Die schwarze Fledermaus 28: Wächter in Schwarz - G.W. Jones - E-Book

Die schwarze Fledermaus 28: Wächter in Schwarz E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Lloyd North sitzt unschuldig im Gefängnis, wird entlassen und steht mittellos auf der Straße. Jemand schickt ihn auf eine unheimliche Odyssee, an deren Ende ein stadtbekannter Richter tot aufgefunden wird. Lloyd wird von Captain McGrath verhaftet. Tony Quinn erklärt sich bereit, die Verteidigung des jungen Mannes zu übernehmen.Doch die mysteriöse Geschichte birgt weitere Morde.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 28

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

G. W. Jones

Wächter in Schwarz

Aus dem Amerikanischenvon Alfons Winkelmann

Das Abenteuer Wächter in Schwarz erschien im Herbst 1943 unter dem Titel Guardian in Black in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.

Commissioner Warner

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-028-4Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1 – Junger Mann in einem Dilemma

Er war etwa zweiundzwanzig, schmächtig, helläugig und von gesundem Aussehen. Aber die Mundwinkel hatte er herabgezogen, und seinen Augen fehlte es an ihrem gewöhnlichen Funkeln. Er verließ gerade das Rekrutierungszentrum und war so deprimiert, dass er glaubte, sich zwischen den Ritzen im Bürgersteig verlieren zu können.

Er trat eine kleine, leere Schachtel in den Rinnstein, schob heftig beide Hände in die Taschen und murmelte etwas vor sich hin.

„Diese Schulter! Und ich dachte, es wäre echt schlau von mir gewesen, Football zu spielen! Und jetzt, nur wegen dieses alten Bruchs, der so lange her ist, und weil ich den Arm nicht hoch genug über den Kopf heben kann, wird es nichts mit der Navy oder den Marines. Die Luftwaffe will mich auch nicht, und die Army sagt nein.“

Es dämmerte, und er wanderte durch die Stadt zu seinem Lieblingsplatz in einem großen Park. Gewöhnlich nahm er seine Mahlzeiten dort ein – wenn er Arbeit hatte. Er konnte das Gebäude sehen, wo er bis vor zwei Tagen gearbeitet hatte. Die Zantora Importing Company, spezialisiert auf orientalische Seidenstoffe und Kunstwerke.

Der Augenblick vor zwei Tagen war ein herzzerreißender gewesen, als Zantora persönlich aus seinen üppigen Büroräumen im Hintergrund des Geschäfts gekommen war und ihn beschuldigt hatte, die Ladenkasse geplündert zu haben. Abstreiten war vergebens gewesen. Die Beweise hatten gegen ihn gesprochen – und er war gefeuert worden.

„Aber warum hat er mich nicht einsperren lassen, wenn er so davon überzeugt war, dass ich ein Dieb bin?“, fragte sich Lloyd North.

Ein nettes Eichhörnchen näherte sich vorsichtig, schien in North einen Freund zu sehen und lief heran, um nach Futter zu betteln. North fand ein paar Erdnüsse in seinen Taschen und fütterte das Eichhörnchen.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Die ganze Welt war am Ende. Die seine sowieso. Natürlich gab es Verteidigungsarbeit, und er wäre freudig auf Arbeitssuche gegangen, nur dass ein neuer Arbeitgeber Zeugnisse verlangen würde, und der schwerfällige alte Zantora wäre wenig geneigt, ein günstiges Zeugnis auszustellen.

Lloyd North sah einen Mann herankommen. An ihm war etwas Ungewöhnliches, und dann erkannte North sogar in der zunehmenden Dämmerung, was es war.

Die linke Hand des Mannes fehlte, und ein unheimlich wirkender Haken ragte aus dem Mantelärmel hervor.

Seltsam genug war, dass der Mann an Norths Bank stehen blieb. Er bedachte den jungen Mann mit meinem Blick und kicherte.

„Etwas dagegen, wenn ich mich ein paar Minuten hierher setze?“, fragte er, und ohne auf Erlaubnis zu warten, ließ er sich nieder. Er sah durch das Dämmerlicht zu Lloyd North hinüber.

