Nur ein Hexenleben ... - Uwe Goeritz - E-Book

Nur ein Hexenleben ... E-Book

Uwe Goeritz

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Beschreibung

Eine einzige Zeile aus einem der ältesten Bücher der Welt hat so vielen den Tod gebracht. In der Bibel, im 2. Buch Mose, steht "Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen." Und zum Ende des 15. Jahrhunderts wurde diese Zeile für tausende Menschen zum Todesurteil. Im Jahre 1486 entstand das Traktat "Der Hexenhammer" oder auch "Malleus Maleficarum" des Domininkanermönches Heinrich Kramer. Dieses Buch, eine Anleitung zum Finden und Auslöschen von Hexen, sollte in den folgenden dreihundert Jahren zehntausende unschuldige Leben fordern, die als Hexen oder Zauberer verbrannt wurden. Quer durch alle Bevölkerungsschichten hindurch wurden, aus einer immer weiter um sich greifenden Hysterie heraus, Männer, Frauen und Kinder grausam hingerichtet. War die Kirche zuvor noch gegen die Verfolgung der Hexen gewesen, so setzte sie nun die Inquisition auf die vermeintlichen Ketzer an. Unter der Folter gestanden viele, ohne jemals etwas Unrechtes getan zu haben. Johannas Mutter war eine dieser Frauen, unschuldig fand sie den Tod, und nun muss das Mädchen versuchen, sich in einer Welt zurecht zu finden, die auch ihr nach dem Leben trachtet. Kann sie den Flammen entkommen? Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29.11.2016) "Frauenwege und Hexenpfade" ISBN: 978-3-7448-3364-6 (27.06.2017) "Die Tochter aus dem Wald" ISBN: 978-3-7448-9330-5 (28.09.2017) "Anna und der Kurfürst" ISBN: 978-3-7448-8200-2 (20.11.2017) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

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Inhaltsverzeichnis

Nur ein Hexenleben

Erlösende Dunkelheit

Verbannung oder Rettung?

Im Auftrag Gottes?

Gottloses Gesindel!

Das Leben muss weiter gehen

Mut oder Übermut?

Südwärts, soweit der Wagen fährt

(K)ein Kinderspiel

Mutter und Tochter

Gesellenjahre

Der rechte Weg?

Furcht

Suchen und Finden

Schimpf und Schande

Ein dunkles Geheimnis

Sünde und Sühne

Meisterschule

Am Ende?

Recht oder Unrecht?

Freundinnen oder Leidensgenossinnen?

Lass ab!

Erntemond

Teufelstanz

Mandragora

Doppelte Strafe

Das Ende einer Jungfrau

Ein kleiner Tod

Aufschlussreiche Post

Einem Bild gefolgt

Schneegedanken

Ketzerische Gedanken

Zwei oder drei Todsünden?

Eine verschwendete Begabung?

Zeugin der Anklage

Meine Schuld?

Ein geheimnisvolles Buch

Neue Liebe

Gartenlehrstunden

Briefe des Herzens

Dunkle Gedanken

Ein seltsames Kraut

Teufelsbalg

Zweifel und Teufelsangst

Ein rachsüchtiger Geist?

Ein Pfahl der Schande

Verdacht und Beichte

Gutes Personal

Der Weg des Schmerzes

Feuer und Wasser

Faustpfand

Die Kosten des Verfahrens

Verlöschendes Licht

Katzenpfade

Verzweifelte Suche

Das Selbe noch einmal?

Gute oder schlechte Nachrichten?

Vorfreude, schönste Freude!

Fieberwahn

Silberne Fessel

Zukunftspläne

Magd und Herrin

Neue Freiheit?

Liebesnot und Todesangst

In dunkle Tiefen

Ende der Gewalt?!

Buch des Schreckens

Zeichen aus der Vergangenheit

Drei Frauen

Eine Erkenntnis

Gerechte Strafe?

Noch ein Buch?!

In Flammen aufgegangen

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Nur ein Hexenleben ...

Eine einzige Zeile aus einem der ältesten Bücher der Welt hat so vielen den Tod gebracht. In der Bibel, im 2. Buch Mose steht „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen.“ Und zum Ende des 15. Jahrhunderts wurde diese Zeile für tausende Menschen zum Todesurteil.

Im Jahre 1486 entstand das Traktat „Der Hexenhammer“ oder auch „Malleus Maleficarum“ des Domininkanermönches Heinrich Kramer. Dieses Buch, eine Anleitung zum Finden und Auslöschen von Hexen, sollte in den folgenden dreihundert Jahren zehntausende unschuldige Leben fordern, die als Hexen oder Zauberer verbrannt wurden. Quer durch alle Bevölkerungsschichten hindurch wurden, aus einer immer weiter um sich greifenden Hysterie heraus, Männer, Frauen und Kinder grausam hingerichtet. War die Kirche zuvor noch gegen die Verfolgung der Hexen gewesen, so setzte sie nun die Inquisition auf die vermeintlichen Ketzer an. Unter der Folter gestanden viele, ohne jemals etwas Unrechtes getan zu haben.

Johannas Mutter war eine dieser Frauen, unschuldig fand sie den Tod und nun muss das Mädchen versuchen sich in einer Welt zurecht zu finden, die auch ihr nach dem Leben trachtet. Kann sie den Flammen entkommen?

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

1. Kapitel

Erlösende Dunkelheit

Das Feuer war so nah, dass es die Tränen des Mädchens auf den Wangen trocknete, nachdem sie herausgelaufen waren. Sie spürte die Hitze im Gesicht und doch konnte sie den Blick nicht abwenden. Den Mund immer noch zum Schrei aufgerissen, sah sie, wie die Flammen die Mutter verzehrten. Keine zehn Schritte trennten sie und wenn der Pfarrer sie nicht festgehalten hätte, so hätte sie sich schon längst in die Flammen gestürzt. Der Mann sagte nur „Sie ist eine Hexe und wir müssen ihre Seele durch das Feuer vom Teufel reinigen.“

Johanna, so hieß das Mädchen, war noch keine zehn Jahre alt und im Moment verlor sie gerade die Mutter. Der Vater, ein reicher Kaufmann, stand unbeteiligt neben ihr und eine Menge Menschen waren nur Schemenhaft neben und hinter ihr zu sehen. Der Schleier der Tränen verzog alle Bilder. Am Anfang hatte die Mutter noch geschrien, doch dann war sie einfach zusammen gesunken. Sie hing, mit einer Kette gefesselt, an dem Stamm inmitten des brennenden Reisigs. Durch die Flammen hindurch konnte Johanna sehen, wie die Feuerzungen begannen das weiße Kleid der Mutter zu verzehren, dann griffen sie auf das lange Haar über und hüllten sie vollständig ein. Johanna konnte den Blick nicht abwenden, denn der Mann hinter ihr hielt ihren Kopf fest. Sie sollte das ganze grausame Schauspiel mit ansehen!

