber noch nie so, wie dieses Mal. Sie hatte Angst um die Mutter und wagte doch, aus Furcht vor dem Vater, keine Bewegung.

Verstört sah sie die Mutter blutend zu Boden gehend. Der Vater verließ im Zorn die Hütte und nun konnte sie der Mutter endlich helfen. Mit einem Tuch und etwas Wasser wusch sie die Platzwunde über dem Auge der Mutter aus. Immer wieder horchte sie zur Tür und fürchtete die Rückkehr des Vaters. Weit weg war er sicher nicht. Er hatte die Jacke nicht mitgenommen und draußen war es bitterkalt.

Sicher war er nur in den Stall gegangen. Karola, so hieß das Mädchen, setzte die Mutter auf die Bank am Herdfeuer und räumte dann die Scherben der Schüssel weg, die der Mutter zu Boden gefallen war und welche den Wutausbruch des Vaters ausgelöst hatte. Die Mutter war wieder mit einem Kind schwanger und Karola hoffte, dass dem Geschwisterchen durch die Wut des Mannes nichts passiert war.

Sie hatte die Spuren gerade beseitigt, als der Vater zurück in die Hütte kam. Die Arbeit im Stall hatte ihn etwas ruhiger gemacht und doch verschwanden die Kinder lieber in die hinterste, dunkelste Hälfte der Hütte. In ihren zwölf Jahren hatte sie schon einige Hungerwinter erlebt, aber dieser Winter war der Schlimmste, den Karola kannte. An manchen Tagen zog sie die trockene Rinde vom Brennholz ab und kaute stundenlang darauf herum. Das machte zwar nicht satt, aber es gab ihr ein gutes Gefühl. Außerhalb der Hütte lag der Schnee so hoch, dass Karola sich einen Gang hätte graben können und in dieser Höhle zur Nachbarhütte gehen könnte, ohne dass die Sonne sie sehen würde. Nur zwischen Haus und Stall waren Pfade freigeschoben, so dass sie zum angrenzenden Stall hinüber gehen konnten, um die Tiere zu versorgen.

Es war der Winter des Jahres 1321, seit zwei Monaten gab es nur die Hütte und den Stall, sonst nichts. Keine Besuche und keine Ablenkungen. Wenn die Vorräte erschöpft gewesen wären, oder jemand krank geworden wäre, so hätte ihnen erst nach der Schneeschmelze jemand helfen können. Viele Alte und Kinder würden diesen Winter sicher nicht überleben. In einigen Wintern, an die sich Karola noch gut erinnern konnte, war die Hälfte der Kinder des Dorfes gestorben. Man legte sie einfach vor die Tür in den Schnee und wartete bis zum Frühjahr, um sie danach zu beerdigen. Vor allem die kleineren Kinder hatten dem Wetter und dem Hunger oft nichts entgegen zu setzen. Seit ein paar Tagen hustete auch ihr kleiner Bruder, er war erst fünf Jahre alt und doch schien es so, als ob er diese Welt demnächst wieder verlassen würde.

Offensichtlich hatte auch die Mutter das Kind schon abgeschrieben und bemühte sich mit allen Kräften darum, die anderen vier am Leben zu erhalten. Immer geringer wurden die Rationen, die sie jeden Tag zu essen bekamen, aber sie konnten weder ein Schwein noch eine Kuh schlachten. Sie würden die Tiere im nächsten Jahr dringend brauchen. Zu essen gab es also meist nur einen Brei, von dem man nicht genau sagen konnte, was er enthielt. Vermutlich wurde der Anteil von Sägespänen, den die Mutter unter das Getreidemehl mischte, mit jeder Mahlzeit höher. Jeden Tag seufzte die Frau laut, wenn sie in den Vorratsraum ging und in die immer leerer werdenden Säcke schaute. Der Schnee würde sicher noch zwei Monate liegen bleiben. Als das Mädchen noch ganz klein gewesen war, jünger wie ihr Bruder jetzt, da hatte sie sich noch satt essen können. Damals gab es nur ganz wenig Schnee und auch die Ernte war meist gut gewesen. Seit ein paar Jahren aber sah es so aus, als ob Gott sie strafen wollte.

