Rosen hinter Burgmauern - Uwe Goeritz - E-Book

Rosen hinter Burgmauern E-Book

Uwe Goeritz

0,0

Beschreibung

"Rosen hinter Burgmauern" Altersempfehlung: ab 16 Jahre Sachsen zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts. Die Geschichte von Johanna aus dem Buch "Nur ein Hexenleben ..." setzt sich in ihrer Tochter fort. Gwendolyn, die mit der Wirkung der Kräuter gut vertraut ist, wird auf dem Weg in das Kloster, in dem die Mutter sie vor der Umwelt in Schutz wissen will, überfallen und geschändet. Verängstigt findet die junge Frau Zuflucht in einer Burg. Dort verliebt sie sich in den verheirateten Burgherren. Doch damit schwebt sie nun täglich in der Gefahr, ihren Kopf zu verlieren. Sei es aus Liebe oder durch das Schwert des Henkers. Kann diese Liebe doch noch zu einem glücklichen Ende kommen? Die weiteren Bücher in dieser Reihe, erschienen im Verlag BoD, sind: "Der Gefolgsmann des Königs" ISBN 978-3-7357-2281-2 (05.08.2014) "In den finsteren Wäldern Sachsens" ISBN 978-3-7357-7982-3 (29.09.2014) "Schicha und der Clan der Bären" ISBN: 978-3-7386-0262-3 (24.11.2014) "Im Zeichen des Löwen" ISBN: 978-3-7347-5911-6 (27.02.2015) "Im Schein der Hexenfeuer" ISBN: 978-3-7347-7925-1 (22.06.2015) "Kaperfahrt gegen die Hanse" ISBN: 978-3-7386-2392-5 (24.08.2015) "Die Bruderschaft des Regenbogens" ISBN: 978-3-7386-5136-2 (23.11.2015) "Die römische Münze" ISBN: 978-3-7392-1843-4 (19.02.2016) "Die Räubermühle" ISBN: 978-3-8482-0893-7 (30.05.2016) "Der russische Dolch" ISBN: 978-3-7412-3828-4 (25.08.2016) "Das Schwert des Gladiators" ISBN: 978-3-7412-9042-8 (29.11.2016) "Frauenwege und Hexenpfade" ISBN: 978-3-7448-3364-6 (27.06.2017) "Die Sklavin des Sarazenen" ISBN: 978-3-7448-5151-0 (26.07.2017) "Die Tochter aus dem Wald" ISBN: 978-3-7448-9330-5 (28.09.2017) "Anna und der Kurfürst" ISBN: 978-3-7448-8200-2 (20.11.2017) "Westwärts auf Drachenbooten" ISBN: 978-3-7460-7871-7 (26.02.2018) "Nur ein Hexenleben..." ISBN: 978-3-7460-7399-6 (24.04.2018) "Sturm über den Stämmen" ISBN: 978-3-7528-7710-6 (23.07.2018) "Die Rache der Barbarin" ISBN: 978-3-7528-4103-9 (01.10.2018) "Im Feuersturm - Grete Minde" ISBN: 978-3-7481-2078-0 (22.02.2019) Weitere Informationen finden Sie unter www.buch.goeritz-netz.de

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 405

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Rosen hinter Burgmauern

In Flammen aufgegangen

Schreie in der Nacht

Zwei Mädchen

Böse Überraschung

Ein guter Ruf

Eine gute Wahl?

Gedankenreisen

Entscheidungen

Pfade in die Ferne

Glaubensfragen

Eine Lichtung des Todes

Mädchenziele

Wort gegen Wort

Burg oder Schloss?

Mägdezeit

Klostervorbereitungen

Neue Aufgaben

Spurensuche

Schuhbänder

Drei Münzen

Der Garten der Herrin

Freundinnen?

Verbindende Gefühle

Sonntagsfragen

Die goldene Fibel

Zweifel

Schuld und Strafe

Tage der Demut

Freie Menschen

Blutige Spuren

Kräutersuche und Badefreuden

In ein neues Leben?

Ungeahnte Annehmlichkeiten

Schellentänze

Augensterne

Glück auf Erden?

Hilfe in der Not

Konfrontation mit der Angst

Rosenblüten

Im Kindbett

Tod und Verderben

Fremde Schuld?

Tiefe Wunden

Flinke Hände

Ein verrückter Plan

Was bleibt zu tun?

In reißenden Fluten

Auf Messers Schneide

Törichte Gedanken

Im letzten Augenblick

Zeichen aus der Vergangenheit

Bittere Tränen

Ja oder Nein?

Kräutermond

Nur eine List?

Die Frage der Ehre

Ein neuer Weg

Das Tor zum Paradies

Schwere Zeiten

Pfarrersstündchen

Schrecken der Nacht

Probe der Geduld

Fliegende Hufe

Hochzeitsvorbereitungen

Feiern in der Burg

Eine ungeliebte Pflicht?

Das Ende der Rosen?

Mutterfreuden

Ein Wiedersehen

Kinderspiele

Der Ruf der Pflicht

Abschied und Ankunft

Zeitliche Einordnung der Handlung:

Rosen hinter Burgmauern

Sachsen zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts. Die Geschichte von Johanna aus dem Buch „Nur ein Hexenleben...“ setzt sich in ihrer Tochter fort. Gwendolyn, die mit der Wirkung der Kräuter gut vertraut ist, wird auf dem Weg in das Kloster, in dem die Mutter sie vor der Umwelt in Schutz wissen will, überfallen und geschändet. Verängstigt findet die junge Frau Zuflucht in einer Burg. Dort verliebt sie sich in den verheirateten Burgherren.

Doch damit schwebt sie nun täglich in der Gefahr, ihren Kopf zu verlieren. Sei es aus Liebe oder durch das Schwert des Henkers. Kann diese Liebe doch noch zu einem glücklichen Ende kommen?

Die handelnden Figuren sind zu großen Teilen frei erfunden, aber die historischen Bezüge sind durch archäologische Ausgrabungen, Dokumente, Sagen und Überlieferungen belegt.

Prolog

In Flammen aufgegangen

Das Feuer war so nah, dass es die Tränen der jungen Frau auf den Wangen trocknete, nachdem sie herausgelaufen waren. Sie spürte die Hitze im Gesicht und doch konnte sie den Blick nicht abwenden. Seite für Seite übergab sie das Buch des Pfarrers den Flammen. Hans hatte in einem Kübel im Garten des Hauses Holzscheite hinein gestapelt und die Glut geschürt. Bei jeder Seite sah sie die Gesichter der Frauen vor sich. Barbara, die Bäuerin, Bärmuth und ihre Mutter. Das Schicksal einer jeder der Frauen war auf den gelblichen Blättern verzeichnet und die Flammen löschten es langsam aus. So wie die Tinte durch das Feuer langsam verging, so löschte es auch das Leid in Johannas Herzen. Mit jedem Blatt und jeder Träne wurde es ihr leichter ums Herz. Manche Tränen tropften in die Glut und ließen ein Zischen ertönen.

Johanna war es, als ob all diese Frauen von oben auf sie heruntersahen und genauso war sie sich sicher, dass der Pfarrer und seine Schergen schon jetzt in der Hölle, im Feuer der ewigen Verdammnis, für ihre Verbrechen schmorten. So viele unschuldige Leben hatten sie im Laufe der letzten zwanzig Jahre ausgelöscht, dass es sicher war, dass Gott es wusste und sie sicher nicht durch das Himmelstor lassen würde. Langsam wurde es dunkel in dem kleinen Garten. Der Feuerschein beleuchtete die Frau und Hans, der in einiger Entfernung stand. Sie sah zu ihm auf und nickte dem Mann zu. Er war so sehr um ihre Sicherheit bedacht, dass er sie selbst hier, im abgetrennten Garten, nicht aus den Augen ließ.

