Die schwarze Fledermaus 15: Stadt in Angst - G.W. Jones - E-Book

Die schwarze Fledermaus 15: Stadt in Angst E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Aus dem Amerikanischen von Harald GehlenDrei brutale Verbrechen ereignen sich fast zeitgleich in Chicago.Tony Quinn ist überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen den drei Ereignissen gibt. Doch all dies ist nur das Vorspiel zu einer beispiellosen und grausamen Verbrechensserie, wie sie Chicago noch nicht erlebt hat.Die Printausgabe umfasst 230 Buchseiten.

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Seitenzahl: 250

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 15

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

Die Hauptfiguren des Romans:
Die Schwarze Fledermaus
Carol Baldwin
Silk Kirby
Butch O'Leary
Inspector McGrath

G. W. Jones

Stadt in Angst

Aus dem Amerikanischenvon Harald Gehlen

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2018 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannFachberatung: Dr. Nicolaus MathiesIllustrationen: Dorothea MathiesTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-015-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

G. Wayman Jones – hinter diesem Pseudonym verbirgt sich meistens der amerikanische Autor Norman A. Daniels.

Nicht so beim vorliegenden Roman, der von Norvell W. Page (1906-1961) geschrieben wurde. Neben diesem und weiteren Ausflügen ins Krimi- und Superhelden-Genre verfasste der in Virginia geborene ­Autor Science-Fiction- und Fantasy-Romane. Zwischen 1933 und 1943 brachte Page unter dem Pseudonym Grant Stockbridge einen großen Teil der Krimireihe The Spider zu Papier, bis er seinen Beruf als ­Autor, Journalist und Redakteur für eine Karriere beim amerikanischen ­Geheimdienst an den Nagel hängte.

Das Abenteuer Stadt in Angst erschien im Juli 1941 unter dem Titel The Black Bat‘s Summons in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.

Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 – Ein Verbrechen kündigt sich an
Kapitel 2 – Blind wie eine Fledermaus
Kapitel 3 – Schwarze Schwingen nehmen die Fährte auf
Kapitel 4 – Gefährliche Neugier
Kapitel 5 – Ein Mord misslingt
Kapitel 6 – Ein Sturm bricht los
Kapitel 7 – Die Fledermaus treibt ihr Unwesen
Kapitel 8 – Tödliches Inferno
Kapitel 9 – Der verwirrte McGrath
Kapitel 10 – Ein Arzt verschwindet
Kapitel 11 – Ein schwarzer Tag für die Schwarze Fledermaus
Kapitel 12 – Tod und Zerstörung
Kapitel 13 – In den Händen des Feindes
Kapitel 14 – Ein Mann sinnt auf Rache
Kapitel 15 - Auf der Jagd
Kapitel 16 – Der Tod trägt schwarz
Kapitel 17 – Butch und Carol sind ungehorsam
Kapitel 18 – Ein Wiedersehen in der Dunkelheit
Kapitel 19 – Ein paar Geheimnisse werden gelüftet
Kapitel 20 – Knapp entkommen
Kapitel 21 – Notruf
Kapitel 22 – Tod im Resort
Eine Zeitreise zu den Anfängen der Schwarzen Fledermaus in Deutschlandvon Heinz Zwack
Kapitel 1 – Ein Verbrechen kündigt sich an

In einer einzigen Nacht, in einem Zeitraum von zwei Stunden, schlug der Tod gleich an drei Ecken der Stadt zu, die nicht weiter voneinander entfernt hätten sein können. In zwei von den drei Fällen gab es keinen erkennbaren Grund dafür, dass unschuldiges Blut vergossen wurde. Das Genie eines Mannes, die unerschütterliche Loyalität seiner Helfer, das Donnern einer Schießerei und das furchterregende Flüstern von schwarzen Schwingen in der Nacht waren die Zutaten für die Lösung des Falls und für die Enthüllung, welche Verbindung zwischen den Morden bestand und welcher verbrecherische Plan die Stadt in Atem hielt.

Im Carron Hospital, dem größten und besten Krankenhaus der Stadt, begann die Nachtschicht. Der letzte Besucher war gegangen, die Patienten mit einer letzten Runde warmer Milch oder Fruchtsaft versorgt und die leeren Gläser eingesammelt worden, zum letzten Mal für diesen Tag wurden Temperatur und Puls gemessen und in den Patientenakten notiert. Assistenzärzte in weißen Kitteln, Schwesternschülerinnen in gestreifter Tracht, Schwestern in strahlend weißer Uniform, alle bereiteten sich auf eine ruhige Nacht vor, in der sie zwischen ihren Runden lesen, sich miteinander unterhalten oder rauchen konnten.

