Die schwarze Fledermaus 03: Angriff der schwarzen Fledermaus - G.W. Jones - E-Book

Die schwarze Fledermaus 03: Angriff der schwarzen Fledermaus E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Bei einer illegalen Exhumierung werden drei Männer erschossen, darunter ein junger Bezirksstaatsanwalt. Lieutenant McGrath verdächtigt die Schwarze Fledermaus und startet eine gnadenlose Jagd auf den Maskierten.Quinn braucht Unterstützung, doch sein Freund und Gehilfe Silk versinkt gerade, mit schweren Eisenketten gefesselt, in den Fluten des Lake Michigan.Die Kult-Reihe aus den USA!

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUS

Band 3

G. W. Jones

Angriff der Schwarzen Fledermaus

Copyright für ,Die Fledermaus‘ by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Lektorat: Gottfried Marbler

Übersetzung: Andreas Schiffmann

Covergrafik: Rudolf Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier, München

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-003-1

Kapitel I - Mord auf dem Friedhof

Um zehn Minuten nach ein Uhr, also mitten in der Nacht, fuhr ein Wagen am Friedhof vor. Zwei Männer stiegen aus, die hohe Stiefel trugen. Sie traten vor das Tor in der Friedhofsmauer und einer von ihnen sperrte mit einem Schlüssel aus seiner Tasche auf. Der Fahrer ließ das Auto hindurchrollen, wonach seine beiden Mitfahrer das Gittertor hinter sich zuzogen und es absperrten. Der Wagen nahm mehrere Abzweigungen auf dem mäanderförmigen Pfad zwischen den Gräbern. Dann strahlte der Fahrer eine Reihe nebeneinanderstehender Steine mit den Scheinwerfern an, allerdings nur kurz, denn im gleichen Moment, als er sah, was er suchte, blendete er ab.

Lew Scott, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, gehörte zu den dreien, die diesen seltsamen Nachtausflug machten. Nachdem sie mehrere Schaufeln und Hacken ausgeladen hatten, nahm er jeweils eine Schaufel und eine Hacke zur Hand. Er war noch jung und strotzte vor Ehrgeiz, erfreute sich jedoch nicht zuletzt aufgrund seiner Ehrlichkeit eines ausgezeichneten Rufes. Einem seiner Gefährten, der kleiner und schlanker war, vor allem aber viel nervöser, wandte er sich zu.

„Zum letzten Mal“, begann er leise, weil die Umgebung Diskretion gebot. „Sind Sie sich ganz sicher? Wir machen uns zum Gespött der ganzen Stadt, wenn Sie sich irren, ganz zu schweigen von der saftigen Klage, die wir uns damit einhandeln können.“

Der Angesprochene hieß Jim Fisher und fuhr sich nun mit der Zunge über die Lippen. Während er seinen Kragen aufknöpfte, kam der dritte Mann zu ihnen, und Fisher konnte nicht antworten. Dawson, so hieß der assistierende Gerichtsmediziner, war genauso blutjung und auf der Hut wie Scott. Das Trio schien also trotz Heimlichtuerei mit gutem Recht graben zu dürfen.

„Ich habe die unterschriebene Genehmigung, das Grab ausheben zu dürfen, in der Tasche. Worauf warten wir also?“, fragte Dawson. „Sobald Sie den Sarg öffnen, werde ich eine rasche Autopsie vor Ort durchführen, und das ohne große Schwierigkeiten, weil der Leichnam erst vor zwei Tagen bestattet wurde. Ohnehin brauche ich nur Haar- und Nagelproben sowie einen Abstrich der Magenschleimhaut. Was meine Aufgabe bei diesem Unternehmen betrifft, benötige ich wohl kaum länger als eine Viertelstunde.“

Jim Fisher ging zum Auto zurück und ließ sich auf dem Trittbrett nieder, ehe er Scott versicherte: „Ich irre mich definitiv nicht.“ Sein düsterer Tonfall hatte etwas Endgültiges. „Ralph Galvin liegt tot in diesem Grab. Der Arzt glaubt zu wissen, er sei an einem chronischen Magenleiden gestorben. Wie gesagt, ich war nicht in der Stadt, doch als ich nach meiner Rückkehr davon erfuhr, ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Galvin hatte nie Probleme mit seinem Magen; er brüstete sich sogar andauernd mit seiner gesunden Verdauung.“

