Die schwarze Fledermaus 27: Die Vampire von Moosehead - G.W. Jones - E-Book

Die schwarze Fledermaus 27: Die Vampire von Moosehead E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Der geheimnisvolle Tod, der die Marquette-Wälder heimsucht, bedroht eine Unzahl unschuldiger Opfer und weist auf einen diabolischen Plan der Fünften Säule hin, den Tony Quinn und seine Helfer aufdecken müssen.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 27

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

G. W. Jones

Die Vampire vonMoosehead

Aus dem Amerikanischenvon Dr. Frank Roßnagel

Das Abenteuer Die Vampire von Moosehead erschien im Sommer 1943 unter dem Titel Without Blood They Die in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.

Butch O‘Leary

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-027-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1 – Die Bedrohung mit der Schrotflinte

Die acht Fahrgäste in dem klapprigen Kombi schreckten auf. Drei Mädchen schrien vor Entzücken. Ohne jede Eile überquerte ein Reh die kurvenreiche Waldstraße, gefolgt von zwei Kitzen. Sofort redeten die Mädchen durcheinander.

„Hat das Reh keine Angst?“

„Ich glaube, es mag Menschen.“

„Schaut! Es beobachtet uns.“

„Das hier ist ein Wildreservat“, erklärte der grinsende Fahrer. „Es gibt Dutzende von ihnen in der Gegend von Moosehead Lodge. Sie haben keinen Grund, vor irgendwas Angst zu haben.“

Eine plötzliche Aktion des Rehs und ihrer Kitze strafte die Worte des Fahrers Lügen. Das Reh schnupperte, und beinahe mit Lichtgeschwindigkeit verschwanden das Reh und seine Jungen. Wieder erschraken die Fahrgäste – aber dieses Mal hatten sie auch wirklich Angst. Ein Gesicht mit einem zottigen Bart erschien hinter den Fichten, die die sandige, ausgefahrene Straße durch den Wald umstanden. Ein schwerer Mantel umschloss einen langen Hals und schmale Schultern. Die Mündung einer Pumpgun, eines Repetierschrotgewehrs, zeigte auf die Fahrgäste.

„Wenn ihr unterwegs seid zur Moosehead Lodge, passt auf, wo ihr fischen geht“, sagte eine raue Stimme. „Euch Städter wollen wir hier nicht in den Marquette Woods. Lasst euch von mir nicht erwischen unterhalb vom ­Oberen Moosehead-See. Es gab welche, die es versucht haben, aber sie sind nie zurückgekommen. Denkt daran! Jetzt könnt ihr weiterfahren.“

Der Mann mit dem Bart verschwand wieder hinter den Bäumen. Zwischen den kleinen Kiefern hindurch konnte man das himmelblaue Wasser eines der Seen des Marquette-­Nationalparks sehen, auf den die untergehende Sonne eine blutrote Linie zog, wie um an die unerwartete, unheimliche Warnung zu erinnern.

Der Fahrer des Kombis fluchte zwischen vom Schnupftabak geschwärzten Zähnen. „Schon wieder dieser verdammte alte Jep Lathur! Zu dumm, dass der Sheriff nichts gegen ihn in der Hand hatte wegen der beiden verschwundenen Typen ...“ Er hielt inne, als habe er bereits zu viel gesagt. Er jagte den Kombi schlingernd und polternd bei viel zu hoher Geschwindigkeit etwa eine Meile durch den Wald, bevor er wieder langsamer fuhr.

„Was meinten Sie mit den beiden verschwundenen Männern?“, fragte ihn das blonde, blauäugige Mädchen, das neben ihm saß. Das Mädchen sprach völlig ruhig. Die anderen Fahrgäste waren nervös, aber dieses Mädchen zeigte keinerlei Furcht. Und das aus gutem Grund, denn zuhause in den hinterhältigen Straßenschluchten Manhattans hatte Carol Baldwin viel gelernt über Gefahr, Gewalt und den Tod, der einen schnell ereilen konnte.

