Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Yacht der Toten ist ein Abenteuerroman von Walter Kabel.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 189
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Daß mein chinesischer Freund und Dschungelgefährte den Orang Utan, den er endlich nach tagelangen Bemühungen in den Bambuskäfig gelockt und gefangen hatte, wieder laufen ließ, war ja an sich ein sehr hübscher Charakterzug Chi Apis. Es war eben derselbe Maia gewesen – Malaien und Dajak als farbige Ureinwohner Borneos bezeichnen den Orang Utan mit Maia, ein Ausdruck, der etwa Waldherrscher bedeutet –, der bereits vor wenigen Tagen der List der Menschen erlegen war, außerdem auch dasselbe Tier, dem wir die erste sichere Botschaft von Anja van Vanderoos verdankt hatten, und Freund Chi konnte beim besten Willen nicht voraussehen, daß dieser Menschenaffe, ein Exemplar von außergewöhnlicher Stärke für Margrit Jossi die Ursache furchtbarster Todesangst werden sollte.
Als Chi mir damals kurz nach Mitternacht das abgesplitterte Propellerstück gezeigt und sehr bald begriffen hatte, daß irgendwo in der Nähe unserer Urwaldhütte ein Flugzeug notgelandet sein müßte, war er sofort Feuer und Flamme dafür, dieses Flugzeug zu suchen, zumal wir annehmen mußten, daß die Insassen sich in den Gipfeln der Urwaldriesen in höchster Bedrängnis befanden, falls sie nicht bereits tot wären.
Es war eine sternklare, warme Nacht, und über die Berge von Madjang strich ein erquickender Wind hin. Gut bewaffnet wie immer schritten wir den Dschungelpfad entlang bis zu jener Stelle, wo Chi das frische Propellerstück – es war weder feucht noch zeigte die Bruchstelle Spuren längeren Liegens im hohen Grase – zufällig bemerkt hatte.
»Freund Olaf, hier war es«, erklärte Chi am Rande der Lichtung und deutete erst auf den Boden und dann auf einen vereinzelten Baumriesen. »Und dort fing ich den Maia, Olaf … Du hättest nur sehen sollen, wie eilig er wieder seine grüne Heimat, die Baumkronen, aufsuchte und …«
»&… Still!!«
Ich hatte unwillkürlich Chis Arm umklammert.
»Hörtest du …?« flüsterte ich und wandte den Kopf aufwärts.
Wie eine schwarze Mauer standen die Giganten des Dschungels vor uns, Stämme von vierzig, fünfzig Meter Höhe, zumeist jene Rasamala-Arten, die selbst die kalifornische Kiefer an Höhe und Durchmesser übertreffen.
Und … abermals kam da von oben her der gedämpfte und trotzdem gellende Schrei …
Chi meinte höflich wie stets: »Freund Olaf, du denkst an einen Menschen, der sich in Todesnot befindet, gestatte jedoch, daß ich dir widerspreche: Es ist nur ein junger Gibbon (die zweite Menschenaffenart Borneos), der von seiner Horde abgekommen ist …«
»Wir lauschten. Chi wußte hier mit allem besser Bescheid als ich, und es wäre von mir etwas anmaßend gewesen, hätte ich meine abweichende Ansicht über den Ursprung des seltsamen Rufes energisch verfochten.
»So hörte ich noch keinen Gibbon schreien«, erklärte ich leise …
Chi hatte sich gebückt. Was er da aus dem hohen Grase aufhob, war eine Flasche …
Meine Laterne beleuchtete sie. Es war eine Likörflasche mit langem Hals und dickem Bauch. Sie war leer, aber zugekorkt, und zugleich mit dem Korken war ein Stück Leinwand halb in den Hals hineingetrieben und hing als helle Fahne schlaff herab.
Chi meinte erstaunt: »Die Leinwand ist ein Taschentuch, Olaf, und …«
Da – – zum zweiten Male versetzte der eigentümliche Schrei meine Nerven ins Schwingen.
Chi Api stutzte.