„Bist im Keller, mein Junge, nicht?“, fragte er. „Sitzt richtig tief in der Tinte. Ja – ich erkenne die Anzeichen. Kopf hoch! Es ist eine wunderschöne Nacht. Siehst du – die Sterne kommen schon zum Vorschein. Da ist der Polarstern. Sollte dein Zeichen sein, bei deinem Namen, Junge. Oftmals habe ich meinen Kompass nach ihm ausgerichtet.“

„Woher wissen Sie, dass ich North heiße?“, fragte der junge Mann. „Wer sind Sie überhaupt?“

Wiederum kicherte der Mann. „Ein alter Seebär, der seinen Zenit überschritten hat und heutzutage nicht mehr viel wert ist ... Woher ich deinen Namen kannte? Ich bin weit herumgekommen, Junge. Weit herum. Ein Mann trifft auf merkwürdige Dinge, wenn er nur weit genug in die Ferne schweift, um sie zu suchen.“

„Das“, sagte North, „beantwortet meine Frage nicht. Woher haben Sie meinen Namen gekannt?“

Der Mann, also offensichtlich ein alter Seemann, zuckte lächelnd die Achseln.

„Manchmal zahlt es sich nicht aus, allzu viele Fragen zu stellen, Junge. Besser, Befehle entgegenzunehmen und sie zu befolgen. Wie das, was ich dir sagen werde, zum Beispiel.“

„Moment, Moment“, warf North rasch ein. „Ich möchte gern wissen, was das alles so soll. Warum sollte ich Befehle von Ihnen befolgen?“

„Wenn ein Junge solche Probleme hatte, wie du in letzter Zeit, sollte er jede ihm gebotene Chance ergreifen. In dieser Hinsicht hast du Glück gehabt, dass Zantora nicht so der Typ ist, der unehrenhaft entlässt ... Moment, junger Mann! Ich hätte sagen sollen, dass er der Typ ist, der Angestellte, die er für unehrlich hält, ungeschoren gehen lässt. Die bewaffneten Streitkräfte wollten dich nicht haben, und weshalb? Weil du mal Football gespielt und dir einmal das Schlüsselbein gebrochen hast, und jetzt kannst du deinen Armen nicht mehr so hoch heben, wie sie es gern hätten. Als ob das einen Unterschied bedeuten würde. Ist auch schwer, eine andere Stelle ohne eine Empfehlung zu bekommen. Deswegen wirst du zuhören.“

„Ich höre zu“, sagte North. „Nur dies – ich weiß, dass an dieser ganzen Sache etwas nicht koscher ist. Wenn Sie mir zeigen, wo ich eine Arbeit bekommen und diesem Land dabei helfen kann, den Krieg zu gewinnen, lasse ich mich auf fast alles ein. Aber vergessen Sie nicht – ich bin ehrlich, selbst wenn Zantora Ihnen das Gegenteil gesagt hat.“

Der alte Mann grinste und entblößte dabei Zahnstummel, die vom jahrelangen Kauen an einem Pfeifenstängel abgenutzt waren. Es gab auch gelbliche Zähne, die zu seinem zerfurchten, etwas vernarbten Gesicht passten.

„Du zeigst die Vernunft, die dir angeboren ist, mein Junge“, sagte er. „Jetzt hör zu und stell keine Fragen. Wenn du den Park verlässt, geh schnurstracks zu der Adresse, die ich dir auf diesen Fetzen Papier schreibe. Du wirst willkommen sein, und etwas zu deinem Vorteil wird dir erklärt. Fängst besser gleich sofort an. Ich begleite dich bis zum Parkeingang.“

Der mysteriöse Mann kritzelte etwas auf einen Papierfetzen, und noch während er schrieb, fühlte sich Lloyd North irgendwie dazu gedrängt, diese merkwürdigen Befehle auszuführen. Sie wurden im besten Befehlston von dem alten Seebären ausgesprochen und duldeten keinen Ungehorsam. North stand auf und schritt neben dem Mann einher.