Für eine Verbündete des angeblich blinden Tony Quinn, der früher einmal Staatsanwalt gewesen war, der heute aber tätig war als – nur drei Menschen auf der ganzen Welt wussten davon – Schwarze Fledermaus, Erzfeind aller Verbrecher und Mörder, war es nicht überraschend, die Schattenseiten des Lebens zu kennen.

„Nicht viel, Fräulein!“, murmelte der Fahrer als Antwort auf ihre Frage. „Nur dass zwei Typen aus der Stadt ertrunken sind, vielleicht aus ihren Booten geschossen wurden. Ihre Leichen hat man nie gefunden. Man verdächtigte diesen alten Kauz, Jep Lathur. Ihm gehört das meiste Land um die Moosehead-Seen herum. Aber es gab keine überzeugenden Beweise gegen ihn, und er wurde wieder freigelassen. Und, wie Sie gesehen haben, bedroht er schon wieder Leute, die zum Fischen hierherkommen.“

Die Blockhütten der Moosehead Lodge waren gerade zu sehen, als der Wald plötzlich von donnernden Explosionen widerhallte. Während die anderen Mädchen schrien und die Männer fluchten, hörte Carol Baldwin aufmerksam auf die sechs krachenden Schüsse, irgendwo tief in den Wäldern, die offensichtlich so schnell abgefeuert wurden, wie jemand eine Schusswaffe bedienen konnte.

„Wenn Tony nicht schon da ist, wird er wissen wollen, was da los ist“, dachte Carol, als sie aus dem Kombi stieg. Ihr Blick wanderte über die mehr als ein Dutzend Leute, die ihre Blockhütten und das Haupthaus verlassen hatten, um die neuen Gäste in Augenschein zu nehmen, konnte aber Tony Quinn nirgends entdecken. Sie stellte niemandem Fragen, denn sie war instruiert worden, kein Interesse an unerwarteten Ereignissen zur Schau zu stellen. Aber Carol hätte etwas dafür gegeben, dem alten Mann mit der Schrotflinte nachspüren zu können.

Carol wurde zusammen mit den anderen begrüßt. Aber als sie die aufgeregten Unterhaltungen bemerkte, als die Gäste erfuhren, was auf der Straße passiert war, und die offene Angst in den Stimmen, war sie sicher, den Grund dafür zu kennen. Derselbe Grund hatte Tony Quinn mit dem Flugzeug nach Chicago geführt, und weiter nach Norden zum Marquette Nationalpark. Obwohl er ganz offensichtlich noch nicht in Moosehead Lodge eingetroffen war.

Bevor er schwieg, hatte der Fahrer des Kombis ein bisschen erzählt über die Angler aus der Stadt, die wahrscheinlich ermordet worden waren. Zumindest waren die beiden verschwunden, der eine an einem Abend, der zweite am Abend danach, zur selben späten Stunde. Ihre Boote hatte man gefunden, mit Blut verschmiert und mit Spuren von Schrotmunition übersät. Der See, von dem sie verschwunden waren, war einer der zahlreichen Seen von Moosehead, der Cold Spring Lake. Er war kalt und tief und gab ganz selten Menschen wieder her, die in seinen Tiefen den Tod gefunden hatten.

Carol Baldwin ging mit anderen zusammen zum Ufer dieses blauen Sees hinab, an dessen Ufer Moosehead Lodge lag. Draußen auf dem See, erfuhr sie, waren Boote und Fischer, die Barsche und Hechte angelten, dann, wenn es am besten war, bei Einbruch der Dunkelheit. Motorboote wurden schnell angelassen, um die Fischer hereinzuholen.

*

Kurz bevor man in der Moosehead Lodge die Schüsse aus der Schrotflinte gehört hatte, manövrierten ein lachendes Mädchen und drei Männer mittleren Alters ein Boot dicht an einer schroffen Uferwand entlang. Sie waren unterhalb eines Kanals, der an Razorback Island vorbeiführte, so genannt wegen seiner Ähnlichkeit mit dem berühmten Razorback-Schwein aus dem Süden – lang, schmal und hoch.