»Es ist kein Gibbon«, sagte er ehrlich. »Es ist ein Mensch …«
»Ein Mensch, der diese Flasche aus den Baumkronen herabschleuderte, vielleicht in der Hoffnung, daß sie …«
Mein pockennarbiger Freund war bereits zum nächsten Rasamala geeilt und schwang sich an ein paar armdicken Lianen, die wie Taue von den untersten Ästen herabhingen, gewandt empor.
Chi ist kein Schwätzer. Seine gemessene Höflichkeit hält weise Maß mit jedem Wort.
Als ich ihm folgte, als wir nun, nur mit den Händen in der Finsternis und in dem Astgewirr der Krone uns weitertastend, nach unendlichen Anstrengungen etwa dreißig Meter hoch geklommen waren, schimmerte uns ein matter Lichtschein entgegen.
Über uns lag eingekeilt zwischen den Riesenästen der Rumpf eines Eindeckers. Die Flügel waren abgebrochen und mußten anderswo in der Krone hängen. Aus einem Fenster des Rumpfes kam der schwache Lichtschein.
Dann ein Splittern von Glas … Ich sah vor dem Fenster den unverkennbaren Schatten eines Orang Utan, ich vernahm nun aus nächster Nähe denselben schrillen Ruf, und dann … fiel ein Schuß …
Der Menschenaffe glitt zurück, prasselnd brachen unter ihm die Zweige, und offenbar sauste er schwer verletzt in die Tiefe.
Dann ward alles wieder still.
Ich beeilte mich … Ich packte eine dünne Ranke irgendeines Schmarotzergewächses, – – ich war als erster vor dem durch den Maia zertrümmerten Fenster und rief überlaut:
»Nicht schießen …! Wir kommen Ihnen zu Hilfe …!!«
Ich hatte mich des Englischen bedient.
Urplötzlich erlosch das Licht, und die Person in der kleinen Kabine des Eindeckers war so unhöflich, sich nicht auf Englisch, sondern durch einen zweiten Schuß zu melden. Die Kugel pfiff zwar weitab durch die Äste, – – immerhin, diese Art Empfang empörte den liebenswürdigen Chi derart, daß er dem Schützen zubrüllte:
»Wer Sie auch sein mögen: Behandelt man so zwei Leute, die …«
Peng – –, abermals.
Dritter Schuß …
Auch mir riß der Geduldsfaden.
»Sind Sie des Teufels!!« Chis Stimme ist nichts gegen die meine. Chi reicht nur bis zur Schulter, und seine zierlichen Gliedmaßen stehen durchaus im Einklang mit seinem sanften Organ.
Der Mensch da oben war wirklich des Teufels.
Vierter Schuß …!!
Die Sache begann mich nun doch nach einer anderen Richtung hin zu interessieren.
»Der Kerl hat allen Grund, uns mit Blei zu begrüßen, flüsterte ich Chi zu, der neben mir auf einem Ast hockte. Drei Meter vor uns war das Fenster. »Der Bursche mag annehmen, daß …«
»Wer sind Sie?«
Englisch …
»Olaf, ein Weib«, sagte Chi in mildestem Tone. »Die Angst vor dem Maia dürfte ihr die Sinne verwirrt haben, und …«
»Wer sind Sie?!« Es war ein weicher, aber kraftvoller Sopran, und ich stellte mir vor, daß die Frau außerordentlich willensstarken Charakters sein müsse.
»Zwei harmlose Tierfänger«, erwiderte ich rasch, um diese merkwürdig angriffslustige Dame nicht zum fünften Schuß zu veranlassen.
Viel war wie gesagt von dem Flugzeugrumpf nicht zu erkennen: Ein heller breiter Streifen! – Die Lage des Fensters ahnte ich jetzt nur ungefähr.
Eine geraume Weile blieb es still.
Das war seltsam.
Allem Anschein nach war die Frau allein und hätte sich freuen müssen, hier in der Wildnis Hilfe gefunden zu haben.