Plötzlich zerriss die Stille. Telefone surrten leise auf den Schreibtischen. In jedem Flur drang eine klare Stimme aus den Lautsprechern:

„Achtung! Eine Blinddarm-Not-OP auf der chirurgischen Station. Dr. Bacon, Dr. Korwitz, Dr. Lundeen, melden Sie sich in Chirurgie B. Die Schwestern Adams, ­Olson, Fredericks, Cantor melden sich ebenfalls in ­Chirurgie B. Eine Blinddarm-Not-OP.“

Schwester Olson, blond und kess, eilte ins Schwesternzimmer, als sie ihren Namen hörte, und trat an den Schreibtisch, an dem sich die Stationsschwester über das Telefon beugte.

„Wer ist es?“, fragte Schwester Olson, während sie nach ihrer Instrumentenliste griff. „Der alte Blunt?“

Die Stationsschwester nickte, ohne die rasche Folge von Anweisungen zu unterbrechen, die sie übers Telefon erhielt. Schwester Olson trat raus auf den Flur und schloss zu einem Assistenzarzt im weißen Kittel auf, der dasselbe Ziel hatte.

„Wissen Sie“, meinte sie, als sie auf den Fahrstuhl warteten, „das Leben ist schon komisch. Der alte Jonas Blunt, vierzig Millionen Dollar und ein paar Gequetschte schwer, an der Hälfte aller Geschäfte in der gesamten Stadt beteiligt, und trotzdem kann sein Appendix genauso platzen wie Ihrer oder meiner.“

Der Assistenzarzt nickte zustimmend. „Und einer Bauchfellentzündung ist es piep egal, ob Blunt neunundvierzig Prozent der Ausstattung des Krankenhauses gehören.“ Nach kurzem Zögern ergänzte er: „Aber er wird schon durchkommen. Der Chefarzt persönlich wird ihn operieren, und er hat noch nie eine OP verpatzt.“

Der Assistenzarzt wäre wohl weniger optimistisch gewesen, wenn er in diesem Moment einen Blick ins Büro des Chefarztes im Erdgeschoss geworfen hätte. Dr. Andrew Aker, Chefarzt des Carron Hospital und einer der begabtesten Chirurgen der Welt, hatte den Telefonhörer am Ohr. Die maschinengleiche Ruhe, die den Chirurgen sonst stets umwehte, bevor er sich dem Tod im offenen Zweikampf stellte, war wie weggeblasen.

Dr. Akers silbergraues Haar wirkte zerzaust, wie von nervösen Fingern durchwühlt, sein großes Gesicht war blass und unter der Haut seiner Kinnpartie zeichnete sich eine Hügelkette aus angespannten Muskeln ab. Die Hand, die den Telefonhörer hielt, zitterte merklich.

„Und Sie sind sicher, dass niemand auf meine Kleinanzeige geantwortet hat? Dann bringen Sie sie noch mal. Bringen Sie sie in jeder Ausgabe, bis ich Sie bitte aufzuhören. Und wenn jemand anderes eine Anzeige schaltet, die sich auf meine beziehen könnte, rufen Sie mich sofort an.“

Seine Hand umkrampfte den Telefonhörer, sein Kopf zitterte und seine lebensschenkenden Hände ballten sich zu Fäusten.

„Ich verstehe es nicht“, flüsterte er. „Sicher wird er doch einen Weg finden, auf meine Anzeige zu antworten.“

Das Telefon klingelte schrill. Es war die Stimme von Oberarzt Dr. Kyle.

„Der Patient in Chirurgie B ist so weit, Doktor. Seine Leukozytenzahl liegt über 14.000 und die Diagnosen haben sich bestätigt.“

„Bin gleich da“, antwortete Dr. Aker knapp.

Als er vom Schreibtisch aufstand, waren alle Spuren seiner Aufregung verschwunden. Sein Gesicht strahlte Ruhe aus, seine Hände zitterten nicht mehr. Die Kontrolle seiner Nerven, eine Eigenschaft, die er sein Leben lang trainiert hat, hatte ihn wieder einmal in die reibungslos funktionierende Chirurgiemaschine verwandelt, deren fähigen Händen man bedenkenlos ein menschliches Leben anvertrauen konnte.

Er trat in Chirurgie B und nahm unterbewusst wahr, dass seine Mitarbeiter bereit waren, dass die Instrumente frisch aus dem Sterilisator bereitlagen und eine Schwester mit seinem Kittel und seiner Maske auf ihn wartete. Dr. Kyle, dessen Gesichtszüge komplett von seiner ­Chirurgenmaske verdeckt wurden, nickte den anderen zu. Einen Moment später waren sie mitten in der Operation.

Ein geschickter Schnitt wurde vorgenommen, die Assistenzärzte arretierten mit Hilfe von Wundklammern die Muskelfasern. Dr. Aker streckte seine Hand aus, fühlte, wie man ihm ein frisches Skalpell reichte, führte den Einschnitt ins Bauchfell durch und griff nach der Gefäßklemme. Sein ganzes Denken konzentrierte sich auf die schwierige Aufgabe.