Im Sommer war es viel zu nass, die Ernte verfaulte auf dem Feld, bevor sie diese in der Scheune hatten. Das Vieh schrie im Stall vor Hunger und im Winter lag der Schnee so hoch, dass die Dächer der Häuser unter der Last ächzten. Es blieb nur zu schlafen und sich so wenig wie möglich zu bewegen. Wer in der Kälte aus der Hütte musste, der war schon nach wenigen Augenblicken durchgefroren. Karola begann selbst bei dem Gedanken daran schon zu frieren. Sie kroch auf den Strohsack unter die Decke zu ihren Geschwistern. Ihr Bruder strahlte eine solche Hitze aus, dass es ihr fast zu warm wurde. Seine Stirn war ganz heiß, als sie die Hand darauf legte. Was konnte sie für ihn tun? Nichts! Die Kinder drängten sich ganz dicht an den kleinen Körper und nutzten ihn als Wärmequelle. Schließlich schlief Karola ein.

Als das Mädchen wieder erwachte war ihr Bruder ganz kalt und steif. Sie schrie auf und die Mutter kam zu ihnen an das Bett. Sie zog den kleinen Körper aus dem Bett, drückte ihn noch einmal und brachte ihn nach draußen vor die Hütte. „Ein Esser weniger.“ murmelte sie leise, als sie wieder in die Hütte zurückkam. Der Hunger hatte sie resignieren lassen und sie war vollkommen abgestumpft geworden. Sie war ja wieder schwanger und bei diesem Hungerwinter würde sie das Kind sicher nicht halten können. Vermutlich würde sie es noch vor der Schneeschmelze verlieren und dann draußen zu seinem Bruder vor die Hütte in den Schnee legen. Karola sah die leeren Augen der Mutter und versuchte sie etwas zu trösten, doch Trost war offensichtlich nicht möglich. Die Frau schob das Mädchen einfach zur Seite und begann den täglichen Brei für die Kinder vorzubereiten.

Wenn der Vater nicht im Stall war, so saß er an der Feuerstelle und starrte vor sich hin. Von Zeit zu Zeit blickte er auf und sah seine Familie so an, als ob diese Schuld an dem Winter wäre. Karola versuchte immer einen großen Bogen um den Mann zu machen, doch meist gelang ihr das nicht. Die Hütte war dafür einfach nicht groß genug. An der Außenwand, die dem Feuer am weitesten entfernt war hatte sich innen ein dicker Eispanzer gebildet. Nur am Feuer oder im Bett war es einigermaßen zu ertragen. Karola lief mit einer Schüssel an ihrem Vater vorbei und stolperte, sofort setzte es einen Hieb, obwohl sie die Schüssel sicher festgehalten hatte und nichts passiert war. Einfach nur so.

2. Kapitel

Abschied für Immer

Der Winter war vorbei und es hatte bis Anfang Mai gedauert, ehe der letzte Schnee geschmolzen war. Sie waren nun nur noch drei Kinder in der Familie und auch das Ungeborene hatte die Mutter verloren, weit vor der eigentlichen Zeit. Der geschwächte Körper der Frau hatte das Kind einfach abgestoßen und niemand hatte etwas daran ändern können. In den anderen Familien des Dorfes sah es fast genauso aus. Wie befürchtet waren nur die größeren Kinder am Leben geblieben. Eine der Hütten war unter der Schneelast eingestürzt und dort hatte keiner der Bewohner überlebt. Die späte Aussaat und das schlechte Wetter ließen auch für die Ernte dieses Jahres keine guten Aussichten zu.

Jeden Tag, wenn sie zum Stall ging, schaute Karola nach oben auf die niedrig hängenden Wolken. An den meisten Tagen musste sie im strömenden Regen zum Stall laufen. Das waren zwar nur ein paar Schritte, aber es reichte aus, dass sie vollkommen durchnässt wurde. Jeden Tag ging der Vater auf das Feld und jeden Tag kam er mit schlechterer Laune zurück. Alle in der Familie versuchten ihm aus dem Weg zu gehen und dennoch gab es den einen oder anderen Hieb, selbst für Kleinigkeiten. Die Angst vor der Gewalt hatte in der Hütte Einzug gehalten. Drei Kinder waren sie nun noch. Karola, die älteste, ihre Schwester Gertrut, die acht Jahre alt war und der Bruder Wolfgang mit sieben Jahren. Schweigend saßen sie am Abend, zu der einzigen Mahlzeit des Tages, am Tisch und fast immer standen sie mit knurrendem Magen wieder auf.