Was tat sie? Sie meldete sich nicht, und als sie sich meldete, war es nur eine erneute Frage in demselben kurz angebundenen Tone:
»Wo befinde ich mich?«
Chi hatte seine besondere Sorte Humor allzeit auf Lager. Er hatte nun ebenfalls gemerkt, daß die Frau mit ihren Patronen aus bestimmten Gründen, die uns noch verborgen, so verschwenderisch umging.
»In einer Baumkrone«, erklärte er sanft. »Etwa dreiunddreißig Meter über dem Erdboden in dem Rumpf eines …«
»Wollen Sie mich verhöhnen?! Scheren Sie sich wieder vom Baume hinab, rate ich Ihnen! Ich höre es Ihrem Englisch an, daß Sie ein Chinese sind, und ich …«
Wir hatten uns geirrt. Der Maia war doch nicht so schwer verletzt … Der Maia gab den Dingen eine andere Wendung, und unsere Lady lernte den Orang Utan von seiner unangenehmsten Seite kennen.
All diese Menschenaffen bewegen sich selbst bei Nacht mit völliger Lautlosigkeit in den Baumkronen. Sie sind eben Baumbewohner, kommen selten zur Erde hinab und besitzen einen so feinen Tastsinn und ein so scharfes Auge, daß sie selbst bei tiefster Finsternis niemals etwa einen verdorrten brüchigen Ast zur Fortsetzung ihres Weges durch die Gipfel benutzen werden.
Nicht einmal wir beide hatten das Nahen des schwer gereizten Tieres wahrgenommen. Wir wurden durch den kurzen Kampf in der Kabine und die gellenden Hilferufe der Frau vollständig überrascht. Der Orang Utan war lautlos durch das zertrümmerte Fenster eingestiegen, und als ich nun in wilder Hast mich höher schwang und mit der bisher abgeblendet gehaltenen Laterne hineinleuchtete, packte mich ein Entsetzen, wie ich es selten gespürt habe.
Der Maia hatte die Frau zu Boden geworfen und preßte ihr mit der Linken den Hals zusammen, während er mit der anderen Hand ein Stück Eisenstange – offenbar eine Strebe der Flügel – zum tödlichen Hiebe schwang.
Chi war wie ein Blitz an mir vorbei durch das Fenster geschlüpft und stieß jene merkwürdigen Töne aus, die nur die Orang-Utan-Weibchen zu gewissen Zeiten von sich geben. Man könnte dieses langgezogene anschwellende Heulen mit Sirenengesang bezeichnen, wenn es nicht so unheimlich tierisch klänge.
Chi, von Jugend an mit den Eigenarten der Menschenaffen vertraut, wollte lediglich den grimmen, blutenden Maia von dem Zuschlagen mit der Eisenstrebe abhalten.
Es gelang. – Der Riesenaffe war durch den Laternenschein geblendet, und als er nun horchend und blinzelnd den rechten Arm sinken ließ, tat Chi abermals das in dieser Lage einzig Richtige. Er spie dem Maia den braunen Tabaksaft seines Priems (der gute Chi priemte zur Zeit aus Not, unsere sonstigen Tabakvorräte waren nämlich aufgebraucht) zielsicher in die Augen und erreichte dadurch, daß der Affe scheu zurückwich und sich heftig die tränenden Augen rieb.
Gewiß: Eine Pistolenkugel hätte ihn rasch erledigt, aber Chi und ich sind keine Schießer und Mörder, und einen Orang Utan niederzuknallen, ist Mord an einem uns Menschen verwandten Geschöpf.
Da der Maia den Eisenstab hatten fallen lassen, genügte dann meinerseits ein derber Kopfhieb, den behaarten Gegner außer Gefecht zu setzen.
Während Chi ihn kunstgerecht fesselte, bemühte ich mich um die bewußtlose Frau.
Ich hatte die Laterne auf den Boden der Kabine gestellt. Ihr Schein übergoß ein schmales, seltsam kühnes, pikantes Gesicht.
Die Frau mochte dreißig Jahre alt sein. Sie trug ein Kleid aus Khakistoff, das entschieden billigste derbste Dutzendware und sehr geschmacklos, aber praktisch war. Die Blässe ihrer Züge trug nur dazu bei, dieses eigenartige Antlitz noch reizvoller erscheinen zu lassen.