Wie ein glühender Vorhang schloss sich die Flammenwand und Johanna fiel in sich zusammen. Wenn der Pfarrer sie nicht gehalten hätte, so wäre sie vermutlich auf den steinigen Platz vor der Stadtmauer aufgeschlagen, so rutschte sie einfach in sich zusammen. Das letzte, was sie sah, war der starre Blick des Vaters auf die Flammen. Schwärze umgab sie, aber sie war wach. Sie konnte das Prasseln des Feuers und das Johlen der Menschenmenge hören, nur sehen konnte sie nichts mehr. Alles Dunkel um sie herum, wie ein Schutzschild, dass die schrecklichen Bilder von ihr fernhalten wollte. Sie hörte die Stimme des Pfarrers in sich dröhnen „Es ist doch nur ein Hexenleben!“ doch es war das Leben ihrer Mutter, das er damit meinte, und das gerade in den Flammen verging.

So, in der Dunkelheit gefangen, erinnerte sie sich an die Taten der Mutter und die Liebe, die sie von ihr erhalten hatte. An die letzte Woche und an den Prozess, der gerade einmal gestern gewesen war. Ein richtiger Prozess war es nicht wirklich gewesen. Der Pfarrer hatte eine Liste von Untaten vorgelesen und die Mutter hatte sich zu all dem Bekannt. Selbst zu Dingen, die sie unmöglich gemacht haben konnte, doch die Folter, deren Spuren eindeutig zu sehen gewesen waren, hatte die einst so starke Frau gebrochen. In den leeren Augen der Mutter hatte es Johanna gesehen. Was hatten sie wohl mit ihr angestellt? Sicher etwas sehr grausames, denn sonst hätte sie nicht alles zugegeben.

Johanna spürte die Hitze auf ihrem Gesicht und jemand zog sie nach hinten. Es wurde etwas erträglicher, aber das Prasseln des Feuers war immer noch sehr deutlich zu hören. Irgendwann war Stille und der Mann, der sie bisher festgehalten hatte ließ sie los. Auf allen vieren versuchte Johanna sich zu orientieren, doch noch immer konnte sie nichts sehen. Jemand zog sie auf die Füße und hob sie auf. Sie spürte, dass sie jemand auf seinen Händen trug, aber sie wusste nicht wer. „Vater?“ fragte sie, denn das war der einzige, der ihr im Moment einfiel, doch eine andere Stimme antwortete „Nein. Ich bin es, Hans.“ sie stellte sich das Bild des Freundes vor. Er war fünf Jahre älter und groß gewachsen.

„Ich kann nichts mehr sehen!“ sagte sie und er fasste sie nur kräftiger an, damit sie nicht herunter fiel. „Da ist die Tochter von der Hexe!“ hörte sie eine Frau rufen und klammerte sich noch fester an den Hals des Freundes fest „Bringe mich nach Hause.“ flüsterte sie und nun konnte sie auch nichts mehr hören. Sie verlor das Bewusstsein.

Schreie weckten sie wieder, doch es waren die Schreie der Mutter, die immer noch in ihren Ohren hallten und dagegen half das Zuhalten der Ohren nicht. Immer noch war es dunkel um Johanna herum, es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es einfach mitten in der Nacht war. Nach einer kurzen Zeit hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt und sie sah einen verschwommenen silbernen Schein. Der Mond ließ sein Licht in ihr Zimmer gleiten. Sie setzte sich in ihrem Bett auf und dachte an die Mutter, die sie nun nie mehr wiedersehen würde. Tränen stiegen ihr in die Augen und verschleierten ihren Blick erneut.

Johanna wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab und stand auf. Leise ging sie durch das dunkle Haus. Es war still hier überall. Sie fragte sich immer noch, warum die Mutter so schrecklich sterben musste. Eine Hexe war sie sicherlich nicht gewesen. Warum also dieser Tod? Aber wen konnte sie fragen? Den Vater sicher nicht, so wie er dort gestanden hatte. Vielleicht die alte Amme? Sie kannte Gundel schon so lange sie lebte und die alte Frau wusste sicher besser als jeder andere Bescheid, was mit der Mutter gewesen war, denn irgendwie waren die beiden Frauen Freundinnen gewesen, auch wenn das eigentlich nicht ging. Die reiche Kaufmannsfrau und die arme Amme!

Johanna stand wenig später vor der Tür der Frau und legte die Hand auf die Klinke. Sollte sie einfach eintreten? So mitten in der Nacht? So wie früher, wenn sie einen schrecklichen Traum gehabt hatte und zur Amme gelaufen war? Auch diesmal war es ein schrecklicher Traum gewesen, aber aus diesem hier konnte man nicht so einfach aufwachen. Konnte sie da wirklich Trost finden? Die Mutter war tot und sie würde nicht mal an ihrem Grab weinen können, da man Hexen ja kein Grab zugestand. Damit war aber auch ihre Auferstehung am Tag des Jüngsten Gerichtes unmöglich. Sie würde die Mutter niemals wieder sehen! Weder hier in diesem Leben, noch im Jenseits!

Erst jetzt, in diesem Moment, wurde ihr die ganze Tragweite des Urteils so wirklich bewusst. Sie rutschte in sich zusammen und drückte dabei die Klinke nieder. Die Tür schwang auf und Johanna fiel in das Zimmer der Amme hinein. Mit einem dumpfen Geräusch schlug sie auf dem Boden auf und war schon wenig später von der alten Frau aufgehoben und in das Bett zurück gebracht worden. Gundel begann ein Schlaflied zu singen, aber das einzige, was Johanna im Moment nicht wollte, war schlafen. Die Träume würden sicher wieder zurückkommen. Sie schloss die Augen und lauschte der Melodie. Krampfhaft versuchte sie wach zu bleiben.

2. Kapitel

Verbannung oder Rettung?

Es war ein grausames Schauspiel gewesen, das die ganze Bevölkerung von Leipzig mit ansehen musste. Jeder, der sich abwenden würde oder ohne Grund fernbleiben würden, der würde sich verdächtig machen und sicher als nächster auf diesem Platz stehen. Er war gerade erst fünfzehn, aber diese Art von Hinrichtungen war ihm wohlbekannt. Er konnte nicht mehr zählen, wie viele er hier schon gesehen hatte. Mochten es vielleicht schon zwanzig oder mehr gewesen sein, in seinem Gedächtnis blieben nur die Schreie der Frauen. Diesmal hatte es die Mutter seiner Freundin Johanna getroffen. Keiner in der Stadt konnte sich erklären warum, aber niemand zog das Urteil des Pfarrers in Zweifel. Es war einfach zu gefährlich!

Hans hatte nicht weit von Johanna gestanden und zusehen müssen, wie der Pfarrer sie festhielt und sie zwang zuzusehen, wie die Flammen vor ihr loderten. Erst als der Mann das Mädchen losließ, konnte er sie auffangen und nun trug er sie zurück zu ihrem Haus. Sie waren die Ersten gewesen, die sich vom Platz entfernten und im Moment war es ihm völlig egal, was der Pfarrer darüber dachte. Er hatte wohl den stechenden Blick des dicken Mannes in seinem Rücken gespürt, als er, mit dem fast ohnmächtigen Mädchen auf den Armen, die Richtstätte verlassen hatte. Eigentlich war es zu gefährlich, diesen Mann zu verärgern, aber die Freundin war in Not. Da musste er handeln! Um sich selbst machte er sich keine Sorgen.