Nach dem letzten Blatt trat Bärmuth zu ihr und hielt ihr auch das andere Buch hin. Johanna sah sie fragend an und nickte dann. Wenigstens würde dieses Exemplar des Hexenhammers nicht dazu dienen, unschuldiges Leben zu zerstören. Sie schlug es auf und riss das erste Blatt heraus. Danach ließen sie es gemeinsam in den Kessel fallen. Es begann sich langsam von der Mitte her bräunlich zu verfärben, bevor es sich zusammen rollte und zu Asche zerfiel. Nur kurz war die Flamme aufgelodert. Es war anderes Papier, als das Buch des Pfarrers. Seite für Seite rissen die beiden Frauen nun aus dem Buch heraus und zerstörten so dieses verdammte Werk.

Als nur noch der Einband übrig war, ließ Johanna auch diesen in die Glut fallen. Der Geruch des verbrannten Leders erweckte die schlimmen Erinnerungen noch einmal und sie wäre fast am Feuer zusammen gebrochen. Schnell hatte Hans sie aufgefangen.

Auf ihn gestützt ging sie zurück zum Haus. Von der Tür aus sah sie zurück zu Bärmuth, die immer noch am Feuer stand, wohl wartend, dass alle Spuren der Vergangenheit ausgelöscht werden würden, doch die Wunden auf der Haut der Freundin würden sie wohl auf ewig daran erinnern, was sie und die anderen Frauen dort in diesem Keller erlebt hatten. „Bärmuth!“, rief Johanna leise und die Freundin wendete sich ihr zu. Johanna hielt die Hand hin und Bärmuth kam zu ihr herüber. Zu dritt betraten sie das Haus wieder, an dessen Tisch gerade das Abendessen vorbereitet wurde. Die Magd Giseldis deckte mit einigen der Lehrlinge den Tisch.

In diesem Raum war ein Lachen und singen, das die dunklen Gedanken draußen im Garten ließ. Nach ein paar Augenblicken machten sich auch Johanna und Bärmuth mit an die Arbeit. Aber Johanna vermied es, aus dem Fenster auf die noch immer im Garten leuchtende Tonne zu sehen. Sie schaute auf den festlich gedeckten Tisch und legte ihre Hände auf den unübersehbaren Babybauch. Sie wollte nun nur noch an die Zukunft denken und gab ein schnelles Gebet an Mutter Maria ab, dass ihr Kind gesund auf die Welt kommen würde. Sie sah zu der geschnitzten Figur, die Siegbert in der Ecke der Werkstatt aufgestellt hatte.

Diese war ein Abbild der Figur, die er für den Altar damals geschnitzt hatte und damit hatte sie die Züge von Johannas Mutter und gerade im Moment hatte Johanna den Eindruck, dass die Figur ihr zunickte. Vielleicht war es nur durch das Flackern der Kerze geschehen, die zu Füßen der Figur stand, aber Johanna hatte das Gefühl, dass nun alles gut werden würde. Hans trat an sie heran und nahm ihre Hand. Mit einem Kuss vertrieb er die letzten dunkeln Gedanken aus ihrem Kopf. Nun musste alles gut werden!

1. Kapitel

Schreie in der Nacht

Mit einem Schrei presste sie das Kind aus sich heraus und mit einem Schrei begrüßte der Säugling diese Welt. „Es ist ein Mädchen“, sagte Bärmuth und drückte ihr die Tochter in den Arm. Fast die ganze Nacht hatte sich Johanna von einer Wehe zur nächsten gequält und es schien kein Ende zu nehmen, doch nun sah sie erschöpft in das kleine Gesicht. Es war wunderschön und nicht, wie befürchtet, wieder ein Teufel. Der Fluch schien gebannt. Mit dem Tode des Pfarrers war alles Leid von ihr gefallen. „Du sollst es einmal besser haben als ich“, sagte Johanna erschöpft und drückte dem Kind einen Kuss auf die Stirn. Das Mädchen beruhigte sich augenblicklich und schien zu schlafen. „Wie soll sie den heißen?“, fragte Bärmuth und Hans trat in den Raum. „Gwendolyn“, sagte er im selben Moment wie Johanna und beide mussten lachen. Sie hatten sich schon vor ein paar Tagen auf einen Namen geeinigt. Je nachdem, ob es ein Mädchen oder ein Junge sein würde. „Du musst dich jetzt erst mal ausruhen“, sagte Bärmuth und nahm Johanna das Kind wieder aus dem Arm. Dann verschwand sie aus dem Raum, um das Kind zu säubern und nun griff die Erschöpfung zu. Johanna fielen die Augen zu und schnell schlief sie ein. Das Weinen der Tochter holte sie aus dem Traum zurück. Das Kind hatte Hunger und die Pflichten der Mutter setzten ein. Da Bärmuths Tochter ein Jahr älter war, würden sie sich die Beaufsichtigung der beiden Kinder teilen.

Die Wochen vergingen und die Tochter war aus den gefährlichen ersten Tagen heraus. In manchen Momenten sah Johanna das Gesicht von Barbara in den Zügen ihres Kindes. Ob das wohl wirklich sein konnte? War es die Seele der toten Freundin, die sie immer mal wieder besuchte? Gwendolyn entwickelte sich gut, aber es zeigte sich, dass sie fast keine Nacht wirklich durchschlief. Immer wieder holten die Schreie und das Weinen des Kindes Johanna aus ihrem Schlaf. Dann versuchte sie alles, um das Kind zu beruhigen, aber es war, als ob das Einsetzen der Dunkelheit das Kind in Schrecken versetzte. Johanna nahm dann das Kind und ging durch das Haus, aber da schliefen die Handwerker und die wollten ja nicht jede Nacht durch das Weinen des Kindes um ihren Schlaf gebracht werden. Alles, was Johanna versuchte, funktionierte nicht, bis sie auf die Idee kam, der Tochter etwas vorzulesen.

Das erste Buch, das ihr in die Hand fiel, war das Buch der Hildegard von Bingen. Dies schien dem Kind zu gefallen, auch wenn das Buch nur in Latein war. Doch dem Kind machte die unverständliche Sprache nichts aus. Allerdings lief Johanna Gefahr, dass irgendjemand anderes sie so sitzen sah. Im Mondlicht, das Kind auf den Knien und etwas Unverständliches erzählend. Dann würde sie mit einem Male dem Scheiterhaufen wieder näher sein, als ihr im Moment lieb war. Dabei dachte sie an Barbara und ihre Mutter, die beide unschuldig als Hexen verbrannt worden waren. In einer Zeit, in der jede falsche Handlung sofort mit Hexerei gleichgesetzt werden konnte, war es gefährlich, irgendetwas zu tun, was auch nur den Anschein von etwas hatte, was man nicht tun sollte.

So zog sie sich damit jede Nacht mit dem Kind in die Kammer zurück und lernte dabei selbst noch vieles dazu. Seltsamerweise wollte das Kind aber immer nur aus diesem Buch vorgelesen haben. Als Johanna versuchte, ihr ein Buch mit Gedichten vorzulesen, da setzte sofort das Geschrei des Kindes wieder ein. Nur das Kräuterbuch beruhigte Gwendolyn. Anscheinend war es ein sehr besonders Kind, dass ihr das Schicksal gegeben hatte.