Sie kam sehr bald wieder zu sich. Sie war zweifellos nicht verweichlicht, ihre schmalen Hände sahen sogar verarbeitet und schwielig aus, die Fingernägel waren kurz und ungepflegt, obwohl das Äußere der Unbekannten unbedingt auf eine Zugehörigkeit erster Kreise hindeutete.
Als sie die Augen aufschlug, ruhte ihr verwirrter Blick sekundenlang in tiefem Nachdenken auf meinem Gesicht, das dem ihren so nahe war. Dann erinnerte sie sich wohl an die letzten Vorgänge, und mit einem Ruck setzte sie sich aufrecht und wandte den Kopf nach der ungewöhnlichen Gruppe hin, die mein pockennarbiger Freund und der bereits gefesselte Maia in der Ecke bildeten.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich war dem Tode nahe, – das Ungeheuer hätte mich …«
Chi verneigte sich tief, diesmal sichtlich ironisch. »&… getötet, Miß, – wahrscheinlich«, ergänzte er etwas rücksichtslos. »Ein angeschossener Orang Utan ist schlimmer als ein Tiger, die es hier auf Borneo zum Glück nicht gibt. – Pflegen Sie Ihre Helfer immer mit Pistolenschüssen zu begrüßen, Miß?! Es wäre das eine wenig angenehme Eigentümlichkeit, und mein Freund Olaf und ich hätten …«
»&… Oh, – verzeihen Sie bitte …« – und ihre Stimme war bereits freier und kräftiger. »Verzeihen Sie einer Frau, die unter so seltsamen Umständen gezwungen war, auf fremde Hilfe möglichst zu verzichten.«
Sie erhob sich vollends und ließ sich in einen der vier Korbsessel fallen. »Mir ist noch ganz schwindelig …« meinte sie mit erneutem scheuen Blick auf den Menschenaffen, der sich bereits zu regen begann. »Das Tier besitzt ungeheure Kräfte. Ich bin auch nicht gerade ein Schwächling, aber …«
Chis Augen, die starr auf ihre Khakijacke gerichtet waren, in der ein quadratisches Stück etwas über dem Herzen fehlte, brachte sie in Verwirrung. Sie schwieg und suchte dieses Loch in ihrer Oberkleidung, das ungeschickt hineingeschnitten zu sein schien, mit dem linken Ellenbogen zu verdecken.
Chi sagte sanft – nur ein Wort:
»Gellajore …!!« Er betonte es ganz unmerklich, und er lächelte dazu nachsichtig und wiederholte nochmals:
»Gellajore, Miß … Welche Nummer?«
Sie wurde sehr rot, dann noch bleicher, und über die vollen Lippen kam ein pfeifender Ton, als müßte sie mühsam einen Schrei unterdrücken.
Gellajore?! – Ich kannte den Ort nicht, falls es einer war, und wenn es ein Name sein sollte: In jedem Falle übte er auf die Fremde eine starke Wirkung aus.
Sie ließ den halb erhobenen linken Arm wieder sinken, – sie sprach mit erlöschender Stimme zu Chi, der das Jackenloch unverwandt beäugte, unter dem ein bläulicher Stoff sichtbar war:
»Haben Sie Erbarmen mit mir! Wenn Sie mich etwa verraten wollen und das Geld besitzen möchten: Ich kann Ihnen Tausende bieten anstelle der zwanzig Pfund Sterling …«
Mehr brauchte sie nicht zu verraten.
Jetzt besann ich mich: Gellajore war die Zuchthauskolonie unweit der großen Hafenstadt Singapore, auf einer Insel gelegen, eingezäunt mit elektrisch geladenen Stacheldrähten.
Nur Schwerverbrecher kommen nach Gellajore. Von Gellajore ist jede Flucht unmöglich, nimmt man allgemein an.