Der mysteriöse Fremde hatte einen speziellen schwankenden Gang, als ob er sich nie an etwas anderes gewöhnt hätte als das sich bewegende Deck eines Schiffs.

„Du wirst angenehm überrascht sein, mein Junge“, sagte der Mann. „Sie erwarten dich. Vielleicht wird dir dort nicht alles gesagt, aber bevor diese Nacht vorüber ist, wirst du die Wahrheit kennen – bitter, wie sie zunächst erscheinen wird.“

North seufzte. „Ein Bursche in meiner Position kann es sich nicht leisten, überhaupt eine Chance ungenutzt zu lassen“, sagte er. „Nicht einmal eine so mysteriöse wie die hier. Aber Sie haben mir noch immer nicht gesagt, woher Sie meinen Namen kennen.“

„Und das werde ich auch nicht. Nicht heute, weil wir uns später noch treffen werden, mein Junge. Dann werden Erklärungen nicht nötig sein. Da ist wieder der Nordstern. Schön, nicht wahr? Sieht für eine Landratte aus wie jeder andere Stern, aber für einen Mann der See bedeutet er Sicherheit und Geborgenheit. Funkelt schön, nicht wahr?“

North blickte zu dem Stern auf.

„Ich schätze, dass er einem Seemann etwas bedeutet, aber ich bin nie zur See gefahren, und was Astronomie betrifft, so ... He! Was soll das, zum Teufel?“

Der Mann war verschwunden. North blieb abrupt stehen und schaute sich um. Der Mann schien sich einfach wie ein Geist in der Dunkelheit aufgelöst zu haben. North zuckte die Achseln, und wenn er nicht diesen Papierfetzen umklammert gehalten hätte, so hätte er geschworen, dass seine Begegnung mit dem Mann nichts weiter als die Einbildung eines verzweifelten Gehirns gewesen war, das vom Pech verfolgt war.

Er versuchte noch immer, das Rätsel zu lösen, als er durch ein Tor auf den Bürgersteig trat. Ein Taxi fuhr heran, und die Tür öffnete sich. North blinzelte und fragte sich, ob dies Teil des seltsamen Plans der Dinge war. Er wollte einsteigen, dachte an den Fetzen Papier und reichte ihn, ohne ihn anzusehen, dem Fahrer.

„Bringen Sie mich dorthin“, sagte er.

„Aber sicher“, erwiderte der Fahrer grinsend. „Ich ... ich weiß immer, wenn ich einen Fahrgast bekomme, Junge. Wie dich, zum Beispiel. Anhand dessen, wie du gegangen und dich umgeschaut hast, habe ich gewusst, dass du eilig irgendwohin willst. Ich ... wie war doch jetzt gleich die Anschrift? Sechs-Elf Arnsworth Avenue? Ist nicht ganz so deutlich.“

„Ich habe sie nicht gelesen“, erwiderte North. „Schauen wir doch mal.“

„Es ist Arnsworth Avenue, schon gut. Mit schielendem Blick in diesem Licht darauf zu schauen, reicht aus. In Ordnung, Mister, wir sind unterwegs.“

Das Taxi fuhr durch die Stadt zu einem Highway, bog darauf ab und fuhr etwa drei Kilometer weiter Richtung Süden. Es verließ den Highway, durchquerte erneut die Stadt, bog um mehrere Ecken und hielt schließlich vor einem noblen Gebäude. Ein Haus mit zwei Flügeln, ein wenig von der Straße zurückgesetzt, durch einige riesige alte Bäume davon getrennt, etwas Einzigartiges in der großen Stadt.

North verließ das Taxi.

„Ist das hier?“, fragte er ein wenig ehrfürchtig.

„Das steht auf diesem Papierfetzen“, knurrte der Fahrer und reichte ihn ihm. „Prachtvolles Gebäude, hm? Auf dem Taxameter steht ein Dollar siebzig, Junge.“

North bezahlte und verstaute die einzige Dollarnote, die ihm geblieben war, in seiner Westentasche. Das Taxi fuhr davon und verschwand. North warf einen Blick auf den Papierfetzen. Es musste hier sein. Er steckte das Papier ebenfalls in seine Tasche und schlenderte dann langsam eine lange Zufahrt zu der üppigen Veranda vorn hinauf.