Die machte er sich um Johanna. Er hatte ihren Vater gesehen, der immer noch mit versteinertem Blick dort an derselben Stelle stand, an der er die ganze Zeit schon gestanden hatte. Nicht einen Finger hatte er gerührt, um seine Frau zu retten. Und das, obwohl er im Rat der Stadt war und damit einen erheblichen Einfluss gehabt hätte. Als reicher Händler und Kaufmann wäre es ihm sicher ein Leichtes gewesen, seine Frau aus den Händen des Pfarrers und der Inquisition zu retten. Warum hatte er es nicht getan? Wovor hatte der Mann eine solche Angst? Hans wusste es nicht und er hätte den Mann auch nicht fragen können, zumindest nicht im Moment, das hätte den Pfarrer nur noch mehr auf ihn aufmerksam gemacht.

Das Mädchen klammerte sich an ihn und er sah ihre Augen, er hörte sie leise sagen, dass sie nichts mehr sehen konnte, aber vielleicht hatte ihre Seele sie einfach vor diesen schrecklichen Bildern schützen wollen. Mit ihr auf den Armen ging er die Straße entlang. Es war heller Tag und doch waren sie alleine, die anderen waren sicher noch auf dem Platz und keiner würde gehen, bevor der Pfarrer nicht gegangen war. Nach einigen hundert Schritten stand er vor Johannas Haus. Das Mädchen schien jetzt zu schlafen, sie hatte die Augen zu und atmete ganz ruhig. Der Junge setzte sich auf einen Stein neben dem Hofeingang. Immer noch hielt er das Mädchen und wollte sie nicht aus den Händen geben.

Er wiegte sie, wie man ein Kleinkind hielt, aber nicht, wie ein fast zehnjähriges Mädchen. Immer wieder zog er sie an seinen Körper und dachte an die Bilder, die er zuvor gesehen hatte. Die Flammen und Johannas Mutter. Er kannte die Frau gut, oder besser gesagt: er hatte sie gut gekannt. Sie war gütig und gerecht gewesen und niemals eine Hexe. Vor ihm kamen einige Frauen schwatzend die Straße herunter und schauten gehässig auf das schlafende Mädchen in seinen Armen. Dann kam Johannas Vater und Hans stand auf, aber der Mann ging vorbei, ohne die beiden eines Blickes zu würdigen. Vor der Nase von Hans fiel das Hoftor wieder zu und er stand wie vom Donner gerührt dort. Erst die Amme, die wenig später kam, ließ ihn in das Haus. Er wollte Johanna nicht an die alte Frau übergeben, sondern brachte sie selbst in ihr Bett. Die Amme deckte fast liebevoll ein Tuch über das Mädchen und er nickte ihr zu.

Danach verließ er das Haus und traf vor der Tür mit dem Pfarrer zusammen. Ob dieser gerade erst die Straße herab kam, oder dort gewartet hatte, konnte Hans nicht sagen. Mit ein paar bewaffneten Männern stand dieser dicke Mann in seiner Kutte da. Er funkelte Hans an, dass diesem ein kalter Schauer über den Rücken lief, aber der Mann sagte nichts. Fast körperlich konnte Hans die Abschätzung des anderen Mannes sehen. Dann kam sein Vater, ein angesehener Meister seiner Zunft, und zog den Jungen zur Seite. Damit rettete er ihm vermutlich vor einer direkten Strafe, aber nun war klar, dass Hans damit auf der persönlichen Feindesliste des Pfarrers stand.

„Was hast du dir dabei gedacht? Konntest du nicht noch ein paar Augenblicke warten?“ schimpfte der Vater und als Hans mit einer Erwiderung beginnen wollte, schnitt er dem Jungen mit einer Handbewegung das Wort ab. „Ich glaube, du bist alt genug, um im Süden in die Lehre zu gehen. Morgen früh brichst du auf.“ sagte der Mann mit einem Gesichtsausdruck, der keine Widerworte duldete und ein bisschen Abstand zum Pfarrer konnte im Moment sicher nicht schaden. Nur dass er damit Johanna hier zurücklassen musste, das gefiel Hans gar nicht.

Am nächsten Morgen drückte der Vater ihm ein Bündel Werkzeug in die Hand und setzte ihn auf einen Wagen, der die Stadt in südliche Richtung verließ. Er hatte sich nicht einmal von Johanna verabschieden können. Er fragte sich, wie es der Freundin wohl jetzt gerade ging? Vermutlich nicht so gut! Noch lange schaute er aus dem Wagen zurück, auf die sich immer mehr entfernende Stadt, dann wendete er sich nach vorn und sah die Bäume des Walds rings um den Wagen. Das Grün schloss sie vollkommen ein. Vielleicht war es ganz gut, dass er nun dem Pfarrer nicht mehr unter die Augen treten konnte.

Sicher stand er nun ganz oben auf der Liste des dicken Mannes und so ein bisschen Abstand würde seinem Leben sicher gut tun. Hans wickelte die Tasche auf, die ihm sein Vater gegeben hatte. Das Schnitzerwerkzeug darin war gut gewählt und scharf. Im Süden sollte er, wie sein Vater, das Schnitzen von Altären und Heiligenfiguren lernen.

Eine Tätigkeit, die ihm schon seit Kindestagen, die ja noch nicht so lange her waren, gefiel. Er hatte dem Vater schon so manches Mal helfen und bei der Arbeit über die Schulter schauen können. Wie würde es nun weiter gehen?

3. Kapitel

Im Auftrag Gottes?

Siegbert kannte Karl sehr gut, und auch dessen Frau war ihm gut bekannt gewesen. Auch wenn der andere im Rat saß, und er nur ein Handwerker war, hatte es doch eine Freundschaft zwischen den beiden Männern gegeben. Auch die beiden Kinder hatten sich gut miteinander verstanden, daher konnte er seinen Sohn Hans schon verstehen, dass er sich um Johanna gekümmert hatte, doch es war viel zu riskant gewesen. In der derzeitigen Situation konnte ein falsches Wort, eine falsche Bemerkung, schon den Tod bedeuten. Er musste dem Wüten des Pfarrers zusehen und konnte doch nichts tun. Er fühlte sich so Ohnmächtig, beim Anblick der Gewalt, doch wenn er auch nur ein Widerwort gesagt hätte, so wäre er sicher am nächsten Tag tot.

Er hatte das Funkeln in den Augen des dicken Mannes gesehen, als sich Hans so früh von der Richtstätte entfernt hatte, und auch danach, bei der Begegnung auf der Straße, war es ihm aufgefallen. Aus irgendeinem Grund hatte der Pfarrer Hans nicht sofort zur Rechenschaft gezogen, aber das würde sicherlich noch kommen. Wenn er den Sohn nicht verlieren wollte, so musste er ihn nun zu seinem alten Meister nach München schicken, damit er dort das Schnitzerhandwerk erlernen konnte. Eigentlich wollte er sich damit noch ein Jahr Zeit lassen, doch die Ereignisse des Tages hatte ihn zu einer schnellen Reaktion gezwungen. Auch wenn Hans es im Moment vielleicht noch nicht verstehen konnte, so tat er doch alles nur, um den Schaden von ihm abzuwenden, den das voreilige Handeln des Sohnes heraufbeschworen hatte.