»&… die zwanzig Pfund, die auf die Wiedereinbringung von Nummer 32, weibliche Abteilung, ausgesetzt worden sein dürften«, vollendete die Frau den begonnenen Satz mit einem verzweifelten Stöhnen. –
Die Frau war Margrit Jossy, und ihr Leben war eine Tragödie seltsamster Art.
»Ich werde anbauen«, sagte Chi Api mit größter Selbstverständlichkeit und half Margrit über einen Baumstamm, der den schmalen Dschungelpfad sperrte. »Wir sind nun drei Menschen und zwei Affen, und da dürfte die Hütte zu klein sein.«
Ich schritt mit der Laterne voraus, hinter mir folgte unser neuer Schützling, und Chi trottete hinterdrein. Den verwundeten Orang Utan hatten wir verbunden und in den Fangkäfig gesperrt. Ihm nochmals die Freiheit zu schenken, war nicht ratsam, da seine Schußverletzung an der Schulter unfehlbar ohne Pflege geeitert und das arme Tier zu langsamem Siechtum verdammt hätte.
Margrit wandte den Kopf zurück. »Ich möchte Ihnen beiden keine Arbeit machen, Mr. Chi … Ich weiß gar nicht, ob ich lange bei Ihnen verweilen kann, da ich die Polizei auch hier im Urwald zu fürchten habe.«
Chi lachte sein lautloses Lachen. »Der nächste Polizist des weißen Radschas ist von hier einige fünfzig Meilen entfernt. Unsere nächsten Nachbarn sind Bergdajak, Miß, und da nicht einer von ihnen lesen und schreiben kann und der Begriff Steckbrief ihnen völlig fremd ist, sind sie genau so wenig zu fürchten wie die Polizei.«
Unsere Unterhaltung auf dem Rückmarsch zu unserer Hütte wurde häufig genug unterbrochen. Es war windig geworden, und gerade dieser Teil des Dschungels enthielt zahllose morsche Baumriesen, die nur noch durch die dicken Taue der Schlingpflanzen aufrecht gehalten wurden. Oft genug stürzte, wenn ein heftiger Windstoß über den Urwald hinfuhr, eine dieser hohlen gigantischen Säulen krachend zu Boden, riß noch andere mit sich und erfüllte das düstere Schweigen dieser grünen Wildnis mit unheimlichen Lauten.
Margrit Jossy blieb stehen und horchte.
»Was war das, Mr. Olaf?« flüsterte sie sichtlich bestürzt. »Das klang genau wie ein Metallglöckchen, und …«
»&… ist doch nur die Stimme eines kleinen borneanischen Laubfrosches«, beruhigte ich sie halb scherzend. »Sind Sie noch nie auf den Sunda-Inseln gewesen, Miß Jossy? Dieser Frosch ist geradezu berühmt, und die Reichweite seiner metallischen Kehllaute ist einfach verblüffend. Es gibt nichts Ähnliches im Tierreich, so weit mir bekannt, und sollte ich je das Glück haben, diesen Panga …«
»Panga?«
»So nennen die Dajak den Frosch, die Malaien sagen Pungi, was auf dasselbe hinauskommt: Der Rufer heißt es.«
»Ich kenne nur Indien und Arabien«, beantwortete sie meine Frage in vorsichtiger Kürze. »Der Panga ist also schwer zu fangen?«
»Sehr schwer. Seine Stimme hat die Eigentümlichkeit, niemals den Platz zu verraten, wo das Tier im Laubgewirr sitzt. Die Blätter verändern den Schall wie Kulissen, und wenn man dicht vor dem Tierchen sich zu befinden glaubt, ist es sicherlich drei Meter entfernt und ›läutet‹ … Da, hören Sie, nun sind es gar drei Pangas, die eifrigst ihre Glöckchen ertönen lassen …«
»Wundervoll …« sagte Margrit Jossy leise. »Es klingt in der Tat wie …«
Was sie als Vergleich heranziehen wollte, erfuhr ich nie.
