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Sechs Jahre ist Henry Evans schon im Pazifik verschollen. Seine Frau Mary hat sich wieder verliebt. Doch wenige Wochen vor der Hochzeit mit dem Schneidermeister Tobin wird dieser erschossen aufgefunden. Für Kommissar Lester sind ihre beiden Verehrer, der Autobuskontrolleur John Gregory und der Lederwarenfabrikant Mr. Cormick, höchst verdächtig. Tatsächlich wird bei John Gregory eine Waffe gefunden. Und auch Cormick scheint bei der Vernehmung äußerst nervös. Die Namen der Lokale, die er in der Mordnacht besucht hat, will er nicht verraten. Bei Tobin werden außerdem lauter Drohbriefe gefunden, die ihn offensichtlich von einer Hochzeit mit Mary Evans abhalten sollten. Eine weitere Spur führt zu dem liebenswürdigen Privatdetektiv Piet Orlans. Piet verrät mit keinem Wort den Auftraggeber, für den er Gregory, Cormick und Mary Evans beobachten lässt. Sogar Tobin wurde nachgespürt. Für Piet arbeiten nicht nur seine vertrauten Mitarbeiter Harding und Boms. Auch seine Schwester Kitty tanzt als verdeckte Agentin im Revuetheater. Plötzlich hat jemand den verschollenen Henry gesehen ... Ein grandioser Fall für den sympathischen Kommissar Lester.-
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Seitenzahl: 272
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Hans Heidsieck
Originalroman
Saga
Im Pazifik verschollen
German
© 1951 Hans Heidsieck
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711508633
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Kommissar Lester trat von dem vor ihm liegenden leblosen Körper zurück. Der Arzt hob die Achseln. „Da ist nichts mehr zu machen“, bemerkte er, „beide Schüsse müssen gleich tödlich gewesen sein.“
Nun untersuchte Lester die Kleider des Mannes. Er fand eine Brieftasche, ein Notizbuch, einen Schlüsselbund und ein Feuerzeug. In der rechten unteren Westentasche steckte Kleingeld. Die Brieftasche barg zwei einzelne Pfundnoten. Die silberne Armbanduhr war ebenfalls noch vorhanden.
„Raubmord liegt offenbar nicht vor“, bemerkte Lester zu seinem Assistenten, dem Kriminalsekretär Dix, der als erster am Tatort erschienen war und die Mordkommission alarmiert hatte. „Sehen wir mal die Papiere durch, die sich hier in der Brieftasche befinden.“
Aus den Papieren gingen der Name und die Anschrift des Toten hervor. Bill Tobin, London-Kennington, Farmers Road 14. Auch der Beruf des Ermordeten konnte festgestellt werden. Er war Schneidermeister.
Während die übrigen Herren der Kommission noch weitere Erhebungen anstellten, begab sich Lester zur Farmers Road. Er klingelte an der Wohnungstür, die durch ein Messingschild: „Bill Tobin, Schneidermeister“, gekennzeichnet war. Eine alte Frau öffnete. Sie sah erregt aus, hatte verweinte Augen.
„Sie wünschen? Kommen Sie von der Polizei? Haben Sie Nachricht von meinem Sohn?“
Lester trat in den dunklen Flur. Die Frau schaltete eine trübe Deckenbeleuchtung ein.
„Sie vermissen ihn?“, fragte der Kommissar. „Seit wann ist er nicht nach Hause gekommen?“
Die Frau wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen.
„Er ging gestern abend, wie jeden Freitag, in sein Stammlokal, — aber er ist bis jetzt nicht zurückgekehrt. Noch niemals kam er nach zwölf nach Hause. Ich bin furchtbar aufgeregt. Es muß ihm etwas passiert sein.“
„Sie haben die Polizei schon benachrichtigt?“
„Ja — — vor einer Stunde. Ich denke, Sie kommen deswegen, Herr Kommissar! — Bitte treten Sie näher! Wissen Sie etwas von ihm?“
Lester räusperte sich. Er trat mit der Frau in die Wohnstube, nahm aber vorläufig nicht Platz.
„Ihre Meldung hat mich noch nicht erreicht“, erwiderte er, „indessen — hm — — vielleicht gestatten Sie mir, einige Fragen an Sie zu richten.“
„Fragen Sie nur. Aber sagen Sie erst, warum Sie gekommen sind, wenn Sie von meiner Anzeige doch noch nichts wußten — —.“
Die Frau blieb aufgeregt vor dem Beamten stehen. Sie zitterte. Sicherlich ahnte sie etwas. Er mochte ihr nicht gleich die Wahrheit sagen. Das erschien ihm zu kraß. Der Blick ihrer Augen war vorwurfsvoll.