Als Hans endlich im Wagen war und dieser dann die Stadt verlassen hatte, konnte Siegbert aufatmen. Die Gefahr war vorerst gebannt. Und als dann wenig später die Stadtwachen bei ihm eher unsanft vorsprachen, hatte er die Gewissheit, das Richtige getan zu haben. Ihm selber konnte der Pfarrer nichts tun, solange sein Altar noch nicht fertig war. Und solange er an den Heiligen schnitzte, konnte man ihm ja auch keine Ketzerei unterstellen, schließlich tat er ein gottgefälliges Werk. Er war sozusagen im Auftrage Gottes unterwegs, was er von dem Pfarrer nicht behaupten konnte. Zu viele Menschen waren in der letzten Zeit durch seine Beschuldigungen zu Tode gekommen, als dass es alles Ketzer sein konnten. Doch es war gefährlich diese Meinung jemanden anderen zu erzählen. Selbst wenn der Andere einen nicht verraten wollte, unter der Folter gestand man sicherlich alles Mögliche.

Zu schrecklich waren die Gerüchte und zu furchtbar die öffentlich, im Namen Gottes, durchgeführten Hinrichtungen. „Es ist doch nur eine Hexe und wir müssen ihre Seele vor dem Einfluss des Teufels retten!“ war die Meinung des Pfarrers, die keinen Einspruch duldete, wollte man nicht selbst dort stehen. Wer eine Hexe verteidigte oder gar vor dem Pfarrer versteckte, der war selbst mit den dunklen Mächten im Bunde und gegen den war es vollkommen legitim, ihm mit Gewalt entgegen zu treten. Vielleicht ging es dem Pfarrer darum, vor seinem Bischof besonders gut dazustehen, indem er besonders streng mit der Auslegung des Glaubens war, oder es ging dem Mannes nur um das Eigentum der Ketzer, das dann der Kirche zufiel, wenn die Ketzer verurteilt waren. Aber auch das waren eigentlich ketzerische Gedanken und schon solch ein unbedacht ausgesprochenes Wort konnte den Tod bedeuten.

Nachdem die Soldaten unverrichteter Dinge wieder gegangen waren, brach er selbst mit seinen Gesellen auf, um in der Kirche weiter zu arbeiten. Als er das Gotteshaus betrat, war es schon ein komisches Gefühl, dass er doch hier an diesem Altar arbeitete, für einen Mann, der nach dem Leben seines Sohnes trachtete. Aber für Siegbert war es mehr als eine Arbeit. Dies hier war ein Zeichen zu Ehren Gottes. Eines gütigen Gottes, nicht eines wütenden und mit Flammen mordenden. Jedes Mal, wenn er an dem Altar weiter schnitzte, zog er mehr aus den Zügen der Heiligen heraus, er legte das Leid in das Gesicht Jesu. Ein Mann, der, wie er auch, Handwerker gewesen war. Ein Mann, der ihn sicher verstehen würde. Siegbert konnte sich nicht vorstellen, dass diese Ketzerjagd im Sinne Gottes war. Was war wohl der rechte Glaube? Sicher nicht das, was der Pfarrer dafür hielt.

Als Handwerker hatte er nicht wirklich einen Bezug zu Religionsfragen, aber er hatte einen gesunden Menschenverstand. Mit dem Fliegen der Späne verschwanden auch die düsteren Gedanken, er ging ganz in seiner Arbeit auf. Es würde sicher noch einige Wochen dauern, bis der Altar soweit fertig sein würde. Seltsam fand er es nur, dass der Pfarrer darauf bestanden hatte, dass sie den Altar hier direkt in der Kirche fertigen sollten, und nicht, wie bei all den anderen Heiligenfiguren zuvor, in ihrer Werkstatt. Aber das Werk hier in diesen heiligen Räumen machte eine besondere Stimmung aus. Durch Tücher von dem Chorraum abgeschirmt, arbeiteten sie direkt zwischen dem alten Altar und der Wand der Kirche.

Nur in den Zeiten der Andacht und der Gottesdienste schwiegen die Werkzeuge, doch da waren die Männer ja sowieso vor den Tüchern und saßen betend in den Bänken. Ein Fehlen konnte dabei genauso gefährlich sein, wie ein falsches Wort. Die Angst war bei jedem fast greifbar zu spüren, aber sollte dies hier nicht ein Haus der Freude sein? Ein Haus des Dienstes an Gott? Siegbert beschloss diese lähmende Angst abzulegen, sie würde ihn bei seiner Arbeit nur behindern. Aber konnte das wirklich gehen? Machte er sich da nicht etwas vor? Wenn selbst die Frau eines angesehenen Ratsherrn nicht vor der Nachstellung des Pfarrers gefeit gewesen war, um wieviel größer war dann die Gefahr für einen einfachen Handwerksmeister? Im Moment war er durch seine Arbeit geschützt, aber was wäre in ein paar Wochen? Immer wieder die gleichen Gedanken! Es war, als ob sich in seinem Kopf ein Rad drehte, das die Gedanken immer wieder nach vorn brachte.

Ob diese Gefahren überall so waren? Vielleicht sollte er nach dem Abschluss der Arbeiten einfach zur nächsten Stadt wechseln? Was hielt ihn hier noch? Jetzt, da sein Sohn fort war, konnte er mit seinen Gesellen einfach an einen anderen Ort weiterziehen. Vielleicht nach Dresden? Oder nach Quedlinburg? „Irgendwo werden immer gute Handwerker beim Kirchenbau gesucht.“ Sagte er laut vor sich hin und griff zu seinem Hammer. Das ihn der Pfarrer hätte hören können, das war ihm im Moment egal. Frohen Mutes ging er wieder an die Arbeit.

Die neugierigen Blicke des Pfarrers, der aller paar Minuten hinter das Tuch sah, versuchte er zu ignorieren. Er machte mit seiner Arbeit weiter. Nun begann er das Gesicht von Maria zu gestalten, die den sterbenden Jesus in ihren Armen hielt.

4. Kapitel

Gottloses Gesindel!

Er öffnete die Augen und sah zur Decke hinauf. Neben ihm schliefen zwei Frauen und eine davon schnarchte leise. Draußen war es noch dunkel, das konnte er durch die Butzenglasscheibe sehen, die in seinem Zimmer genau dem Bett gegenüber war. Er dachte zurück an den vergangenen Abend und stemmte sich in dem Bett hoch. Dabei weckte er die beiden schlafenden Mägde und warf sie einfach aus seinem Zimmer. Schnell ihre Sachen aufnehmen rannten die Beiden aus dem Raum, sie wussten wohl, dass er mit sich nicht spielen ließ. Er rief nach seinem Diener und der brachte ihm die Kutte, die sein Amtsgewand war. Mühsam streifte er diese schlichte Kleidung über seinen fülligen Leib, dann setzte er sich an den Tisch und wartete auf sein Frühmahl.

