Bella Rosa - Annegrit Arens - E-Book
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Bella Rosa E-Book

Annegrit Arens

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Beschreibung

Wenn das Leben dir eine Zitrone gibt, mach Limonade draus! „Bella Rosa“ von Annegrit Arens jetzt als eBook bei dotbooks. Rosa kann ihr Glück kaum fassen – sie darf nach Mailand, um Design zu studieren! Dort trifft sie Rüdiger und schon bald läuten die Hochzeitsglocken. Bellissima! Doch von einer Minute auf die andere steht Rosa vor einem Scherbenhaufen: Kurz vor der Hochzeit verschwindet ihr Traummann spurlos und Rosa muss einsehen, dass sie einer riesigen Lüge aufgesessen ist. Als sie Trost bei einem anderen Mann sucht, erwartet sie eine Überraschung, die ihr Leben verändern wird … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Bella Rosa“ von Annegrit Arens. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag

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Seitenzahl: 681

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Über dieses Buch:

Rosa kann ihr Glück kaum fassen – sie darf nach Mailand, um Design zu studieren! Dort trifft sie Rüdiger und schon bald läuten die Hochzeitsglocken. Bellissima! Doch von einer Minute auf die andere steht Rosa vor einem Scherbenhaufen: Kurz vor der Hochzeit verschwindet ihr Traummann spurlos und Rosa muss einsehen, dass sie einer riesigen Lüge aufgesessen ist. Als sie Trost bei einem anderen Mann sucht, erwartet sie eine Überraschung, die ihr Leben verändern wird …

Über die Autorin:

Annegrit Arens hat Psychologie, Männer und das Leben in all seiner Vielfalt studiert und wird deshalb von der Presse immer wieder zur Beziehungsexpertin gekürt. Seit 1993 schreibt die Kölner Bestsellerautorin Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher. Fünf ihrer Werke wurden für die ARD und das ZDF verfilmt.

Annegrit Arens veröffentlicht bei dotbooks unter anderem folgende Romane:

Bella Rosa Weit weg ist ganz nah

Aus lauter Liebe zu dir

Wenn die Liebe Falten wirft

Eine Auflistung aller Titel finden Sie am Ende des Romans.

Die Website der Autorin: www.annegritarens.de

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/AnnegritArens

***

Neuausgabe April 2015

Copyright © der Originalausgabe Fischer Taschenbuch Verlag in der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2007

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/mikibith

ISBN 978-3-95824-184-8

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Annegrit Arens

Bella Rosa

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Dreizehn Jahre vorher

Die Jagdhütte schmiegte sich eng an den Fels, der wie eine klobige Nase aus Wiesen und Wäldern aufragte. Von weitem konnte man die Hütte nur schwer von dem Gestein dahinter unterscheiden. Nur wenn sie wie jetzt bewohnt war und Rauch aus dem Kamin stieg oder helle Lichtpunkte aufflackerten, nahm man sie überhaupt wahr.

Sie sind wieder da, hieß es dann unten im Dorf. Sie, die Fremden. Die Frau, die dort in der Hütte auf dem Bett lag und sich bemühte, an dem Kruzifix mit dem vertrockneten Palmwedel vorbeizusehen, fühlte sich noch immer als Fremde. Dabei lebte sie nun seit fast vier Monaten an diesem Ort, der an Einsamkeit kaum zu überbieten war. Ausgegrenzt durch die starre Ablehnung der Leute dort unten im Dorf und zunehmend auch durch die Last, die in ihrem Leib wuchs und nun mit Gewalt aus ihr herausdrängte.

»Avanti!« Die Stimme der fremden Frau neben dem Bett wurde drängender. Die Frau nannte sich Antonella und wurde um Rat gefragt, wenn eine Wunde sich entzündet hatte oder ein Paar sich vergeblich ein Kind wünschte. Sie galt als Kräuterhexe, manchmal rief man sie auch zu einer Geburt, sonst mied man sie eher. Bis gerade eben hatte sie am Kamin hantiert, Wasser aufgekocht, ihre Gerätschaften bereitgelegt und der Wöchnerin immer wieder die Decke fortgezogen, um sich vom Fortgang der Geburt zu überzeugen. Sie zeigte keine Spur von Anteilnahme, sie war rau und unfreundlich und schien es sehr eilig zu haben. Davon zeugte auch dieses »Avanti!«.

Die Frau, die spürte, wie die nächste Wehe anrollte, fühlte sich der Person hilflos ausgeliefert. Sie wollte sich nicht antreiben lassen. Sie wollte nicht frieren und nicht pressen. Sie wollte einzig und allein, dass es aufhörte.

Wenn sie doch nur nie hergekommen wäre. Hierher, wo alles angefangen hatte.

Sie keuchte, der Schweiß rann ihr in die Augen, biss in die Schleimhäute, ließ alles bis auf das Kruzifix verschwimmen. Sie hob abwehrend die Hand. Sie wollte das Kreuz dort an der Wand nicht ansehen. Sie war eine gläubige Katholikin, so war sie erzogen worden.

Die Urgewalt in ihr verebbte, die Rinnsale auf ihrer Haut erkalteten. Wieder zog sie an der Decke. Wie sehr sie fror.

Hätte sie ihm doch nur nie von dieser Hütte erzählt, die seit mehreren Generationen im Familienbesitz war. Anfang letzten Jahres war das gewesen, als in ihrer Heimatstadt die ersten Tische und Stühle nach draußen geräumt wurden. Der Frühling hatte sich beeilt und auch nicht vor den Fabriktoren der Pezzos haltgemacht. Sie hatte ein Twinset aus Kaschmir in der Farbe von Vanille getragen, daran erinnerte sie sich noch genau, ebenso wie an den Duft von Karamell, als sie in der Siestazeit durch die Stadt schlenderte, am ältesten Lebensmittelladen Mailands vorbeiging und plötzlich Lust auf etwas Süßes verspürte, was schon ungewöhnlich genug war.

Sie war in den im Dämmerlicht liegenden Laden getreten, und da stand er in einer Ecke inmitten von quietschgrünen Limetten und pfirsichdicken Mispeln, die aussahen, als läge noch der Tau der Bergnebel auf ihnen. Bei ihrem Eintritt war er wie ein kleiner Junge zusammengezuckt, der bei etwas Verbotenem erwischt wurde. Dabei hatte er lediglich mit seinen Händen die unterschiedlichen Oberflächen erkundet, beinahe zärtlich.

»Sie hier?«, hatte er gefragt und regelrecht entgeistert dreingesehen. Vielleicht hatte genau das sie provoziert, ihn auf eine Portion »Plaisir« einzuladen, so hieß die süße Köstlichkeit.

»Schließlich sind wir so etwas wie Kollegen«, hatte sie gemeint. »Und diese Dolci sind eine Spezialität von Francesco, er foltert sie so lange mit dem Brenneisen, bis der Puderzucker dampft.« In jenem Moment war es ihr, warum auch immer, sehr wichtig gewesen, dass er ihrer Einladung folgte. Gewöhnlich zog sie es vor, ihre knapp bemessene Mittagszeit allein zu verbringen, und selbst wenn sie mal eine Kleinigkeit mit jemand anders zusammen aß oder etwas in Gesellschaft trank, so bestimmt nicht mit einem Mitarbeiter der Firma Pezzo. Sie hielt es für klüger, Beruf und Privates sauber auseinanderzuhalten. Er hatte sich Zeit mit seiner Antwort gelassen.