Lew Scott nickte. „Ja, ja. Das haben Sie uns schon oft genug erzählt, aber mir geht es vor allem um den Brief, den Sie von ihm erhalten haben. Denken Sie daran, dass Sie ihn vernichtet haben. Sie besitzen kein schriftliches Beweisstück.“

Fisher zuckte mit den Schultern. „Ralph erwähnte, er habe etwas über eine Lebensversicherung erfahren, von der er bis dato überhaupt nichts gewusst hatte. Sie belief sich auf zweihundertfünfzigtausend Dollar, obwohl er sich eine so teure Police niemals hätte leisten können. Zudem wäre er nicht umhingekommen, sich einer Untersuchung zu unterziehen, um sie über einen solch hohen Betrag abzuschließen. Ich dachte mir nichts weiter dabei, bis ich zurückkehrte und von seinem Tod erfuhr. Er ist zu unvermittelt gestorben, weshalb ich glaube, dass, wer auch immer Galvin lebensversichert hat, ohne dass er davon wusste, auch ein medizinisches Gutachten fälschte, ehe er ihn ermordete, um das Geld einzukassieren.“

Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt schälte sich aus seinem Mantel und zog das Jackett darunter ebenfalls aus. „Dann ist die Situation für mich sonnenklar, und wir tun nichts Falsches, ihn zu exhumieren. Vermutlich hätte ich die Angehörigen zuerst verständigen sollen, doch falls Ihre Vermutungen berechtigt sind, Fisher, wäre das ein kapitaler Fehler. Offensichtlich geht das Geld an jemanden aus Galvins Familie, und falls wir gegen diese Person vorgehen wollen, müssen wir zuerst vollkommen sicher sein, dass er keines natürlichen Todes starb. An die Schaufeln, meine Herren! Wir graben die Leiche aus und geben Ihnen, Doktor Dawson, Zeit zur Untersuchung. Hinterher bestatten wir Galvin erneut. Aber wie gesagt, Mister Fisher: Falls Sie richtig liegen, müssen wir seine Grabesruhe morgen ganz offiziell zum zweiten Mal stören. Bringen wir es hinter uns.“

Alle drei legten sich ins Zeug, die frisch angehäufte Erde auszuheben. Fast zwei Stunden zermürbender Anstrengung kostete es, bis sie auf das Metall des Sargdeckels stießen. Scott kroch aus dem Loch heraus, eilte zum geparkten Wagen und nahm eine Benzinlötlampe aus dem Kofferraum. Damit sprang er zurück ins Grab, betätigte die Luftzufuhr und hielt ein Streichholz vor den Kolben. So brannte er ein Loch in die Außenhülle, die den Sarg luftdicht verschloss. Die beiden anderen Männer stemmten den verkupferten Kasten auf, bis sich der Deckel aus dem Loch hieven ließ. Als Nächstes warfen sie Fisher Seile zu, die er unter dem Sarg durchführte. Nachdem sie ihn behutsam hochgezogen hatten, stellten sie ihn auf ebenem Grund ab.

Scott öffnete den Sarg mit einem Schraubenschlüssel und klappte den Deckel auf. Beim Anblick der Leiche schauderte es Fisher, und er musste sich schnell abwenden. Nur Dawson war solch unappetitliche Arbeit von Berufswegen her gewohnt, weshalb er sie völlig ungezwungen erledigte, nachdem er das dazu notwendige Werkzeug aus seinem Arztkoffer genommen hatte. Zuerst schnitt er dem Toten eine Haarsträhne ab, steckte sie in einen Umschlag und klebte diesen zu. Das Gleiche tat er mit mehreren Fingernagelsplittern, die ebenfalls später analysiert werden sollten.