„Es haben sich in der vergangenen Nacht viele Unglücksfälle ereignet“, erwiderte er, „ich fürchte, auch Ihrem Sohn ist etwas zugestoßen. Jedenfalls stand er mit auf der Liste — —.“
Die Mutter schrie auf. „Also doch! Sehen Sie — das habe ich schon geahnt, als Sie kamen. Aber nun reden Sie offen. Sie wissen mehr, als Sie sagen wollen. Was ist ihm geschehen? Er ist doch nicht etwa tot?“
Lester wandte sich schweigend ab. Die Frau packte ihn bei den Schultern. „Warum schweigen Sie? Warum schauen Sie mich so verlegen an?“ Sie taumelte rückwärts, ließ sich in einen Sessel gleiten und suchte nach einem Halt. Lester starrte in ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Er spürte selber ein Würgen im Halse. „Frau Tobin“, sagte er, vor sie hintretend, „ich bitte Sie um Verzeihung — aber es muß doch einmal gesagt werden. Ihr Sohn ist das Opfer eines Verbrechens geworden.“
Die Frau sprang hoch, mit flackerndem Blick schaute sie den Kommissar an. „Was — eines Verbrechens?“
„Ja. Er ist erschossen worden. Vor zwei Stunden fand ein Aufseher die Leiche an einer einsamen Stelle des Kennington-Parks.“
Frau Tobin riß sich gewaltsam zusammen. Krampfhaft hielt sie sich aufrecht, nur mit der Linken stützte sie sich auf den Tisch. Sie wollte etwas erwidern, aber ihre Lippen bewegten sich nur, ohne daß ein Wort aus dem Munde kam.
„Vielleicht“, fuhr der Kommissar fort, „können Sie mir Auskunft geben, wer als Täter in Frage kommt.“
Nein, die Frau hatte keine Ahnung. Ihr Sohn war ein solider, ruhiger Mensch, der niemandem etwas zu Leide tat. Feinde? Ihres Wissens hat er keine Feinde gehabt. Oh — wie furchtbar! Ermordet! Vielleicht hatte man ihn bloß berauben wollen.
„Nein“ — erklärte der Kommissar — „ein Raubmord lag eben nicht vor. Jedenfalls ist das kaum anzunehmen.“ Er zählte auf, was man bei dem Toten gefunden hatte.
Frau Tobin mußte sich wieder setzen. Sie hielt den Kopf in die Hände gestützt. Ein Schluchzen erschütterte ihren Körper. Die Schultern zuckten. „Wie furchtbar! Wie furchtbar!“, sagte sie immer wieder, „und gerade in zwei Tagen hat er heiraten wollen.“
„Heiraten?“, horchte Lester auf, „darf ich erfahren, wen?“
„Miß Evans. Ihr Mann ist vor sechs Jahren auf See verschollen. Auf ihren Antrag hin wurde er kürzlich für tot erklärt.“
Der Kommissar machte sich eine Notiz. Er stellte noch einige Fragen. Frau Tobin wollte zu ihrem Sohn. Sie schluchzte jetzt hemmungslos. Lester bemühte sich, sie zu beruhigen. Die Tür öffnete sich. Ein junger Mann schaute herein. Man hatte sein Anklopfen überhört. Es war der Geselle, der mit dem Lehrling zusammen in der Arbeitsstube bisher vergeblich auf das Kommen des Meisters gewartet hatte.
Lester nahm die beiden jungen Leute gleich ins Verhör. Sie konnten keine wichtigen Aussagen machen. Ob der Meister sich in letzter Zeit irgendwie bedroht gefühlt habe? Nein. Er wird sorglos und heiter geschildert. In letzter Zeit war er stets recht vergnügt, was im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit wohl auch verständlich war.
Lester bat den Gesellen, sich der alten Frau anzunehmen und verabschiedete sich, um zu Frau Evans zu gehen.
*
Frau Evans besaß eine kleine Mansardenwohnung, die aus zwei Räumen bestand. Hier hauste sie mit ihrem sechsjährigen Sohn zusammen. Während der letzten Jahre hatte sie sich schlecht und recht mit Näharbeit durchgeschlagen. Vor einigen Monaten lernte sie Tobin kennen.
Tobin wußte sich rasch das Herz der hübschen Frau zu erobern. Jahrelang hatte sie keinen Mann angeschaut, immer noch hoffend, daß ihr Henry wieder irgendwo auftauchen würde. Seit sie mit Tobin bekannt wurde, glaubte sie nicht mehr daran, weil sie es nicht mehr wollte. Es war ja auch eigentlich Unsinn, noch immer auf Henry Evans’ Rückkehr zu warten. Er hatte seinerzeit zu den vier Vermißten gehört, als die „Good Hope“ nach furchtbarer Sturmfahrt durch die Tasman-See beim Kap Farewell kenterte und unterging. Dies geschah gerade in jenen Tagen, als der kleine Fred zur Welt kam. Er hatte seinen Vater nicht mehr kennengelernt.