Ein neuer Tag begann mit den ersten Strahlen der Sonne. Johanna blickte zum Fenster hinaus. In den letzten Tagen war Hans sehr verschlossen gewesen. Er hatte ihr nicht gesagt, warum er sich von ihr zurückzog. Bisher hatte er immer in seiner Werkstatt gesessen und Bilder gemalt, aber sein Vater hatte sich noch nicht zurückgezogen und ihm nicht, wie geplant, das Meisteramt übergeben. Damit würde Hans aber auch kein Meister werden können. Eine andere Gilde würde ihn nicht aufnehmen können, da er ja nur das Schnitzen und das Malen gelernt hatte. Offensichtlich trieb ihn dieses Problem immer wieder aus dem Hause. So auch an diesem Tage. Während Johanna mit dem Kind die Stiege herab kam, verließ ihr Mann das Haus.

Seine Werkstatt war nun fast jeden Tag verschlossen gewesen und genauso verschlossen war sein Gesicht, wenn er erst zum Abend wieder zurück zu ihr kam. Auf ihre Fragen reagierte er abweisend und winkte nur ab, doch sie hatte schon erkannt, dass er ein offensichtlich schweres Problem mit sich herumtrug.

Schließlich eröffnete er ihr eines Abends, dass er das neben dem Hause liegende Kontor gekauft hatte. Mitsamt aller Waren und Güter hatte er es von einem Kaufmann übernommen, der in eine andere Stadt weiterzog. Damit war er nun kein Handwerker mehr, sondern war, praktisch über Nacht, Kaufmann geworden. Doch eigentlich hatte er von den Dingen, die ein Kaufmann so brauchte, keine Ahnung. Bärmuth und Johanna waren die beiden, die sich im Kontor auskannten, doch beide hatte im Moment kleine Kinder zu betreuen.

Das ganze Unterfangen war schwierig, doch sie wollten es versuchen. Dazu kam nun, dass Hans sie heiraten durfte, denn nun war er ja ein Kaufmann mit eigenem Haus und Geschäft. Vermutlich ging es dem Manne hauptsächlich darum, denn sonst hätte er ja auch weiterhin in seiner Werkstatt beschäftigt sein können.

Die Hochzeit in der Kirche war sehr schön, doch danach kam die Arbeit im Kontor. Johanna oder Bärmuth mussten nun „zufällig“ immer im Kontor sein, da Hans noch nicht so viel Erfahrung hatte, um die Abschlüsse zu machen. Jedoch durften Frauen nun mal das Kontor nicht leiten und Abschlüsse oder Verträge machen, das war auch nur dem Kaufmann persönlich gestattet. Es dauerte einige Monate, in denen Johanna fast jeden Abend, mit der Tochter auf dem Schoß, im Kontor saß und mit den Rechenmünzen die Einnahmen des Tages zusammenrechnete, bevor Hans begriffen hatte, wie er zu handeln hatte und was ein gutes Geschäft versprach.

Aber der Mann erwies sich als ein gelehriger Schüler seiner Frau. Da das Kontor im Nebenhaus lag, konnten sie weiter im Hause von Meister Siegbert wohnen bleiben. Mit allen Lehrlingen und Gesellen waren sie eine große Familie. Nun saßen an manchen Abenden zwanzig Personen um den Tisch, Männer, Frauen und Kinder. Keiner störte sich daran, dass in diesem Hause die Frauen nicht in der Küche saßen, um zu essen. Es hatte sich bei ihnen so ergeben und keiner sagte etwas dagegen, zumal der Hausherr es genau in dieser Weise haben wollte. Und sein Wort war, wie überall, unter seinem Dach das Gesetz.

2. Kapitel

Zwei Mädchen

Gwendolyn war nun sechs Jahre alt geworden. Durch die frühe Beschäftigung mit den Pflanzen kannte sie jeden Strauch, der auch nur irgendwo wuchs. Ihre Mutter war gerade wieder schwanger und so musste sich das Mädchen mit sich selbst beschäftigen, so gut es eben ging. Bisher hatte sie lesen, schreiben und rechnen gelernt. Mit Latein und deutsch war sie praktisch aufgewachsen und konnte beides besser, als so mancher Pfarrer. Da sich die Mutter nicht um sie kümmern konnte, war Gwendolyn oft beim Großvater und lernte von ihm das Schnitzen. Die ersten Versuche waren noch ziemlich unansehnlich gewesen und das Messer lag ihr nicht so gut in der Hand, wie die Schreibfeder, doch die Arbeit mit dem Holz gefiel ihr.

Das Mädchen lernte zusammen mit einiger Lehrlingen, die der Meister eingestellt hatte. Die waren zum Teil mehr als doppelt so alt, wie sie, und in den ersten Tagen immer überrascht, mit einem Mädchen zusammen zu lernen. Das kannten die Jungs von ihren Elternhäusern nicht. Da waren die Frauen und Töchter immer in der Küche oder mit den Tieren beschäftigt. Keine von ihnen hätte dort geschnitzt. Aber Gwendolyn war nicht nur geschickt mit dem Messer, sondern auch schnell mit der Zunge. Es machte ihr nichts aus, den viel älteren Jungen ruppig über den Mund zu fahren, wenn ihr etwas nicht passte. Mit dem sie beschützenden Großvater hinter sich konnte ihr ja nicht viel geschehen. So geschah es manchmal auch, dass sie sich im Garten hinter dem Hause mit den Jungs prügelte, wobei es ihr aber so vorkam, als ob die Jungen sie dabei gewinnen ließen. So führte sie eigentlich das Leben eines Jungen und nicht, wie ihre ein Jahr ältere Tante, das Leben eines Mädchens, das nur im Haushalt und der Küche half. Oft bedauerte sie Rebecca dafür, doch die wollte es ja vermutlich nicht anders, sonst hätte Siegbert wohl auch nichts dazu gesagt.

Abends, beim Essen, saßen die beiden Mädchen nebeneinander. Während Rebecca die schönsten Kleider trug, hatte Gwendolyn oft aufgeschlagene Knie oder blaue Flecke. Obwohl sie im selben Haus lebten, entwickelten sie sich völlig anders. Schließlich kam es soweit, dass Rebecca nur noch mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr herübersah und dafür manchen Stoß mit dem Ellenbogen in die Rippen erhielt. Sie hätten Freundinnen sein können, aber aus irgendeinem Grund konnten sie sich nicht leiden. Vielleicht lag es daran, dass Gwendolyn praktisch das Leben eines Jungen führte und die waren in der Gesellschaft einfach besser angesehen, als die Mädchen. Trotzdem würde sie aber irgendwann mal als eine Frau leben müssen!

Schon früh hatte sie dies gemerkt und begriffen. Wenn sie mit der Mutter und einem der Lehrlinge auf den Markt ging, so wurde als Erstes der Lehrling gefragt, dann die Mutter als Frau eines Kaufmannes und über sie selbst sahen die Marktfrauen geflissentlich hinweg. Falls sie doch irgendwie in das Gespräch kam, dann nur als Tochter des Kaufmannes. Nicht wirklich als Mädchen, sondern eben nur anders. Vielleicht lebte sie daher das Leben eines Jungen. Es war praktisch eine Art von Trotz und Widerspenstigkeit.