Er musste eine ganze Weile warten und wurde langsam zornig, aber die beiden Frauen, die es zubereiteten, waren ja gerade erst aus seinem Bett gesprungen. Es war der Sommer des Jahres 1479 und eigentlich hätte er mit sich selbst zufrieden sein können. Sein Bischof war bereits auf ihn aufmerksam geworden und würde sich, da er schon ziemlich alt war, bald um einen Nachfolger für sein Amt umsehen müssen. Dabei war natürlich jede positive Meldung bares Geld wert und so hatte er sich in den letzten Jahren einen Namen als glühender Verfechter des Glaubens gemacht. Auch wenn er das nur nach außen war. Nach innen hin sah es ganz anders aus. Er hielt sich nicht an sein Keuschheitsgelübde, aber das machten die anderen Geistlichen auch nicht. Selbst der Bischof hatte ein paar Mätressen und es war auch kein Geheimnis.

Seit ein paar Jahren war er nun auch noch ein Bekämpfer der Ketzer geworden, dabei hatte damals alles so harmlos angefangen. Er hatte von einer Bäuerin eine Beschuldigung einer anderen Frau gehört, dass diese eine Hexe sei. Er war dieser Sache damals unnachgiebig und entschlossen nachgegangen und hatte damit die Aufmerksamkeit der Kirchenoberen auf sich gezogen. Im Laufe der Nachforschungen wurden es immer mehr Hexen! Er konnte hinschauen, wo er wollte und fand eine Hexe! Nach der Aufforderung der Bibel „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“ setzte er jetzt alles daran, diese Zauberinnen und Buhlinnen des Teufels auszumerzen, aber es schienen immer mehr zu werden. Mit jeder, die er auf den Scheiterhaufen brachte, wurden es ein paar mehr. Es war alles ein gottloses Gesindel rund um ihn herum!

Dabei konnte er sich auch auf das alte Recht des um 1224 von Eike von Repgow niedergeschriebene „Sachsenspiegel“, das im ganzen Lande Gesetz war, berufen, das den Feuertod für Zauberei und Ketzerei vorsah. Damit musste er kein Gericht anrufen, sondern konnte selbst das Urteil finden. Niemand würde ihn daran hindern, der nicht selbst im Feuer enden wollte. Der alte Richter bestätigte alle seine Urteile. Schließlich war der ja für die Hinrichtung zuständig, die konnte er, als Pfarrer, nicht übernehmen. Das oblag der weltlichen Gerichtsbarkeit, doch er hatte den alten Mann im Griff. Ein Blick und der Richter unterschrieb das Urteil. Der Pfarrer sah zum Fenster hinaus, auf die Spitze seiner Kirche.

Da er ursprünglich mal ein Mönch des Dominikanerordens war, pflegte er noch immer gute Beziehungen zu einem Kloster dieser Mönche. Dabei hatte er Kenntnis von einem Mönch Namens Heinrich Kramer erhalten, der in diesem Jahr zum Inquisitor der Ordensprovinz Alemannia bestellt worden war. Gemeinsam mit diesem Mann war auch ihm die Verfolgung aller Ketzer als oberste Priorität gesetzt. „Schlage die Hexen, wo immer du sie findest.“ So lautete sein neuer Grundsatz. Und dem wollte er mit allen Mitteln nachkommen. Gleichzeitig hatte das Ganze aber auch noch einen lukrativen Nebenaspekt: durch die Verfolgung der Hexen fiel deren Vermögen an die Kirche und das wiederum stärkte den finanziellen Rückhalt des Pfarrers bei seinen Vorgesetzten.

Mit anderen Worten: je mehr Hexen, desto besser waren seine Aufstiegschancen. Doch wie sollte er die Hexen erkennen? Momentan war er da noch auf die Denunziationen der Anderen angewiesen, oder auf die Geständnisse der Hexen. Unter der Folter erzählten sie oft so furchtbare Geschichten, dass selbst ihm eine Gänsehaut auf dem Rücken zurück blieb.

Manche von ihnen verrieten dabei auch andere Hexen, die mit ihnen zusammen auf den Blocksberg geflogen waren. Sie erzählten, wie sie sich mit dem bocksfüßigen Teufel gepaart hatten und wen sie verhext oder verflucht hatten. Viele Missernten und Todesfälle ringsum gingen anscheinend auf ihr Wirken zurück.

Gleichzeitig hatte er damit aber auch die Möglichkeit unliebsame Menschen zu eliminieren. Jeder, den er aus dem Weg haben wollte, konnte nach ein paar Augenblicken Befragung nicht mehr lügen und gestand alles, was er sich nur vorstellen konnte. All dies ging ihm durch den Kopf, während er ein gar fürstliches Mahl zu sich nahm. Die Sünde der Völlerei war ihm zwar bekannt, aber auch diese nahm er gern in Kauf. Als er vom Tisch aufstand, stürzten sich die beiden Frauen auf die liegen gebliebenen Reste. Belustigt schüttelte er den Kopf und ging zur Messe in die Kirche hinüber. Auf dem Weg dahin sah er einige Menschen, Männer und Frauen, und versuchte in ihren Augen zu lesen, wer eine Hexe war und wer nicht. Er dachte an den Jungen, der am Vorabend zu früh verschwunden war und winkte eine Wache zu sich. Er gab den Männern den Auftrag, den Jungen zu ihm zu bringen und die bewaffneten Kämpfer entfernten sich schnell.

Das Hämmern aus der Kirche zeugte vom Umbau. Die eingenommenen Gelder wollten gut angelegt sein. Eine heilige Reliquie war schon bestellt und würde in den nächsten Tagen eintreffen. Bezahlt mit den Geldern einer Hexe. Seine Kirche würde damit bestimmt zu einem Wallfahrtsort werden und das würde wieder viele Spenden für seine Kirche bedeuten. Er ging hinter den Vorhang, der die Umbauarbeiten vor den Besuchern verbarg und betrachtete den Altar. Die Figuren waren sehr schön gestaltete und es war eine Freude sie anzusehen. Das Geld für den Altar war gut angelegt, er hatte einen Meister seines Faches beschäftigt. Er sah dem Manne über die Schulter, der gerade am Rande des Altars die Szene gestaltete, in der Jesus vom Kreuze abgenommen wurde. Eine kleine Figurengruppe nahm da gerade Gestalt an und plötzlich stockte dem Pfarrer der Atem. „Das ist Blasphemie!“ schrie er den Meister an.

Der Mann zuckte zusammen und drehte sich um. Der Pfarrer zeigte auf die Gestalt der Maria, deren schmerzerfülltes Gesicht, das Gesicht der Hexe war, die sie am Vortag verbrannt hatten. „Wie kannst du es wagen, eine Hexe in den Altar einzuarbeiten!“ schrie der Pfarrer. Doch der Meister ließ nur sein Werkzeug sinken. „Ich wollte den Schmerz möglichst realistisch ausdrücken. Schmerz ist immer gleich und die Züge ähneln sich dann immer.“ sagte der Meister mit einer Verbeugung. Der Pfarrer ging näher ran. Die Figur war nur klein und nur aus der Nähe zu erkennen, aber wenn er diese Figur neu machen würde, so würde ein großer Teil des Altars neu gemacht werden müssen. Zähneknirschend ging der Pfarrer um den Vorhang herum nach vorn, um seinen Gottesdienst vorzubereiten. „Dich kriege ich auch noch!“ murmelte er und schlug die Bibel auf.