Während der ersten zwei Jahre nach dieser Katastrophe hatte Frau Evans noch immer geglaubt, daß ihr verschollener Gatte doch wieder auftauchen werde. Aber es kam keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Ein halbes Jahr später erst gab sich eine Gelegenheit, mit einem seiner Kameraden zu sprechen, der damals gerettet wurde. Auf dem Schiff mußten sich entsetzliche Szenen abgespielt haben. Das ganze Oberdeck war zertrümmert, und immer noch fegten schwere Brecher darüber hin. Die Leute hatten sich an den Maststümpfen festgeklammert, selbst die Rettungsboote hatte der Sturm fortgerissen. Von einem solchen Sturm — hatte der Leichtmatrose erzählt — könne man sich hierzulande gar keine Vorstellung machen. „Ja—“, fuhr er fort, „dann gab es plötzlich ein gewaltiges Krachen, die ‚Good Hope‘ war auf ein Riff geschleudert worden und barst auseinander. Uns blieb nichts anderes übrig, als in die schäumende See zu springen. Ein Schiffsjunge neben mir schrie laut auf, dann war er versunken. Auch Evans habe ich noch gesehen, wie ihn eine hohe Welle davontrug. Dann hatte ich genug mit mir selbst zu tun. Später kam es mir wie ein Wunder vor, daß ich mich noch an Land retten konnte. Glücklicherweise brach gerade der Morgen an, und in jenen Gegenden wird es rasch hell. Mit Freudentränen in den Augen umarmten wir uns, als wir dreizehn Geretteten uns dann wieder zusammenfanden. Fünf fehlten. Einer von ihnen tauchte dann auch noch auf. Die anderen vier blieben verschollen. Sie starben wahrscheinlich den Seemannstod.“
Frau Evans war in der ersten Zeit völlig gebrochen. Sie machte sich Vorwürfe, faßte dies Unglück als Strafe des Schicksals auf. Hatte sie ihrem Gatten nicht oft durch ihr unzufriedenes Wesen das Leben zur Hölle gemacht? Ja, sie war einer von jenen unglückseligen Menschen, die immer nur auf die schauten, denen es zufällig besser ging, als ihnen selbst, die niemals mit dem zufrieden sind, was sie besitzen. Solange sie in den Leichtmatrosen Henry Evans noch richtig verliebt war, ging alles gut. Er war ja auch etwas großsprecherisch: in einigen Jahren, behauptete er, werde er es zum Kapitän gebracht haben, und dann gehe es ihnen bestimmt sehr gut. Was könne man während der langen Seefahrt schon viel Geld ausgeben, hatte er damals immer behauptet, na ja, und das Essen und Wohnen hatte man noch umsonst. Oh, man konnte ganz schöne Ersparnisse machen, später würden sie sich ein Häuschen kaufen — —.
Ein Häuschen! Das war auch ihr Traum!
Aber die Wirklichkeit sah doch ganz anders aus, die wollte von solchen Träumen nichts wissen. Es dauerte fast zwei Jahre, bis Henry endlich zum Vollmatrosen aufgerückt war. Nun heirateten sie. Glücklicherweise war er an sich ein sparsamer und solider Mensch. Was er nur irgend von seiner Heuer erübrigen konnte, schickte er seiner Frau, er vertrank nichts, verspielte nichts und vertat auch nichts mit Weibern in fremden Häfen, wie es bei seinen Kameraden üblich war.
Mary Evans hätte also wohl zufrieden sein können. Aber sie haderte immer noch mit dem Schicksal. Dieses einfache Leben, fast immer vereinsamt, da Henry meistens auf See war, behagte ihr auf die Dauer nicht. Kam er einmal auf ein paar Wochen in Urlaub, dann hielt sie ihm dies jedesmal rücksichtslos vor. Wann er endlich Kapitän werden würde?
Ja, ja — Kapitän. So schnell ging das freilich nicht. Dazu müsse er noch eine besondere Ausbildung durchmachen, es gehöre auch Geld dazu, und das besitze er vorläufig nicht.
Hierüber war es gerade vor seiner letzten Ausfahrt zu einem Streit zwischen den Eheleuten gekommen. Warum hatte er ihr das nicht schon früher gesagt? Also noch eine besondere Ausbildung, zu der Geld gehörte! Wie wollte er das denn schaffen?
Er hatte dazu nur mit den Achseln gezuckt und dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife in die Luft geblasen.
Ihre Stimme nahm einen keifenden Ton an. „So einer also bist du! Erst hast du mich mit großen Versprechungen an dich gelockt — und nun? Wir werden wohl ewig in dieser Mistbude sitzen bleiben!“ Damit meinte sie ihre kleine Wohnung, von der die „Villa“ noch immer recht weit entfernt zu sein schien.
Der Streit hatte immer heftigere Formen angenommen, und endlich waren sie tatsächlich ganz im Bösen auseinandergegangen, als er die große Fahrt in den Pazifik antrat.
Bald genug hatte sie ihre heftige Art selber schon wieder bereut. Was half das nun? Es war zu spät! Ein versöhnender Brief, den sie ihm später geschrieben hatte, war nicht mehr in seine Hände gelangt. Und auch von ihm hatte sie keinen Brief mehr erhalten.
*
Die Nachricht vom Tode ihres Verlobten, die ihr Kommissar Lester brachte, nahm Frau Evans zwar auch mit Bestürzung, aber doch etwas gefaßter auf, als die Mutter des so plötzlich Ermordeten. Sie schien bereits mit einer neuen Tücke des Schicksals gerechnet zu haben, das ihr, wie sie behauptete, kein Glück mehr gönnen wollte.
Lester ließ sich von ihr die Geschichte der früheren Ehe und ihrer neuerlichen Verlobung erzählen.
„Also sechs Jahre ist es her, seit Ihr Gatte verschollen ist?“
Sie bejahte.