Dazu kam dann auch noch, dass sie viel belesener war, als Rebecca. Die Ältere konnte nicht sehr gut lesen, Gwendolyn aber sogar schon in Latein. Das schürte natürlich den Neid des anderen Mädchens, doch davon ließ sich Gwendolyn nicht beeindrucken. Sie suchte auch nicht den Schutz der Mutter, wie es Rebecca tat, sondern eher der Rat des Vaters oder Großvaters. Irgendwie war sie wohl so etwas wie der Ersatz eines Sohnes für ihren Vater und damit konnte sie gut Leben.

Das alles führte dazu, dass sich in ihr ein freier Geist entfalten konnte. Aber als Gwendolyn Hosen anziehen wollte, war dies auch ihrem Vater zu viel. Es wäre einfach praktischer gewesen, beim Herumbalgen mit den Jungen, doch da hatte sie nun anscheinend eine Schwelle überschritten, die sie lieber unberührt hätte lassen sollen. Die gehässigen Kommentare von Rebecca überhörte sie, sie konnte es nur nicht verstehen, dass sie keine Hosen anziehen durfte. Zu lange hatte man ihr alles Mögliche erlaubt. Warum das jetzt nicht? Somit reagierte sie ziemlich trotzig auf das Verbot, das ihr weder der Vater noch der Großvater begründeten. Die Mutter hätte es ihr sicherlich erklären können, aber die war im Moment für sie nur schwer zu sprechen.

Eines Abends nun brachte die Mutter unter viel Geschrei ein weiteres Mädchen auf die Welt. Gwendolyn nahm sich vor, der Schwester von klein auf genau die Dinge zu lehren, die sie selbst gelernt hatte. Damit war der Streit um die Hosen erst mal beiseitegelegt und sie begann sich um die Schwester zu Sorgen. Auch die Mutter konnte ihr nur schwer begründen, dass es wohl Gottes Wille war, dass Mädchen keine Hosen tragen durften. Aber es war schon mehr als peinlich, sich in einem Rock mit den Jungen zu prügeln. Zu oft rutschte das Kleidungsstück hoch und dann schimpfte immer jemand von den Erwachsenen mit ihr, obwohl sie doch gar nichts dafür konnte.

Anscheinend war es nun die Zeit, dass sie die Mutter auf die Dinge vorbereiten sollte, die für sie als Mädchen in der späteren Zeit mal wichtig werden würden. Doch mit Hausarbeit, weben, sticken und stopfen konnte sie so gar nichts anfangen. Nun lästerte auch noch Rebecca über ihre Fähigkeiten herum, was sie gar nicht mochte. Einen Ringkampf mit der Älteren hätte sie sofort gewonnen, aber einen Kochwettkampf vermutlich einfach verloren. Bei der Hausarbeit hatte sie noch viel nachzuholen und dabei sah sie noch nicht einmal ein, dass sie das überhaupt lernen musste.

Doch Bärmuth, ihre Großmutter, und die Mutter bestanden nun darauf, dass sie es zu lernen hatte. Ab sofort war sie, zusammen mit Rebecca, dafür zuständig, dass jeden Abend das Essen auf dem Tisch stand. An den ersten Abenden murrten die Gesellen herum, weil der Brei angebrannt war, und sie hätte jeden dafür unter den Tisch boxen können, aber nach ein paar Tagen gelang ihr auch das Kochen. Nun wechselte sie ständig zwischen der Werkstatt und der Küche hin und her. Das gefiel nun ihrem Vater und ihrer Mutter. Mit den Wochen arrangierte sie sich damit, dass sie am Tage das Leben eines Jungen und abends das Leben eines Mädchens führte.

3. Kapitel

Böse Überraschung

Johanna lehnte an der Fensterbank und schaute in den Raum hinein. Die Vorarbeiten des Mahls begannen gerade. Normalerweise war sie immer die Erste, die mit den Vorbereitungen anfing, doch diesmal hatte sie es einfach verpasst und da hatten ihre beiden Töchter schon mal ohne sie angefangen. Doch was eigentlich ein Grund zur Freude für die Mutter hätte sein können, das wurde für sie zu einer bösen Überraschung. Aber nicht die Töchter waren es, die diese Überraschung ausgelöst hatten, oder nur indirekt, sondern die Männer, die sich gerade auch mit im Raum befanden. Es war ja bei ihnen normal, dass alle gemeinsam aßen und genauso normal war es, dass alle zusammen den Tisch deckten oder sich anderweitig bei der Essenszubereitung beteiligten.

Meister Siegbert hatte dies vor langer Zeit so vorgesehen, als sie in der Werkstatt nur Männer gewesen waren. Da es ja nun auch fünf Frauen gab, hatte es sich schleichend gewandelt, sodass die Frauen nun das Essen zubereiteten und auch den Tisch vorbereiteten, während die Männer von der Werkbank aufstanden, die danach der Tisch wurde. In all den Jahren waren die Männer dann kurz aus der Werkstatt gegangen, um sich zu waschen oder zu unterhalten. Doch mit den Jahren hatte sich nun etwas geändert.

Gwendolyn war erwachsen geworden!

Von Johanna unbemerkt hatte sie sich zu einer strahlend schönen jungen Frau entwickelt. Mit ihren fast sechzehn Jahren war sie nun genauso alt, wie Johanna damals, als dieser unsägliche Vorfall geschehen war. Und nun stand sie da und sah, wie die jungen Männer auf die Oberweite und den Hintern ihrer Tochter starrten. Wie bei einigen sich schon die Hose spannte. Das war zu viel! Sie jagte die Männer einfach für eine Weile in den Garten, wo sie aber wenig später durch das offene Fenster hereinschauten. Weder Carola noch Gwendolyn hatten bei ihrer Beschäftigung etwas davon gemerkt, was Johanna da gerade gemacht hatte und weder die eine, noch die andere würde im Moment begreifen, warum es die Mutter getan hatte.

Der elfjährigen Carola würde sie es nicht erklären, aber Gwendolyn sollte nun wissen, was da so zwischen Mann und Frau passierte. Passieren konnte. Gleichzeitig musste nun aber Johanna vorsorgen, dass genau das nicht passieren würde. Die beiden Töchter schliefen oben in einem gemeinsamen Raum, aber immer noch unter einem Dach mit mehr als zehn jungen Männern, die sicher alles in ihrer Macht stehende tun würden, um in das Zimmer der Mädchen zu gelangen. Offenbar hielt sie nur die Angst vor Siegbert davor zurück.

Aber sie hatte an den lüsternen Blicken der Männer gesehen, wie Nahe sie an der Übertretung der Weisung waren. Nach dem Essen ging daher Johanna mit Gwendolyn in den Garten und setzte sich auf eine der Bänke. Es begann ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter, bei dem die Tochter des Öfteren rote Ohren bekam. Allerdings war es besser, der Tochter zu erzählen, was geschehen konnte, bevor es geschah. Es würde wohl nicht mehr lange dauern, bis auf dem Markt das erste Gerücht aufkam und dann würde es schwierig sein, die Gerüchte wieder zum Verstummen zu bekommen.

Schließlich begann die Mutter, zuerst stockend, von ihren Erlebnissen zu berichten, die sie damals machen musste, als sie in Gwendolyns Alter gewesen war. Von der Schändung, der Entehrung, der täglichen Buße bei dem Bauern und der Gewalt, der sie ausgesetzt gewesen war. Dabei begannen ihr bei der Erinnerung die Tränen zu laufen und die Tochter musste sie trösten. Gemeinsam betraten sie das Haus wieder und gingen nach oben, wo Carola schon im Bett schlief. „Du wirst verstehen, dass ab jetzt in der Nacht eure Tür immer verschlossen sein wird. Es ist nur zu deinem Schutz“, erklärte die Mutter und Gwendolyn nickte. Dann gaben sie sich einen Gute-Nacht Kuss und Johanna verschloss die Tür. Sie zog den Schlüssel ab und verbarg ihn in ihrem Mieder, nahe bei ihrem Herzen. Nun konnte sie sicher schlafen. Den beiden Töchtern würde jetzt nichts mehr passieren.