»Kollegen würde ich das nicht nennen«, hatte er gesagt. Nicht spöttisch oder ablehnend, sondern eher nachdenklich. So als ob er gerade erst in diesem Moment angefangen hätte, sich Gedanken über eine Frau zu machen, der er seit drei Wochen mehrmals täglich begegnete, der er regelmäßig jeden Montag und jeden Freitag am Konferenztisch gegenübersaß und der er erst tags zuvor an den Kopf geworfen hatte, dass das von ihr vorgeschlagene Material für die neue Kollektion Schrott sei. So sicher und selbstbewusst er da aufgetreten war, so zurückhaltend verhielt er sich an jenem Mittag im »Il Peck« inmitten von Langusten und Pasteten und ebendiesen Dolci.

»Und wie würden Sie unsere Beziehung sonst nennen?« Sie war hartnäckig geblieben. Als ob sie etwas aus ihm herauslocken wollte. An jenem Nachmittag war sie wirklich nicht sie selbst gewesen.

Er hatte sich mit seiner Antwort Zeit gelassen.

»Nun, ich bin ein kleines Rädchen im Pezzo-Getriebe, obendrein noch auf Probe, wogegen Sie zum Herzstück gehören und immer sehr beschäftigt, sehr reserviert, geradezu unnahbar sind. Nicht dass Sie denken, ich könnte das nicht verstehen.«

Er schien tatsächlich zu meinen, was er da sagte. Er versuchte weder, sich wichtig zu machen, noch sie anzubaggern. Die meisten anderen an seiner Stelle hätten jedenfalls die günstige Gelegenheit beim Schopf ergriffen und sich ohne Wenn und Aber auf ihre Einladung gestürzt. Er nicht. Warum nicht? Aus falsch verstandenem Respekt oder weil sie ihm zu wenig attraktiv, zu unweiblich erschien?

Bei seiner Erwiderung hatte sie automatisch nach ihrer ausgeprägten Nase gegriffen und sich gleichzeitig für diese verräterische Geste verflucht. Sie war nun mal kein Püppchen mit einer niedlichen Stupsnase oder anderen äußeren Merkmalen, die gern als typisch weiblich apostrophiert wurden. Deshalb mochte sie auch keine billigen Komplimente, von denen sie wusste, dass sie gelogen waren. Für derlei war ihr ihre Zeit zu schade, dann blieb sie lieber für sich, was ihr vermutlich diesen Ruf der Unnahbarkeit eingetragen hatte. Dabei war sie lediglich vorsichtig, getreu der Devise, dass es allemal besser war, einem Unglück vorzubeugen, als es so nahe an sich heranzulassen, dass es einen beschädigen konnte. An jenem Tag war ihre bewährte Vorsicht allerdings auf der Strecke geblieben, und ehe sie es sich versah, tappte sie in die Falle. Schlimmer noch, sie legte sie selbst aus.

»Dann passen wir ja eigentlich sehr gut zusammen«, hatte sie gemeint. »Zwei Unnahbare unter sich.«

Dabei hatte sie auf die Platte gezeigt, von der es so intensiv nach Karamell duftete. Sie hatte zwei Finger hochgehalten und noch für jeden einen Espresso dazu geordert, dann war sie vor ihm her nach draußen in die Sonne zu einem der Tische gegangen und hatte sich gesetzt, noch ehe jemand herbeieilen und den Stuhl trockenreiben konnte. Die Feuchtigkeit hatte sich an ihren Nylons hochgearbeitet, ausnahmsweise trug sie an jenem Tag einen Rock, so als ob sie das Erwachen der Natur geahnt hätte.

Er war ihr gefolgt und hatte ihr gegenüber Platz genommen. Gut möglich, dass er sich ebenfalls ins Nasse gesetzt hatte. Auf der vorderen Kante seines Stuhls balancierend, den Kopf in den Händen abgestützt, mit Blick auf den Dom, hatte er in Frageform wiederholt, was sie gedankenlos dahingesagt hatte.

»Zwei Unnahbare unter sich?« Und weiter mit einem Ausdruck ehrlicher Verwunderung: »Sie finden mich unnahbar?«

»Sind Sie das etwa nicht?« Fast kokett musste ihm ihre Gegenfrage in den Ohren geklungen haben, dabei war Koketterie noch nie ihre Sache.

Er war völlig ernst geblieben. Weil er ihr das kokette Weibchen nicht abnahm?

»Ich bin höchstens ein Landmensch, den es in die Großstadt verschlagen hat.« Leicht stockend fuhr er fort: »Wissen Sie, wie oft ich hier in Mailand mitten in der Nacht aufwache und davon träume, mal wieder in der freien Natur zu sein? Und damit meine ich keinen Nationalpark mit handzahmen Wölfen und auch kein Meer, dessen Strände ich mir mit Heerscharen von anderen Menschen teilen muss. Vielleicht bin ich ja wirklich menschenscheu, mein Vater hat das schon immer behauptet. Vorzugsweise dann, wenn er mich zu einem wichtigen Kunden mitgenommen hat. Ich habe kein Händchen für Wichtigtuer, ich bin auch kein guter Verkäufer und erst recht kein guter Gesellschafter. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt der Richtige für diesen Job ...«

Sie war ihm ins Wort gefallen, auch das war sonst nicht ihre Art. Seine Offenheit rührte sie an, ebenso wie dieser leicht abwesende Blick, fast schon traurig sah er aus. Sie wollte nicht, dass er sich auf diese Weise selbst in Frage stellte. Er fühlte sich noch immer nicht heimisch in Mailand, das war’s. Am liebsten hätte sie nach seiner Hand gegriffen, die beharrlich mit einem Kaffeelöffel in der Espressotasse rührte, obwohl er noch gar keinen Zucker hineingegeben hatte. Er merkte es nicht. Eine Ader an seinem Handrücken pochte aufgeregt, wie gern hätte sie dieses Pochen zur Ruhe gebracht. Sie beherrschte sich natürlich. Sie begnügte sich mit Worten. Noch.

»Aber für Bäume haben Sie ein Händchen. Für Holz. Ich möchte wetten, dass Sie einen Riesen-Ilex einzig und allein an seinen Wurzeln erkennen könnten.« Sie glaubte, als sie das sagte, ihren Vater zu hören, wie er ihr, als sie noch ein Kind war, die Besonderheit dieser vom Aussterben bedrohten Bäume erklärte, deren Wurzelwerk nicht mal bei Windstärke zehn zerfetzt werden konnte. Sie hatte sich damals sogar die lateinische Bezeichnung gemerkt.

Ihr Gegenüber kannte den lateinischen Namen ebenfalls, das ließ ihn ihr noch näher rücken.

»Ich glaube nicht«, sagte er, »dass es hier in der Region noch Ilex Giganti gibt, damit entfällt leider die Probe aufs Exempel.«

»Aber ich weiß, wo es noch welche gibt. Und obendrein Natur pur, so weit das Auge reicht.« Sie hatte ihm den Ball hingeworfen, das Spiel eröffnet, und er war darauf eingegangen. Warum wohl? Die Antwort lag für sie auf der Hand: Er musste es ebenfalls spüren. Oder war es nur seine Besessenheit von allem, was mit Holz zu tun hatte, die ihn so tun ließ, als ob er ernsthaft interessiert wäre?

»Und wo ist das?«, hatte er gefragt.

»In der Nähe der Hütte.« Sie hatte von der alten Jagdhütte erzählt, die genaugenommen zum Betriebsvermögen der Firma Pezzo gehörte.