„Wann lernten Sie Tobin kennen?“
„Vor sieben Monaten. Ich faßte Interesse für ihn. Er hat eine gut gehende Schneiderei.“
„Also kamen Sie zu dem Entschluß, mit ihm eine zweite Ehe einzugehen?“
„Jawohl, schon des Jungen wegen, damit er wieder einen Vater bekommt. Eine Frau allein kann ein Kind doch nicht so gut regieren, wenn es erst größer wird.“
„Ich sehe, daß zu Ihrem Entschluß, Tobin zu heiraten, mehr praktische Gründe maßgebend waren.“
„Mag schon sein“, gab die Frau ohne weiteres zu, „im Grunde genommen kann ich meinen ersten Mann doch nie ganz vergessen.“
„Sie beantragten, daß er für tot erklärt werde?“
„Jawohl, sobald ich mit Meister Tobin einig geworden war. Sonst hätte ich ihn ja nicht heiraten können.“
„Ganz richtig. Wann wollten Sie heiraten?“
„Gerade jetzt — in zwei Tagen.“
„Hm — und gerade jetzt ist er ermordet worden. Können Sie sich das erklären?“
„Nein. Ich bin wie aus allen Himmeln gerissen. Es ist mir ganz unverständlich.“
Kommissar Lester legte sein Notizbuch vor sich hin, drehte nervös spielend den Bleistift. „Wissen Sie, ob Herr Tobin irgendwelche Feinde gehabt hat?“
„Nein. Ich wüßte nicht. Er war ein sehr friedliebender Mensch.“
„Aber Sie haben außer ihm gewiß noch mehr Verehrer besessen.“
„O ja, zwei sogar. Der eine hat mich auch durchaus heiraten wollen.“
„Wer ist das?“
„Mister Cormick, er besitzt eine kleine Lederwarenfabrik.“
Lester schrieb sich den Namen auf und ließ sich die Anschrift nennen. „Halten Sie es für möglich, daß Mister Cormick die Tat begangen hat?“, fuhr der Kommissar fort. Frau Evans schaute ihn einen Augenblick wie geistesabwesend an. Dann schrak sie zusammen. „Was sagten Sie eben? Cormick soll — —?“
„Nun ja — etwa aus Eifersucht. Diese Leidenschaft hat schon manchen Menschen zu unüberlegten Handlungen getrieben.“
„Oh nein — ich glaube kaum. Cormick war stets die Ruhe selbst.“
„Wer war der andere?“
„Welcher andere?“
„Der andere Verehrer. Sie sprachen von zweien.“
„Der andere war ein ehemaliger Freund meines Mannes, ein Mister Gregory, er ist Autobuskontrolleur.“
„Er hat Ihnen auch einen Heiratsantrag gemacht?“
„Nein, dazu ist es niemals gekommen. Das tat nur der andere.“
„Cormick?“
„Ja.“
„Wie standen Sie zu den beiden Männern? Sind Sie öfter mit ihnen zusammengewesen?“
„Früher, ja. Seit ich mit Tobin einig geworden bin, fast gar nicht mehr.“
„Fast — sagten Sie, — also bisweilen doch noch?“
„Ich bin nur mit Gregory noch einige Male ins Kino gegangen. Er wohnt hier gleich um die Ecke. Mit ihm verband mich eigentlich nur ein kameradschaftliches Verhältnis.“
„Mit Cormick war es ernsterer Art?“
„Nein, aber er wollte immer gleich zudringlich werden. Er hat mir auch einen Antrag gemacht.“
„Hat er Ihnen in letzter Zeit auch noch nachgestellt?“
„Er suchte mich vor etwa drei Wochen noch einmal auf, um mich zu fragen, ob mir die Sache mit Tobin nun wirklich ernst sei.“
„Was taten Sie?“
„Was blieb mir anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen? Dann habe ich ihm höflich, aber bestimmt die Tür gewiesen.“
„Wie nahm er das auf?“
„Er sagte kein Wort mehr und ging brummend davon.“
„Irgend eine Drohung hat er nicht ausgestoßen?“
„Nein.“
„Wann waren Sie zum letzten Mal mit Tobin zusammen?“
„Gestern nachmittag noch. Seine Mutter hat uns Kaffee gekocht. Wir besprachen gemeinschaftlich alles wegen der Hochzeit.“
„Wie stehen Sie sich mit ihrer künftigen Schwiegermutter?“
„Mit Frau Tobin? Oh — sie mag mich gut leiden. Wenn sie auch manchmal ein wenig schrullig ist — na ja, das nimmt man schon noch in Kauf. Im allgemeinen ist sie mir recht sympathisch.“
Lester wollte noch vieles wissen. Bis in alle Einzelheiten fragte er die Frau aus. Es dauerte fast eine Stunde, bis er glaubte, sich genügend unterrichtet zu haben. Frau Evans atmete auf, als er sich endlich erhob.
Gegen Mittag kam der kleine Fred aus der Schule zurück. Seine Mutter riß ihn hastig in die Arme, sie weinte plötzlich. Jetzt erst schien sie ganz zu begreifen, was sich ereignet hatte. Nun blieb ihr doch wieder nur dieses Kind. Nein, das Schicksal meinte es wirklich nicht gut mit ihr.
*
Zwei Stunden später klopfte jemand aufgeregt an der Tür. Als Frau Evans geöffnet hatte, trat ihr Gregory entgegen. Der große, stattliche Mann sah blaß aus. Er schien zu zittern. So erregt hatte die Frau ihn noch niemals gesehen. Er sprudelte einige Worte hervor, die sie zunächst nicht verstand. Sie zog ihn ins Zimmer. Der kleine Fred sah ihn groß und verwundert an.