Doch was sollte sie gegen die Gerüchte tun? Diese waren nicht so einfach zu beseitigen. Da gab es keinen Schlüssel dafür. Johanna ging zum Zimmer hinüber, in dem sie mit ihrem Mann schlief. Hans war gerade aus dem Kontor herübergekommen und nun begann sie ihm ihre Befürchtungen zu schildern. Es war eigentlich eine einfache Frage: wie trennt man eine junge Frau von vielen jungen Männern. Der „goldene Käfig“, den Hans scherzhaft in das Gespräch einbrachte, war da keine Lösung. Eine unverheiratete Frau mit vielen Männern unter einem Dach MUSSTE für Klatsch bei den Frauen in der Stadt sorgen. Blieb also immer noch die Frage, wie sie die Männer von ihr trennen sollte. Der Schlüssel half nur nachts. Und am Tag mit der Tochter jeden Schritt Hand in Hand zu machen, das war auch nicht die Lösung. Hans brachte es auf die einfache Lösung: das Dach von Gwendolyn trennen. Oder mit anderen Worten: die Tochter aus dem Haus bringen. Bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag blieben da nur noch zwei Wochen und damit nicht mehr so viel Zeit.

Eigentlich gab es für eine Kaufmannstochter wie Gwendolyn nur zwei Möglichkeiten: Heirat oder Kloster. Für beides war die Zeit nun aber auch schon mehr als knapp geworden. Einen freien Klosterplatz in einem entsprechenden Kloster oder Stift zu bekommen, das ging da vielleicht noch mit ein paar Münzen in die Wege zu leiten, aber eine Hochzeit, mit einem entsprechenden Mann, zu organisieren, dazu würde die Zeit nun wohl kaum mehr reichen.

Johanna hatte es einfach versäumt, zu Gwendolyns fünfzehnten Geburtstag nach einem passenden Mann Ausschau zu halten, den sie dann Hans vorschlagen konnte. Und nun? Sollte die Tochter den erstbesten Mann heiraten, der in das Kontor ihres Mannes kam? Das schien ihr auch nicht wirklich die beste Lösung zu sein. Obwohl die Töchter und auch die Frauen, bei der Wahl des Mannes keinerlei Mitspracherecht hatte, wollte es Johanna für Gwendolyn anders halten. Sie sprach mit Hans ab, dass dieser der Tochter einen Kandidaten vorschlagen sollte. Wenn die Tochter diesen aber ablehnen würde, so blieb nur das Kloster.

Bereits am nächsten Morgen würde Johanna zum Pfarrer gehen und ein paar Münzen mitnehmen. Sie würde dies, in Anbetracht ihrer Vergangenheit, nur ungern tun, aber sicherlich wäre der Geistliche den glänzenden Gulden nicht abgeneigt. Noch hatte Johanna keinen geistlichen Herren gesehen, der der Macht des Geldes widerstehen konnte. Den Platz konnte sie ja dann immer noch zurückgeben. Das Geld würden sie dann bestimmt nicht zurückerhalten.

4. Kapitel

Ein guter Ruf

Natürlich hatte Gwendolyn die Blicke der jungen Männer schon lange bemerkt, aber das hatte für sie bisher keinerlei Bedeutung gehabt. Sie kannte die Meisten einfach viel zu lange. Oft kamen die Lehrlinge schon mit elf oder zwölf Jahren zu Meister Siegbert. Sie hatte mit den Jungen schnitzen gelernt, hatte mit Hinner im Kontor des Vaters lesen, schreiben, rechnen und Kontorführung geübt. Alles bisher ganz normal. Wie Freunde eben. Nicht wie Mann und Frau. Vor ein paar Jahren hatte sie sich noch mit ihnen hinter dem Haus im Garten gerauft, aber das war nun anscheinend vorbei. Die Aussprache mit der Mutter am Abend zuvor hatte ihr noch ein bisschen mehr die Augen geöffnet.

Noch mehr war aber die Geschichte der Mutter, die sie erst jetzt erfahren hatte, etwas, was sie erschreckt hatte. Durch die mehr als drastische Schilderung hatte sie erkannt, wie schnell man den Ruf verlor und ein verloren gegangener Ruf, eine nicht mehr vorhandene Ehre, hatte in den Kreisen der Kaufleute oft den Ausschluss aus diesen Gesellschaftskreisen zur Folge. Für ein Mädchen wie sie würde das aber auch den Abstieg bedeuten. Die Mutter hatte nur mit sehr viel Glück diese Schande und Schmach überwunden. Doch genauso hätte es auch sie, als Tochter, nie geben können. Bei den Bettlern und Ausgestoßenen legte man sich keine Kinder zu. Da war man froh, wenn man den nächsten Tag überlebte.

Allerdings kam nun ein völlig neuer Blickwinkel dazu: jetzt versuchte sie mit ihren Bewegungen die Männer zu necken und sie bemerkte natürlich, dass die Männer ganz besonders nach ihr schauten, wenn sie sich beim Tischdecken über die Tafel beugte.

Die etwas tieferen Einblicke in das Kleid waren ihr da nicht peinlich, aber die Männer wurden rot bis über beide Ohren, wenn sie sich von ihr ertappt fühlten. Das gefiel ihr! Es hatte also auch seine guten Seiten, eine Frau zu sein, auch wenn sie das bis zum Tag zuvor noch nicht so gemerkt hatte. Dass sie mit diesem Spiel die Mutter nur noch mehr reizte, nahm Gwendolyn nur am Rande wahr. Sie war mit sich selbst und ihrer Ausstrahlung beschäftigt. Noch trug sie keine Haube, noch konnte sie, wie unbeabsichtigt, mit den Fingern in ihren Haaren spielen. Praktisch über Nacht war sie vom kleinen Mädchen zur jungen Frau geworden.

Die Mutter ließ sie nun aber auch nicht mehr auf die Straße. Selbst den Einkauf machte die Mutter nun mit Carola. Jede Marktfrau hätte sofort erkannt, dass sich Gwendolyn verändert hatte und dann wäre der Klatsch über sie das Gesprächsthema auf dem Markt gewesen. Am Ende der Woche ging es nun, eigentlich wie jede Woche seit ihrer Geburt, in das öffentliche Badehaus. Sie kannte dort jeden und jeder kannte sie, doch nun war auch bei ihr etwas anders. Sie bewegte sich anders. Mit der bis dahin immer angelegten Schürze, die den Rücken frei ließ, war sie für die Mutter auf einmal zu nackt. Daher musste Gwendolyn das sonst nur für Männer verwendete Badehemd überziehen, dass ihr bis auf die Oberschenkel fiel. Darin sah sie nun erst recht komisch aus, zwischen all den nackten Frauen, die sich um ihr Auftreten keinerlei Gedanken machten.

Doch da in dem Becken nebenan, mit direktem Blick auf das Becken der Frauen, die Männer saßen, war es wohl für die Mutter besser so. Allerdings wurde dieses Hemd mit zunehmender Badedauer immer durchsichtiger und so kam es, dass Gwendolyn praktisch nackt vor den Männern aus der Wanne stieg. Der dünne Stoff hatte sich an ihren Körper angelegt und jede Kontur nachgezogen. Was die Mutter eigentlich mit dem Hemd verhindern wollte, das wurde nun mehr als deutlich gezeigt. Die dickeren Badeschürzen blieben auf Abstand zum Körper, da sahen die Männer nur den nackten Rücken.