Nur am Rande seines Bewusstseins nahm er wahr, wie Dr. Kyle sich unbequem nah an ihn presste und dadurch die Bewegungsfreiheit seiner rechten Hand einschränkte. Aker zog die Stirn in Falten. Dr. Kyle sollte es eigentlich besser wissen. Niemals zuvor hatte er ihn bei einer OP so bedrängt.

Der Chefarzt drehte sich herum, um eine kostbare Sekunde zu verschenken und Dr. Kyle zu ermahnen. Sein Mund öffnete sich hinter der Maske und blieb so stehen, um einen klagenden Seufzer tiefster Qual auszustoßen.

Ein scharfer, unerträglicher Schmerz schoss ihm ins Herz. Dr. Aker versuchte, sich zu bewegen, zu schreien. Seine Muskeln versagten ihren Dienst und ein roter Nebel breitete sich vor seinen Augen aus. Er fühlte, wie er auf die hilflose Gestalt auf dem OP-Tisch zufiel, fühlte das Skalpell in seiner Hand, das in ungeschütztes Fleisch schnitt. Dann umspülte ihn komplette Finsternis, als das Leben seinen Körper verließ.

Der plötzliche Zusammenbruch von Dr. Aker in der Mitte einer schwierigen Operation lähmte alle Anwesenden für einen Moment. Und dann, in einer Geschwindigkeit, die von jahrelangem Training in Notfallsituationen zeugte, hechteten die Assistenzärzte heran, um die beiden bewusstlosen Körper voneinander zu trennen – Arzt und Patient. Eine Schwester in Weiß, die Panik ins Gesicht geschrieben, verließ den OP, um Hilfe zu holen. Blitzschnell drangen chirurgische Mitarbeiter in den OP.

„Er muss einen Herzinfarkt erlitten haben“, meinte eine Schwester.

„Einen Infarkt? Quatsch!“, blaffte ein Arzt, der sich über den Körper seines Chefs beugte. „Ein Skalpell wurde bis zum Griff in seine Brust gerammt. Dr. Aker ist erstochen worden. Es war Mord!“

Ein anderer Arzt wandte sich von der reglosen Gestalt auf dem Operationstisch ab, sein Gesicht leichenblass.

„Doppelmord“, korrigierte er. „Jonas Blunt ist ebenfalls tot.“

„Wo ist Dr. Kyle?“, fragte jemand.

Dr. Kyle war verschwunden.

*

Während sich die furchtbare Neuigkeit wie ein Lauffeuer in den Fluren des Carron Hospital verbreitete, bereitete sich der Tod darauf vor, ein weiteres Mal zuzuschlagen, zehn Meilen südlich vom Krankenhaus, wo starker Verkehr von der Autobahn in die Stadt strömte.

Pete Cratty, ein junger Mitarbeiter eines Supermarktes, genoss seinen freien Tag. Mit seiner Freundin hatte er den Tag am Strand verbracht und kehrte nun mit ihr in die Stadt zurück, müde, aber glücklich. Der Verkehr bewegte sich stetig voran und Pete Cratty gab seinem Ford, Model A, die Sporen, um seine Position zwischen größeren Autos mit mehr PS zu halten. Über den Tod dachte in diesem Moment keiner von beiden nach, weder der junge Cratty noch seine Freundin.

Und doch wartete der Tod auf die beiden, nur knapp hundert Meter vor ihnen, als sie über einen kleinen Hügel fuhren. Zwei Männer, die in der Dunkelheit nicht mehr als schwarze, formlose Schatten waren, kauerten im Unterholz am Straßenrand, das zu einem Ausläufer des nahe gelegenen Waldes gehörte. Hin und wieder richtete einer der Männer den dünnen Strahl seiner Taschenlampe auf die Zeiger seiner Uhr. Sein Begleiter zappelte unruhig umher und fummelte am Kolben eines Gewehrs, das auf seinen Knien lag.

„Okay, Keule.“ Der Mann mit der Armbanduhr gab nach einem letzten Blick auf die Uhr ein heiseres Knurren von sich. „Es geht los. Siehst du die gelblichen Scheinwerfer, das zweite Auto auf der linken Spur, die alte Schrottkarre da? Das sollte ein gutes Ziel sein. Schieß nicht daneben.“

„Red kein Blech, Alter“, knurrte der Schütze zurück und ließ sich auf ein Knie nieder. „Ich schieß nie daneben und bei so einer grellbunten Karre ist es erst recht ein Kinderspiel. Auf geht’s!“

Der Ford A mit Pete Cratty und seinem Mädchen an Bord war nun genau auf Höhe des Unterholzes. Aus dem Dunkel der Sträucher blitze eine orangefarbene Flamme kurz auf, begleitet vom scharfen Knall eines Schusses. Es war fraglich, ob Pete Cratty das Geräusch überhaupt wahrnahm, da die kleine Kugel, die sich in seinen Schädel bohrte, ihm in Sekundenbruchteilen das Leben nahm.