„Sie wollen mir sagen, Gregory, daß Tobin — —.“
„Was Tobin?“, zeigte sich der Kontrolleur verblüfft, „ist ihm was zugestoßen — —?“
„Sie wissen noch nicht — —? Ja — aber warum kommen Sie denn?“
„Reden Sie erst — was ist mit Tobin geschehen?“
„Er ist ermordet worden.“
„Um Gottes willen — ermordet? Woher wissen Sie das?“
„Ein Kommissar von Scotland Yard ist vorhin bei mir gewesen. Hat er Sie noch nicht aufgesucht?“
„Mich? Nein. Ich war nicht zu Hause, ich hatte Dienst.“
„Und weshalb kommen Sie?“
„Weil — ich — — also hören Sie, Frau Evans — — aber erschrecken Sie nicht! Ich habe Henry gesehen.“
Die Frau fuhr zusammen und stieß einen verhaltenen Schrei aus. „Was?“, rief sie, „Henry? Das ist ausgeschlossen!“
„Nein, ich habe ihn mit diesen meinen Augen gesehen. Ich täusche mich nicht. Wenn er auch ziemlich verändert war. Er trug einen Knebelbart —.“
Frau Evans hielt sich an einem Stuhl. Sie zitterte. Ihr Gesicht war rot angelaufen. Sie atmete hastig. „Reden Sie weiter, Gregory, reden Sie ruhig weiter. Ich glaube Ihnen ja doch kein Wort.“
„Sie müssen mir glauben. Es war in der Crays Inn Road, Ecke Theobalds Road, ich war gerade auf einen von mir zu kontrollierenden Bus gesprungen. An der Kreuzung mußten wir halten. Neben mir hielt ein großer Privatwagen. In diesem Wagen saß Henry.“
Die Frau stieß ein heiseres Lachen aus. „Er trug nie einen Knebelbart!“, sagte sie. „Sie haben bestimmt nur einen Mann gesehen, der ihm irgendwie ähnlich sah!“
„So! Warum zuckte er dann zusammen, als er mir zufällig ins Gesicht sah? Und warum blickte er dann betont zur Seite, bis der Wagen wieder anfahren konnte?“
„Das mag ein Zufall gewesen sein. Sie haben geträumt, Gregory!“
„Nein, so etwas träumt man nicht. Gerade wollte ich abspringen und zu ihm eilen, aber es war zu spät.“
„Hahahaha!“ Mary Evans’ Lachen klang schrill und gezwungen, „als ob er nicht sofort zu mir geeilt wäre, wenn er sich hier in London befände! Sie wissen am besten, Gregory, wie sehr mich Henry geliebt hat!“
„Vielleicht hat er Gründe, sich vorläufig nicht zu melden. Und übrigens haben Sie früher immer behauptet, Sie hätten so ein Gefühl, als ob er doch noch am Leben sei.“
„Früher, ja. Da hoffte ich noch. Aber nun ist er auch öffentlich totgesagt worden.“
„Deshalb braucht er es doch nicht zu sein.“
Mary strich sich in einem Anfall augenblicklicher Schwäche über die Stirn. „Wenn Sie tatsächlich glauben, sich nicht geirrt zu haben, Gregory, dann gehen Sie bitte sofort auf die Polizei.“
„Meinen Sie? Aber was soll die da helfen?“
„Vielleicht kann sie feststellen, ob Henry — — aber nein, das ist alles Unsinn. Bedenken Sie bitte, daß viele Menschen einen Doppelgänger besitzen. — Sie sprachen von einem Auto. Haben Sie sich nicht die Nummer des Wagens gemerkt?“
„Ja, natürlich. 73112.“
„Aber dann wird sich ja feststellen lassen, wer in dem Wagen gesessen hat. Die Polizei hat das vielleicht schon in wenigen Minuten heraus.“
„Wozu gleich zur Polizei laufen? Ich werde mich selber erkundigen.“
„Also gut. Tun Sie das. Dann blamieren Sie sich auch nicht so, wenn es ein Irrtum war. Und es war ein Irrtum, das sage ich Ihnen. Aber gehen Sie gleich. Ich bin so aufgeregt.“
„Gut — ich gehe!“
*
Bevor sich Gregory zum Kraftverkehrsamt begab, suchte er seine Wohnung auf, um sich umzuziehen. Er trug noch die Uniform. In dieser wollte er seine Gänge nicht machen.
Zu Hause trat ihm ein Herr entgegen. „Mister Gregory?“
„Ja — bitte — —?“
„Ich muß Sie zu meinem Bedauern für verhaftet erklären.“
Gregory erblaßte. „Wer sind Sie? Aber das ist doch — —.“
Der Beamte zeigte ihm einen Ausweis. Es war Kriminalsekretär Dix. Der Kontrolleur starrte den Ausweis an. Er war wie gelähmt. Der Beamte zog ihn in ein Zimmer, es war das Wohnzimmer des Kollegen, bei dem Gregory zur Miete wohnte.
„Kennen Sie das?“, fragte Dix und hielt dem Kontrolleur einen Browning vor.
„Ja“, gab Gregory zur Antwort, „das ist meine Waffe. Ich bin berechtigt, diese Waffe zu tragen.“
Dix zog das Magazin aus dem Griff. „Hier, sehen Sie! Zwei Schüsse fehlen.“
„Was heißt das?“
„Das heißt, daß erst kürzlich aus dieser Waffe geschossen wurde. Ich habe auch den Lauf bereits untersucht.“
„Ich verstehe Sie wirklich nicht, Sir!“
„Dann muß ich etwas deutlicher werden. Sie haben doch einen gewissen Mister Tobin gekannt!?“
Gregorys Stirn lief rot an. Es hatte ihn wie ein elektrischer Strahl durchzuckt. Also da hinaus lief der Hase! Das war ja wunderbar!