Als sein Fuß die erste Stufe berührte, gingen die Lampen auf der Veranda an, und er blieb abrupt stehen. Die Tür öffnete sich. Ein Mann in schwarzem Anzug, mit gestärkter Hemdbrust und schwarzer Fliege, lächelte ihn an.

„Mr. Lloyd North?“, fragte er. „Sie werden erwartet, Sir. Würden Sie bitte hereinkommen?“

North stieg die restlichen Stufen hinauf, reichte dem kahlköpfigen, überaus höflichen Butler seinen Hut und folgte ihm dann einen luxuriös ausgestatteten Flur hinab. In einer Ecke stand eine Rüstung, die so poliert war, dass sie wie neu glänzte. Es gab große Sessel, teure Vorhänge. Alles deutete auf großen Wohlstand und das Wissen hin, wie man ihn am besten einbrachte.

Der Butler öffnete die eine Hälfte einer Doppeltür, verneigte sich erneut und winkte North, er solle weitergehen. North betrat einen Raum, der anscheinend so etwas wie ein Bankettsaal war. Ein großer Kronleuchter erhellte ihn. In einer Ecke stand ein Flügel, und entlang der Wände gab es gläserne Vitrinen, in denen offensichtlich kostbares Geschirr aufbewahrt wurde.

Der Saal war mit Mahagoni getäfelt. Die Scheiben seiner Fenster – zumindest derjenigen, die er sah – waren farbig und zeigten Muster wie Kirchenfenster.

„Wie geht es dir, Lloyd?“, fragte jemand. „Ich hätte dich überall wiedererkannt.“

North drehte rasch den Kopf und entdeckte einen Mann im Abendanzug, der ihn anlächelte. Ein Mann, mit dem er sofort warm wurde, obwohl er genau wusste, dass er ihn noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte.

Dann bemerkte North, dass der Tisch fürs Abendessen gedeckt war – für zwei Leute. Er trat zu dem Mann, und sie schüttelten sich die Hände.

„Stell bitte keine Fragen, Lloyd“, sagte der Mann. „Ich habe keine Antworten, oder vielmehr, mir ist nicht gestattet, sie jetzt zu geben. Später heute Abend wirst du alles erfahren. Ein sehr unglückliches Vorkommnis an deiner Arbeitsstelle. Hast du das Geld gestohlen?“

„Nein, Sir“, verkündete North fest. „Ich schwöre, ich hab’s nicht. Aber was soll das alles? Sie sind der zweite Fremde, der davon weiß, und ich dachte, Zantora wollte die ganze Angelegenheit unter der Decke halten.“

„Das hat Zantora getan“, erwiderte der Mann. „Weit, weit unter der Decke, Lloyd. Außerdem glaube ich dir. Habe tatsächlich nie an deiner Unschuld gezweifelt. Jetzt schlage ich vor, wir setzen uns, und du erzählst mir alles von dir. Von deinen Freunden, deinen Feinden. Was du in den letzten vier oder fünf Monaten getan hast. Ich kenne praktisch jeden Zug, den du zuvor getan hast.“ Sein Verhalten erweckte Vertrauen.

North ließ sich nieder, weil er es wollte. Er wollte mit diesem älteren Mann sprechen, der trotz der luxuriösen Umgebung so völlig demokratisch erschien. Er war hier willkommen, wurde mit Speisen und Weinen traktiert, wie er sie nie zuvor bekommen hatte. Bedient von demselben Mann, der ihn eingelassen hatte, und lautlos und effizient bedient.

Er berichtete, was er während der fraglichen Zeit getan hatte. Es war nicht viel. Norths Geldmangel hatte sein Leben alles andere als aufregend gestaltet. Er beantwortete viele Fragen, ohne seinerseits welche zu stellen. Gleich, was dahinter auch stecken mochte, die Mahlzeit war alles wert.