Der Ford begann plötzlich zu schlingern, als tote Hände vom Lenkrad abrutschten. Mit quietschenden Reifen brach das Auto zur Seite aus, direkt in den Weg einer schweren Limousine, die mit einhundert Stundenkilometern aus der entgegengesetzten Richtung heranraste. Ein Schrei verwandelte sich in Totenstille und ein fürchterliches Scheppern wurde meilenweit durch die Nachtluft getragen. Dann hörte man nur noch das Quietschen geschundener Reifen, als weitere Autos bremsten, um nicht in das Knäuel der Autowracks zu donnern, begleitet vom Geschrei hysterischer Stimmen.

„Guter Schuss, Keule“, bemerkte der Mann mit der Armbanduhr eiskalt. „Nun gib mir das Gewehr und kümmere dich um deinen Auftrag, wie der Boss es befohlen hat.“

„Mach ich“, versprach Keule und richtete sich auf. „Junge, der Boss ist echt ein helles Köpfchen, sich so einen Plan zu überlegen. Wir sehen uns im Hauptquartier, Alter. Gib Fersengeld!“

Der Mörder ließ seinen Begleiter mit dem Gewehr zurück, lief auf die Straße und mischte sich unter die entsetzte Menschenmenge, die sich um das Knäuel aus Stahl und Holz gebildet hatte. Er wühlte sich seinen Weg bis zur Mitte des Pulks, wo zitternde Hände zwei verstümmelte Leichen aus dem Wrack gezogen hatten, und rief laut:

„Wie grauenhaft! Warum eilt keiner zur Farm und ruft einen Krankenwagen? Ruft das Carron Hospital an. Das liegt am nächsten und sie haben die schnellsten Krankenwagen der Stadt. Schnell, noch gibt es eine Chance, ein Leben zu retten.“

*

Nur eine Meile westlich bereitete der Tod sich auf einen dritten Besuch vor. Hinter den trostlosen grauen Mauern des Pennville-Gefängnisses standen zwei gehetzte Wärter vor dem Schreibtisch von Warden Baume.

„Weg!“, sagte einer von ihnen aufgeregt. „Einfach so! Drei unserer härtesten Gefangenen haben heute Abend den Speisesaal verlassen und sich einfach in Luft aufgelöst.“

„Haben Sie den Versammlungssaal überprüft, die Werkstatt, die Wäscherei?“, fragte Warden Baume und fuhr sich mit den Fingern durch sein lichtes Haar. „Wir wissen, dass sie sich immer noch innerhalb der Mauern des Gefängnisses befinden müssen, weil wir alle Lichter eingeschaltet, die Wachen verdoppelt und das Tor verriegelt haben, seit sie verschwunden sind.“

„Wir haben einmal das komplette Gefängnis durchsucht, Mister Baume. Nun versammeln wir uns, um die möglichen Verstecke noch einmal intensiv zu durchkämmen.“

„Ich hab schon seit Tagen das Gefühl, dass uns ein Ausbruch bevorsteht“, sagte der zweite Wärter. „Nach vierzehn Jahren in dem Job habe ich gelernt, Ärger zu wittern. Coyne, Bronson und Wolcot haben mir Sorgen gemacht, weil sie sich plötzlich so gut benommen haben. Ich bin immer misstrauisch, wenn harte Kerle anfangen, sich wie Engel zu benehmen und sich grinsend hinter deinem Rücken rumdrücken.“

„Da stimmte etwas nicht“, entgegnete der erste Wärter. „Coyne, der Maschinenpistolen-Fachmann, Bronson, der Safeknacker und Wolcot, der Kidnapp-Mörder, waren bis vor einer Woche erbitterte Feinde. Und plötzlich gingen sie so vertraut miteinander um wie Brüder. Ich wünschte, ich wüsste, welche Teufelssuppe sich hier zusammenbraut.“

„Ich wünschte, ich wüsste, was sich draußen zusammenbraut“, blaffte Warden Baume nervös. „Im vergangenen Monat wurden vier gefährliche Kriminelle von hier entlassen, weil sie ihre Zeit abgesessen hatten und alle vier sind verschwunden. Keiner von ihnen ist in seinen alten Jagdgründen aufgetaucht oder irgendwo sonst. Und die Polizei sagt, dass überall eine Menge Gauner verschwunden sind. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm ...“

Das Telefon unterbrach seine düstere Tirade. Er hörte einen Moment zu, bellte eine Anweisung und erhob sich.

„Die Suchtrupps haben die verschwundenen Gefangenen noch nicht gefunden, aber die Wärter haben direkt vor der Südmauer etwas entdeckt, das wie ein Haufen frische Erde aussieht. Wir schauen uns das mal an. Es könnte sein, dass sie sich einen Tunnel graben.“

Die drei Männer eilten auf den Gefängnishof, wo die Nacht zum Tag gemacht wurde, indem mit Hilfe von Flutlicht der Hof abgesucht wurde. Warden Baume, landesweit als der beste Freund seiner Gefangenen bekannt, führte die beiden Männer über die Treppe zur Spitze des Turms und an der Wand vorbei zu einer Stelle, an der zwei Wärter nach unten schauten.