„Sie wollen doch nicht etwa behaupten“, rief er, „daß ich — —.“
Dix verzog keine Miene. Nur die Warze an seinem Kinn schien etwas zu zittern. „Ich bitte Sie, zunächst meine Frage zu beantworten, Herr Gregory!“
„Ich habe Tobin nur zwei- oder dreimal flüchtig gesehen.“
„Sie hatten gestern abend bis zwei Uhr Dienst.“
„Richtig!“, erwiderte der Kontrolleur erstaunt.
„Dann sind Sie am Phoenix-Gaswerk vorbei durch den Kennington-Park nach Hause gegangen.“
„Auch das stimmt. Aber was soll das?“
„Tobin ist heute nacht in demselben Park rücklings erschossen worden.“
„Sie wollen mich also tatsächlich des Mordes bezichtigen?“
„Bezichtigen nicht. Aber der Verdacht ist naheliegend.“
„Nur, weil ich zufällig durch den Park ging?“
Dix klopfte auf den Revolver. „Und das, Mister Gregory! Die beiden Schüsse!“
„Zum Teufel — machen Sie sich doch nicht lächerlich, Herr!“
„Wollen Sie mir erklären, auf was sie geschossen haben?“
„Wenn Sie es durchaus wissen wollen: auf einen Hund!“
„Merkwürdig!“
„Gar nicht merkwürdig. Und übrigens kann ich schießen, auf was ich will!“
„Nein — noch lange nicht, Herr Gregory, noch lange nicht.“
„Zum Beispiel?“
„Auf einen Menschen!“
„Nun hören Sie doch mit dem Unsinn auf. Ich habe Ihnen eben gesagt — —.“
„Sie sind Tobins Nebenbuhler gewesen.“
„Ah! Und da habe ich ihn kurzerhand mit dem Revolver beseitigen wollen! Das haben Sie sich gut ausgedacht, Kommissar. Aber damit sind Sie auf den Holzweg geraten.“
Die Tür wurde leise geöffnet. Eine Frau schaute herein. Es war die Frau des Kollegen. Gregory fuhr auf sie zu. „Kommen Sie nur, kommen Sie herein. Dieser Herr wagt es, mir einen Mord zuzutrauen. Was sagen Sie dazu?“
Die Schaffnerfrau schaute sich ängstlich um. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Dix hatte sie schon vernommen, das wußte aber Gregory nicht. Der packte sie bei den Schultern. „Reden Sie doch — bin ich ein Mörder, was?“
Nun schüttelte sie entschieden den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Das muß wohl ein Irrtum sein.“
Dix nahm ein Stück Papier aus der Tasche und wickelte darin den Revolver ein. „Ich kann mich auf weitere Auseinandersetzungen leider nicht einlassen“, bemerkte er, „kommen Sie mit, Gregory — — es hilft Ihnen alles nichts. Kommissar Lester wartet bereits auf Sie!“
*
„Schreiben Sie weiter, Fräulein: — und erwarten wir Ihre umgehende Zahlung, anderenfalls wir uns zu unserem Bedauern gezwungen sehen — — was ist denn schon wieder los?“
Der Buchhalter hatte die Tür aufgerissen. „Verzeihen Sie, Sir — ein Herr möchte Sie dringend sprechen.“
Cormick erhob sich. „Ein Herr? Verdammt, diese ewigen Störungen! Dringend, hat er gesagt?“
„Ja — dringend.“
„Wer ist es denn?“
Der Buchhalter wurde verlegen. „Ich weiß nicht genau — aber ich glaube — —.“
„Was glauben Sie? Heraus mit der Sprache! Stellen Sie sich doch nicht albern an.“
Der Buchhalter näherte sich seinem Chef und flüsterte ihm etwas zu. Cormick zuckte zusammen. Dann stürzte er aus dem Zimmer.
Im Warteraum trat ihm Kommissar Lester entgegen. Der Lederfabrikant wußte gleich, wen er vor sich hatte. Lester war einer der bekanntesten Kommissare von Scotland Yard. Ob sein Erscheinen irgendwie mit der Ermordung Tobins in Verbindung stand? Die Mittagsblätter hatten den Fall schon gebracht.