Hungrig gingen sie ins Bett und hungrig standen sie wieder auf. An den eingefallenen Wangen der Mutter sah Karola, dass sich die Mutter selbst das Nötigste vom Munde absparte, um es den überlebenden Kindern zukommen zu lassen. Aber der Regen ließ ihnen keine Hoffnung auf einen besseren Winter. Bei den zwei mageren Kühen standen schon die Rippen vor und das obwohl sie nun auf der Weide fressen sollten. Bei dem Regen wuchs einfach fast nichts und so wie die Kinder hatten auch die Tiere Hunger. Wenn aber die Tiere nicht überlebten, so würden auch die Menschen den nächsten Winter nicht überstehen.

Eines Abends legte der Vater fest, dass es viel zu viele Esser am Tisch gab. Er funkelte Karola zornig an und diese schaute betreten auf ihre leere Schüssel herunter. Wollte er sie verheiraten oder verkaufen? Schließlich war sie mit fast dreizehn Jahren in dem Alter, in dem man schon verheiratet werden konnte und da wäre der Vater sie los. Anscheinend war er sich aber noch nicht sicher, wie er die Anzahl der Mäuler verringern wollte und so ließ er seine Familie noch eine Nacht im Unklaren. Erst am nächsten Abend verkündete er, dass Karola in das Kloster gehen sollte. Fast erleichtert atmete sie auf, das war nicht die schlechteste Wahl gewesen. Wenn der Vater sie verkauft oder verheiratet hätte, so wäre es ihr sicher schlimmer ergangen.

Der Abschied wurde noch für die nächste Woche vorgesehen und damit war es entschieden. Einsprüche ließ er nicht zu und es hätte auch, in Anbetracht der Nahrungsknappheit, nichts gebracht. Der Mann war der Herr in seinem Haus und was er sagte, das war Gesetz. Widerspruch wurde mit Schlägen geahndet. Vom Leben im Kloster hatte Karola schon einiges gehört und vermutlich konnte es da nicht schlimmer sein, als hier in dieser Hütte auch. Sicher nur besser. Es kam bestimmt auch auf das Kloster an, in das sie gehen würde. Aber zum Ziel ihrer Reise war noch keine Entscheidung getroffen worden. Für den Weg zu Fuß kamen da nur drei Klöster in Frage. Besser gesagt zwei Klöster und ein Stift. In dem Stift würde sie es sicher am besten treffen und darum betete sie ein stilles Gebet, das der Vater sie in das Stift nach Quedlinburg schicken solle.

Mit Hoffen und Bangen begab sich das Mädchen in das Bett und musste doch noch fast eine Woche warten, bis nach dem Gottesdienst am Sonntag die Entscheidung getroffen werden sollte. Anscheinend wollte der Vater noch den Segen und Rat des Pfarrers einholen. Von nun an betet sie noch viel mehr, vor dem abendlichen zu Bett gehen, vor der kleinen Figur der Maria, die in einer Ecke des Raumes stand. Nun zählte sie die Tage bis Sonntag.

Nach dem Gottesdienst, den sie wie jeden Sonntag in der kleinen Kirche des Nachbardorfes beigewohnt hatten, trat der Vater zum Pfarrer und die beiden Männer redeten lange miteinander. Karola hatte sich in der Nähe vor das Kreuz gekniet und tat so, als ob sie beten würde. In Wirklichkeit hörte sie den Beiden aufmerksam zu, konnte aber nur Wortfetzen aufschnappen. Die anderen Besucher in der Kirche waren einfach zu laut und übertöten damit das Gespräch. Nach unendlichem Warten traten die beiden Männer an Karola heran. Mit gesenkten Blick, wie es sich für ein Mädchen schickte, stand sie auf und wartete auf das Urteil.