Der Wind hatte während ihrer Bemühungen aufgefrischt und wehte nun den Umschlag mit den Haaren gut ein Dutzend Fuß über die Grasfläche. Scott lief hinterher und schnappte ihn gerade noch, als er in ein anderes offenes Grab zu segeln drohte. Damit er nicht wieder davonflog, legte er das Beweisstück in einen zerbrochenen Blumentopf, den er dazu aus dem Boden zog. Um ganz sicherzugehen, stellte er ihn auf den Kopf. „So kommt die Probe nicht abhanden, bis wir aufbrechen“, bemerkte er dazu. „Nun, Doktor, wenn Sie gestatten, werde ich mich weiter mit Fisher unterhalten, während Sie den Eingriff vornehmen.“

Dawson nickte und sah sich bereits nach dem Chirurgenbesteck um. Während er seine Routinearbeit zügig durchführte, bemühte sich Jim Fisher am Wagen, sein Schlottern zu unterdrücken. „Ich bin kein Feigling“, behauptete er, „aber diese Sache zerrt an meinen Nerven. Wenn ich den Mann nicht gekannt hätte, wäre es nicht so schlimm, aber Ralph und ich, wir waren Freunde seit der ersten Grundschulklasse. Ich sage es Ihnen noch einmal: Er ist keines natürlichen Todes gestorben! Einen Unfall, Lungenentzündung oder irgendeine Infektionskrankheit würde ich fraglos hinnehmen, aber ein chronisches Magenleiden? Guter Gott, das ist schlichtweg unmöglich.“

Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt stellte den Kragen seines Hemdes hoch. In kaum zwei Stunden sollte die Sonne aufgehen, doch die Nacht zeigte sich nun von ihrer ungemütlichen Seite.

„Ich weiß“, versicherte er Fisher mit gedämpfter Stimme. „Deshalb habe ich diese Exhumierung auch insgeheim in die Wege geleitet. Falls wir falschliegen, findet es niemand heraus, aber wenn sich Ihr Verdacht bestätigt, stecken wir mitten in einem üblen Mordfall. Niemand weiß von unserer Aktion, weil weder ich noch Dawson jemandem davon erzählt haben, und Sie auch nicht, wie ich wohl annehmen darf. Gewisse Anzeichen an der Leiche lassen den Doktor bereits jetzt darauf schließen, dass Galvin mit Arsen vergiftet wurde. Die Aufnahme des Giftes geht mit Symptomen einher, die denen einer dauerhaften Magenkrankheit nicht unähnlich sind, besonders wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt, wie es bei Versicherungsbetrug mit Mordabsicht häufig der Fall ist. Die Proben, die Dawson entnimmt, werden uns definitiv Aufschluss geben.“ Er hielt inne. „Haben Sie das gehört, Fisher?“

Der Mann nickte. „Dort oben in den Büschen; jemand beobachtet uns.“

Scott rief den Gerichtsmediziner mit gedämpfter Stimme. „Doc, kommen Sie her.“

Dawson schlenderte locker zu den beiden hinüber und grinste breit, als sie ihn wissen ließen, man werde beobachtet. „Unsinn. Sie sind bloß nervös, und die Umgebung tut ihr Übriges. Wer außer drei Untoten würde zu nachtschlafender Zeit auf einem Friedhof herumschnüffeln, wie wir es gerade tun?“ Er lachte noch einmal laut, bevor er zum offenen Grab zurückkehrte. Plötzlich schnellte seine Hand zur Brust hoch, und ein gequältes Ächzen kam über seine Lippen. Zwei Schritte taumelte er noch, allerdings eher aus dem Schwung heraus und nicht mehr aus eigener Kraft, bevor er sich halb umdrehte, als wolle er seinen beiden Begleitern noch etwas sagen, und schließlich zusammenbrach.

Scott sprang vom Trittbrett des Wagens auf und eilte zu Dawson hinüber. Fisher sah starr vor Entsetzen, wie der Staatsanwalt im Lauf stehen blieb und wie in Zeitlupe zehn Fuß vor dem Doktor ebenfalls zu Boden ging. Der Verbliebene stieß einen gellenden Schrei aus. Nichts hatte er gehört, und doch waren die beiden Männer gefallen, als sei ein stummes Gespenst über sie gekommen und habe ihnen ihr Leben genommen. Fisher flog geradezu über mehrere Erdhaufen hinweg, sprang über einen Grabstein und blieb an einem Blumenkübel hängen. Panisch glucksend raffte er sich auf und hastete weiter. Auf einmal ließ irgendetwas neben ihm die Erde aufstieben, weshalb er noch schneller rannte, doch dann wurde er zwischen die Schulterblätter getroffen, und ein überwältigender Schmerz durchdrang seinen ganzen Körper. Nach wenigen Stolperschritten sackte auch er zusammen. Es gelang ihm unter großen Mühen, wieder auf die Beine zu kommen, indem er sich an einem Stein hochzog. Er drehte den Kopf und starrte ins Dunkel.