Margrit schrie auf, denn von einer pendelnden Liane war mir mit zärtlichstem Zwitschern mein Peter um den Hals geflogen. –
Ich habe Tiere lieb. Ich habe Hunde besessen, die mir mehr galten als die Vertreter des kaltherzigen Menschengeschlechtes. Ich habe nie einen einzigen Affen gekannt, der mich so mit Liebe überschüttete wie diese Kapuzineräffchen mit dem melancholischen Kindergesicht und den hellbraunen, ernst fragenden Kinderaugen.
Wie Peter den Weg hier an die Südwestgrenze Sarawaks gefunden hatte, wem er vordem gehört haben mochte, denn er kam freiwillig vor einer Woche in unsere Hütte und schloß sofort mit mir Freundschaft, – nein, ich wußte nichts von Peter, und ich hätte nie erwartet, daß dieser drollige kleine Kerl mit dem langen Greifschwanz die Geschicke zweier Menschen so nachdrücklich beeinflussen könnte.
Peter war gestern früh verschwunden. Daß es sich nur um einen Ausflug gehandelt hatte, bewies jetzt sein Erscheinen hier so dicht vor unserer Hütte. –
Margrit war erstaunt über Peters übergroße Wiedersehensfreude.
»Ah, – ein Kapuzineräffchen …« meinte sie eigentümlich gedehnt, als ich nun den Lichtkegel der Laterne auf Peterle fallen ließ, der sein Köpfchen an meine bärtige Wange geschmiegt hatte.
Chi freute sich genau so sehr wie ich über Peters Heimkehr.
»Miß Jossy, ihm fehlt nur die Sprache, er ist sehr klug, und seine Vogeltöne haben so feine Abstufungen, daß Olaf und ich stets genau wissen, was er will … Jetzt freut er sich über alle Maßen. Seine Liebe gilt nur Olaf, ich bin kaum für ihn vorhanden, und …«
Wir waren stehen geblieben.
Margrit hatte unbewußt ein einzelnes Wort hervorgestoßen, das ich nicht verstand.
Aber Peter hatte es verstanden. Sein Köpfchen zuckte zurück, legte sich zur Seite … Er horchte, seine blanken Augen ruhten auf Margrits Gesicht.
Wieder sagte sie da, und diesmal ganz deutlich:
»Maugli!!«
Mein Peter schnellte über meine Schulter hinweg in Margrits Arme.
Was er mir an Zärtlichkeiten geschenkt hatte, war nichts im Vergleich zu den stürmischen Liebkosungen, mit denen er die Fremde überschüttete. Sein Zwitschern war hell und schrill wie das Zirpen großer Grillen, und diese Töne hatte er selbst an meinem Halse niemals erklingen lassen.
Peter, der also in Wahrheit Maugli hieß, war Margrit nicht nur ein alter lieber Bekannter, sagte ich mir im stillen Anschauen dieser Szene, die sogar Chis abgeklärte Ruhe erschütterte, – nein, Maugli mußte dieser Frau gehören, denn nur so ließ sich dieses Übermaß an Wiedersehensfreude deuten.
Margrit weinte und herzte das Äffchen und hatte alles ringsum vergessen. Ihre Stimme flüsterte den Namen Maugli, der durch Kiplings Dschungelbuch so berühmt geworden, mit einer heißen Inbrunst, als gälte diese einem vergöttertem Manne.
Maugli als Name ist wie geschaffen dazu, von einem weichen Sopran durch alle Stufenleitern der Zärtlichkeit gehaucht zu werden.
Maugli-Peter war zu beneiden. Von Margrit derart geliebkost zu werden, muß immerhin ein Genuß sein. Und wenn ein Mann wie ich, gesund, kräftig, abgehärtet, seit langem hier in den Madjang-Wäldern nur die an sich erfreuliche Gesellschaft Chis und den Anblick halbnackter Dajakfrauen genossen hat, spürt wohl jeder in seinem Inneren das gewaltige Urfeuer des Triebes. Margrit war eine Weiße. Dajakmädchen sind braun, und ich hatte nie Neigung für farbige Weiber gehabt und schon gar nicht für die schlanken Dajakfräulein, da dieses Volk der Kopfjäger im Punkte Moral zumeist mit Giftpfeilen über Verfehlungen quittiert. –
Maugli sollte die Wandelbarkeit weiblicher Gunst sehr bald erfahren. Margrits Person schien mit raschem Szenenwechsel innigst verknüpft, – vergleiche das Baumkronenvorspiel.