Bei einem flüchtigen Blick in das Becken der Männer sah sie, das ihre Bekleidung auch eine direkte Wirkung bei den Männern auslöste. Sie dachte wieder an die Erklärung der Mutter und bekam dabei rote Ohren. Schnell verschwand sie daher in dem angrenzenden Raum, wo sie sich von einer der Mägde abtrocknen und wieder ankleiden ließ. Allerdings ging ihr nun das Gesehene nicht mehr aus dem Kopf. Zusammen mit der Beschreibung der Mutter setzte sich in ihrem Kopf ein Bild zusammen, wie es sein konnte, verheiratet zu sein. Freute sie sich darauf? Vielleicht. Neugierig war sie auf alle Fälle. Aber sie musste wieder auf ihren guten Ruf achten, sonst würde daraus nichts werden.

Hatte sie diesen aber gerade mit ihrem Auftreten in dem Bad riskiert? In dem Becken der Frauen, aus dem sie gerade gestiegen war, saßen auch zwei Marktweiber. Während des ganzen Weges in den hinteren Raum hatte sie die Blicke der beiden Frauen auf ihrer fast nackten Rückseite gespürt. Bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag gab es nur noch einen Markttag und das war das einzig tröstliche daran. Damit gab es für Gerüchte eigentlich keine Zeit mehr. Plötzlich gab es einen Knall aus dem Baderaum und Gwendolyn lief, obwohl sie ja schon angezogen war, noch einmal zurück. Ein sehr dicker Mann lag vor der Wanne und um ihn herum war alles voller Wasser. Wie ein Fisch auf dem Trockenen zappelte er, auf dem Rücken liegend, herum und versuchte aufzustehen. Er hatte beim Einsteigen in eine der kleineren Wannen diese einfach durch sein Gewicht zum Zerplatzen gebracht. Alle in dem Raum konnten sich nicht mehr halten vor Lachen.

Zwei der Bademägde versuchten nun den Mann wieder anzuheben, rutschten aber selbst ständig im Wasser aus. Erst der geballten Kraft von vier Männern gelang es dann, den Dicken wieder auf die Füße zu heben. Schimpfend verließ der Mann das Bad, aber für Gwendolyn hätte es nicht besser kommen können.

Niemand würde über das fast durchsichtige Hemd reden. Alle würden sich nur über das Ungeschick des Dicken auf dem Markt ihr Maul zerreißen. Ein Unglück hatte ihren guten Ruf gerettet. Wenn es nicht so rutschig gewesen wäre, dann hätte sie jetzt in dem Bad vor Freude tanzen können. So beließ sie es nur bei einem Schmunzeln und nahm Carola in Empfang, die sich vor Lachen bog. Mit der Schwester ging sie zu der Bademagd, um Carola abzutrocknen und anzuziehen.

5. Kapitel

Eine gute Wahl?

Nun war also der Zeitpunkt heran, vor dem sie sich so lange gedrückt hatte. Johanna musste mit Hans reden. Es blieben ja nur noch wenige Tage und bisher hatte Hans noch keinen geeigneten Kaufmann gefunden, der noch ledig war. Oder verwitwet. Er kannte zwar, durch seine vielen Kontakte, die meisten Kaufleute persönlich, aber es war auch nicht so einfach, diese zu kontaktieren. Nach einer Woche hatte er noch nicht wirklich einen gefunden. Vorsorglich hatte Johanna daher mit dem Pfarrer gesprochen und einen Platz in einem Nonnenkloster gefunden. Im Kloster „Heilig Kreuz“, einem Benediktinerinnenkloster in der Nähe von Meißen, hatte sie gegen die Gabe von ein paar Gulden eine Zelle für Gwendolyn reserviert. Es war zwar sehr weit von ihr entfernt, aber auf die Schnelle das Einzige, welches noch einen Platz frei hatte.

Die Mitgift, die auch bei einer Aufnahme in das Kloster fällig werden würde, hatte Hans als Erstes beisammen gehabt, das war ja auch ein leichtes für den Kaufmann gewesen. Nun blieb nur noch der Ehemann. Sie nahm sich ebenfalls vor, bei Carola etwas eher mit der Suche zu beginnen, doch ob das dann auch gelänge, das konnte sie noch nicht sagen. Bei Gwendolyn war es ja auch mehr als deutlich gewesen, dass sie hätte tätig werden müssen. Oder bei Hans vorsprechen. Oder hatte der Mann Schuld? Johanna dachte zurück an ihren Vater. Der hatte weder sie noch Bärmuth gefragt, da war sie eigentlich nur ein Tauschobjekt gewesen. Tochter gegen Geschäftsanteile! In all den Jahren zuvor hatte sie sich ständig gesagt, dass sie es bei ihrer Tochter anders machen wollte und hatte dabei dennoch den richtigen Zeitpunkt verpasst.

Wie fast jeden Abend war Hans auch an diesem Tag lange in seinem Kontor gewesen. Erst nach dem Abendmahl kam er in ihr Zimmer und begann fast sofort zu erzählen, dass er einen Kaufmann gefunden hatte, der ledig war, in den nächsten Tagen nach Leipzig kommen würde, und der auch schon Interesse an Gwendolyn bekundet hatte, ohne die Tochter zuvor gesehen zu haben. Das war eigentlich zu schön, um wahr zu sein und darum sah sie den Mann fragend an. Sicherlich hatte er noch nicht alles gesagt.

Immer weiter zögerte Hans die Antwort heraus und damit war es für Johanna offensichtlich, dass das glänzende Angebot, als das es Hans gerade noch geschildert hatte, so nicht wirklich stimmen konnte. Schließlich sagte er „Der Mann ist so alt wie mein Vater. Schon drei Mal verwitwet.“ Johanna musste sich erst mal setzen. Dann dachte sie daran, dass sie ja der Tochter eine Wahl lassen wollte „Du hast ihm aber noch nichts versprochen?“, fragte sie zögerlich. „Nein. Er kommt nur unverbindlich. Wenn Gwendolyn zustimmt, so nimmt er sie zur Frau. Wenn nicht, so wird er sich wohl eine andere suchen müssen“, erklärte er. Johanna sah auf den Fußboden zu ihren Füßen. Eigentlich wusste sie die Antwort der Tochter schon jetzt. Da würde es sicher keine Wahl für sie geben.

„Wo kommt der Kaufmann den her?“, wollte Johanna wissen und Hans antwortete ihr „Aus Dresden. Er wird Hinner mit dorthin nehmen, damit dieser bei ihm seine letzten Jahre der Gesellenzeit lernen wird.“ „Das trifft sich gut“, setzte Johanna hinzu „Falls sich Johanna gegen ihn entscheidet, so kann er sie doch vielleicht auf dem Weg zurück im Kloster absetzen, das ist ja direkt auf seinem Weg.“ „Ich werde ihn danach fragen, ob er dies für uns tun wird. Und dann wird er unsere Tochter also auf jeden Fall mit sich nehmen“, ergänzte Hans und Johanna nickte. „Dann wird es für uns langsam Zeit, von ihr Abschied zu nehmen“, erklärte der Mann nachdenklich. Sicherlich dachte er gerade an all die Erlebnisse mit der Tochter zurück. Johanna setzte sich leise in den Stuhl. Die Frau sah zu der Kerze, deren Licht gerade durch einen Luftzug zu flackern begann. Dann überlegte sie Was konnte sie der Tochter noch an Wissen oder Dingen mitgeben? Unbewusst griff sie an den Hals und spürte das kleine Kreuz zwischen ihren Fingern. Dabei dachte sie daran, was im Kloster getragen werden durfte. Die Benediktinerinnen leben als Nonnen in der Klausur. Dort lernten sie, beteten und trugen ihre Tracht. Auch ein schlichtes Kreuz führten sie. Also war das Kreuz aus Silber, das Johanna um ihren Hals trug, sicherlich nicht mit den Regeln des Ordens zu vereinbaren. Bestimmt wurde auch die Kleidung einheitlich getragen. Was konnte sie der Tochter mitgeben, das diese auch im Kloster immer an sie erinnern würde?