»Es wäre eine gute Gelegenheit, dort mal wieder nach dem Rechten zu sehen, und wer weiß, vielleicht inspiriert uns der Ilex ja sogar für unsere neue Möbelkollektion. Wo Sie die Materialprobe, die ich Ihnen gestern habe zukommen lassen, schon für Schrott erklärt haben.« Diese kleine Spitze hatte sie sich nicht verkneifen können. So hatte es begonnen. Sie hatten sich für eine gemeinsame Erkundung des Baumbestands rund um die Hütte verabredet. Um dorthin zu gelangen, würden sie etliche Stunden unterwegs sein, also schlug sie ein verlängertes Wochenende vor.

»Wir müssen etwas weiter fahren«, hatte sie gesagt, »aber das macht nichts. Wir beziehen schließlich sogar Holz aus Kanada, und das sehen Sie sich, wenn’s sein muss, als unser neuer Experte für den Einkauf ja auch vor Ort an. Waren Sie schon einmal in Kanada? Es ist grandios dort, obwohl ich sagen muss, dass das Trentino durchaus mithalten kann. Natürlich gibt es dort keine Bären, und unsere Hütte ist auch keine Blockhütte aus Holz. Sie ist aus Stein, genauer gesagt, aus Dolomitgestein und Kalk. So wie die Bergnase dahinter.« Sie hielt abrupt inne. Sie merkte selbst, dass sie zu viel redete.

Dafür war seine Erwiderung umso knapper bemessen. »Und was haben Sie davon?«, wollte er wissen.

Was sie davon hatte? So blind konnte er doch unmöglich sein, dass er ihre Sehnsucht noch immer nicht spürte. Sie wollte endlich mit ihm allein sein, allein inmitten dieser grandiosen Bergwelt, nur er und sie. Sie wollte sich an ihn anlehnen und alles tun, was Frauen ihrer Meinung nach taten, um an den Helden in ihm zu appellieren. Sie war zum ersten Mal in ihrem Leben bereit, eine andere Stärke als die eigene zuzulassen. Er brauchte nur zuzugreifen, verdammt! Wenn es nach ihr ging, konnten sie sich dieses ganze Drumherum sparen. Andererseits durfte sie ihn auch nicht kopfscheu machen.

Sie räusperte sich. »Sie könnten mir sozusagen am lebenden Objekt alles beibringen, was Sie über den Baumbestand dort wissen.« Etwas war mit ihrer Stimme passiert. Sie klang höher und kippelte wie eine Frau auf extrem hohen Absätzen, die solches Schuhwerk nicht gewöhnt war.

»In unserem Metier«, fuhr sie fort, »kann man nie genug über Holz wissen, und wenn Sie mich schon zum Herzstück der Firma rechnen, sollte ich mich ja wohl ebenfalls mit unserem wichtigsten Werkstoff auskennen.«

Er hatte endlich eingewilligt. Und so hatten sie sich am Bahnhof getroffen und waren gemeinsam zu der Hütte gefahren. Er wusste wirklich viel über jede Art von Gehölz und verstand spannend zu erzählen. Seine Begeisterung war auf sie übergesprungen. Nie zuvor war sie jemandem wie ihm begegnet. Und es war nicht beim Fachsimpeln und Wandern geblieben.

Und nun lag sie hier. Die nächste Welle rollte an. Heimtückisch, zunächst gab sie sich noch harmlos, doch dann schlug der Schmerz zu, unerbittlich und immer wieder. Sie schrie auf. Ihr Kopf wurde von Antonella nach vorn auf die Brust gedrückt, ihre Oberschenkel klafften auseinander. Sie wehrte sich gegen die fremde Gewalt, sie wollte das nicht, doch das andere war stärker als sie. Hitze, blinder Schmerz, die Augen traten immer weiter hervor, hetzten hilfesuchend hierhin und dorthin und sahen doch nichts außer dieser weißen Bauchkugel, die immer gewaltiger wurde und dann explodierte.

Der Schrei war kräftig und das Erste, was sie wieder mitbekam. Sie wünschte sich, er wäre schwach, ganz schwach, verstummte ganz von selbst für immer. Dann wäre alles leichter für sie.

»Tu es weg!«, befahl sie. »Tu es sofort weg!« Und als die Frau namens Antonella unbeirrt weiter an ihr herumhantierte, so als ob sie ein rohes Stück Fleisch wäre, das man beliebig bearbeiten könnte, schrie sie ihren Befehl laut heraus. Deutsche Worte vermengten sich mit italienischen, sie schrie immer lauter. Doch nach und nach wurde ihre Stimme schwächer, zuletzt war da nur noch ein Krächzen. Dann wurde es endlich still. Schritte entfernten sich. Das Geschrei des Neugeborenen wurde immer leiser.

»Nein! Komm zurück! Gebt mir mein Baby zurück!«

Es war zu spät. Ihre Blicke trafen das Kruzifix, hasteten weiter, suchten die Helligkeit des Fensters. Draußen war der Morgen angebrochen, die Sonne würde den Schnee glitzern lassen, ein wunderbares Schauspiel, wunderbar und tröstlich. Sie sehnte sich nach der Sonne.

Etwas Dunkles schob sich vor das kleine Fenster. Ein dunkler, undefinierbarer Klumpen, der von oben seinen Schatten warf. Vermutlich von dem Stahlnetz, das unterm Dachrand gespannt worden war, uni herabstürzende Eisbrocken und Schneelawinen aufzufangen. Aus dem Klumpen löste sich ein Schnabel, sie erkannte Augen, die sie fixierten. Kopfüber, unbeweglich, der Raubvogel balancierte auf dem Stahlnetz, raubte ihr das Licht und fixierte sie unerbittlich.

Sie hatte es nicht besser verdient. Sie begann zu beten.

Heute war Dreikönige.

Kapitel 2

Das Dreikönigsfest

1

Über Nacht hatte es geschneit. Der Schnee verlieh der Landschaft, auf die Rosa sah, etwas Unwirkliches, beinahe Kitschiges. Es war noch sehr früh, im Haus rührte sich nichts, sie selbst hätte ebenfalls getrost noch liegen bleiben und die Ruhe genießen können. Stattdessen stand sie mit nichts am Leib außer einem dünnen Nachthemd am weit offenen Fenster und versuchte, der Schneelandschaft zu ihren Füßen und dem noch dunklen Himmel darüber eine Antwort zu entlocken. DIE Antwort.

Was genau war heute vor dreizehn Jahren geschehen?

Ihre Blicke glitten suchend zum Himmel hinauf. Fehlte nur noch, dass sie ernsthaft nach einem Stern Ausschau hielt, der ihr den Weg wies. Nicht wie einst den drei Weisen aus dem Morgenland hin zu einem Stall in Bethlehem, sondern zu dem Ort, wo ihre Tochter Joana das Licht der Welt erblickt hatte. Das war bestimmt kein Stall gewesen, aber auch kein ordentliches Krankenhaus. Rosa wusste nicht, ob es eine schwere oder eine leichte Geburt gewesen war. Sie kannte die Frau, die an jenem geheimen Ort ein Kind bekommen hatte, nicht und wollte sie auch nicht kennen. Vielleicht war die Fremde ja auch am Kindbettfieber gestorben, derlei kam vor. Ein Gedanke, dessen Rosa sich umgehend schämte und gegen den sie doch nicht ankam. Wie viel einfacher wäre alles, wenn dieses Schreckgespenst ein für alle Mal verschwände.