Die Männer mit einem Anflug von Bartwuchs in dem Boot waren aus Chicago; ihre Angelscheine wiesen sie als nicht ortsansässig aus. In der Moosehead Lodge waren sie registriert als John Ames, Henry Starke und R. A. Smith. Das Mädchen war Loretta, Ames’ Tochter. Mit all dem Interesse geborener Angler waren sie jetzt sehr bedacht darauf, große Barsche, Hechte oder vielleicht sogar die besonders kostbaren getigerten Muskalungen von den Planken hervorzuholen, mit denen die Untiefen des Cold Spring Lakes ausgelegt waren.

Das Boot war nur noch etwa zwanzig Yards von der mit Bäumen bewachsenen Steilküste entfernt. Das mit einem hellroten Pullover bekleidete Mädchen stand im Bug des Bootes und warf gerade ihre Angel in Richtung der Steilküste aus, als der Knall einer Schrotflinte aus der Richtung der großen, stämmigen Rotkiefern ertönte. Das Mädchen schrie vor Schmerz, ihre Bambusrute fiel in den See, und sie taumelte nach hinten gegen ihren Vater. Blut strömte aus ihrem Gesicht und ihrem Hals, als John Ames sie auffing. Während die beiden anderen Männer besorgt die Küste beobachteten, hörten sie eine nasale Stimme schreien: „Ihr wurdet gewarnt, euch von Lathur-Land fernzuhalten. Jep Lathur lügt nicht!“

Schussgeräusche durchbrachen die wütenden Schreie. John Amos, der seine Tochter im Arm hielt, sackte leblos nach vorn. Henry Starke war aufgesprungen und zu Ames und seiner Tochter geeilt, als grober Schrot ihm im Wortsinne das Wollhemd vom Leib riss. R. A. Smith, der dritte Mann, kämpfte sich auf die Beine. Vielleicht hatte er ein grobes, bärtiges Gesicht gesehen und einen schweren Mantel zwischen den Kiefern, vielleicht auch nicht. Aber er sah die tödlichen Schüsse, die aus dem Gewehr des Mörders abgefeuert wurden – und spürte sie. Er griff sich an den Bauch und fiel über Bord. Er verschwand unter einem scharlachroten Fleck auf dem ruhigen, sauberen Wasser. Er tauchte nicht wieder auf. Die beiden anderen Männer und das Mädchen lagen leblos in dem treibenden Boot. Ein hohes, gackerndes, wahnsinniges Lachen hallte durch die Rotkiefern. Dann war der bärtige alte Mann in seinem schweren Mantel verschwunden.

Ein Kanu umrundete eine Windung, keine fünfzig Yards entfernt, als die Pumpgun ihre mörderische Ladung ausspuckte. Ein schlankes Mädchen saß aufrecht im Bug des Kanus und steckte ihre Kraft in die sauberen, starken Stöße ihres Paddels. Ihre dunklen Augen blickten sorgenvoll nach vorne. Sie war ein attraktives Mädchen, obwohl ihr sonnengebräuntes Gesicht mehr Charakterstärke verriet als reine Schönheit. Aber Schönheit besaß sie dennoch, vor allem mit ihren blau-schwarzen kurz ­geschnittenen Haaren und ihrem bronzefarbenen Hals, der sich aus ihrem offenen Wollhemd herausstreckte. Und sie trug ihre derben Bluejeans mit unbewusster Anmut.

Blanke Furcht stand in ihren dunklen Augen, als ihr Kanu unerwartet auf die Tragödie zu glitt, die sich in dem Boot vor ihnen abgespielt hatte. Vor ihrem inneren Auge stand der plötzliche Schock der Erinnerung an die zwei vorigen Morde. Denn sie war Irma Lathur, die Tochter des alten Jep Lathur, des Hauptverdächtigen der ersten Moosehead-Morde und des sturen, streitlustigen Besitzers Tausender Hektar Holz, das vier Fünftel der Gegend um die Moosehead Lakes ausmachte.