Gut fünfzig Fuß hinter ihm stand jemand, den er nur als schwarzen Klecks erkannte. Der Mann hielt ein Gewehr im Anschlag, und obwohl es keinen Knall abgab, bohrte sich eine weitere Kugel in Fishers Fleisch. Sie durchlöcherte seinen linken Lungenflügel und traf ihn ins Herz. Er war auf der Stelle tot und hing über den Grabstein gebeugt wie in einer spukhaften Albtraumszene.

Der Mörder schritt indessen ruhig zu Dr. Dawson und tippte ihn mit dem Fuß an. Als er sah, dass Blut aus einer Wunde direkt über dem Herzen quoll, schürzte er verächtlich die Lippen. Dann schaute er sich den Bezirksstaatsanwalt an, der alle Glieder von sich streckte, aber noch zuckte; sein Leben war noch nicht vollends verwirkt. Als sei es ein ganz alltäglicher Handgriff, hob der Unbekannte seine Waffe ein Stück weit an und verpasste dem Liegenden einen Kopfschuss.

Nachdem er seine grauen Handschuhe ausgezogen hatte, schraubte der Killer den Schalldämpfer ab und steckte ihn in seine Tasche, klemmte das Gewehr unter den Arm und ging hinüber zu der ausgegrabenen Leiche. Dort nahm er den Umschlag an sich, den Dawson hinterlegt hatte, begutachtete ihn kurz, um ihn letztlich ebenfalls einzustecken. Zwanzig Minuten brauchte er, um den Boden in der Umgebung sorgfältig nach selbst winzigen Spuren abzusuchen, die ihn verraten konnten. Hinterher kehrte er zügig zur Gruppe niedriger Bäume zurück, die den Friedhofsweg säumten, und die Nacht verschlang ihn, als sei er nie da gewesen. Nur die vier Leichen deuteten darauf hin, eine längst kalt im ewigen Schlaf, die übrigen noch warm in ihrem Blut liegend.

Niemand konnte die Tat bezeugen. Allein die Toten klagten den Attentäter an, der ein beinahe perfektes Verbrechen begangen hatte.

Ein einziges Detail jedoch ließ er zurück, ohne es zu wissen.

Kapitel II - Phantome der Nacht

In einem großen Haus in einer der vornehmeren Gegenden der Stadt saß ein Mann vor seinem Kamin. Er trug eine Anzugjacke und hielt einen Gehstock zwischen den Knien fest. Seine Augen waren leer wie die eines Blinden und von hässlichen Narben umsäumt, die von Verätzung herrührten. Er hatte die dreißig überschritten und wirkte – abgesehen von dieser Verunstaltung – nicht unansehnlich, besaß ein markant geschnittenes Kinn und konnte warmherzig lächeln, obwohl er allzu oft verbittert dreinschaute.

Tony Quinn verharrte viele Stunden in dieser Haltung, denn er war, soweit man wusste, tatsächlich blind. Ein Dutzend kompetenter Ärzte hatte sich dafür verbürgt und ihm keine Hoffnung auf Heilung gelassen. Damals, als er noch ein aufstrebender Staatsanwalt gewesen war, hatte er in einem Gerichtssaal sein Leben zur Verteidigung von wichtigen Beweisstücken aufs Spiel gesetzt, wobei ihm von einem Gangster Säure ins Gesicht geschüttet worden war. Und wie gesagt: Nie wieder würde er sein Augenlicht zurückerhalten, so man den Fachleuten glaubte, die er konsultiert hatte.

In Wirklichkeit war Tony Quinn aber nicht blind.

Diese ausdruckslosen Augen sahen wahrscheinlich besser als jedes andere Paar auf der Welt. Dank eines kranken Mannes, der ebenfalls im Kampf gegen das Verbrechen in Mitleidenschaft gezogen worden war, hatte Tony Quinn gelernt, sie wieder zu gebrauchen. Die dazu nötige Operation war in aller Heimlichkeit durchgeführt worden, und außer dem ausführenden Arzt, der die Wundertat vollbracht hatte, die andere Chirurgen scheuten, sowie drei weiteren Menschen, wusste niemand davon.