Aber es verschwand nicht. Es spielte mit ihr Katz und Maus, trieb ihre Gedanken hierhin und dorthin. Es drohte ihr auch. Sieh dich vor, Rosa Graf! Fühl dich nicht zu sicher!

»Nein!« Sie sagte es in die Dunkelheit dort draußen, griff nach dem altmodischen Knauf des Fensters und schloss es mit zitternden Händen. Es gab keinen Grund, sich zu sorgen. Was sie tat, war selbstquälerisch und hysterisch. Sie sollte zurück ins Bett gehen und schlafen, bis die Sonne aufging. Im Hellen sah alles gleich wieder ganz anders aus.

Doch sie schaffte es nicht, dem klugen Ratgeber in ihrem Kopf zu folgen. Stattdessen öffnete sie, so leise es eben ging, die alte Holztür und trat aus ihrem Schlafzimmer hinaus auf den schmalen Flur, blieb stehen, horchte. Nichts geschah. Wie zu erwarten rührte sich auch nebenan bei ihrer Großmutter nichts. Sie war ins Kinderzimmer umgezogen, damit Rosa im Notfall schneller zur Stelle war. Rosa hatte einen sehr leichten Schlaf, und wenn die alte Frau wieder mal keine Luft bekam, zählten Minuten.

Joana hatte sich über den Tausch gefreut, was nicht weiter verwunderlich war. Ihr neues Reich war größer und lag zudem ein gutes Ende von den beiden anderen Schlafzimmern entfernt, es befand sich genau über der alten Werkstatt. Hier hatte Rosas Großvater als Schmied gearbeitet, aber das war nun schon über zwei Jahrzehnte her. Um nach ihrer Tochter zu schauen, musste Rosa eine Stahltür und einen Verbindungsgang passieren, Erstere war feuerpolizeilich vorgeschrieben.

Kaum hatte Rosa diese Tür aufgezogen, dröhnte ihr auch schon auf dem schmalen Gang dahinter laute Musik entgegen, und das um fünf Uhr in der Frühe. Sie verspürte einen Anflug von Wut, gemischt mit Hilflosigkeit. Warum wollte Joana nicht einsehen, dass es nicht gut für sie war, wenn die ganze Nacht durch ihr neues Satellitenradio dudelte? Zumal in dieser Lautstärke. Andererseits war es vermutlich von einer Dreizehnjährigen zu viel verlangt, genau jene Vernunft aufzubringen, die der Schenker des teuren Radios vermissen ließ. Massimo verhielt sich ja selbst wie ein Kind. Kaum schwärmte Joana von etwas oder erzählte auch nur, was eine ihrer neuen Klassenkameradinnen am Gymnasium tatsächlich oder angeblich Tolles bekommen hatte, schenkte Massimo es ihr ebenfalls. Mit dem Erfolg, dass Joana sich immer mehr von dem einfachen Leben hier entfernte und das halbe Dorf sich das Maul zerriss. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, hieß es dann.

Natürlich hatte Joana wieder mal den italienischen Lokalsender Radio Mailand eingestellt. Um den im Sendebereich von Radio Olpe empfangen zu können, bedurfte es wohl tatsächlich einer solch teuren Anlage. Joana hatte sich wie verrückt über Massimos jüngstes Geschenk gefreut. Sie wäre nicht sie selbst gewesen, wenn sie diesem Gefühl nicht lauthals Luft gemacht und dabei kein Fettnäpfchen ausgelassen hätte. »Alle mal herhören! Die große weite Welt hat ab sofort Zutritt zum Ende der Welt!« Die Frage erübrigte sich, wo der Teenager dieses Ende ansiedelte. Selbst Rosas Vater kapierte sofort, dass damit sein geliebtes Ohlenbach gemeint war. Er hatte sich aufgeregt und die günstige Gelegenheit genutzt, um wieder mal gegen Mailand zu stänkern. Alles, was von dort kam, war ihm ein Dorn im Auge, und Massimo war in seinen Augen die Verkörperung des Bösen.

Dabei war Massimo nur ein zutiefst einsamer Mann mit viel Geld und vor allem mit einer Familie im Rücken, die ihn nie wirklich ernst genommen hatte, darunter litt er noch heute. Natürlich war es nicht gut, wenn er Joana nach Strich und Faden verwöhnte. Mal war’s ein mit echtem Fell bezogenes Schaukelpferd von der Größe eines Ponys gewesen, später ein Rucksack von Prada für die Schule und zuletzt dieses Radio. Wenn ich dir schon nichts schenken darf, Rosa mia, war seine ständige Ausrede.

Ob Joana am Ende eifersüchtig war?

In den letzten Monaten hatte Rosa alle möglichen Ratgeber gewälzt, um herauszufinden, was gerade mit Joana geschah, wie sie ihr helfen konnte. Sie hatte alles über die ebenso natürliche wie wichtige Abgrenzung zwischen Mutter und Tochter gelesen; gedruckt klang das sehr einleuchtend. Live hingegen wurde es, wie Rosa fand, zunehmend schwierig. Da verbündeten sich möglicherweise ganz natürliche Reaktionen einer Dreizehnjährigen mit dem alten Schreckgespenst in ihrem eigenen Kopf. Dann fragte sie sich, was wirklich hinter Joanas Sticheleien und Andeutungen stand. War es tatsächlich normal, dass selbst der Jubel über dieses Radio zur Machtprobe ausartete? Wie Joana sie ansah, wenn Rosa verlangte, dass dieses Radio wenigstens beim Erledigen der Hausaufgaben und nachts ausblieb. Spöttisch und seltsam wissend.

Rosa schauderte es. Die Kälte, dachte sie. Es war höchst unvernünftig, im Januar ohne Schuhe oder Pantoffeln durchs Haus zu gehen. Es war ein altes Haus, Kälte und Zugluft fanden immer einen Weg nach drinnen, am schlimmsten waren diese Steinböden. Rosas Großmutter wollte ihr Haus trotzdem nicht verlassen. Nur mit den Füßen voran! Das sagte sie, wenn Rosas Vater, der ihr einziger Sohn war, dieses Thema wieder mal anschnitt. Sie liebte ihr Zuhause. Hier war sie mit ihrem Mann glücklich gewesen, hier war sie Mutter geworden, und nun, da Rosa mit ihrer eigenen Tochter zurückgekehrt war, lebten sogar drei Generationen von Grafs in dem nicht eben großen Fachwerkhaus. Die räumliche Enge war allerdings nicht der Grund dafür, dass der einzige noch lebende Repräsentant einer weiteren Generation es vorzog, in seinem eigenen Haus zu bleiben: Rosas Vater mied das Haus seiner Mutter genauso wie ihr Ehemann, fand ständig etwas daran auszusetzen.

Rosa klopfte leise an Joanas Tür, wie sie es immer tat, wartete kurz und betrat erst, als keinerlei Reaktion erfolgte, das Zimmer. Im Regal blinkte aufgeregt das futuristisch anmutende Display der neuen Anlage, schickte abwechselnd grüne und rote Lichtblitze zu der Schläferin schräg gegenüber. Um nicht versehentlich die Lautstärke hochzufahren oder die Bässe durchknallen zu lassen, zog Rosa den Stecker. Es wurde schlagartig leise. Neben dem Bett leuchtete nur noch das Schlummerlämpchen mit dem Abbild von Pu dem Bären. Mama, lass mir ein Licht an! Das Bärchen auf dem Lampenschirm hatte noch etliche Kollegen aus Plüsch, sie waren überall im Zimmer verteilt, einen hatte Joana im Schlaf fest gegen ihre Wange gedrückt. Schwer vorstellbar, wenn man sie so friedlich schlafen sah, dass hinter dieser glatten Stirn Waffen geschmiedet wurden, denen Rosa sich oft hilflos ausgeliefert fühlte.