„Genau hier unten, Sir“, sagte einer der bewaffneten Wärter. „Jacobson hat es gerade entdeckt und es sieht wie frisch ausgehobene Erde aus. Wir sind noch nicht runter, da Sie die Anweisung gegeben haben, das Tor keinesfalls zu öffnen.“

„Gut.“

Die fünf Männer standen nah beieinander und folgten mit ihren Blicken dem Suchscheinwerfer, der auf den geheimnisvollen Hügel nach unten gerichtet war. So standen sie auf der Gefängnismauer, als ein Flammenteppich, begleitet von lautem Donnern, aus dem Hügel hervorbrach und die gesamte Seite der Gefängnismauer in die Luft jagte. Vermischt mit Fragmenten von zerbrochenen Steinen und Mörtel flogen andere Kleinteile auf gefährlichen Flugbahnen durch die Luft und vergossen einen blutroten Regen über die Ruinen des Gefängnisses.

In der beklemmenden Todesstille, die der Explosion folgte, waren die Wärter, die der Zerstörung entkommen waren, zu perplex, um die drei grinsenden Gefangenen zu entdecken. Wie drei graue Geister stürmten sie aus dem Schatten eines Geräteschuppens, liefen durch das Loch in der Wand und verschwanden in der Nacht. Sie befanden sich bereits tief im Schutz der Bäume, liefen leichtfüßig und zielstrebig durch den Wald, als das erste Aufheulen der Schluchzenden Sophia, die Gefängnissirene, die gebeutelte Luft durchschnitt.

Dreimal innerhalb von zwei Stunden hatte der Tod zugeschlagen, grausam und brutal. Und zweimal davon ohne erkennbaren Grund.

Kapitel 2 – Blind wie eine Fledermaus

Tony Quinn, einstmals bekannt als erfolgreicher Bezirksstaatsanwalt, stellte die Tasse mit seinem Frühstückskaffee lautstark auf den Tisch und seine starken Hände zerknitterten unbewusst heftig die Morgenzeitung, die vor ihm lag.

„Elf, Silk“, stieß er schroff hervor. „Elf der grausamsten und sinnlosesten Morde, die die Stadt je gesehen hat. Wie gerne ich die Teufel in die Hände bekommen möchte, die für dieses Blutvergießen verantwortlich sind!“

„Vielleicht werden Sie das, Sir“, sagte sein Diener ­Norton Kirby ruhig.

Er sah, wie sich Tony Quinns einst attraktives Gesicht anspannte, bis das Netz aus Narbengewebe rund um seine Augen zu glitzern begann. Diese Narben waren Andenken an einen Tag, als eine Flasche mit Säure, die ein Gangster auf einen Stapel Beweismaterial geworfen hatte, das Gesicht des Bezirksstaatsanwaltes getroffen hatte. Vom Gipfel seines Erfolges aus fiel Tony Quinn in einem einzigen Moment in die Tiefe eines Lebens in hilfloser Blindheit. Sein Rücktritt wurde von der Welt als die Tat eines einsamen, frustrierten, verbitterten blinden Mannes gesehen.

Nur drei weitere Personen wussten von dem chirurgischen Wunder, das nicht nur Tony Quinn sein Augenlicht zurückbrachte, sondern ihm zusätzlich noch einen Superblick bescherte, der ihn in finsterster Nacht die klare Sicht einer Fledermaus verlieh.

Einer von diesen dreien war Norton Kirby. Sein Spitzname Silk stammte aus einer Zeit, als er der gerissenste Schwindler war, der seine ahnungslosen, reichen Opfer mit Leichtigkeit übers Ohr haute. Bis zu einer schicksalhaften Nacht, als er vom Hunger getrieben außerhalb seiner üblichen Jagdgründe unterwegs und im Schutz der Dunkelheit in Tony Quinns Haus eingebrochen war, einem schändlichen Plan folgend. Quinn hatte ihn dabei erwischt, und nach einem langen Gespräch mit dem blinden Ex-Anwalt war Silk bei ihm geblieben.

Seine Vergangenheit als Gauner hatte Quinn ihm verziehen und ihn als Diener, Butler und Freund an seiner Seite angenommen. Als ein chirurgisches Wunder die Schwarze Fledermaus, den Angstgegner des Verbrechens, aus dem menschlichen Wrack namens Tony Quinn erschaffen hatte, wurde Silk zu seinem eifrigen Hilfssheriff.