Bob Carson, der kräftige junge Mann im Heck des Kanus, der Angelführer, hatte Gesichtszüge, die so scharf geschnitten waren wie die eines Indianers aus Holz. Nur seine ungekämmten Haare waren blond.

„Bob!“, schrie Irma, als die den ersten Schuss hörte und einen flüchtigen Blick erhaschte auf den Mann im Mantel zwischen den Kiefern. „Schau! Es kann nicht sein ...“

Als die nächsten Gewehrschüsse beinahe unmittelbar darauf ertönten, fluchte Bob Carson. Der Griff des Paddels verbog sich unter seiner enormen Anstrengung. Das Kanu durchschnitt die Oberfläche des Sees wie ein Pfeil.

„Nein!“, schrie er. „Um Himmels willen, nein. Das darf nicht sein!“ Bob Carsons Stimme klang gepresst unter den Echos der Schüsse der Pumpgun. Dennoch legte er sein Paddel ins Kanu und holte eine .38er-Automatik unter seinem Hemd hervor.

Wen auch immer er für den Killer im Hinterhalt halten mochte, seine .38er jagte ihre Geschosse in die Bäume, dorthin, wo der Pulverrauch der Schüsse aufstieg.

„Nein! Bob! Nein, Bob! Es ist ...!“ So stark wie Irma als Holzfällerin war, jetzt konnte sie nicht mehr. Als sie aufschrie, senkte Bob Carson seine Waffenhand. Denn er sah, was sie gesehen hatte: ein bärtiges Gesicht unter einem Wirrwarr grauer Haare, das in dem Pulverrauch zu schweben schien. Dann waren das Gesicht und die Gestalt in dem bunten Mantel verschwunden. Sie hörten nur noch das Geräusch knackender Zweige.

Das Kanu berührte unter der steilen Küste den Grund, nur ein paar Yards von dem Boot entfernt, in dem die blutenden Opfer des bärtigen Killers lagen. Irma Lathur machte Anstalten, das Kanu zu verlassen. Bob Carson hielt sie fest und zeigte auf den Hund in ihrem Kanu. „Schau Pete an, Irma! Wir dachten beide, wir hätten ihn gesehen – aber das stimmt nicht. Pete weiß mehr, als wir sehen können. Er weiß, das war nicht dein Vater. Und es gibt einen Hund, der sich nie gegen deinen Vater wenden würde – und schau ihn dir jetzt an!“

Der riesige schwarze Hund war aufgestanden, sein Gewicht brachte das Kanu zum Schaukeln. Halb Husky und halb Chow-Chow, erweckte er jetzt den Eindruck, als sei er ein ebensolcher wilder Killer wie ein großer Wolf. Niemals hätte der Anblick von Jep Lathur eine solche Raserei hervorrufen können. Denn er hing an dem alten Mann und war ein auf unbeholfene Weise verspieltes Tier. Er würde noch nicht einmal einen Freund von Jep Lathur angehen. Aber auf Außenstehende machte er den Eindruck, als sei er so gefährlich, wie man ein Tier aus zwei Arten gefährlicher Tiere nur züchten konnte.

„Pass auf, Irma!“, schrie Bob Carson. „Halte Pete auf! Er dreht durch! Er fängt sich eine Ladung Schrot ein, wenn er dem Killer hinterherjagt.“

Irma packte den tobenden schwarzen Hund an seinem Halsband, bevor er aus dem Kanu springen konnte. Ihr Gesicht war eine graue Maske. Auch mit dem Hund als Beweis standen noch immer Zweifel in ihren Augen. „Bob!“, sagte sie fast flehend. „Es stimmt, nicht wahr? Niemals würde sich Pete gegen Dad wenden.“

„Natürlich nicht!“, sagte Carson. „Ehrliche Menschen und Mörder sind alle gleich für das Gehirn eines Hundes, der ihnen ergeben ist. Beeil dich, Liebling! Wir müssen den Leuten im Boot helfen. Der eine ist rettungslos verloren, er ging über Bord. Aber die anderen sind vielleicht noch am Leben. Welch ein Glück, dass du Krankenschwester bist. Tu, was du kannst. Ich versuche, den Außenborder zum Laufen zu bringen.“