Wieder einmal fragte sie sich, ob es ein Fehler gewesen war, sich über jenen Dreikönigstag vor dreizehn Jahren beharrlich auszuschweigen. Aber wie sollte man von etwas erzählen, was dunkler und abgründiger als die Nacht dort draußen war? Zumal ja bereits eine andere, eine offizielle Version existierte. Und wenn Rosa eine Lehre aus diesen pädagogischen Ratgebern gezogen hatte, dann die, dass Kinder vor allem Sicherheit brauchen. Wenn sie jetzt redete, machte sie alles nur noch schlimmer, davon war sie überzeugt. Schlimmer für alle Beteiligten, und es ging ja längst nicht nur um Joana, auch wenn sie die Hauptperson war.

Da gab es schließlich noch die alte Frau im ehemaligen Kinderzimmer, die immer weniger wurde und immer stärkere Schmerzen litt, auch wenn sie es nicht zeigen wollte. Alle Liebe, die Rosa in ihrer Kindheit empfangen hatte, war von ihrer Großmutter gekommen. Gerlinde Graf hatte Rosa die Mutter ersetzt und ihr immer wieder Mut gemacht. Geh deinen eigenen Weg, Kind, du schaffst es!

Rosa war gegangen, als sie schon Ende zwanzig war. Sie war mit einem Kind heimgekehrt, das ihr Ein und Alles war. Ein Kind, das der Schwelle zur Frau immer näher rückte. Behutsam strich sie Joana eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie klebte fest, das Mädchen schwitzte neuerdings häufig im Schlaf, was bestimmt auch mit der Pubertät zusammenhing. Ebenso wie die kleinen und großen Kämpfe mit der Frau, die sie für ihre Mutter hielt.

Ich bin ihre Mutter, dachte Rosa trotzig. Ich habe es schwarz auf weiß, das kann mir niemand mehr nehmen. Niemand kann mir Joana nehmen. Sie beugte sich vor und küsste die warme, feuchte Haut.

»Herzlichen Glückwunsch, mein Liebling!« Die Worte kamen aus ihrem Herzen und ließen sich nicht mehr zurückholen. Zum Glück schienen sie nicht bis in die Traumwelt des Mädchens vorgedrungen zu sein, das seinen Geburtstag offiziell erst in drei Monaten feierte. Ein unwilliges Grummeln, dann drehte Joana sich auf die Seite und zog sich die Decke über die Ohren. Lass mich gefälligst in Ruhe weiterschlafen, sollte das heißen.

Rosa verließ das Zimmer so leise, wie sie es betreten hatte. Noch immer barfuß, huschte sie in die Küche hinab. Eigentlich wollte sie sich nur einen Tee machen. Doch dann ertappte sie sich selbst dabei, dass sie, während das Teewasser kochte, schon mal alles herausstellte, was sie zum Backen brauchte. Man wusste nie genau, wann am Dreikönigstag die Sternsinger auftauchten, mal kamen sie in der Frühe und mal erst gegen Mittag. So oder so war es gute alte Sitte, dass die Sänger nicht nur Geld für diesen oder jenen guten Zweck, sondern auch eine süße Stärkung für sich selbst bekamen. Der Teig für die obligatorischen Sternsinger-Plätzchen war schnell fertig. Ohne groß nachzudenken, machte Rosa mit dem Teig für Joanas Lieblingskuchen weiter. Das Rezept hatte Rosa aus Mailand mitgebracht. Der Kuchen bestand aus zwölf karamellisierten Schichten mit Crema di Ricotta dazwischen und machte seinem Namen »Plaisir« alle Ehre.

»Damit Sie immer an uns denken, Signora Graf. An Milano.«

Rosa hatte genickt und sich bei dem Besitzer von Mailands ältestem Lebensmittelladen bedankt. Gleichzeitig war sie fest entschlossen gewesen, möglichst wenig an Mailand zurückzudenken, geschweige denn dorthin zurückzukehren. Zu vieles hing an diesem Ort. Fortan, das hatte sie sich geschworen, würde sie sich auf Joana und auf ihre Karriere konzentrieren. Diesem Schwur war sie treu geblieben.

Wirklich? Der Holzspachtel in ihrer Hand begann unruhig zu tanzen. Wenn das so war, warum grub sie dann immer wieder die alten Erinnerungen aus? Das war gefährlich und brachte nichts. Tage wie dieser waren besonders gefährlich. Wenn sie wirklich wollte, dass Joana nicht in etwas hineingezogen wurde, wovon sie selbst mehr ahnte als wusste, dass es unberechenbarer als jeder Vulkan war, so musste sie endlich die Kontrolle über sich selbst zurückgewinnen. Ihre Gedanken zurückpfeifen, ihre Zunge hüten und sich auf das Tagesgeschäft konzentrieren, damit hatte sie genug zu tun. Basta.

Es begann, verbrannt zu riechen, der Zucker hatte am Boden der gusseisernen Pfanne angesetzt. Sie rannte zum Wasserhahn und wollte die harte Kruste ablöschen und retten, was zu retten war, doch sie machte alles nur noch schlimmer. Binnen weniger Sekunden schwebte ein dichter Rauchpilz über dem Herd und bewegte sich auf die Küchentür zu, was daran lag, dass jemand die Tür geöffnet hatte. Wer das war, ergab sich nach den ersten Worten. Sehen konnte Rosa kaum noch etwas.

»Willst du uns alle vergiften, Mama?«, wollte Joana wissen. Sie sprach es italienisch aus: Mamma.

»Nein, ich wollte dir nur eine Freude machen und dir deinen Lieblingskuchen backen ...«

»Weil du schon wieder meinen Geburtstag verwechselt hast?« Es klang provozierend und leicht schnippisch und schnitt Rosa ins Herz. Vor ein paar Monaten wäre das noch unmöglich gewesen. Was war nur passiert? Nichts, beschwichtigte sie sich selbst. Nichts, was nicht jedem Teenager widerfährt, außerdem hatte Joana ihren Emotionen schon immer recht ungeniert freien Lauf gelassen. Im Sauerland kam das anders rüber als in Mailand. Sie musste sich als Mutter endlich mit dem Gedanken anfreunden, dass ihre Kleine handfest in die Pubertät hineinschlitterte, da waren solche Anwandlungen völlig normal. Das konnte man schließlich in jedem Ratgeber nachlesen ...

»Ich habe deinen Geburtstag keineswegs verwechselt.« Rosa tastete sich vorwärts in die Richtung, wo sie das Fenster vermutete. Ihre Hüfte berührte die Tischkante, sie unterdrückte ein »Autsch!«. Immerhin hatte sie blind den Fensterknauf gefunden. Frische Luft strömte herein, der Qualm zog ab, man konnte wieder etwas sehen. Joana ließ nicht locker. »Und wann ist mein Geburtstag?«, wollte sie wissen.