5. Kapitel

Das Leben muss weiter gehen ...

Die Sonne schien in das Zimmer herein und beleuchtete das schlafende Gesicht der Amme. Johanna sah zu der Frau hinauf, die neben ihrem Bett sitzend die Nacht verbracht hatte. Jetzt im Sommer waren die Fensterläden immer offen und so konnten die Strahlen ungehindert in das Zimmer fallen. Einige Vögel saßen auf einem Baum in der Nähe und begannen ein Lied anzustimmen, das so gar nicht zu der traurigen Stimmung des Mädchens passte. Es war eigentlich ein Tag wie jeder andere, außer, dass die Mutter nicht mehr lebte! Seit ein paar Tagen war sie schon weg gewesen, aber bis zum Vorabend hatte sie immer noch die Hoffnung gehabt, die Mutter wieder in den Arm nehmen zu können. Doch die Flammen hatten das Leben der Frau ausgelöscht. Noch immer konnte sie die Schreie hören und auch wenn sie sich die Ohren verschloss, verstummten diese Laute nicht. Sie würden sich wohl für immer in ihr Gedächtnis gebrannt haben, so wie die Bilder des Feuers.

Leise richtete sie sich auf, um die Amme nicht zu wecken, doch die Frau hatte nur einen leichten Schlaf gehabt und öffnete sofort ihre Augen. Liebevoll strich sie Johanna über den Kopf. „Warum?“ fragte das Mädchen leise und die Amme wusste wohl, was sie wissen wollte, nur hatte sie vermutlich auch keine Antwort darauf. Was sollte die alte Frau auch antworten? Sie war eine Hexe? Das hatte schon der Pfarrer am Tage zuvor zu ihr gesagt, doch tief in sich drin wusste Johanna, dass das nicht stimmte, nicht stimmen konnte. Niemals hätte sich die Mutter mit dem Teufel eingelassen! Hatte der Pfarrer also gelogen? Oder war der Mann einer Täuschung des Teufels aufgesessen? Konnte denn der Teufel Einfluss auf einen Gottesmann nehmen? Sie schrak zusammen, war das nicht auch schon Gotteslästerung? Sie biss sich auf die Lippen. Schon alleine der Gedanke war gefährlich. Johanna ging zu dem kleinen Kreuz in der Ecke des Raumes und begann ein stilles Gebet.

Die Frau war mittlerweile aus dem Zimmer gegangen und kam zurück, um das Mädchen zum Essen zu holen. Noch immer kniete sie vor dem Kreuz, als die Amme ihr die Hand auf die Schulter legte. Gemeinsam gingen sie in die Küche hinüber, in der sie viel lieber war, als in dem Speisezimmer daneben, in dem sie eigentlich nur bei festlichen Anlässen Platz nahm. Sie sah den Vater durch die offene Tür alleine dort an dem Tisch sitzen. Zu dem strengen Mann hatte Johanna noch nie ein gutes Verhältnis gehabt, doch jetzt, nach dem Tod der Mutter, war er alles was zwischen ihr und dem Waisenhaus stand. Das versteinerte Gesicht des Vaters ließ sie da nichts Gutes hoffen. Aber sie war nun mal sein einziges Kind. Zumindest bisher, was nun werden würde, das war unklar. Würde der Mann wieder heiraten? Bekam sie eine Stiefmutter und andere Geschwister? Wer konnte es sagen? Sie ging leise zur Amme hinüber und biss in die Schnitte, die ihr die Frau auf den Tisch gelegt hatte. Die Butter darauf hatte ihre Mutter noch gemacht. Tränen tropften auf das Brot.

Nach dem Essen begann wieder der tägliche Trott. Wie jeden Tag, so als hätte es den vergangenen Tag und die Mutter nicht gegeben. Ausgelöscht aus den Gedanken! Nähen und Hausarbeiten sollte sie lernen und das tat sie auch. Alles andere war nicht für sie vorgesehen und der Vater sah es nur ungern, wenn sie in seinem Kontor war. Das war keine Frauenarbeit dort! Trotzdem hielt sie sich gern in der Nähe auf. Der Vater hatte dort wunderschöne Stoffe aus fernen Ländern. Wenn er einmal nicht da war, so schlüpfte sie durch die Tür und strich mit den Fingern über den kostbaren Stoff. Manchmal wurde sie dabei von Frieder, dem jungen Gehilfen ihres Vaters, überrascht. Doch mit ihm kam sie irgendwie besser zurecht, als mit dem Vater. Frieder war zehn Jahre älter als sie und hatte sie vermutlich in sein Herz geschlossen, denn er hatte ihre heimlichen Besuche noch nie verraten.

Auch an diesem Tag schlich sie sich, nach der Nähstunde, zur Tür des Kontors. Doch diesmal war sie fest verschlossen. Alles Rütteln an der Klinke nützte nichts. Sie sah sich nach Frieder um, konnte ihn aber nirgendwo sehen. Auch der Vater war nicht zu sehen. Warum war das Kontor heute überhaupt geschlossen? Es war doch sonst immer offen gewesen? Was, wenn jetzt ein Kunde kam? Schließlich sah sie den Vater mit dem Pfarrer um die Ecke kommen und versteckte sich in der Nähe des Einganges zum Kontor. Die beiden Männer blieben direkt neben ihr stehen, bemerkten sie aber offenbar nicht und so konnte sie das Gespräch der beiden belauschen.

Es ging um die Mutter und den Prozess. Der Pfarrer forderte den Besitz der Mutter und mit einem Verweis auf Johanna hielt er fordernd die Hand auf. Es war eine erhebliche Summe, die der Mann wollte und nur Zähneknirschend stimmte der Vater schließlich zu. Mit dem Schlüssel des Kontors in der Hand zögerte er einen Moment und schloss schließlich die Tür auf. Beide Männer betraten den Raum und das Mädchen schlich zur Tür, um ihnen hinterher zu schauen. Ein dicker Beutel wechselte den Besitzer und sie konnte im Gesicht des Vaters sehen, wie ungern er die Münzen herausgab. Zuerst die Frau zu verlieren und dann auch noch dafür bezahlen müssen, das war schon etwas, was den Kaufmann in ihm sicherlich kränkte. Als die beiden Männer nach draußen gehen wollten, stieß Johanna bei der Rückwärtsbewegung gegen einen Stapel Holz, der krachend in den Hof fiel.

Noch hatten sie die beiden Männer nicht gesehen, wohl aber gehört. Das Mädchen versteckte sich und sah, dass Frieder schnell auf den Hof lief und versuchte das Holz wieder aufzustapeln. Der junge Mann fing die Hiebe ab, die eigentlich Johanna gegolten hätten. Sicherlich hatte Frieder bemerkt, wer wirklich der Verursacher des Durcheinanders im Hof gewesen war. Von seiner Position aus hatte er Johanna sehen müssen. Nachdem der Vater und der Pfarrer den Hof verlasen hatten, kam sie aus ihrem Versteck und half beim Aufräumen mit. Dankbar dafür, dass sie nicht erwischt worden war, nickte sie Frieder zu. Gemeinsam ging die Arbeit schnell von der Hand und das Leben musste einfach weiter gehen.