„Womit kann ich dienen, Herr Kommissar?“
„Darf ich Platz nehmen?“
„Bitte! — Oh — ich vergaß ganz — — aber nun sagen Sie — —.“
„Sie haben wohl schon die Zeitung gelesen, Herr Cormick?“
„Gewiß. Sie spielen auf den Tod Tobins an?“
„Ja. Ich möchte zunächst gerne wissen, wo Sie sich gestern abend befunden haben.“
„Wie? Gestern abend? Aber das ist ja — — ich war im Theater!“
„Und dann?“
„Dann fuhr ich mit meinem Wagen nach Hause.“
„Direkt?“
„Natürlich.“
„Das stimmt wohl nicht ganz. Sie sind kurz vor Mitternacht noch in der Weinstube ‚Zum guten Tropfen‘ gesehen worden.“
„Dort habe ich aber nur am Schanktisch einen Kognak getrunken.“
„Ja, weil Sie Tobin im Nebenzimmer erblickten, wo er an seinem Stammtisch saß.“
„Wer hat Ihnen das gesagt?“
„Das gehört nicht zur Sache. Wollen Sie etwa abstreiten, daß ich genau unterrichtet bin?“
„Ich staune, Herr Kommissar, aber ich bitte Sie —.“
„Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?“
„Was?“
„Daß Sie noch in dem Lokal waren.“
„Ich dachte wahrhaftig nicht mehr daran.“
„Merkwürdig. Unter den gegebenen Umständen hätten Sie doch daran denken müssen. Was haben Sie nach dem Besuch des Lokals gemacht?“
„Da bin ich wirklich auf schnellstem Wege nach Hause gefahren.“
Lester schaute den Fabrikanten groß an. „So! Dann weiß ich es auch wieder besser. Sie haben den Wagen erst gegen zwei in die Garage gebracht.“
Cormick sprang auf. Er schwankte. Sein breites Gesicht hatte plötzlich alle Farbe verloren. Als er nicht gleich eine Antwort gab, fuhr der Kommissar lächelnd fort. „Ja, ja, mein Lieber, da haben Sie Pech gehabt, daß die Portiersfrau gerade in dieser Nacht von heftigen Zahnschmerzen geplagt werden mußte, so daß sie noch wach war und Sie mit Ihrem Wagen ankommen sah. — Wo befanden Sie sich in der Zeit zwischen zwölf und zwei?“
Der Fabrikant lief erregt hin und her. Er fuhr sich mehrmals mit der gespreizten Hand durch das spärliche Haar. Offenbar wußte er nicht, was er antworten sollte. Endlich bequemte er sich zu sagen, er habe noch zwei, drei andere Lokale besucht.
Lester wünschte die Namen dieser Lokale zu wissen. Cormick behauptete, sie sich nicht gemerkt zu haben, er habe auf gut Glück hier und da vor einer Kneipe gehalten, auch sei er schon etwas beschwipst gewesen.
Der Kommissar gab sich mit dieser fadenscheinigen Auskunft nicht zufrieden. Er wußte sofort, daß sie nicht der Wahrheit entsprach. Weshalb konnte ihn Cormick nicht anschauen? Weshalb lief er so erregt hin und her?
„Sie haßten Tobin!?“, sprang Lester auf ein anderes Thema über. Cormick warf ihm einen giftigen Blick zu. Im Augenblick haßte er diesen Kommissar noch viel mehr. Der schien wirklich alles zu wissen, aber woher nur? Er mußte sehr tüchtig sein. Unter anderen Umständen hätte ihm Cormick seine Bewunderung nicht versagt. Jetzt dachte er nur über seine eigene peinliche Lage nach, und wie er sich da herauswinden sollte.
Er gab keine Antwort. Lester fuhr fort: „Übrigens ist das durchaus verständlich. Ich wäre auf den, der mir meine Geliebte raubt, auch nicht ausnehmend gut zu sprechen.“
Cormick riß sich zusammen. Bisher war ihm alles nur wie ein Traum erschienen. Nun wußte er endlich, was vor sich ging. Eine unerhörte Verdächtigung. „Hören Sie, Kommissar — — reden Sie keinen Unsinn! Sie wollen doch nicht etwa im Ernst behaupten, daß ich irgendwie an der Ermordung Tobins beteiligt bin?“
Es sollte scherzhaft klingen. Lester ging nicht darauf ein. Er erklärte Cormick für verhaftet und nahm ihn mit.
*
Während in Scotland Yard die Vernehmungen ihren Fortgang nahmen, wartete Frau Evans vergeblich auf Gregorys Rückkehr. Statt seiner tauchte ein Kriminalsekretär Dix auf, der wiederum allerlei wissen wollte. Sie würde vor diesen Ausfragereien wohl lange Zeit keine Ruhe haben.
Dix ließ plötzlich einfließen, daß Gregory verhaftet sei. Frau Evans zuckte zusammen, das hatte sie nicht erwartet. Verhaftet? Gregory? Ja, aber — —.
Dix hob bedeutsam die Schultern. „Wer kann wissen! Wir haben einen Revolver bei ihm gefunden — — zwei Schuß waren abgegeben. Auch das Kaliber stimmte.“
Mary bedeckte das Gesicht mit den Händen, es war, als ob sie aufschluchzen wollte. „Nein“, rief sie, „nein, Gregory war es bestimmt nicht. Lassen Sie ihn wieder frei!“
„Er wird sofort freigelassen, wenn er seine Unschuld bewiesen hat. Auch Mister Cormick befindet sich in Haft. Er kommt ebenfalls als Täter in Frage.“ „Mein Gott, mein Gott“, seufzte die Frau, „hätte ich doch nur dem Kommissar nicht diese Namen genannt.“
Dix lächelte. „Oh — — wir würden sie doch längst ermittelt haben. Übrigens hat mich Herr Gregory gebeten, Sie zu benachrichtigen, daß er wegen seiner Verhaftung in der bewußten Sache noch nichts unternehmen konnte. Darf ich fragen, worum es sich dabei handelt?“