Wie sie so dastand, erinnerte sie Rosa erst recht an das trotzige kleine Mädchen, das sie doch um keinen Preis mehr sein wollte. Lieber zehnmal mit dem Fuß aufstampfen, als einmal brav bitte sagen. Nur nicht zugeben, dass man sich fürchtet oder einfach mal geherzt werden will! Es war noch gar nicht so lange her, da war Joana nachts zu Rosa ins Bett geschlüpft. Unter tausend Vorwänden. Mama, mir ist kalt. Mama, der Bauch tut mir weh! Mama, in meinem Zimmer ist eine Spinne. Und Rosa hatte es genossen. Am liebsten wäre sie auch jetzt auf der Stelle zu Joana hingelaufen und hätte sie in die Arme genommen, sie fest an sich gedrückt und ihr gratuliert. Halt, nein, das durfte sie nicht.

»Dein Geburtstag«, sagte sie laut, »ist natürlich am sechsten April.«

»Und warum gratulierst du mir dann schon wieder am sechsten Januar?« Auftrumpfend und zugleich mit einem Unterton von Angst.

Rosa fragte sich, ob sie sich das auch wieder nur einbildete. Übertrug sie jetzt schon ihre eigenen Schreckgespenster auf ihre arme Tochter? Hatte sie eben womöglich laut gedacht? Nein, das konnte nicht sein, so komplett durcheinander war sie denn doch nicht. Sie schüttelte abwehrend den Kopf und nahm die Pfanne mit dem Karamell vom Herd. Aus dem Kuchen wurde nun nichts, dafür würden die Plätzchen umso besser gelingen. Joanas Lieblingsplätzchen, dachte Rosa und schob das fertig belegte Blech in den Ofen.

»Es stimmt also«, insistierte Joana hinter ihr.

»Du hast bestimmt nur geträumt.« Rosa schaltete den Backofen an.

»Dann hab ich wohl auch geträumt, dass du im Stockfinstern in mein Zimmer gekommen bist und mein Radio ausgemacht und mir gratuliert hast. Herzlichen Glückwunsch, mein Liebling! Das hast du gesagt, genauso, ich hab mich total erschrocken und erst selbst gedacht: Ich träume. Aber ich hab nicht geträumt. Kein Mensch träumt jedes Jahr an Dreikönige denselben Scheißtraum. Und einen Geburtstagskuchen will ich auch nicht haben, hörst du? Erst wenn ich wirklich Geburtstag habe, und bis dahin sind es noch genau drei Monate.« Rote Flecken färbten die Wangen des Mädchens, ihre Stimme überschlug sich.

»Es sollte ja auch nur dein Lieblingskuchen werden.«

»Und warum liegen dann dreizehn Geburtstagskerzen auf dem Tisch? Ich bin das leid, ich will das alles nicht mehr.«

»Verzeih mir, Kleines! Wahrscheinlich hast du sogar recht. An Dreikönig bin ich nun mal leicht durcheinander, dabei gibt es keinen Grund dazu. Außer den, dass ich zwei Jahre hintereinander die Plätzchen für unsere Sternsinger habe verbrennen lassen. Sie haben gesungen und gesungen, und ich habe glatt vergessen, dass ich ja noch Plätzchen für sie im Backofen hatte. Dieses Jahr passiert mir das jedenfalls nicht. Ich bin nicht umsonst so früh aufgestanden, in ein paar Minuten müssten sie fertig sein. Was hältst du von ein paar ›brutti‹ zum Vorkosten?«

»Du meinst ›brutti ma buoni‹? Hässliche, aber gute Plätzchen?« Joanas Augen leuchteten kurz auf. Sie liebte diese Kekse, bei denen sie schon als ganz kleines Mädchen hatte mithelfen dürfen. Besonders schön hatten ihre Plätzchen damals wirklich noch nicht ausgesehen, daher der Name. Dem Geschmack tat das indes keinen Abbruch. Rosa nickte, warf einen Blick auf die Uhr und griff dann nach den doppelt genähten Handschuhen, die sie gegen die Hitze des Backblechs schützten.

»Also, wie sieht’s aus? Magst du schon mal kosten?« Eine simple Frage, aber leider gab es derzeit für Joana keine simplen Antworten. Selbst ihre Lieblingsplätzchen wurden zur Waffe umfunktioniert.

»Ich frage mich, warum du ausgerechnet ›brutti ma buoni‹ gebacken hast.« Mit dieser scheinbar harmlosen Bemerkung startete sie ihre neue Offensive.

»Warum wohl?«, fragte Rosa zurück Allmählich reichte es ihr wirklich. Sie war auch nur ein Mensch.

»Weil du findest, dass hässliche Plätzchen gut zu mir passen?«, schlug Joana vor. Ihr Ton war bissig, aber gleichzeitig sah sie unglaublich einsam aus, wie sie so dastand, ebenfalls barfuß und nur mit einem Nachthemd bekleidet. Rosa hätte ihr am liebsten den Mund zugehalten und ihr verboten, jemals wieder etwas so unglaublich Dummes zu sagen. Doch etwas in Joanas Augen und in ihrer Haltung hielt sie davon ab.

»Du redest Unfug«, sagte sie so ruhig wie möglich.

»Du findest den Zinken in meinem Gesicht also hübsch? Willst du ihn haben? Sollen wir tauschen?« Joana griff nach ihrer zugegebenermaßen ausgeprägten Nase und drehte so heftig daran, dass sie knallrot wurde. Der Pickel an der Nasenspitze begann gefährlich zu glühen. Jetzt sah die Nase wirklich ziemlich monströs aus.

»Du hast eine klassische Nase. Eine Charakternase, die verrät, dass dich so schnell keiner für dumm verkaufen kann.«

»Und von wem habe ich den tollen Charakter geerbt? Ja wohl kaum von dir.«

»Wohl kaum«, bestätigte Rosa. Sie war fest entschlossen, sich nicht provozieren zu lassen. Wie schaffte sie es nur, rasch von diesem heißen Thema abzulenken? Es war heiß. Sogar so heiß, dass sie es selbst bislang mit Erfolg ausgesperrt hatte, wenn es Einlass in ihre Gedanken begehrte. Es war ja nicht so, dass sie sich noch keine Gedanken über Joanas ausgeprägte Nase gemacht hätte, die sich gleichzeitig mit den ersten Pickeln so entwickelt hatte. Vorher war es eine ziemlich unauffällige Kindernase in einem runden Kindergesicht gewesen.

»Von Fritz habe ich meine klassische Charakternase erst recht nicht«, bohrte Joana weiter. Lustvoll, selbstquälerisch, und dann kam der Paukenschlag: »Von ihm kann ich sie ja auch gar nicht haben.«

Was hatte Joana da gerade gesagt? Rosa musste sich an der Tischkante festhalten. Auf dem Tisch war ein Fleck, sie begann daran mit einem Zipfel ihres Nachthemds zu reiben. Sie musste sich verhört haben. Hoffentlich hatte sie sich nur verhört ...

»So was nennt man wohl stillschweigende Zustimmung, wie?« Joanas Ton war frech, geradezu dreist, aber es war nicht der Moment, sich über schlechtes Benehmen aufzuregen. Es ging um viel mehr. Es ging an die Substanz.

»Fritz ist ...« Rosa hörte zu reiben auf und starrte auf den Fettfleck, der jetzt auf ihrem Nachthemd prangte. Ihre Stimme wollte ihr plötzlich nicht gehorchen. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet, niemals.

»Fritz ist was?«, insistierte Joana.

»Er ist dein Vater.« Und wie um diese allzu schwache Aussage mit etwas Handfestem zu untermauern, fügte Rosa hinzu: »Und er ist mein Ehemann.« Wenigstens das stimmte. Die Gewissheit, zumindest in diesem Punkt die Wahrheit sagen zu können, machte Rosa Mut. Sie sah Joana an. Bittend. Versteh mich doch! Hör auf damit, mich zu quälen! Ich liebe dich doch!