Einer der Eingeweihten saß in einem Sessel mit gerader Rückenlehne neben Quinn. Am Boden vor seinen Füßen lagen eine Menge Zeitungen. Er hieß Norton Kirby und hatte sich unter dem Namen Silk als Trickbetrüger betätigt, bis er bei Tony Quinn eingebrochen und durch schicksalhafte Fügung zu seinem Freund geworden war. Er trug den unauffälligen Anzug eines Hausdieners. „Ein ganz schöner Schlamassel, nicht wahr?“, fragte er. „Man stelle sich so etwas vor: Scott, unser stellvertretender Bezirksstaatsanwalt, der rechtsmedizinische Angestellte Dawson und ein gewisser Jim Fisher liegen ermordet auf dem Friedhof, daneben die ausgegrabene Leiche eines kürzlich Verstorbenen. Klingt gespenstisch, Sir. Sie kannten den jungen Scott doch.“

Quinn nickte betrübt. „Er fing in meinem Büro an, als ich noch amtierender Bezirksstaatsanwalt war. Ein netter Mensch, Silk, und intelligent dazu. Er sah einer glänzenden Zukunft entgegen, doch jetzt ist er tot. Warum? Weder die Polizei noch sonst jemand weiß sich einen Reim darauf zu machen. Rache kann es nicht gewesen sein, denn dann wären weder Dawson noch dieser Fisher mit ihm ermordet worden. Silk, die drei folgten einer Spur und haben Ralph Galvins Leichnam nicht einfach so ausgegraben. Jemand brachte sie für immer zum Schweigen, damit sie nicht offenlegten, was sie herausgefunden hatten, und wenn jemand die Schuld für drei kaltblütige Hinrichtungen auf sich nimmt, muss es sich um eine schwerwiegende Angelegenheit handeln. Lesen Sie mir diesen einen Abschnitt vor, in dem es über die Mutmaßungen der Behörden geht.“

Silk räusperte sich und setzte dort wieder an, wo er sich zuvor selbst unterbrochen hatte: „Commissioner Warner leitet die Ermittlungen im Fall der drei grausamen Morde auf dem Stadtfriedhof, die die Bevölkerung erschüttern. Laut Polizei gibt es noch keinerlei Hinweise, doch gründliche Untersuchungen sollen schon bald für Klarheit sorgen. Ralph Galvins Leichnam, den die drei Ermordeten exhumiert haben, befindet sich zu diesem Zweck im pathologischen Institut Stanley. Bisher geht man davon aus, eines der Opfer namens Jim Fisher, der zu den Freunden des Verstorbenen zählte, habe Galvins natürlichen Tod angezweifelt. Der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Scott führte eine Genehmigung zur Exhumierung der Leiche mit sich und begleitete die beiden vermutlich, um Fishers Andeutungen unverzüglich auf den Grund zu gehen. Ralph Galvins Körper wurde einer Autopsie unterzogen, doch bereits zuvor hatte Gerichtsmediziner Williams versichert, es gebe keine Hinweise darauf, dass er gewaltsam gestorben oder vergiftet worden sei. Man ist einhelliger Meinung, dass Scott und Dawson den Toten vergeblich auf Indizien hin untersuchten.“

Tony Quinn hob die Hand. „Es genügt. Silk, dahinter steckt mehr, als es oberflächlich gesehen den Anschein hat. Wie gesagt, ich kannte Lew Scott. Er wäre nicht vorschnell auf eine verrückte Geschichte angesprungen, die ihm ein Wildfremder unterbreitete. Dass man keinen Missbrauch mit bereits Begrabenen treibt, war ihm völlig bewusst.“ Einen Moment lang hielt er andächtig inne. „Ich glaube, wir sollten uns die Leiche in der Pathologie anschauen, Silk, und dem Friedhof müssen wir ebenfalls einen Besuch abstatten. Die Polizei steckt bisweilen zu tief in ihrer Routine; vielleicht hat sie dort draußen etwas übersehen.“

Silk antwortete nicht, sondern stand auf, ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann vergewisserte er sich, dass die Türen geschlossen waren und löschte das Licht im Zimmer.