6. Kapitel

Mut oder Übermut?

Was hatte er sich dabei gedacht? Siegbert hatte einfach seine Hände arbeiten lassen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob das Bild, das er gerade schuf, dem Pfarrer gefiel oder nicht. Den ganzen Tag hatte er sich darüber Gedanken gemacht, nur nicht aufzufallen und dem rachsüchtigen Manne keinen Angriffspunkt zu bieten und dann das? Warum hatte er gerade dieses Gesicht für seine Maria gewählt? Er hätte doch jedes andere nehmen können? So lange er noch mit dem Altar beschäftigt war, so lange war er noch geschützt. Der dicke Mann wollte sicher keinen halbfertigen Altar in seiner Kirche haben, aber danach waren seine Stunden sicher gezählt. Nach dieser Marienfigur konnte er schon fast die Hitze des Feuers spüren. Im Moment war es nur die Sonne, die von draußen in sein Gesicht schien und die ihn schwitzen ließ, aber in ein paar Wochen waren es sicher Flammenzungen, die nach ihm greifen würden.

Mit jedem Schlag des Hammers flogen die Späne zur Seite und gaben ein Kunstwerk frei, wie es wohl schöner nicht sein konnte. Da die Gesellen die Nacharbeiten machten, konnte sich Siegbert auf die wichtigen Figuren konzentrieren. Oft saß er bis spät in der Nacht, im Scheine von ein paar Kerzen, vor dem Altar und gestaltete seine Figuren. Manchmal schienen diese zu leben, wenn das flackernde Licht der Kerzen die Schatten dieser Gestalten an die Wand warf. Nach den Schnitzereien würde noch die Farbe kommen, aber die konnte er nicht in der Nacht auftragen, dafür würde er das Licht des Tages benötigen. Auch Blattgold würde zum Einsatz kommen. Diese Tätigkeiten konnten ebenfalls seine Gehilfen übernehmen.

Die Arbeiten gingen schneller voran, als er es erwartet hatte und schon eine Woche später war der Altar weitestgehend fertig. Nun war es höchste Zeit, sich um eine neue Kirchenbaustelle umzusehen. Ein Kaufmann aus Dresden erzählte ihm in einer Schänke, dass in dieser Stadt eine neue Kirche gebaut werden würde, und da wäre Siegbert vor dem Zugriff des Pfarrers sicher. Er wollte sich am Tag nach der Weihe des Altars dorthin auf den Weg machen, doch es sollte anders kommen. Der Abt des Dominikanerkloster St. Pauli in Leipzig bat Siegbert, nach dem Abschluss der noch anstehenden Arbeiten an dem Altar der Kirche, bei ihm in dem Kloster mit den Arbeiten zu beginnen. Damit stand Siegbert wieder unter dem Schutz der Kirche, denn der Pfarrer konnte ja schlecht dem Abt seines eigenen Ordens wiedersprechen. Auch konnte er damit in Leipzig bleiben.

Allerdings würde er sicher auch da unter der Beobachtung des Pfarrers bleiben. Seine Marienfigur war vielleicht zu übermütig gewesen. Oder war es einfach der Mut der Verzweiflung? Noch immer konnte er nicht sagen, wer ihm dabei die Hand geführt hatte. Er hatte es unwissend gemacht und vielleicht war es ja ein Engel gewesen, der zu diesem Gesicht geführt hatte. Doch sich den Pfarrer zum Feind zu machen, das war keine so gute Idee gewesen. Er dachte an seinen Sohn, den er zum Glück außerhalb der Reichweite dieses Mannes wusste. Doch hatten Kaufleute aus diesen Gegenden ihm berichtet, dass auch dort gegen Hexen vorgegangen wurde. Zum Teil sogar noch viel mehr, als das hier bei ihnen geschah.

Manchmal, wenn er in der Kirche alleine war, betete er für den Sohn und natürlich auch für sich selbst, dass alles gut werden würde. Dabei kam ihm auch der Gedanke, mit einem erworbenen Ablassbrief und der damit verbundenen Reue vor Gottes Stuhl für seine Zukunft und die seines Sohnes vorzubeugen. Durch das Werk am Altar hatte er sich sicherlich schon ein Wohlwollen im Jenseits erworben, aber man konnte ja nicht zu viel tun, um dann wirklich in den Himmel zu kommen. Vielleicht konnte man sich dadurch dann auch den Flammen der Hinrichtung entziehen, denn es würde dem Pfarrer ungleich schwerer fallen, jemanden der Ketzerei zu bezichtigen, der immer in der Kirche ist, am Altar arbeitete und auch noch einen kirchlichen Ablassbrief besaß.

Als er dann im Kloster arbeitete, kam er darüber auch mit einigen Mönchen in ein Gespräch. Diese gelehrten Männer waren zum Teil für diese Briefe und zum Teil auch vehement dagegen. Er, als einfacher Handwerker, stand auf einmal mitten in einem Glaubensstreit der Mönche und verfolgte diese Gespräche mit wachsenden Misstrauen. Diese Mönche waren gleichzeitig Studenten der Universität und wurden dort zu Priestern ausgebildet. So, wie sie jetzt dazu standen, so würden sie sicher in der Zukunft in ihren jeweiligen Kirchen auch ihren Standpunkt vertreten. Doch eigentlich konnte Siegbert mit den Briefen ja nichts falsch machen, im Zweifelsfalle halfen sie nur nicht. Schaden konnten sie auf keinem Falle. Außer, dass sie viel Geld kosteten.

Für Siegbert war dieser kleine Zettel, mit dem päpstlichen Siegel darauf, auch ein Schutz vor den Nachstellungen des Pfarrers. Daher trug er ihn ständig bei sich. Man konnte ja nie wissen, wann man ihn brauchen würde. Viel größer als seine Furcht vor dem dicken Mann, war aber seine Furcht vor der ewigen Verdammnis. Darin machte es sicher bei ihm keinen Unterschied zu seinen Freunden und Bekannten. Der Glaube an die Hölle war einer der Beweggründe, diese Briefe zu erwerben und in die Kirche zu gehen, sowie ein gottesfürchtiges Leben zu leben. Doch wer definierte denn, was ein gottesfürchtiges Leben war? Der Pfarrer? Oder die Mönche, die sich selbst nicht einig wurden? Wie sollte er dabei, als wenig gebildeter Mann, ein Urteil fällen können, wenn es die Herren Studenten der Religion nicht konnten?

Er begann sich wieder in seine Arbeit zu stürzen und schob die unnützen Gedanken beiseite. Mit jedem abgehobenem Span setzte er seine Vorstellung in das Holz hinein. Der Abt hatte ihm genau beschrieben, was er haben wollte und Siegbert gestaltete zuerst als Umriss auf dem Holz diese Vorstellungen. An diesem Altar sollten die Menschen davor sehen können, wie Jesus gelebt hat. Die Predigt war in Latein, kaum einer konnte sie verstehen, aber die Bilder konnten die Menschen sehen. Mit dem Bild und den Figuren konnten sie sich in die Welt des Himmels hinein versetzen. Hier konnten sie die Verehrung der Heiligen vornehmen und hier würde sich ihr Glauben zeigen. All das machte Siegbert stolz, dass er daran mitarbeiten durfte.