Schließlich stand der Mann im Abendanzug auf und reichte ihm die Hand.

„Du bist ein ehrlicher Mensch, Lloyd“, sagte er. „Vielen Dank, dass du Vertrauen in mich hast und nicht die Fragen stellst, die dich in Gedanken quälen müssen. In nur kurzer Zeit werden sie alle beantwortet werden, aber nicht von mir. Du wirst Anwalt Ralston aufsuchen. Sein Haus liegt an der Ecke der White und Iselin Straße – die nordwestliche Ecke. Ralston erwartet dich.“

„Vielen Dank, Sir“, entgegnete North, „für eine ausgezeichnete Mahlzeit und eine Gastfreundschaft, von der ich glaubte, sie würde nur in Büchern existieren. Ich werde diesen Anwalt Ralston aufsuchen, weil ich vor Neugier fast platze. Aber Sie haben mich gebeten, Ihnen keine Fragen zu stellen, also habe ich mich daran gehalten. Werden wir uns wieder begegnen, Sir? Soll heißen, unter anderen Bedingungen?“

„Das werden wir, allerdings – und die Bedingungen werden völlig anders sein, Lloyd ... Oh, warte einen Moment. Komm bitte hier herüber. Ich möchte dir etwas zeigen. Du wirst nicht verstehen, was es gerade jetzt zu bedeuten hat, aber nach dem, was Ralston dir zu sagen hat, wirst du es bestimmt nie mehr vergessen.“

Der Mann schritt rasch zum Ende des Raums, wo ein schwerer Satinvorhang, düster in seiner Schwärze, einen Teil der Wand bedeckte. Er zog an einer Schnur. Der Vorhang teilte sich, und ein Ölgemälde wurde enthüllt. Das Porträt eines abgerissen wirkenden Mannes, der eine Pickelhaube trug. Im Hintergrund waren Dinge zu sehen, die dieser prächtigen Stadt fremd waren. North erkannte einen dunkelhäutigen Mann im Hintergrund, der auf dem Kopf ein riesiges Bündel trug. Es gab auch ein eigenartig aussehendes Gebäude, wie eine Art Tempel.

Das war alles. Der Vorhang fiel.

Der Mann in Abendkleidung lächelte, streckte die Hand aus und nahm Norths beide Hände in die eigenen.

„Ein merkwürdiges Rätsel, nicht wahr?“, murmelte er. „Suche Anwalt Ralston so rasch auf, wie du kannst. Er wartet gerade im Moment in seinem Haus auf dich. Beeilung, bitte, ja?“

Lloyd North nickte, folgte dem Butler aus dem Saal und nahm seinen Hut entgegen. Einen Augenblick später schritt er brüsk Richtung Süden. Erst nachdem er mehrere Straßen überquert hatte, fiel ihm ein, dass er ein ganz bestimmtes Ziel im Sinn hatte. Sein Gehirn war lediglich mit den merkwürdigen Ereignissen der letzten Stunde erfüllt. Er rätselte über die beiden völlig verschiedenen Typen von Männern nach, die ihn anscheinend besser kannten, als er sich selbst.

Er sah ein Straßenschild, begriff, wo er war, und hielt am nächsten Geschäft inne, um einen Stadtplan zurate zu ziehen. Daraufhin war es einfacher, das Wohnhaus von Anwalt Ralston zu lokalisieren. Es war auch nicht weit entfernt, und es erwies sich als ein fast ebenso exklusives Gebäude wie dasjenige, in dem er gerade zu Abend gespeist hatte.

Dieses Haus war nicht strahlend hell erleuchtet, obwohl ein schwacher Lichtschein durch die Fenster der Eingangstür drang. North drückte einen Klingelknopf und wartete. Er vernahm schwere Schritte, die Tür ging auf, und in dem Halbdunkel erkannte er schwach die Züge des Mannes, der ihn einließ.