Aber was sie sagte und was ihr Mienenspiel hinzufügte, es prallte an der unerbittlichen Haltung ihrer Tochter ab. Man musste Joana nur anschauen, wie sie da mit vor der Brust verschränkten Armen stand, breitbeinig. Ihr ganzer Körper unterstützte die folgenden Worte, die binnen weniger Sekunden sämtliche Illusionen zerstörten.

»Nur weil er mit dir verheiratet ist, ist er noch lange nicht mein Erzeuger. Er ist ja nicht mal wirklich dein Mann. Oder glaubst du, ich bin blöd? Glaubst du, ich kriege nicht mit, dass ihr nur verheiratet tut? Die Wände in seinem komischen Haus sind verdammt dünn, und mein Zimmer ist direkt neben eurem, da hört man die Flöhe husten. Alles, was ihr am Wochenende zusammen im Bett tut, ist Schlafen. Meinetwegen könnt ihr euch das Theater sparen. Wo er sowieso nicht mein richtiger Vater ist. Wetten, dass der aus Italien kommt? Da gibt es noch mehr von meinen Nasen, bestimmt ist mein Vater ein waschechter Italiener.« Etwas Lauerndes lag in den Augen des Mädchens, als es fortfuhr: »Kommt mein Vater vielleicht aus Mailand?«

Rosa erwachte aus ihrer Erstarrung. Sie wünschte sich, das alles wäre ein Albtraum, aber das war es nicht. Die Kälte an ihren nackten Fußsohlen war ebenso real wie der beißende Geruch, der aus dem Backofen kam. Mein Gott, die Plätzchen! Sie musste sie retten. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Sie musste etwas sagen.

»Hör sofort mit diesem Unfug auf!« Rosa beugte sich vor und riss die Backofentür auf. Hitze sprang sie an, eine Qualmwolke, ihre Augen begannen zu tränen. Sie war beinahe dankbar dafür. Alles war besser als diese Frage, auf die sie keine Antwort wusste. Das war das Schlimmste überhaupt: Sie kannte die Antwort wirklich nicht. Sie konnte nur Vermutungen anstellen. Wie hatte sie nur glauben können, ewig um diese Frage herumzukommen? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Als ob das Schicksal oder wer auch immer sich darum kümmerte, was einer Rosa Graf ins Konzept passte! Was hatte sie nur getan? Weil sie dem Kind, das sie so sehr liebte, Sicherheit geben wollte, hatte sie Fritz geheiratet. Mit ihm war sie schon zur Schule gegangen, er war zuverlässig und sogar ihrem Vater genehm. Fritz machte alles so unglaublich viel leichter für ein Kind, das hier in Ohlenbach aufwuchs.

»Mach es dir nicht so schwer, Rosa«, hatte er gemeint, als er sie vor rund zehn Jahren am Flughafen abholte. »Wenn wir heiraten, wird es für alle Beteiligten leichter sein. Für die Kleine ebenso wie für dich und deine Familie. Du kennst die Leute hier, du weißt, wie sie sind.«

»Und was hast du davon?« Diese Frage hatte sie ihm stellen müssen. Sie hatte ihm auch gesagt, dass sie ihn nicht liebte. »Von der Liebe«, hatte sie gesagt, »habe ich restlos die Nase voll.«

»Dann haben wir schon wieder eine Gemeinsamkeit«, hatte er gemeint. Mehr wollte er nicht preisgeben. Nur noch, dass er es leid war, von seiner Familie ständig dieselbe Litanei zu hören zu bekommen. Warum er nicht endlich heiratete und für Nachwuchs sorgte. »Tun wir unseren Familien den Gefallen«, hatte er gemeint, »dann haben wir beide unseren Frieden, und deine Tochter hat den Vater, ohne den es hier für sie zum Spießrutenlaufen wird. Im Kindergarten und später in der Schule und bei jedem Kindergeburtstag, du könntest nicht mal mehr über die Straße gehen, ohne dass sie euch hinterhertuscheln. Das Sauerland ist nicht Mailand. Und einer, der Türen und Fensterrahmen zimmert, denkt anders als Leute, denen ganze Fabriken gehören. Willst du deinen Vater noch einmal zum Gespött machen? Das überlebt er nicht!« Es war das einzige Mal gewesen, dass Fritz hatte durchklingen lassen, was er von ihrem italienischen Abenteuer hielt.

Sie hatten sich als Ehepaar ausgegeben, noch ehe sie es waren. Drei Wochen später hatten sie heimlich in Köln, wo Fritz als Physiotherapeut arbeitete und zum Glück auch gemeldet war, geheiratet. Sie hatten nicht mal ihre Trauzeugen gekannt. Zehn Jahre lang war alles gutgegangen. Ein sauberes Agreement, nicht mehr und nicht weniger. Fritz hielt sich an die Abmachung. Er blieb unter der Woche in Köln, er war beileibe nicht der einzige Pendler aus der Region. Niemand erwartete ernsthaft, dass er die gutgehende Praxis wieder aufgab. Mittlerweile beschäftigte er bereits drei Angestellte. Er war tüchtig und ehrgeizig, genau wie Rosa. Sie fertigte ihre Entwürfe für modernes Möbeldesign in der ehemaligen Werkstatt des Großvaters und wohnte unter der Woche praktischerweise auch mit Joana bei ihrer Großmutter. Anfangs hatte die sich noch um das Kind kümmern können, wenn Rosa arbeitete. Inzwischen kümmerte Rosa sich um die alte Frau, die ihr so unglaublich viel bedeutete. Jedes Jahr war ein geschenktes Jahr. Nur am Wochenende, wenn Fritz heimkam, schlief Rosa mit Joana im Haus von Fritz und teilte sich sogar mit ihm das Bett. Damit alles seine Ordnung hatte. Ihre Heimat war nun mal nicht Mailand.

An alles hatte sie gedacht. An fast alles.

Sie hatte nicht bedacht, dass die Stille im gemeinsamen Schlafzimmer für ein aufgewecktes junges Mädchen verräterischer als jeder Laut war. Zehn Jahre lang hatten sie und Fritz sich bemüht, die Illusion eines Paares aufrechtzuerhalten. Und nun das.

»Es stimmt also?« Hell und unerbittlich, gnadenlos, während die Hitze sich durch die doppelt genähten Handschuhe arbeitete. Eine Naht war aufgeplatzt, deshalb.

Lange kann ich das Blech nicht mehr halten, dachte Rosa. Sie kam nicht auf die Idee, das verdammte Blech abzustellen. Es war so heiß. Es ist zu heiß, dachte sie, klammerte sich an diesem simplen Satz fest. Die Worte kamen immer wieder, liefen durch ihren Kopf und ihren Körper. Es ist zu heiß. Viel zu heiß. Dann schepperte es. Das Blech lag zu ihren Füßen, ein hässliches, aber gutes Plätzchen war direkt auf ihrem Fußrücken gelandet. Zu heiß, dachte sie, viel zu heiß, aber sie rührte sich nicht.

Und ihre Tochter kannte noch immer keine Gnade. »Wolltest du mich deshalb nie mit nach Italien nehmen? Habe ich deshalb keine von Massimos Einladungen annehmen dürfen? Weil du Angst hattest, ich könnte mich in Mailand an etwas erinnern, was dir nicht in den Kram passt?«

»Du warst ein Baby.« Rosa bückte sich unendlich langsam, sie kam sich wie eine uralte Frau vor. In Zeitlupe hob sie das Plätzchen auf. Brutti ma buoni.