Mary blickte verwirrt. „Oh —“, stotterte sie, „nichts Besonderes. Er — er hätte für mich nur eine Adresse feststellen sollen. Ich kann es auch selbst tun. Nicht wahr, Herr — Herr Kriminalsekretär, nach einer Autonummer kann man doch den Besitzer ermitteln?“
Jetzt lachte Dix laut heraus. „Ja, selbstverständlich! Dazu ist sie ja da. Um welche Nummer dreht es sich denn?“
„Ich weiß nicht — ich habe sie nicht behalten. Leider habe ich sie mir nicht aufgeschrieben.“
„Aber Gregory weiß sie?“
„Ja, er nannte sie mir. Vielleicht fragen Sie ihn.“
„Darf ich dann auch gleich für Sie die Ermittlung betreiben? Bei uns geht das sehr schnell. Sie möchten also gern wissen, wer diesen bestimmten Wagen zu laufen hat?“
„Ja.“
„Und warum — wenn ich fragen darf?“
Die junge Frau fühlte sich in die Enge getrieben. Sie hatte schon viel zu viel gesagt. Nun konnte sie nicht mehr zurück. „Also gut“, erwiderte sie, „wenn Sie es durchaus wissen wollen — — eigentlich ist es ja unsinnig, lächerlich geradezu. Gregory will Mister Evans in einem Auto gesehen haben.“
Dix horchte auf. „Was? Evans? Ihren verschollenen Gatten?“
„Ja — nicht wahr — — das kann doch nur eine Sinnestäuschung gewesen sein? Hätte es sich tatsächlich um Henry gehandelt, dann wäre er schon längst zu mir gekommen. Und überhaupt — nein — — vor fast sechs Jahren verschollen — — — und dann sollte er plötzlich hier wieder auftauchen? Ausgeschlossen!“
„Sie hatten seit jener Zeit niemals etwas von ihm gehört?“
„Nein. Vor drei Wochen wurde er offiziell für tot erklärt.“
Dix kratzte sich am Kinn. „Hm — na ja, natürlich — — dann ist es höchst unwahrscheinlich. Trotzdem will ich der Sache mal nachgehen. Man wird ja bald feststellen können, wer in dem Auto gesessen hat. Es wäre immerhin möglich — —.“
„Was wäre möglich?“
„Ach lassen wir das. Wozu sich in Vermutungen verspinnen, die vielleicht vollkommen abwegig sind. — Leben Sie wohl, Frau Evans. Wenn sich irgend etwas Besonderes ereignen sollte, geben Sie uns bitte umgehend Nachricht. Wir werden alles daransetzen, den Mord so rasch wie möglich aufzuklären.“
Mary ging mit zur Tür. „Kann ich Tobin noch einmal sehen?“, fragte sie.
Dix wandte sich zu ihr zurück. „Die Leiche wird morgen in seiner Wohnung aufgebahrt werden“, erwiderte er, „kommen Sie dann dorthin.“
*
Kommissar Lester horchte betroffen auf, als er durch Dix erfuhr, daß Gregory den Verschollenen gesehen haben wollte. Der Kontrolleur wurde gleich wieder vorgeführt. Nach einigem Zögern gab er die Nummer des Autos an.
Lester zog sich mit Dix zurück. Er behauptete, daß diese Geschichte nur eine Erfindung des Kontrolleurs sei, um zunächst den Verdacht abzulenken.
„Dann hätte er uns das gleich sagen können!“, wandte Dix ein.
Der Kommissar strich sich nachdenklich über die Stirn. „Allerdings. Na — forschen wir also nach. Es scheint interessant zu werden.“ Er hob den Hörer des Telefons, ließ sich mit dem Kraftverkehrsamt verbinden. Nach einigen Minuten wurde ihm die gewünschte Adresse genannt: Leo Ardick, Eaton Square 14.
Kommissar Lester begab sich dorthin. Er wurde in eine herrschaftliche Wohnung geführt. Mister Ardick verneigte sich höflich vor ihm.
„Sie sind der Ingenieur Ardick?“
„Jawohl. Was verschafft mir die Ehre, Herr Kommissar?“
„Sie besitzen den Kraftwagen 73 112?“
„Gewiß. Ich besitze sogar noch zwei weitere Wagen, die ich an eine auserlesene Kundschaft vermiete. Wollen Sie meine Berechtigung sehen?“
„Nein, danke. Ich weiß schon. Ich möchte nur gerne hören, wer gestern nachmittag mit dem genannten Wagen gefahren ist.“
„Das kann ich Ihnen gleich sagen. Da brauche ich gar nicht erst nachzusehen. Ein Unbekannter.“
Um Lesters Mund ging ein Zucken. „Wie bitte? Ein Unbekannter? Verstehe ich recht?“
„Jawohl. Er kam wohl auf eine Annonce hin, die ich im Morgenblatt hatte. Einen Namen hat er mir nicht genannt.“
„Trotzdem vermieteten Sie ihm den Wagen? Das begreife ich nicht.“
„Ja, ja, es laufen sonderbare Figuren auf dieser Erde herum“, lächelte Ardick, „der Mann fragte zunächst, wie hoch der Neuwert des Wagens sei. Ich nannte ihm achthundert Pfund. Da legte er eine Tausendpfundnote auf den Tisch, damit ich ganz sicher gehe — — und schob mit dem Wagen ab. Nach dem Mietpreis hat er gar nicht gefragt.“
„Na — und? Ist er wiedergekommen?“
„Jawohl. Als ich heute früh aus dem Fenster blickte, stand das Auto vor der Haustür. Der Herr hat sich nicht wieder blicken lassen.“
„Und die tausend Pfund?“
„Liegen noch wohlverwahrt in meinem Geldschrank. Eine komische Sache, was?“
„War es eine einzelne Note?“
„Ja.“
„Vielleicht ist sie falsch!“
Ardick erblaßte. „Was? Falsch? Auf den Gedanken bin ich noch nicht gekommen.“
„Vielleicht zeigen Sie mir die Note einmal.“
„Gewiß, gewiß. Einen Augenblick, bitte! Ich hole sie sofort her.“