„Bereit, Sir“, sagte er schlicht, woraufhin sich Tony Quinn erhob, auf seinen Stock stützte und rasch vor die Westmauer des Raumes trat. Während sich Silk vorsichtig durch die für seine Augen beinahe undurchdringliche Dunkelheit tasten musste, tat Quinn so, als sei alles hell erleuchtet. Dafür gab es einen Grund: Er sah im Dunkeln fast genauso gut wie im Hellen; manchmal schien es ihm gar, als sähe er im Dunkeln noch besser. Jene Augenoperation hatte ihm schärfere Sicht beschert, mit der er der Lichtlosigkeit trotzen konnte.

Ein Teil der Wand gab inwendig nach, und Quinn schlüpfte mit Silk in einen weiß gefliesten Raum, dessen Regale und Schränke vor Chemikalien, Untersuchungsgeräten und die gesamte Kriminalgeschichte abdeckenden Büchern fast zusammenbrachen. Der ehemalige Staatsanwalt gedachte nämlich, sich mit allen verbrecherischen Elementen anzulegen, die die Unterwelt beherbergte, genauso wie er korrupten Männern und Frauen der vermeintlich hohen Gesellschaft das Handwerk legen wollte.

Aus einem Tresor nahm er nun einen schwarzen Anzug, dazu passende Handschuhe und Stiefel mit Gummisohlen, nicht zu vergessen seine charakteristische Haube. Die streifte er sich über, als er sich umgezogen hatte, was er in Eile tat. Der Stoff reichte bis über die Schultern und ließ sich an den Armen befestigen, sodass er gerippten Flügeln ähnelte, wenn er sie ausbreitete. Sein Schatten an der weißen Wand mutete eigenartig an, eben wie der einer großen Fledermaus. Nach dem Flattertier gab er sich den Namen und verwendete die Fledermaus als Erkennungszeichen, weil man diese Nachttiere im Volksmund als blind bezeichnete, nicht zu vergessen wegen ihrer ausschließlichen Aktivität im Dunkeln.

Einmal noch schaute er unter der Maske hervor. „Sie bleiben besser hier“, mahnte er Silk. „Commissioner Warner schaut üblicherweise vorbei, wenn er Kopfschmerzen wegen eines solchen Falles bekommt. Falls er nach mir verlangt, sagen Sie ihm, ich würde schlafen und wolle nicht geweckt werden, zumal ich andauernd deprimiert sei wegen meiner Blindheit und seit Tagen keine Ruhe gefunden hätte. Das wird ihn hinhalten, bis ich zurück bin.“

In Silks Antwort schwang leichtes Bedauern mit: „Gut, Sir, aber ich dachte, Sie würden mich vielleicht mitnehmen, da wir bis zuletzt die Hände in den Schoß gelegt haben ...“

Quinn zog die Haube schließlich wieder ganz vom Kopf und steckte sie grinsend in eine Tasche. „Silk, Sie unverwüstliches Schlachtross, ich müsste schon arg falschliegen, wenn es in naher Zukunft nicht ausreichend für Sie zu tun gäbe. Ich fische nicht gern im Trüben, ahne aber, dass der Mann oder die Bande, die für diese Morde verantwortlich zeichnen, noch lange nicht fertig sind. Halten Sie die Stellung; ich brauche nur ein paar Stunden.“

Quinn setzte einen Hut mit breiter Krempe auf und verbarg seine vernarbten Züge darunter. Nachdem er mehrere Hebel an der Wand gezogen hatte, gab ein Teil des Fußbodens nach und offenbarte eine Leiter, die in einen von Hand gegrabenen Tunnel führte. Er winkte Silk, kletterte hinab und schlich hindurch. In einer geschlossenen Gartenlaube weit an der hinteren Grenze des Grundstücks kam er heraus; dies war der perfekte Weg für die Fledermaus, um auf die Jagd zu gehen beziehungsweise wieder heimzukehren. Beim Verlassen des Geländes durch das Gartentor schaute er sich zu beiden Seiten auf der ruhigen Straße um. Niemand war unterwegs, also trat er hervor und hielt sich dicht an der hohen Mauer, wobei ihn seine schwarzen Kleider in der Dunkelheit praktisch unsichtbar machten.