»Ich war fast drei Jahre. Ich würde mich erinnern, wenn es etwas zu erinnern gäbe.«

»Fritz war nicht oft bei uns in Mailand. Es ging nicht anders.« Nur im letzten Semester war er zu ihr nach Mailand gekommen, im Prüfungssemester, als sie kreuzunglücklich war und nur noch fortwollte. Weg von der Stadt, die ihr kein Glück brachte. Weg auch von Massimo.

Aber sie musste durchhalten, sonst wäre alles umsonst gewesen. Bis zum Examen waren es nur noch wenige Monate. Fritz hatte ihr als guter Kumpel, der er war, geholfen. Er musste sogar am Telefon ihre Verzweiflung herausgehört haben. Auf einmal war er da.

Sie waren zu dritt mit dem klapprigen alten Fiat, den er sich geliehen hatte, hinaus ans Meer gefahren. Joana war noch nie zuvor am Meer gewesen. Sie hatte eine kleine Ewigkeit im Sand gespielt, während die beiden Erwachsenen redeten.

Jetzt hoffte Rosa, dass davon eine blasse Erinnerung bei Joana hängengeblieben war. Nur davon.

»Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie wir zusammen am Meer waren?«, fuhr sie fort, wobei sie jeden Blickkontakt vermied und starr auf den Boden sah. Etwas Fugmasse bröckelte. Alles bröckelte. Es war verdammt schwierig, noch einmal alle Fäden so zusammenzukriegen, dass diese Geschichte für Joana einen vernünftigen Sinn ergab. »Du wolltest gar nicht mehr weg. Fritz hat dich mit der Hupe zum Auto zurückgelockt. Du warst von dieser extrem schrillen Hupe fasziniert und hast immerzu draufgedrückt. Und dann hast du geweint, weil du das Meer nicht mehr sehen konntest, gleichzeitig hast du mit beiden Füßen gegen das Armaturenbrett getreten. Du hast erst Ruhe gegeben, als Fritz dir eine Hupe versprochen hat. Genau solch eine Hupe wie in diesem alten Fiat, und er hat sein Versprechen gehalten.«

»Und was beweist das?«

»Beispielsweise, dass er dich liebt, dass er dich schon damals geliebt hat, auch wenn er nicht so oft bei uns sein konnte. Er war ja selbst noch mitten in seiner Ausbildung, genau wie ich. Ich habe in Mailand fertig studiert, ich hatte ein Stipendium, so was wirft man nicht einfach weg. Und Fritz hatte die Chance, gleich nach seinem Examen die Praxis in Köln zu übernehmen, wo er schon sein Praktikum absolviert hat. Sie war ziemlich runtergekommen, diese Praxis, deswegen hat er auch kaum etwas dafür bezahlen müssen. Er hat fast alles selbst renoviert, er ist ziemlich geschickt, aber das weißt du ja. Und dann hat er uns zurück nach Deutschland geholt, da warst du wie gesagt drei Jahre alt.« Rosa schnappte nach Luft. Ihr war heiß.

Warum sagte Joana nichts? Sonst redete sie doch wie ein Buch. Warum blieb sie stumm wie ein Fisch und spielte nicht mal mit dem Goldkettchen um ihren Hals, das sie von Rosa zur ersten heiligen Kommunion bekommen hatte? Ein Familienstück war das. Wenn Joana auf Konfrontationskurs war, kündigte sich das oftmals durch das Fummeln an diesem Kettchen an, dann schabte das Kreuz aus Rotgold unablässig hin und her. Jetzt nicht. Beinahe sehnte Rosa sich nach dem nervenden Geräusch. Vor allem um die unheimliche Stille zu überbrücken, redete sie immer weiter: »Du solltest im Grünen groß werden. Außerdem war da ja noch deine Urgroßmutter, sie braucht mich, sie war immer wie eine Mutter für mich. In den ersten Jahren hat sie auch noch auf dich aufgepasst, wenn ich nebenan in der Werkstatt war. Du warst ein ziemlicher Wirbelwind, du hast sie ordentlich auf Trab gehalten, sie und mich. Es ist gut so, wie es ist. Und Fritz war dir immer ein guter Vater, ich dulde nicht, dass du so von ihm sprichst. So abfällig, das hat er nicht verdient. Hast du mich verstanden?«

Noch immer keine Reaktion. Kein Laut.

Rosa blickte hoch. Irgendwann hatte sie sich hingekniet, um das versprengte Gebäck einzeln aufzuheben. Sie war gar nicht auf die Idee gekommen, Handfeger und Kehrblech zu nehmen. Ihre Hand war voller Krümel. Sie sah auf den Backofen, die Beine des Küchentischs, die offene Tür zum Flur. Sonst war da nichts. Ohne dass sie es gemerkt hatte, war Joana hinausgegangen. Leise, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Zurück blieben die Worte, die sie ausgesprochen hatte, sie fügten sich erneut zu Sätzen und preschten auf Rosa los.

Bestimmt ist mein Vater ein waschechter Italiener.

Kommt mein Vater aus Mailand?

Glaubte Joana etwa, dass in Wahrheit Massimo ihr Vater war? Ihr Erzeuger, wie sie es formuliert hatte.

Das Schlimme war, dass Rosa nicht einmal darauf die Antwort wusste ...

2

Massimo hatte mit einem kühlen Empfang gerechnet. Wer die Ehre hatte, den Namen Pezzo zu tragen, und sich dann beim alljährlichen Umtrunk zum Start ins neue Jahr vor den Mitarbeitern die Kante gab, durfte nicht auf Gnade hoffen. So einer sollte vermutlich froh sein, wenn die Familie nach so einem peinlichen Ausrutscher noch die Contenance bewahrte. Darin waren sie groß, die Pezzos, alle miteinander. Jedenfalls war Massimo gewappnet, als er sich am frühen Nachmittag dem Trakt näherte, wo die Geschäftsleitung untergebracht war.

Wie nicht anders zu erwarten, herrschte überall auf dem Firmengelände emsige Geschäftigkeit. Als ob die Leute sich verpflichtet fühlten, die Kosten des Neujahrsempfangs möglichst rasch wieder hereinzuholen. Sein Vater, auch dieser Gedanke schoss Massimo durch den Kopf, würde das natürlich anders sehen. Aus seiner Warte fühlte sich jeder, der hier arbeitete, dem Unternehmen wie der eigenen Familie verbunden. Ohne jedes Kalkül. Und über allem thronte Franco Pezzo. Noch tat er das. Massimo war sich nicht sicher, ob ihn die Aussicht auf den bevorstehenden Machtwechsel fröhlicher stimmen sollte. Er entschied, dass es ihm im Grunde egal sein konnte, wann seine Schwester das Heft in die Hand nahm. Kräftig genug waren ihre Hände ja, für eine Frau hatte sie ausgesprochen starke Knochen, was man von ihm selbst nicht gerade behaupten konnte. Er war kleiner und zierlicher gebaut. Vermutlich mit ein Grund, warum er Alkohol nicht besonders gut vertrug, und wenn, dann nur in vergleichsweise kleinen Mengen. Weil er das wusste, hielt er sich meistens zurück. Tags zuvor hatte er jedoch eine Ausnahme gemacht, warum auch immer.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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