Als sie das Wort Quedlinburg hörte wäre sie den beiden Männern fast um den Hals gefallen, sie konnte sich aber gerade noch beherrschen und blickte zum Boden, um die Freude in ihrem Gesicht zu verbergen. Das Beten hatte geholfen! Bereits am nächsten Tag, nach der Arbeit im Stall, sollte sie aufbrechen. Der Pfarrer ging in einen Nebenraum und ließ sie vor dem Altar warten. Nach einiger Zeit kam er mit einem Schreiben zurück, dass er gerade verfasst hatte. Schwarze Kringel auf einem gelben Stück Pergament. Weder Karola noch ihr Vater konnten lesen. „Gib das im Stift ab.“ sagte der Pfarrer und drückte dem Mädchen das beschriebene Blatt in die Hand. Ehrfürchtig schaute sie auf diese Einladung in ein neues, und hoffentlich besseres Leben herunter.

Den ganzen Weg bis nach Hause und die ganze Nacht hütete sie das Blatt wie einen Schatz, denn genau das war es ja auch. Im Kloster würde sie sicher nicht hungern müssen. Hart arbeiten war sie gewohnt und beten konnte sie auch. Was sollte ihr also passieren? Am nächsten Tag verabschiedete sie sich von der Mutter und den Geschwistern, zum Schluss auch vom Vater, der sicher nicht im Traum daran gedacht hatte, dass er mit seiner Entscheidung seiner Tochter damit solch einen großen Gefallen getan hatte.

3. Kapitel

Ein weiter Weg

Sie sah sich nicht einmal um, als sie das Dorf verließ. Nur nach vorn sollte ihr Blick gehen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und wenn sie noch vor der Nacht im Kloster sein wollte, dann musste sie sich beeilen. Der Weg war weit, der Pfarrer hatte ihr den Weg so gut er konnte beschrieben. Es dauerte nicht lang, bis sie in den ersten Regenguss kam, der ihre Sachen fast komplett durchnässte. Das wichtige Schriftstück hatte sie sorgsam eingepackt und sie hoffte, dass es nicht vom Regen durchweicht und somit vielleicht wertlos werden würde. Sie folgte einfach dem ausgefahrenen Pfad, den sie aber noch nie weiter als bis zum Nachbardorf gegangen war. Heute war das anders. Was würde wohl hinter dem anderen Dorf liegen?

Trotz des schlechten Wetters ging sie schnell voran. Wälder, Brücken, andere Dörfer sah sie und hatte doch gar keine Zeit zum Schauen. Würde sie wieder die Gelegenheit haben diese Dörfer zu sehen? Oder würden sich die Tore des Klosters für immer hinter ihr schließen? Sie wusste es nicht, sie wusste nur, dass alles andere besser war, als der Hunger und die Gewalt in dem elterlichen Haus. Diese Zuversicht trieb sie vorwärts, ihrem Ziel entgegen. Andere Menschen kamen ihr entgegen. Manchmal musste sie die Straße verlassen und an der Seite durch den knöcheltiefen Schlamm waten, wenn ein Wagen auf der Straße fuhr, oder ein Bauer ein paar klapprige Ochsen zum Verkauf in das nächste Dorf trieb. Überall abseits der Straße sah Karola, dass die Wiesen und Felder hier genauso aussahen, wie die in ihrem Dorf.

Aus manchem Haus starrten sie hungrige Kinderaugen an. Genau das war es, wovor sie eigentlich floh und was sie immer schneller vorwärts trieb. Weit vor sich sah sie die Spitze einer Kirche über die Bäume ragen. War das schon ihr Ziel? Als sie an einer Waldkante heraustrat, hörte auch der Regen auf. Ringsum dampfte das nasse Gras und vor sich hatte das Mädchen die Mauer einer Stadt. Hier musste sie richtig sein! Die Spitze der Kirche, die auf einer kleinen Erhebung stand, war immer noch deutlich zu sehen und nun ging sie einfach darauf zu. Die Straße führte zu einem Tor, an dem zwei bewaffnete Wachposten standen. „Ist das Quedlinburg?“ fragte Karola, aber keiner der Beiden beachtete das nasse Mädchen. Sie drückte das Wasser aus ihren Haaren und ging einfach an den beiden Wachen vorbei.