Als er um die Ecke bog, sah er einen Sportwagen am Gehsteig vor einem Wohngebäude stehen. Der parkte immer dort für Bedarfsfälle wie diesen und war auf einen gewissen Jack O’Leary registriert, den die Schwarze Fledermaus als Butch kannte. Er gehörte zum Trio der Eingeweihten, die um Quinns Identität wussten. Er schloss das Auto auf und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Während er langsam die nächste Kreuzung überquerte, zog er den Hut noch tiefer ins Gesicht, denn gleich lenkte er den Wagen in eine helle Straße hinein. Ihn kribbelte es unter seiner Haut. Falls man ihn – warum auch immer – anhielt und in diesem Aufzug sah, würde dies Fragen aufwerfen. Nahezu jeder Polizist in der Stadt kannte Quinn und nahm fest an, er sei auf ewig zur Blindheit verdammt. Wenn man ihn nun einen Wagen fahren sah ...

Tony Quinn verdrängte den Gedanken an die sich daraus ergebenden Konsequenzen.

Umso vorsichtiger schlug er sich durch die Stadt, beachtete die Straßenschilder und hielt sich an die vorgegebene Geschwindigkeit. So gelangte er weit in den Norden, wo er das Coupé in einer finsteren Seitengasse abstellte. Nachdem er sich einmal mehr umgesehen hatte, stieg er aus, nahm den Hut ab und warf ihn auf den Sitz, um hastig die Maske überzustülpen.

Das Leichenhaus des Privatunternehmens, in dem der exhumierte Tote vom Friedhof verwahrt wurde, befand sich gleich um die Ecke. Beim Durchqueren des angrenzenden Hofraumes umging er Hindernisse, über die jeder normal Sehende gestolpert wäre. Selbst die dünnen Drähte zweier Krocket-Tore standen ihm so deutlich vor Augen, als handele es sich vielmehr um welche fürs Fußballspiel.

Das Gebäude, hinter dem er herauskam, besaß kein Obergeschoss. Nachts hatte niemand Dienst, denn wer sollte zu dieser Zeit schon ein Leichenschauhaus aufsuchen? Zwar war der ausgegrabene Leichnam im Zusammenhang mit jenem dreifachen Mord extrem wichtig, aber die Autopsie hatte man abgeschlossen und die Ergebnisse eingereicht. Der Tote harrte also nur noch seiner neuerlichen Beerdigung. Die Fledermaus trippelte verstohlen vor das Gebäude, und nachdem er kurz die Art des Türschlosses begutachtet hatte, brauchte er kaum drei Minuten, um es zu knacken. Das Öffnen solcher Vorrichtungen gehörte zu den zahlreichen faszinierenden Bereichen der Kriminologie, die Quinn ausgiebig studiert hatte. Er machte leise hinter sich zu. Eine Taschenlampe führte er nicht mit sich, denn sie wäre überflüssig gewesen, weil er alles sah. Der Leichnam ruhte zugedeckt in einem der engen Untersuchungsräume. Er zog das Laken weg und beschäftigte sich zehn Minuten lang mit dem Körper, gab jedoch letztlich auf. Keine neuen Erkenntnisse. Falls es sich wirklich um Ralph Galvin handelte, denn als dieser war er identifiziert worden, hatte Lew Scott einen Fehler begangen, ihn zu exhumieren.

Nachdem die Fledermaus das Gebäude verlassen hatte und zum Wagen zurückgekehrt war, fuhr er schnurstracks zum Friedhof. Er kletterte über den hohen Zaun und ließ sich drinnen leise auf die Erde fallen, ehe er den Platz suchte, an dem die drei Männer den Tod gefunden hatten, was nicht schwierig war, da man das geöffnete Grab nicht wieder zugeschaufelt hatte.