„Übrigens, Sir.“ Silk nickte mit seinem fast kahlen Kopf in Richtung Anzeigenteil der Morgenzeitung. „Die Kleinanzeige ist heute erneut in der Zeitung.“

„Wirklich?“ Quinns Augen weiteten sich. „Hat sich etwas am Wortlaut geändert?“

„Nicht ein Buchstabe, Sir. Der Anzeigentext lautet: Schwarze Fledermaus, muss umgehend mit Ihnen sprechen, irgendwie. Sie alleine sind vielleicht in der Lage, furchtbare Verbrechen zu verhindern. Menschenleben hängen davon ab, dass Sie umgehend mit mir Kontakt aufnehmen. Senden Sie Anweisungen an Postfach 29 A. Das ist sogar die gleiche Nummer, Sir.“

„Mmmmmh“, grummelte Quinn. „Das ist das erste Mal, dass jemand auf diesem Weg die Schwarze Fledermaus kontaktiert. Mittlerweile sollte, wer auch immer dahintersteckt, meine Antwort erhalten haben.“

„Ihre Antwort, Sir?“ Silk staunte. „Aber, wir dachten doch ...“

„Sie dachten“, korrigierte Quinn ihn, „dass es ein Trick war, um mir eine Falle zu stellen. Ich konnte den Aufruf nicht ignorieren, Silk, daher habe ich mich letzte Nacht, nachdem Sie zu Bett gegangen waren, rausgeschlichen und eine Antwort verschickt.“

„Aber wie konnten Sie antworten, ohne Ihre wahre Identität preiszugeben, Sir? Sie wissen, dass wir erst vor zwei Tagen erfahren haben, dass die Unterwelt den Preis für den Kopf der Schwarzen Fledermaus auf 75.000 Dollar raufgesetzt hat. Wenn jemand geahnt hätte, dass Sie ...“

„Hören Sie auf, sich Sorgen um mich zu machen. Sie sind nicht meine Großmutter.“ Quinn kicherte freundlich. „Ich habe in bester Gangstermanier einen Mittelsmann eingesetzt. Jemand, der die Identität des Inserenten für mich herausfinden sollte, sodass ich auf meine Art mit ihm in Kontakt treten kann.“

„Ei-einen Mittelsmann, Sir?“

„Ein Mann von hohen Ansehen und unbestrittener Integrität. Captain McGrath, Silk.“

Für eine Sekunde herrschte verdutztes Schweigen, das von aufbrausendem, lauten Lachen durchbrochen wurde, in das Quinns sanfte Stimme herzlich mit einstimmte. Es klang tatsächlich wie ein Witz. Während es keinen ehrlicheren Polizeibeamten als den hartnäckigen, untersetzten, leicht reizbaren McGrath gab, so gab es auch niemanden, der so fest entschlossen war, die Schwarze Fledermaus zu fassen.

Nicht aufgrund persönlicher Feindschaft. Die selbstlose Hilfe durch die Schwarze Fledermaus hatte ­McGrath bei seiner Beförderung vom Sergeant zum Captain geholfen. Aber für McGrath war das Gesetz nicht dehnbar, und trotz aller Erfolge, welche die Schwarze Fledermaus erzielt hatte, operierte er außerhalb und sogar gegen das Gesetz. Daher war er ein Krimineller, den es zu eliminieren galt. McGrath machte sich Gedanken über die wahre Identität der Schwarzen Fledermaus und diese liefen stets auf Tony Quinn hinaus.

„McGrath!“ Silk schüttelte sich vor Lachen. „Das ist absurd.“

„Und gleichzeitig genial“, entgegnete Quinn. „Wenn der Unbekannte McGrath kontaktiert, werde ich es mit Sicherheit erfahren. McGrath wird seine große Chance wittern, mir eine Falle zu stellen. Und dann wird er ...“

Er ließ den Satz unvollendet, als die Türglocke schrillte.

„Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte Quinn, während Silk hastig die Zeitungen wegräumte. „Niemand außer McGrath und Commissioner Warner würde mich so früh am Tag besuchen. Bitten Sie sie herein, Silk.“

Als Silk zur Tür ging, fand bei Tony Quinn eine erstaunliche Verwandlung statt. Seine funkelnden Augen waren plötzlich vollkommen leblos. Er ergriff seinen Gehstock, mit dem er vorsichtig, klack-klack, seinem Besucher entgegen schlich. Sein leerer Blick war starr geradeaus gerichtet. Die Jahre echter, qualvoller Blindheit hatten ihn darauf vorbereitet, diesen Part erschreckend realistisch verkörpern zu können.

Bevor Silk den Besucher anmelden konnte, drückte McGrath den Diener zur Seite und stürmte auf Quinn zu, wobei er wütend mit einem Brief wedelte.