Weil Irma Lathur Krankenschwester war, und obendrein eine gute, konnte sie die beiden verwundeten Männer und die Frau retten, wenigstens für den Moment. Schnell leistete die Holzfällerin den Menschen Erste Hilfe und brachte die Blutungen aller drei zum Stillstand. Bob Carson startete den Außenbordmotor und steuerte das Boot mit seiner tragischen Fracht in Richtung ­Razorback Island und dem verbotenen Kanal.

Irma schaute Bob düster an. „Sie sperren Dad wieder ein, wenn sie ihn finden, Bob“, sagte sie. „Wenn wir nur wüssten, wo er die letzten beiden Tage und Nächte war.“

„Wenn wir das nur wüssten“, sagte Carson grimmig. „Dieses Mal habe ich Angst, Liebling, dass ein Alibi von seinen Jungs im Faserholzlager Sheriff Danvers und den Bezirksanwalt nicht von ihm fernhalten wird. Ich weiß, dass dein Vater unschuldig ist. Danvers und Professor Lark wollen das auch glauben – so sehr, dass, wie ich gehört habe, Lark einen berühmten Ermittler aus New York holen lässt, um die Wahrheit herauszufinden, einen Mann, der einmal Staatsanwalt war.“

Das Mädchen aus den Wäldern war unverhohlen skeptisch. „Was kann ein Außenstehender über uns Menschen aus den Nördlichen Wäldern wissen?“, fragte sie bitter.

Kapitel 2 – Der blinde Fischer

Wer den großen, gut angezogenen Mann in dem Ruderboot mit Außenbordmotor nicht kannte, musste glauben, es handle sich um einen merkwürdigen Angler. Er schien seine Angel fachmännisch auszuwerfen, wie es schien. Aus einiger Entfernung ertönten die leisen Geräusche von Schüssen. Er hob nicht einmal den Kopf. „Entenjäger“, murmelte er. Die Jagdsaison hatte gerade begonnen. „Aber der Typ dort zwischen den Kiefern jagt keine Enten, und ihm ist keine meiner Bewegungen entgangen.“ Der Mann tastete herum, so wie es jeder Blinde tun würde, fand ein Ruder und ruderte das Boot ein paar Yards hinaus. Ein weiteres Mal warf er seine Angel aus. Der Plug landete neben einer eingelassenen Planke, als plötzlich ein breites Maul unter der Wasseroberfläche erschien. Einen Sekundenbruchteil später tanzte ein großer Barsch auf seiner Schwanzflosse davon. Er wog bestimmt fünf Pfund oder mehr oder und verabscheute die Haken, die seinen knochigen Kiefer gepackt hatten. Er machte zwei Salti, um den Plug loszuwerden, aber der Blinde erwies sich als geschickter Angler. Die Leine erschlaffte nie unter seinen empfindsamen Fingern. Langsam, aber sicher, fing er seinen Fisch. Der große Barsch erschien neben seinem Boot. Dann tastete der Mann nach dem Fisch. Als er das Fangnetz unter den Fisch zu schieben versuchte, ließ ihn sein Tastsinn im Stich, so schien es. Der Rand des Netzes berührte den Fisch. Mit einem platschenden Geräusch riss sich der Barsch los, und der scheinbar blinde Mann fluchte mit der echten Leidenschaft eines Fischers.