Nach Fußspuren brauchte er erst gar nicht zu suchen, weil Polizei und Friedhofspersonal den ohnehin schlammigen Boden zertreten hatten. Er baute sich neben dem Grab auf und drehte sich langsam um. Seine Augen streiften den Boden ab; ihnen entging nichts. Auf einem anderen Grab in etwa zwanzig Fuß Entfernung stand umgedreht ein zerbrochener Tontopf. Ansonsten war die Erde dort eben, das Blumenbukett vor dem Stein bereits seit Tagen ausgedörrt. Dies deutete allerdings darauf hin, dass sich jemand um das Grab kümmerte und zumindest einigermaßen regelmäßig herkam. Deshalb kam das kaputte Gefäß Quinn suspekt vor, also schaute er es sich näher an. Der Topf war anderswo weggenommen, richtiggehend aus der Erde gerissen worden, worauf die Erde schließen ließ, die noch an ihm haftete. Als er ihn umdrehte, entdeckte er halb im Dreck verborgen einen schmutzig weißen Umschlag. Schnell zog er ihn heraus, schnitt die verklebte Lasche auf und fand eine Haarsträhne darin.

Er steckte sie ein und konnte sich dabei eines aufregenden Kribbelns nicht erwehren. Jemand hatte dem Toten Haare abgeschnitten, höchstwahrscheinlich Dr. Dawson, denn um Gifte nachzuweisen, behalf man sich nicht selten solcher Proben. Die Fledermaus erinnerte sich jedoch genau daran, dass die Frisur der mutmaßlichen Leiche von Ralph Galvin im Beinhaus unberührt geblieben war. Er hatte den Körper zu ausgiebig untersucht, um daran zu zweifeln. Andererseits war keine Haaranalyse notwendig, wenn man sich im Rahmen einer gründlichen Autopsie professioneller Hilfsmittel bedienen konnte, wie die Pathologie sie verwendete. Die Leiche musste also ausgewechselt worden sein. Der aufgebahrte Tote war nicht derjenige, den Dawson ausgegraben hatte, aber wie konnte das passieren? Familie Galvin gehörte zum rechtschaffenen Bürgertum und galt als ehrlich in allen Belangen. Ganz bestimmt hätten sie niemanden ihres Clans versichert und umgebracht, um seine Police auszulösen und dann noch drei Männer zu beseitigen, damit ihr Schwindel nicht aufflog. Nichtsdestoweniger stand für Quinn fest, dass Galvins Leichnam – aus welchen finsteren Gründen auch immer – gestohlen worden war.

Er kehrte vor das offene Grab zurück und schaute hinein. Mit einem leisen Knall platzte der Boden unter ihm auseinander, und er schaute hinab. Hier war der Sand trockener und staubte. Ruckartig hechtete er zur Seite und ging hinter einem hohen Grabstein in die Hocke. Zwar geschah vorerst nichts weiter, doch die Fledermaus war niemand, der auf einen Angriff wartete. Er glaubte an das Überraschungsmoment, wenn es darum ging, Gegner zu überwinden, also rannte er gebückt, aber dennoch leichten Schrittes über die Wiese fort. Die Richtung, aus der man auf ihn geschossen hatte, konnte er genau abschätzen. Er umlief die Stelle im Halbkreis, ehe er zwei Männer geduckt an der Wand einer Gruft stehen sah. Sie versuchten, ihr vermummtes Ziel im Dunkeln zu finden.

Einer flüsterte heiser, doch die Fledermaus besaß überaus hellhörige Ohren und hörte es: „Ich sag’s dir, ich hab den Typen genau gesehen. Er trägt ‘ne Maske, ansonsten hätte ich seine Visage erkannt, oder? Dorkey, ich rieche, dass es dieser Fledermausmann ist. Wenn du mich fragst, sollten wir verschwinden, solange wir noch können.“

Sein Kumpan konterte: „Dieser Fledermausmann, wie du ihn nennst, kocht auch nur mit Wasser. Was soll der auf dem Kasten haben, wogegen wir nicht anstinken können? Ich hoffe sogar, dass er es wirklich ist, denn jetzt muss er sich zeigen, und dann hängt er ruck, zuck mit ‘ner Überdosis Blei in den Seilen.“

Kapitel III - Double im Tod

Die Schwarze Fledermaus grinste angespannt und schlich weiter voran. Wenige Yards trennten ihn von den beiden Männern, als der Ängstliche glaubte, er müsse etwas gegen seine Befangenheit unternehmen. Deshalb schaltete er seine Taschenlampe ein und richtete sie auf das offene Grab. Sein Komplize herrschte ihn an und langte nach dem Gerät, das dabei auf den Boden fiel. Der Lichtkegel schien nun genau auf die Fledermaus.