„Sie ... Sie ...“, rief er wütend. „Ich bin also der Mittelsmann für diese mordende Bestie, die Schwarze Fledermaus? Teilen Sie McGrath Ihren Namen mit, wenn Sie Kontakt zur Schwarzen Fledermaus suchen, heh? Hören Sie zu, Sie verlogener blinder Mann, diesmal krieg ich Sie dran. Ich werde beweisen ...“

„McGrath!“, bellte Commissioner Warner wütend. „Wenn Sie nicht damit aufhören, Tony in Ihrem törichten Glauben, er sei die Schwarze Fledermaus, zu belästigen, werde ich persönlich für Ihre Degradierung sorgen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Tony, ich entschuldige mich für sein Verhalten.“

„Es ist schon in Ordnung, Commissioner. Heimlich erfreut es mich sogar, dass jemand meinen hilflosen Zustand anzweifelt. Aber ich fürchte, der Grund für den Wutausbruch erschließt sich mir nicht. Hat es etwas mit der Zeitung zu tun, die ich rascheln höre?“

„Das hat es.“ Warner schmunzelte und führte Quinn zu seinem Sessel. „Jemand hat gestern Abend per Anzeige nach der Schwarzen Fledermaus gesucht. McGrath hat der Schwarzen Fledermaus am Anzeigenschalter eine Falle gestellt, stattdessen aber einen Brief abgefangen, der ihn als Kontaktmann nennt. Das hat ihn auf die Palme gebracht.“

Quinn kicherte zustimmend und drehte sein Gesicht bewusst einem leeren Stuhl zu, der in einiger Entfernung von dem Platz stand, an dem McGrath saß.

„Silk hat mir die Anzeige vorgelesen, Captain, und auf die geschärften Sinne eines blinden Mannes wirkte sie ernst. Riskieren Sie nicht Menschenleben, wenn Sie den Brief zurückhalten? Letztlich hat die Schwarze Fledermaus, soweit ich das beurteilen kann, schon einigen Menschen das Leben gerettet.“

„Keine Sorge.“ McGrath klang bei seiner Antwort peinlich berührt. „Ich habe den Anzeigenkunden überprüft. Er wartet auf keine Antwort. Er ist tot!“

„Tot?“ Quinns eiserne Disziplin und Selbstkontrolle schienen für einen Moment ins Wanken zu geraten.

„Mmh-mh. Die Anzeige wurde von Dr. Conrad Aker aufgegeben, der gestern Abend während einer Operation im Carron Hospital ermordet wurde.“

Quinns Kinnpartie verspannte sich und seine Hände ballten sich zu Fäusten.

„Was für ein ruchloser Mord! Gott weiß, wie viele unschuldige Menschen in der Zukunft sterben müssen, weil die Welt um so einen großartigen Chirurgen und Heiler beraubt wurde. Kennen Sie schon das Motiv für den Mord? Wissen Sie, was das Opfer von der Schwarzen Fledermaus wollte?“

„Wir haben noch keine Spur.“ Warners Worte klangen bitter. „Und wir sind schon die ganze Nacht an dem Fall dran. Akers Vergangenheit war makellos, er hatte sich unseres Wissens nach nie Feinde gemacht. Wir waren überzeugt, dass sein Kollege Dr. Kyle den Mord begangen hatte, bis wir ihn bewusstlos in der Wäschekammer fanden. Der Mörder hat ihn dort reingestoßen, ihm Kittel und Maske gestohlen und frech seinen Platz im OP eingenommen, bis er die Chance bekam, Aker zu erstechen. Dann hat er den Raum seelenruhig verlassen und ist verschwunden.“

„Ich frage mich“, grübelte Quinn laut, „ob der Tod von Jonas Blunt, dem Millionär auf dem OP-Tisch, ein Zufall oder Teil des Plans war.“

„Die Frage haben wir uns auch gestellt.“ Warner seufzte. „Als Aker nach vorne fiel, hat er das Skalpell ­unabsichtlich in Blunts Brust gerammt, aber die Unter­brechung der OP war der eigentliche Grund für Blunts Tod. Ich glaube, Blunt war ein Kollateralschaden, wenngleich es für ein Mordkomplott gegen ihn mehr Motive gibt: Er stand an der Spitze eines großen Wirtschaftsimperiums.“

„Und was hat es mit dem Unfall im Süden der Stadt auf sich?“

Warner fluchte herzhaft. „Was für eine teuflische, skrupellose Tat! Es gibt auch nicht den Hauch eines Motivs, den jungen Cratty zu töten. Außer jemand wollte absichtlich einen fürchterlichen Unfall verursachen, der drei unschuldigen Menschen das Leben nimmt.“

„Könnte der Unfall in irgendeinem Zusammenhang mit dem Gefängnisausbruch stehen, der sich in der Nähe ereignet hat?“, fragte Quinn.

„Wir konnten keine Verbindung herstellen“, gestand Warner. „Der Unfall ereignete sich zwanzig Minuten vor dem Ausbruch und fast zwei Kilometer davon entfernt. Alle Verkehrsteilnehmer rund um den Unfallort wurden von der Autobahnpolizei überprüft. Keine Spur von den drei entflohenen Ratten. Die Ausbrecher hatten sich in Luft aufgelöst.“

„Ich verstehe“, sagte Quinn ruhig, „sich in Luft aufzulösen scheint bei Ganoven momentan in Mode zu sein.“

McGrath sprang auf, seine Gesichtsfarbe spielte ins Purpurne.