Meiner Laterne Lichtkegel zeigte mir eine allmähliche Wandlung im Ausdruck des tränenfeuchten Gesichts unseres Schützlings. Die Zärtlichkeit erlosch, und in Minuten wurden diese pikanten Züge hart und starr und haßerfüllt.
Jählings stieß sie das Äffchen von sich …
»Ich … hasse dich!«
Und als leiseren Nachsatz:
»&… Wie ihn …!«
Als Begleitmusik dieses vor innerer Bewegung vibrierenden Ausrufs meldeten sich mit dumpfem Krachen die stürzenden morschen Giganten und das brausende Rauschen der Baumkronen. Wir selbst standen hier in dem feierlichen Urwalddom inmitten lianenumkränzter Säulen mit wenig Unterholz. Unsere Füße waren langsam in dem weichen Humus versunken. Käfer, Schmetterlinge, Fledermäuse huschten durch den Lichtschein … ein gespenstisches Treiben, noch sinnverwirrender durch das lautlose Dahinschweben zahlreicher fliegender Hunde, die gerade an dieser Stelle eine Kolonie gebildet haben mußten. Es sind gesellig lebende Tiere, sie bevorzugen bestimmte Bäume, und niemand weiß, weshalb sie ausgerechnet zu dreißig bis vierzig tagsüber, Kopf nach unten, an einzelnen Ästen hängen wie bräunliche Früchte. –
&… Wer – – »ihn«?!
Wem galt dieser Haß?!
Törichte Frage. Einem Manne. Dem Manne hatte Maugli gehört, auf Maugli übertrug sich der Haß, und das wenige, was Margrit bisher über ihre Person angedeutet hatte, gab keinen Aufschluß über diesen Mann. Immerhin, sie haßte ihn, und der tief gekränkte und enttäuschte Peter flüchtete vor den fast rohen Händen an meine Brust zurück.
Chi Api, dem Confuzius, der Heilige, mehr gilt als ich, und das will schon etwas heißen, meinte mit mildem Vorwurf:
»Miß Jossy, der heilige Confuzius sagt an einer Stelle seiner weisen Bücher: »Das Tier ist geschaffen, damit es dem Menschen diene und …«
»Woher haben Sie Maugli?!« fragte Margrit mich mit rauher Stimme, und ihre Augen waren voller Argwohn.
»Er fand sich vor acht Tagen bei uns ein …« erklärte ich nicht minder enttäuscht wie der kleine verschüchterte Kapuziner. Diese Margrit behagte mir gar nicht.
»Allein?!« Auch das scharf und befehlend und noch mißtrauischer.
»Ja, allein …«
Sie strich sich das aschblonde wirre Haar mit der Linken zurück und ließ die Hand auf der Stirn ruhen. Ihre Züge wurden wieder elastischer. Sie schämte sich ihres Temperamentausbruches.
»Verzeihen Sie …« – und zu Maugli:
»Armer Kerl, – du bist wahrhaftig nicht dafür verantwortlich, daß alles so gekommen ist. – Geben Sie mir Maugli, Mr. Olaf … Ich … ich bin ihm keine Fremde, unsere Bekanntschaft ist älter und hat nur einen breiten Riß erhalten, durch dessen Öffnung das Bild einer Vierfachzelle von Gellajore hindurchgrinst …« Unendliche Bitterkeit durchzitterte die letzten Worte.
Chi drängte zum Weitermarsch.
»Ihre leichten Strümpfe dürften den Blutegeln kaum gewachsen sein, Miß Jossy … Gehen wir.«
Er hat recht. Wie immer. Die borneanischen Urwaldegel, die in den tieferen feuchten Schichten des Humus zu Tausenden sich aufhalten, sind eine gefährliche Bande. Sie wittern jedes Opfer mit untrüglichem Instinkt, im Nu arbeiten sie sich nach oben und überfallen Mensch und Tier, saugen sich fest und schwellen zu runden Klumpen an wie die Zecken. So manches arme Wildschwein, das durch den Giftpfeil der Dajak verletzt im Dickicht liegt, bildet in kurzem nur noch ein einziges unheimliches Gebilde von braungelben oder blauschwarzen Knollen und verreckt unter gräßlichen Qualen.