Aber wenn der herumschleichende Beobachter am Ufer die von faltigem, verbranntem Narbengewebe umgebenen Augen gesehen hätte, hätte er gewusst, dass er Zeuge eines klugen Täuschungsmanövers geworden war. Der Angler war durch seinen Kampf mit dem Barsch nur noch zehn Yards von der Küste entfernt. Als er mit seinem Ruder kämpfte, um das Boot zu wenden, trat eine Gestalt, die mit den schweren Holzfällerhosen bekleidet war, die man auch Blechhosen nannte, ins Blickfeld. „Hey, Sie! Wenden Sie Ihr Boot in diese Richtung! Sie sind zwei Seen zu weit unten. Der Boss erlaubt niemandem, unterhalb von Razorback Island zu fischen. Er macht auch für einen blinden Trottel keine Ausnahme. In diese Richtung, sagte ich.“

Tony Quinn, der ehemalige Bezirksanwalt von Manhattan, der von einem Verbrecher während einer Gerichtsverhandlung geblendet worden war, schien der Stimme am Ufer ausdruckslose Augen zuzuwenden. Aber sein Ruder bewegte das Boot noch ein bisschen weiter hinaus.

„Hey!“, schrie der Mann am Ufer. „Auch ein Blinder kann hören. Ich habe eine Waffe auf Sie gerichtet. Bewegen Sie sich in diese Richtung, oder Sie kommen nicht zur Moosehead Lodge zurück.“

Tony Quinn spielte auf Zeit. Erst vor ein paar Minuten war sein Erster Stellvertreter in seinem unverdächtigen Geschäft des Jagens von Verbrechern, Norton Silk Kirby, an Land gegangen, und er wartete auf ihn. Quinn befand sich im zweiten See unterhalb von Razorback Island, im dritten von insgesamt vier Seen der Moosehead-Kette. Die drei unteren Seen waren von Wäldern umgeben, die auf Land standen, das dem alten Jep Lathur gehörte. Und diese letzten drei Seen waren für Sportler und Fischer verboten.

Der alte Jep Lathur, aus der dritten Generation der ­Lathurs, denen das Land gehörte, war ein erbitterter Gegner der Ferienanlage für Jäger und Fischer an den Moosehead Lakes gewesen. Er hatte seinem Hass auf die Typen aus der Großstadt, die er seenzerstörende Vandalen nannte, immer öffentlich Ausdruck verliehen. Seit Mort Singer, ein Jäger aus Chicago, die Moosehead Lodge eröffnet hatte, hatte Jep Lathur alle Urlauber gewarnt, am oberen See zu bleiben. Und dass einige auf diese Warnungen nicht gehört hatten, war der offensichtliche Grund dafür gewesen, dass Tony Quinn ein Hilfsersuch erhalten hatte von Bill Lark, dem jungen Bezirksanwalt und einem alten Collegefreund von Quinn. Der Brief war nach dem Verschwinden der beiden Angler und der Festnahme Jep Lathurs geschrieben worden, nachdem Lathur ein Alibi vorweisen konnte, das ihm seine Arbeiter gegeben hatten. Lark hatte um Quinns Hilfe ersucht, nach Moosehead zu kommen und ihn zu beraten und möglicherweise die wahren Mörder ausfindig zu machen. Weder Bezirksstaatsanwalt Lark noch Sheriff Buck Danvers konnten Lathur für schuldig halten. Der Brief, der Tony Quinn dazu brachte, sich auf den Weg zu machen und später an einer merkwürdigen Menschenjagd in den Nördlichen Wäldern teilzunehmen (nicht einmal Lark konnte sich das vorstellen), lautete wie folgt:

Unser Hauptverdächtiger der beiden ungelösten Mordfälle, Jep Lathur ist ein alter Mann, Tony. Er ist stur, hat Angler bedroht und sie von den drei Seen verjagt, indem er immer knapp an ihnen vorbeigeschossen hatte. Er hat Strafen bezahlt für die Schüsse und hat niemals versucht, jemanden zu treffen – es sei denn, er hat diese Morde begangen –, und ist bei den Einheimischen sehr beliebt. Er hat auch eine kleine Armee von Waldarbeitern, die an ihn glauben. Hierher kommen sehr ­angenehme ­Angler, aber auch ein paar Idioten. Sie rasen mit Schnellbooten umher, veranstalten wilde Partys und sorgen überall für Ärger. Das gefällt den Leuten hier nicht. Ein paar Gäste haben auf Lathurs Land campiert und aus Versehen (oder sogar absichtlich?) Feuer gelegt und mit ihren Schnellbooten die Fischplätze ruiniert; manche haben illegal Rotwild erlegt in diesem Naturschutzreservoir. Die neuen Anlagen des Alten produzieren Holz für Flugzeuge und Plastik für den Krieg. Und der eine oder andere der jüngsten Brände war zweifellos das Werk von Saboteuren. Und noch immer kann der alte Lathur niemandem den Zugang zu den Seen verwehren, die beinahe vollständig von seinem Land umgeben sind, denn die Kanäle zwischen den Seen gehören von Rechts wegen dem Bundesstaat.