Johannas Blick fiel auf ihre Schuhe. Das war es! Schuhe hatten die Nonnen sich selbst zu besorgen! Und da sie unter dem Habit verborgen waren, so würde sicher keiner die Schuhe einer Nonne kontrollieren. Die Mutter würde Gwendolyn ein paar schöne Schuhe besorgen, welche die Tochter dann bei jedem Schritt an sie erinnern würden. Sie sah auf und begann Hans ihre Idee zu erklären und er stimmte ihr sofort zu. „Die kann sie tragen, wenn sie verheiratet wird und auch im Kloster“, gab er mit einem Lächeln zu wissen. Dann zog er einen Beutel mit Münzen aus dem Kästchen, das vor ihm auf dem Tisch stand, und gab ihn an Johanna weiter. Die Frau nickte und verwahrte den Beutel. Am nächsten Tage würde sie mit der Tochter in ein Kontor gehen und dort würden sie dann die Schuhe heraussuchen. Schließlich stand sie auf, trat zu ihrem Mann und küsste ihn.

„Bei Carola werde ich etwas eher mit der Suche beginnen“, bemerkte Hans schuldbewusst und bestätigte damit auch ihre Gedanken. „Ich sehe noch einmal nach den beiden Mädchen“, sagte Johanna und zog den Schlüssel aus dem Beutel. „Ich komme mit“, erklärte Hans. Zusammen gingen sie über den Gang, sie schloss die Tür auf und dann sahen sie zu zweit im Kerzenlicht in die schlafenden Gesichter ihrer beiden Töchter, die zusammengekuschelt in dem großen Bett lagen.

Alles war so, wie es schon seit Jahren war. Und in einigen Tagen würde sich für jeden von ihnen daran etwas ändern. Nicht nur für Gwendolyn, sondern auch für Carola, die bisher noch keinen Tag ohne die große Schwester gewesen war. Leise verließen sie den Raum wieder und verschlossen die Tür. Die Eheleute nickten sich zu und gingen zurück in ihren eigenen Raum. Zeit zu schlafen. Wenig später lagen sie genauso zusammengekuschelt in ihrem Bett, wie wenige Schritte entfernt die beiden Töchter.

6. Kapitel

Gedankenreisen

Die letzten paar Tage waren angebrochen. Es war die letzte Woche bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag und damit auch die letzte Woche in ihrem bisherigen Zuhause. Jeden Schritt in dem Hause machte sie nun ganz bewusst. Jeder Handgriff, den sie solange schon ausgeführt hatte, konnte in diesem Haus der letzte sein. Über so vieles hatte sie sich nie Gedanken gemacht. Nie machen müssen. Schon in der Woche zuvor war ihr vieles durch den Kopf gegangen. Die Schilderung der Mutter, über deren Zeit als Magd bei dem Bauern, hatte dafür gesorgt, dass sich Gwendolyn gefragt hatte, wie viel Glück sie doch damit hatte, in diesem Hause groß geworden zu sein. Erst jetzt hatte sie wirklich die zerlumpten Gestalten und die ausgehungerten Kinder wahrgenommen, die am Markttag immer dort an der Kirche saßen und die Hand aufhielten. Womit hatte sie das Glück verdient, hier zu sein? Und nicht dort in diesem Elendsviertel? All die Jahre war sie immer satt in ihr Bett gegangen. Sie konnte lesen, schreiben, rechnen und liebte Gedichte. Die Kinder an der Kirche konnten all das nicht. Sie waren glücklich, wenn man ihnen ein Stück trockenes Brot gab.

Gwendolyn ging in das Kontor des Vaters hinüber, das sich im Nebenhaus befand. Einst hatte er gemalt und geschnitzt, so wie ihr Großvater es noch immer tat, doch dann hatte er dieses Kontor übernommen und war ein angesehener Kaufmann geworden. In dem Raum saß Hinner an seinem Tisch. Er hatte die Rechenmünzen vor sich liegen und zählte gerade die Abschlüsse des Tages zusammen. Der junge Mann lächelte sie an und sie lächelte zurück. Sie kannten sich eine halbe Ewigkeit. Sie fragte sich in Gedanken „Warum kann ich eigentlich nicht in diesem Kontor bleiben?“ Doch die Antwort war klar, das würde nur gehen, wenn ihr Vater es an seinen Nachfolger abgeben würde, mit welchem sie dann verheiratet würde. Dazu war er aber anscheinend noch viel zu jung. Vielleicht hätte Carola da mehr Glück. In ein paar Jahren konnte das schon alles anders aussehen, aber auch Meister Siegbert, ihr Großvater, dachte noch lange nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen. Damit war die letzte Möglichkeit, in dem Hause zu bleiben, vertan. Erst in der letzten Woche hatte sie darüber nachgedacht, dass das Privileg, in einer wohlhabenden Familie zu leben, auch ein paar Nachteile hatte.

Für die Tochter eines Kaufmannes gab es nur drei Möglichkeiten: erstens sie blieb zu Hause, weil ein Geselle das Meisteramt des Vaters übernahm. Zweitens sie verließ das Haus, weil sie mit einem anderen Kaufmann verheiratet wurde. Oder drittens sie verließ das Haus und ging in ein Kloster. Weitere Möglichkeiten gab es nicht, wenn nicht der soziale Abstieg der jungen Frau in Kauf genommen wurde. Und für Gwendolyn gab es nur die letzten beiden Optionen. Nachdenklich setzte sie sich neben Hinner und sah auf die kupfernen Rechenmünzen, die der Geselle des Vaters auf die Linien des Brettes gelegt hatte. Wie oft hatte sie hier das Tagesgeschäft ausgerechnet, aber ihre Zukunft ließ sich so leider nicht berechnen.

„Was denkst du?“, fragte sie Hinner, der wohl gesehen hatte, dass sie nachdenklich war. Sie schob eine der Münzen einen Strich nach oben und verfünffachte damit deren Wert. „Ich denke daran, was nächste Woche wird“, erwiderte sie und Hinner schob die Münze wieder zurück „Was bei mir in der nächsten Woche wird, dass weiß ich schon. Ich gehe nach Dresden zu einem anderen Kaufmann. Dort beende ich meine Gesellenjahre“, erklärte er und sie sah ihn überrascht an. „Na du wirst doch auch gehen“, setzte er ihr entgegen, weil er wohl Gwendolyns Überraschung gesehen hatte. Er zog das Schriftstück nach vorn, dass der Vater gerade eben ausgestellt hatte. Es war ein Empfehlungsschreiben für den fremden Kaufmann.