„Jetzt hab ich Sie!“, bellte er. „Diesmal haben Sie sich verraten, Mister Schwarze Fledermaus! Niemand von außerhalb der Polizei kann davon wissen, außer einer der Ganoven selbst. Es ist ein Geheimnis, dass ...“

„Oh je!“, Quinn lachte. „Ich hasse es, Sie zu enttäuschen, Captain, aber ich fürchte, ich muss es tun. Sehen Sie, Silk und ich machen jeden Tag lange Spaziergänge und überall, wo wir hingehen, sprechen wir mit alten Freunden aus dem Polizeidienst. Sie wären überrascht, wie viele Dienstgeheimnisse ich kenne, Captain.“

„Bei Ihnen nisten Fledermäuse im Oberstübchen, McGrath“, fuhr Warner ihn an. „Tony, genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Es macht mich krank, auf den großen Knall warten zu müssen, der sich ankündigt. Alle unsere schlimmsten Verbrecher sind verschwunden, Tony ... einfach über Nacht aus ihren Schlupfwinkeln verschwunden. Nicht einmal unsere Spitzel wissen, wohin sie verschwunden sind. Aber das Verbrechen ist auf dem Vormarsch. Das Merkwürdige daran ist, dass die Verbrechen scheinbar von einer Bande Fremder begangen werden, die niemand wiedererkennt. Die Beschreibungen passen auch nicht auf Phantombilder von Verbrechern aus anderen Städten. Ich bin überzeugt, Tony, dass ein neuer Gangsterboss unsere Unterwelt übernommen hat und einen neuen Plan verfolgt, und ich bin ebenso überzeugt, dass der Ausbruch letzte Nacht auf sein Konto geht.“

Tony Quinn wirkte gedankenverloren, bevor er eine Frage stellte.

„Haben Sie eine Ahnung, was sich da zusammenbraut?“

„Eine leise Ahnung“, antwortete Warner grimmig. „Sie wissen offensichtlich noch nicht, was vor weniger als einer Stunde in der Stadt passiert ist.“

„Nein“, gab Quinn zu. „Ich muss gestehen, ich habe lange geschlafen und Silk war auch im Haus, um mir mein Frühstück zu bereiten. Was, zum Teufel, ist denn passiert, Commissioner?“

„John Bradney, der Geschäftsführer vom Arzneimittel­großhandel Bradney, ist verschwunden. Es hat gestern Abend sein Büro verlassen und ist nie zuhause angekommen. Niemand weiß, ob er entführt wurde, sein Gedächtnis verloren hat oder abgehauen ist.“

„Großer Gott!“, rief Quinn überrascht aus. „Ist es nicht gerade mal eine Woche her, dass die Aktionäre von ­Arzneimittel Bradney eine Betriebsprüfung des Unternehmens verlangt haben? Sein Verschwinden bedeutet, dass die Bradney-Aktie abstürzen wird.“

„Und wie sie abstürzen wird!“, rief Warner aufgeregt. „Die Finanzabteilung des Unternehmens dreht komplett durch. Wir haben versucht, Bradneys Verschwinden geheim zu halten, aber irgendein anonymer Unruhestifter hat den Zeitungen etwas gesteckt und die hatten eine Sonderausgabe raus, bevor wir irgendwas machen konnten. Jetzt liegt das Kind im Brunnen.“

Er stand schwerfällig auf und durchschritt das Zimmer, um eine Hand auf Tony Quinns Schulter zu legen.

„Wir müssen aufbrechen, Tony. Der Himmel weiß, welche neuen Hiobsbotschaften eingetroffen sind, seit wir das Revier verlassen haben. Ich weiß, dass Sie gerne mit uns zusammensitzen und über diese Probleme grübeln, Tony, und ich weiß, dass ihr geübter Verstand mir regelmäßig hilft, wenn ich mich in kniffligen Problemen verheddert habe. Wenn Sie einen Sonnenstrahl in all diesem Kuddelmuddel finden können, werde ich Ihnen ewig dankbar sein.“

„Ich werde mein Bestes geben“, versprach Quinn und stand aus seinem Sessel auf. „Halten Sie mich über die Entwicklungen auf dem Laufenden, Commissioner, okay? Und Sie, Captain, viel Glück bei Ihrer Jagd nach der Schwarzen Fledermaus.“

McGrath grunzte unverständlich und begab sich zur Tür. Commissioner Warner wartete, bis der Captain außer Hörweite war, und wandte sich nochmals an Quinn.

„Tony“, sagte er und Quinn verstand den Unterton, da er wusste, dass der Commissioner sich selbst so seine Gedanken über die Identität der Schwarzen Fledermaus machte, die er jedoch für sich behielt. „Noch nie in meinem Leben habe ich mir so gewünscht, dass McGrath recht hat und Sie die Schwarze Fledermaus sind. Ich könnte die Hilfe der Schwarzen Fledermaus gebrauchen, eine ganze Menge davon.“