Maugli streikte. Maugli war empfindlich, und als Margrit ihn nehmen wollte, biß er nach ihren Fingern und zwitscherte wütend. Die Freundschaft war dahin.
Wir setzten unseren Weg fort. Das Gelände stieg an, der Urwald ward lichter, und dann waren wir am Ziel.
Unsere Hütte eignete sich nicht für Damenbesuch, da hatte Chi vorhin mit gutem Grund von Anbauen gesprochen. Für den Rest der Nacht spannten wir eine Wolldecke aus als Wandschirm, und Margrit fiel sofort in tiefem Schlaf auf meinem Lager, das so köstlich nach dem Sarfagras duftete, mit dem die Matratze gefüllt war.
Wir hörten ihre Atemzüge, und Chi winkte mir und wir traten leise wieder hinaus auf die Bergterrasse, deren nahe Baumkulissen wie Kerkermauern waren, die uns abschlössen von der lärmenden fernen Welt der Menschen, – und das war gut.
Chi setzte sich auf einen Stein, der bereits ganz blank gerieben war, und ich stand neben ihm und fragte, indem ich Maugli den Kopf kraulte:
»Was mag sie verbrochen haben?«
Mein Freund erwiderte kühl:
»Mord, nehme ich an … Man schickt nur Europäer nach Gellajore, die zum Tode verurteilt und begnadigt wurden.«
Ich war bedrückt und verlegen. »Traust du ihr einen Mord zu?« – Margrit Jossy hatte auf mich einen ganz anderen Eindruck gemacht. Mörderin?! Niemals!
Chi schob mit der Zunge den Priem von links nach rechts und schaute geradeaus, wo im Osten der Himmel bereits leicht hell sich färbte.
»Ich traue ihr alles zu, Olaf. Freilich, ich kenne weiße Frauen wenig. Unsere Frauen sind so ganz verschieden von denen Europas. Die Tradition Chinas weist den Frauen eine Rolle zu, die stets Statistinnen aus ihnen macht. Ihr seid schlechter daran. Und doch habe ich meine Frau über alles geliebt. Du kennst ihr Grab, Olaf, du kennst auch meinen Sohn …« Ein Leuchten verklärte seine Züge. Sein Sohn war der erwählte Nachfolger des Maiakönigs geworden, – der sagenhafte See Tapulat und all das, was wir dort erlebt, gelitten und verloren, war ausgelöscht. Es war.
»&… Diese Frau, Olaf, die dort in unserer Hütte schläft, trägt das Kennzeichen großen Leides in den Fältchen um den herben Mund … Leid hat ihre Seele gepanzert gegen alles Weiche und Gute, Haß hat ihr Herz versteinert … Sie hat geliebt, ward betrogen und ermordete den Mann, der ihr Sklave sein sollte. Unsere Frauen sind duldsamer.«
Maugli-Peter war halb unter meine zerschlissene Jacke gekrochen. Der Morgenwind war kühl, und die ersten Vogelstimmen begleiteten meine nachdenkliche Antwort.
»Deine Kombinationen sind kühn, lieber Chi. Sie mögen stimmen. Fürchtest du für uns?«
Seine erhabenen klar-ruhigen Augen trafen mich wie erstaunt. »Die Frau wird nur denen etwas zu leide tun, die ihr Leid mit hervorriefen. Ich traue ihr alles zu, nur nicht gegen uns. Sei überzeugt, Olaf: Wir werden in einer Stunde, die das Schicksal uns nähert, von Miß Jossy alles hören, alles … – Du kannst mir helfen Bambus holen … Wir wollen den Anbau vorbereiten. Schlafen?! Jetzt?! Nach alledem?!«