7. Kapitel

Südwärts, soweit der Wagen fährt

Er saß auf dem Wagen und die Stadt blieb immer weiter hinter ihm zurück. Zu so früher Stunde war der Aufbruch geschehen, dass sie an dem Stadttor hatten warten müssen, um hinaus gelassen zu werden. Die Türme der Kirchen blieben zurück und zum Schluss sah er nur noch die Spitzen dieser Bauwerke über den Baumwipfeln stehen. Sein Vater hatte sicher Recht gehabt, ihn aus dem Weg zu nehmen. Mit dem Pfarrer war nicht zu Spaßen. Es war schön, so im Wagen zu sitzen, so musste er nicht laufen, wie die anderen Gesellen, die auf ihre Wanderschaft gingen, aber genau genommen war er ja noch kein Geselle. Der Vater hatte ihm viel beigebracht, was das Schnitzen und Malen anbelangte, aber nun würde er zu einem fremden Meister kommen, wo er andere Sachen lernen konnte.

Der Wagen eines Kaufmannes hatte seine Vorteile, aber auch den Nachteil, dass er für Räuber eine lohnende Beute war. Daher gingen vier bewaffnete Männer hinter dem Wagen her. Mit dem Kaufmann und dem Kutscher, die beide vorn saßen, waren sie damit zu siebent. Alle außer ihm waren bewaffnet. Er hatte nur sein Werkzeug bei sich, das er wie einen Schatz hütete. Es war ein sehr gutes Werkzeug, aus gutem Eisen. Einst hatte es dem Vater gehört, als der auf Wanderschaft gewesen war. Bis Italien war der Vater damals gereist und selbst heute noch glühten seine Augen, wenn er von dem südlichen Land erzählte. Von Venedig, Rom und Mailand. In allen Kirchen dort war er gewesen und einige der Figuren dort hatte seine Hand geschaffen.

Hans sollte nicht so weit reisen, zumindest vorerst nicht. In München, bei einem Freund des Vaters, sollte er noch mehr lernen. Erst danach konnte er Geselle werden. Wohin ihn sein Weg dann führen würde, war noch ungewiss. Zuerst musste er dort hin, um Lehrling zu sein. Sein Werkzeug würde sein Ausweis sein. Er sollte es dort vorzeigen und damit würde er Einlass in die Werkstadt finden. Als sich der erste Tag dem Ende näherte hielt der Wagen auf einer Lichtung. Der Kutscher brachte die beiden Pferde zu einem kleinen Bach und die Männer sammelten Brennholz. Schnell brannte ein kleines Feuer und die vier Wachen teilten sich die Nacht ein. Immer zwei würden wach bleiben, man konnte ja nie zu wachsam sein.

Schließlich saßen sie alle am Feuer und ließen sich das mitgebrachte Brot schmecken. „Wir werden etwas mehr als eine Woche unterwegs sein.“ sagte der Kaufmann und hielt Hans ein Stück Wurst hin, dass er gern nahm. Sie unterhielten sich eine ganze Weile. Der Kaufmann war schon viel herum gekommen, während Hans bisher nur Leipzig gesehen hatte. Dies hier war seine erste große Reise. „Was habt ihr geladen?“ fragte er und der Kaufmann zählte leise auf „Bernstein, Felle, Fisch und Messer.“ er sagte es besonders leise, so dass es außerhalb des Feuers niemand hören konnte. Trotzdem hatte Hans das Gefühl, dass der Kaufmann nicht alles erzählt hatte. Als dann der Mond über ihnen aufging, sagte der Kaufmann „Wir sollten schlafen. Morgen ist ein langer Tag.“

Der Junge nickte und legte sich an das warme Feuer. Sein Werkzeug legte er in der Tasche unter seinen Kopf. Das war zwar nicht sehr bequem, aber so hatte er es immer in seiner Nähe. In der Wärme schlief er schließlich ein und schreckte durch ein Geräusch wieder auf. Es war aber noch mitten in der Nacht. Hans setzte sich zu der Wache an das Feuer und starrte in die Flammen. Was war das für ein Geräusch gewesen? Wenn es etwas Gefährliches gewesen wäre, dann hätte die Wache sicher schon die Waffe gezogen, doch der Mann war die Ruhe selbst. Wieder hörte Hans ein Geräusch und zuckte zusammen. „Das ist ein Käuzchen.“ sagte der Wachposten, der das Erschrecken des Jungen gesehen hatte. Hans nickte und drehte sich zu seinem Schlafplatz um, als er einen Schatten sah.

Noch bevor er fragen konnte, rannte der Schatten auf ihn zu. „Hilfe!“ konnte er nur noch sagen, dann lag er auf dem Rücken und hatte ein Messer am Hals. Mit einem Knüppel, den er greifen konnte, schlug er zu und traf die dunkle Gestalt am Kopf. Der Andere zuckte zurück und Hans konnte das Messer greifen. Nun waren die Rollen vertauscht. Hans trat zu und kam auf die Füße. Zwei weitere Schatten sah er und schrie „Überfall!“ nun kam Bewegung in das Lager. Es entbrannte ein kurzer Kampf, dann lagen die vier Räuber tot am Feuer. Einer der Wachleute war ebenfalls tot und einer verletzt. Immer noch starrte Hans auf das Messer in seiner Hand, das kurz zuvor noch an seinem Hals gelegen hatte. Er hatte unverletzt überlebt, wie durch ein Wunder.

Der Kaufmann schlug ihm auf die Schulter, dann setzten sich alle an das Feuer und für den Rest der Nacht war an Schlaf nicht mehr zu denken. Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Sonne endlich wieder aufging. Schließlich spannte der Kutscher die Pferde wieder an. „Was machen wir mit denen da?“ fragte Hans und zeigte auf die Leichen. Der Kaufmann zuckte mit den Schultern und drehte sich zum Wagen um. „Sollten wir ihnen nicht ein christliches Begräbnis geben?“ fragte Hans und der Kaufmann drehte sich wieder um. Dann nickte er und rief den Wachen zu, eine Grube auszuheben.

Sie legten die toten Körper hinein und Hans sprach ein Gebet, dann schlossen sie die Grube. Beim Aufsitzen auf den Wagen drückte der Kaufmann Hans ein Schwert in die Hand. Er legte sich die Waffe um und setzte sich zum Kutscher nach vorn. Nun saßen sie zu dritt vorn und drei Wachleute liefen hinter dem Wagen her. Weiter ging es in Richtung Süden.

Nach ewiger Zeit erreichten sie dann endlich München und dort verabschiedete sich Hans von dem Kaufmann. Dabei gab er ihm das Schwert zurück. „Ich werde es jetzt nicht mehr brauchen.“ sagte er und der Mann nickte. Sie gaben sich die Hand, dann ging Hans zu der Werkstatt, wo er bei dem Meister unterkam. Der Mann begrüßte ihn mit einem Handschlag und dem obligatorischen Schlag auf die Schulter. Damit nahm er ihn in seine Werkstatt auf. Ein neuer Abschnitt in seinem Leben begann. Nun war er Lehrling.

8. Kapitel

(K)ein Kinderspiel

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