Ich bitte dich um deine Hilfe, Tony, denn als ich das letzte Mal in New York war, prahlte Commissioner Warner damit, dass er es deiner nüchternen Denkweise und deinen klugen Ratschlägen – und das trotz deiner bedauerlichen Blindheit (oder vielleicht gerade deswegen?) – zu verdanken gehabt hatte, dass seine New Yorker Polizei viele Killer unschädlich machen konnte, die sie sonst nie hätte fassen können. Offen gesagt, könnte der alte Jep Lathur unser Mörder sein. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass er entweder unschuldig ist oder sich aus einem weitaus ernsteren Grund auf dieses Töten eingelassen hat, als nur deswegen, Unbefugte zu verscheuchen. Der Alte hat auch schon übers Töten geredet, aber nicht in Verbindung mit denen, die in sein Land oder seine Seen eindringen. Er ist ein leidenschaftlicher Patriot und hat ebenso leidenschaftlich davon gesprochen, er werde jeden Saboteur erschießen, den er erwische. Wenn seine Drohungen dort endeten, können wir mit dieser Sache umgehen. Aber er scheint zu denken, dass alle Angler auf den drei Moosehead-Seen Feinde dieses Landes seien. Zumindest bedroht er hartnäckig alle Unbefugten.

Dieser Brief hatte Tony Quinn schließlich in dieses kleine Boot gebracht, in dem er den Eindruck erweckte, nur mit Fischen beschäftigt zu sein. Als er in den zweiten der drei Seen Jep Lathurs trieb, hatten er und Silk Kirby, sein Vertrauter und leidenschaftlicher Gegner und Feind aller Kriminellen, bemerkt, dass sie aus den Wäldern heraus beobachtet wurden. Quinn hatte Kirby lautlos bedeutet, ihn alleine im Boot zu lassen.

„Lass dich nicht sehen, Silk!“, war seine Anweisung gewesen. „Ich werde sehen, ob ein Blinder, der Köder auswirft, uns jemanden bringen kann, der mit uns reden möchte. Wenn uns Jep Lathurs Leute beobachten und uns auf die Pelle rücken, finden wir vielleicht heraus, ob an Lathurs Alibi für diese Morde etwas dran ist.“ Und jetzt, wo der kräftige Holzfäller am grasigen Ufer einen Revolver hervorzog, spielte Tony Quinn noch immer auf Zeit. Seine unbeholfenen Versuche mit dem Ruder brachten ihn dem Ufer nicht näher. Tony handelte in der Überzeugung, Silk Kirby werde jeden Moment erscheinen und von hinten auf den Holzfäller mit dem Revolver losgehen, der vor einem Baum stand.

„Hören Sie zu, Mister!“ Der Mann am Ufer hob seinen Revolver. „Ich sagte, Sie sollen das Boot dorthin rudern.“

„Ich befürchte, ich habe Probleme mit dem Ruder“, sagte Tony. „Wollen Sie etwas Bestimmtes von mir?“

„Wie sind Sie hierhergekommen, wenn Sie nicht sehen können, wohin Sie rudern?“, fragte der Revolvermann grob.

„Ein Führer ruderte mich hierher“, sagte Tony. „Er ist nur kurz weggegangen, um einen lebenden Köder aus Heuschrecken zu suchen. Warten Sie! Ich kann nicht viel mit dem Ruder anfangen, aber ich kann die Leine auswerfen und das Boot an Land ziehen.“