„Ich bin Lloyd North“, sagte er. „Mir wurde gesagt, Sie würden mich erwarten.“

„Ja, ja. Komm herein, North. Bleib nicht dort stehen und halte Maulaffen feil. Folge mir, bitte.“

Norths Schritte auf dem blanken Fußboden hallten durch das Haus, als ob es ein gewaltiges leeres Grab wäre. Er folgte dem Mann, der Anwalt Ralston sein musste, in ein Arbeitszimmer von einiger Größe, das nur durch eine schwache Glühbirne in einer kleinen Lampe auf einem Kaminsims erhellt wurde.

Ralston schritt hinter einen Schreibtisch und ließ sich schwer nieder. Er hob etwas auf, das anscheinend ein dicker Papierschneider war, und spielt damit herum. North stand vor dem Schreibtisch, und ein Gefühl von Gefahr schloss sich langsam um ihn wie ein unsichtbares Tuch. Alles, was er von Ralston gut erkennen konnte, waren dessen beide Hände, aber er bemerkte, dass er eine achteckige Armbanduhr am linken Handgelenk trug. Eine eigenartige Uhr für einen Mann.

„Man hat mir gesagt, dass Sie gewisse Informationen für mich hätten“, sagte North unbehaglich.

Langsam zog Ralston eine glänzende, leicht gebogene Klinge aus einer Scheide, die wie ein Papierschneider aussah. Er ließ die Scheide auf den Schreibtisch fallen und stand jäh auf.

„Ich werde dich töten, Lloyd North!“, sagte er knapp.

Kapitel 2 – Die Bühne für Mord

Bevor North, der aus schierem Erstaunen wie erstarrt auf der Stelle stand, sich rühren konnte, kam Ralston um die Ecke seines Schreibtischs, die glitzernde Klinge hoch erhoben. Da wusste North, dass er um sein Leben kämpfen musste. Alle diese mysteriösen Vorfälle waren so geplant worden, dass sie ein Ergebnis hatten – den Mord an ihm. Wut schoss in ihm hoch, und er vollführte einen Satz nach vorn.

In den ersten zehn Sekunden des Zweikampfs wurde die Lampe auf dem Kaminsims umgestoßen und zerschellte auf dem Fußboden. Der Raum wurde in Dunkelheit getaucht, aber das bedeutete für North keinen großen Unterschied. Er befand sich in einer Auseinandersetzung mit Ralston und kämpfte wild darum, dem Mann das Messer aus dem Griff zu winden.

Finger hatten sich um Ralstons Handgelenk geschlungen und hielt unerbittlich fest. North warf ein Bein zwischen die Beine des Anwalts, verschob es, und Ralston flog nach hinten. Der Griff um das Messer lockerte sich, als Ralston das Gleichgewicht verlor, und North schnappte danach.

Er packte es bei einem Teil des Hefts, rang es los, und in diesem Augenblick fiel Ralston polternd zu Boden. North warf sich auf den Mann, immer noch das Messer umklammernd, unternahm jedoch keine Anstalten, Gebrauch davon zu machen.

Ralston war nicht bewusstlos. Tatsächlich kämpfte er nach wie vor heftig und schrie um Hilfe. Er packte eine Handvoll von Norths Haar und zog wild daran. North spürte Tränen aus seinen Augen rinnen, und er zuckte vor Schmerz zusammen. Eine Faust traf ihn in die Magengrube, und er flog zurück. Ein Stuhl krachte zu Boden.

Ralston war wieder auf den Beinen, drängte North langsam zum Schreibtisch zurück und unternahm dabei erfolglose Versuche, das Messer zu greifen. Er konnte es nicht sehen, aber er wusste, was er suchte und dass North die Waffe nach wie vor umklammert hielt.

Zweimal hätte North dem Mann den Dolch in den Rücken stoßen können, aber er wollte keinen Mord begehen. Nicht einmal Ralstons merkwürdige Handlungen konnten ihn dazu veranlassen, an Mord zu denken. Er war lediglich durch und durch wütend und wollte Ralston am Leben haben, wenn dieser Zweikampf vorüber war, damit er die Wahrheit aus ihm herausprügeln konnte. Er musste wie der Teufel aus dieser unheimlichen Sache heraus.