„Vielleicht gehe ich ja auch nach Dresden und man könnte sich dort wiedersehen“, sagte Gwendolyn, als sie ihm den Brief zurückgab. „Wohl eher nicht“, begann Hinner, „Ich werde als Geselle kaum die Frau eines Kaufmannes treffen können. Es sei denn, sie ist die Frau meines Kaufmannes.“ Sie nickte „Das ist wohl eher kaum zu erwarten“, sagte sie, denn sie dachte, dass der andere Kaufmann, bei dem Hinner bald arbeiten würde, bestimmt schon verheiratet war. „Habt ihr nun alles ausgerechnet?“, fragte der Vater und Hinner sah auf das Brett. Schnell schob er die Münzen zusammen und sagte „Wir haben heute 373 Gulden eingenommen.“ Dann schob er die Münzen in die kleine Schachtel und verschloss diese. „Gut so“, stellte der Vater fest und dann kam ein älterer Mann durch die Tür des Kontors. Der Vater begrüßte ihn und brachte ihn zu dem Tisch, an dem Gwendolyn saß. Sie stand auf und machte einen Knicks, dann schickte der Vater sie und Hinner aus dem Raum und setzte sich mit dem Manne an diesen Tisch.

Vor dem Kontor sah sie Hinner an. „Was war das denn? Er hat mich doch noch nie aus dem Kontor geschickt“, fragte Gwendolyn und Hinner gab zu verstehen „Ich glaube, da drin geht es gerade um dich.“ Erschrocken fuhr sie herum. „Ach du Schreck. Du meinst er…?“, fragte das Mädchen und zeigte über die Schulter mit dem Finger zum Kontor. Hinner nickte „Vermutlich ja“, entgegnete er und sah sich zum Hause um. Jetzt drehte sie sich ebenfalls noch einmal zum Kontor um und schaute auf die verschlossene Tür. Konnte es wirklich sein, dass das da drin ihr Mann werden sollte? Dieser Kaufmann war so alt wie Meister Siegbert. „Wenn das mein Mann werden soll, dann bleibt nur noch das Kloster für mich übrig“, sagte sie bestimmt, „Ich hoffe, deine Eltern lassen dir diese Wahl“, entgegnete Hinner und verwies darauf, dass die Töchter normalerweise keinerlei Mitbestimmungsrecht hatte. Sie zuckte mit den Schultern und ging zurück in das Haus. Die Vorbereitungen des Abendmahles musste noch getroffen werden.

Fragend sah sie ihre Mutter an. Gwendolyn versuchte im Gesicht der älteren Frau zu lesen und eine Antwort zu finden, doch da war nichts zu erkennen. Eventuell hatte der Vater ja auch noch nicht mit ihr darüber gesprochen. Schnell waren das Geschirr auf dem Tisch und das Essen aufgetragen. Meister Siegbert sprach ein Gebet und alle langten kräftig zu. Alle bis auf Gwendolyn, die sorgenvoll auf die noch geschlossene Tür schaute, durch die der Vater bald kommen musste. Was würde er sagen? Ließ er ihr eine Wahl oder sagte er nur „Du musst los!“. Die Zeit dehnte sich zu den schrecklichsten Augenblicken, die sie jemals erlebt hatte. Keine Bissen bekam sie herunter und vor all den Anderen in dem Raum wollte sie auch nicht mit der Mutter darüber reden. Was würde geschehen?

7. Kapitel

Entscheidungen

Die Entscheidung war so gefallen, wie es sich Johanna schon gedacht hatte. Ein Blick auf den Kaufmann hatte Gwendolyn genügt, um sich für das Klosterleben vorzubereiten. Damit blieben nun noch die letzten drei Tage. Der Kaufmann wollte diese Zeit abwarten, bis Johanna ihren Geburtstag gefeiert haben würde, dann wollte er wieder aufbrechen. Er hatte ihrem Mann versprochen, gut auf die Tochter aufzupassen und er hatte ja auch ein paar bewaffnete Knechte dabei. Bis dahin war der Kaufmann natürlich ihr Gast und schlief in einem der Gesellenzimmer unter dem Dach. Immer wieder dachte Johanna daran, wie schnell doch die Zeit verflogen war. Sie sah immer noch, wie die Tochter durch den Garten tobte, wie sie auf ihren Knien gesessen hatte. Wie sie das erste Buch zusammen gelesen hatten. Erinnerungen, die sie fröhlich und traurig zugleich stimmten. Zu gern hätte sie ein paar Enkel gehabt, die sie auf den Schoß sitzen haben konnte, so wie Bärmuth es mit Gwendolyn gemacht hatte. Aber eigentlich war Johanna ja noch nicht zu alt, um nicht noch ein weiteres Kind haben zu können. Wie jeden Tag, so wartete sie auch an diesem Abend auf Hans. Da der aber mit dem anderen Kaufmann sicherlich in der Schänke war, wurde es besonders spät. Damit hatte sie genug Zeit, um weiter zu überlegen.

Sie war jetzt zweiunddreißig Jahre alt und dachte daran, dass sie in Gwendolyns Alter ihr erstes Kind bekommen hatte. Noch immer dachte sie mit Schrecken an dieses ungestaltete Kind zurück, dass zum Glück nicht lange gelebt hatte. „Teufelsbalg“ hatte die Freundin damals gesagt und auch sie selbst hatte so gedacht. Nun war die Zeit gekommen, Abschied von der Tochter zu nehmen, aber es konnte auch der Zeitpunkt werden, eine neue Tochter zu empfangen. Bisher hatte sie immer Glück gehabt. Alle ihre Schwangerschaften hatte sie überlebt, auch wenn nur diese beiden Töchter es überlebt hatten. Andere Frauen waren schon bei der ersten Geburt gestorben. Sollte sie das Schicksal noch einmal herausfordern? Johanna setzte sich vor den Spiegel und begann ihre Haare zu bürsten. Sie machte sich schön für ihren Mann und das würde sicherlich genau die Wirkung haben, die sie sich vorstellte, wenn Hans nicht zu viel von dem Wein getrunken hatte.

Anschließend stand sie auf und suchte in der Kleidertruhe das schönste Unterkleid heraus, welches sie nur finden konnte. Als sie ihn auf der Treppe hörte, zog sie sich das Kleidungsstück über. Mitten im Raum stehend erwartete sie ihn. Er war noch nüchtern und begrüßte sie mit einem Kuss, aus welchem sie sich einfach nicht mehr löste. Die Frau hatte eine Entscheidung getroffen und er musste nun einfach mit. Auch wenn es sich für eine Frau nicht gehörte, die Initiative zu ergreifen, zog sie ihn einfach hinter sich her zum Bett.

Der neue Tag begrüßte sie mit seinem Licht und das erste, was sie dachte war: „Nur noch zwei Tage.“ Dann sah sie zu dem Mann, der neben ihr unter der Decke lag. Johanna schob die Decke weg und zog sich das in der Nacht verrutschte Unterkleid wieder zurecht. Sie musste die Töchter aus ihrem „Gefängnis“ befreien, damit diese sich waschen konnten. Und das Frühmahl musste auch vorbereitet werden. Vorsichtig beugte sie sich über ihren Mann und gab ihm einen Kuss. Danach schlich sie nach draußen und schloss die Tür des Zimmers auf. „Guten Morgen“, sagte sie zu Carola und Gwendolyn, die sicherlich auch gerade eben erst aufgewacht waren. Wieder hatten die beiden Mädchen in einem Bett geschlafen, obwohl doch jede ein eigenes hatte. In ein paar Tagen würde eines davon für lange Zeit verweist bleiben, aber wenn alles gut ging, so würde es vielleicht auch bald wieder belegt werden.