Plötzlich drang Ralston auf ihn ein und schlug mit beiden Fäusten zu. North fing sich ein halbes Dutzend Hiebe gegen die Brust ein, die ihm den Atem raubten. Dann schlug er seinerseits zu und hoffte, dass es ein richtiger Schwinger wäre. Er traf den Anwalt am Kinn, sodass er mit den Armen rudernd zurückfiel. Dinge flogen vom Schreibtisch herab, als der Mann sich an die Tischplatte klammerte, um nicht zu stürzen. Dann folgten ein schrecklicher Krach – und Schweigen.

North, immer noch heftig keuchend und in schrecklicher Angst, trat langsam heran. Ralston mochte den Sturz vorgetäuscht haben und irgendwo in der Dunkelheit warten, um ihm eine Vase oder einen anderen schweren Gegenstand über den Schädel zu ziehen. North packte das Messer fester und entschloss sich, Gebrauch davon zu machen, wenn sich die Dinge gegen ihn wandten. Schließlich kämpfte er um sein Leben.

Sein Fuß stieß gegen irgendetwas. Er beugte sich herab, streckte eine Hand aus und entdeckte die Gestalt eines Mannes auf dem Boden. Der Mann regte sich nicht. North traf auf ein Handgelenk und ertastete die achteckige Armbanduhr. Das war Ralston, na gut. Er war gestürzt, hatte sich vielleicht den Kopf gestoßen und war bewusstlos geworden.

North forschte weiter mit der Hand. Sie berührte etwas Feuchtes. Sogleich zog er die Hand zurück. Das Zeug fühlte sich wie Blut an. Langsam richtete sich North auf, und er wusste jetzt, was schieres Entsetzen war. Dieser Mann rührte sich nicht, weil er tot war! Tot und blutverschmiert.

*

Es ertönte ein Klicken, und die Lichter gingen an. North fuhr halb herum. Er hielt immer noch das Messer fest, hob jedoch prompt beide Hände so hoch, wie er konnte, in Anbetracht dieser alten Schulterverletzung.

Ein kleiner, schwerer Mann, der einen Derbyhut trug und heftig an einer zerfetzten Zigarre kaute, kam auf ihn zu. North hatte Respekt vor dem Revolver in der Hand des Fremden. Dann betraten weitere Männer den Raum – Polizisten.

„Übergeben Sie dieses Messer“, fauchte der Mann in Zivilkleidung. „Übergeben Sie es mit der Spitze voraus und legen Sie es vorsichtig hier in mein Taschentuch. Wenn Sie versuchen, irgendwelche Fingerabdrücke abzuwischen, werde ich Ihnen eine Kugel durch den Leib jagen, so wahr mir Gott helfe.“

„Ich ... ich weiß nicht, was geschehen ist ...“, setzte North schwach an.

„Ja, natürlich. Legen Sie einfach das Messer hier rein. Ich bin Captain McGrath von der Polizei, und Sie sind verhaftet. Wenn mich meine Augen nicht täuschen, lautet die Anklage Mord. He, Charlie, geh mal zu diesem Typen rüber und sieh nach, ob er tot ist.“

North stieß ein vernehmliches Keuchen aus, als er das Messer in McGraths Taschentuch legte. Die Klinge war blutverschmiert.

„Ich ... ich habe ihn nicht erstochen“, rief North. „Wir haben gekämpft. Er versuchte, mich mit diesem Messer anzugreifen, und ich habe es ihm abgenommen. Aber ich habe ihn nicht erstochen, das sage ich Ihnen. Ich hab’s nicht getan.“

„Maul halten!“, brüllte McGrath.

Er packte Norths Handgelenk und legte eine Handschelle darum. McGrath schloss ihn an einen schweren Stuhl, stellte ihm eine Wache an die Seite und ging zu dem toten Mann hinüber. Er sprach leise mit dem ­Polizisten, kehrte zu North zurück und sah auf ihn hinab.

„Hör zu, Junge“, sagte er, „komm mit dir ins Reine. Nimm meinen Ratschlag an – rede jetzt. Das ist Mord. Nun komm schon. Warum hast du es getan?“