Die Schwarze Fledermaus 32: Die weiße Hexe - G.W. Jones - E-Book

Die Schwarze Fledermaus 32: Die weiße Hexe E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

In Chicago gründet ein Mann, der sich der Mystiker nennt, eine Schule für besondere geistige Übungen. Zur selben Zeit werden bei Partys in der exklusiven Gesellschaft brutale Raubüberfälle begangen. Staatsanwalt Tony Quinn sucht in der Maske der Schwarzen Fledermaus nach den Tätern und erlebt eine grauenhafte Überraschung.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 32

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

6031 – Auf höchsten Befehl von A. S. Jones

6032 – Die weiße Hexe von G. W. Jones

6033 – Samariter des Todes von G. W. Jones

6034 – Mordgeschäfte von G. W. Jones

G. W. Jones

Die weiße Hexe

Aus dem Amerikanischenvon Heinz Zwack

Das Abenteuer Die weiße Hexe erschien im Frühjahr 1944 unter dem Titel The White Witch in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.

Silk Kirby

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-032-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1 – Macht des Geistes

Eine auserwählte Zuhörerschaft füllte den Hörsaal, um Jules Ledoux zu begrüßen.

Über der Bühne hingen vier leicht schwingende Trapeze. Sonst nichts. Grünliches Scheinwerferlicht erhellte die Bühne und den Zuschauerraum.

Zwei Wissenschaftler mit weißen Bärten standen im Hintergrund des Hörsaals und unterhielten sich leise.

„Ich glaube es einfach nicht“, sagte der eine. „Jules Ledoux sucht nur Reklame für seinen Kult.“

„Vielleicht.“ Der andere zuckte die Achseln. „Sein Schloss in Limerock muss auch eine hübsche Stimme Geld kosten. Sämtliche Anwesende sind auf Einladung gekommen, aber wenn von diesen Leuten welche davon überzeugt werden können, dass Ledoux so groß ist, wie er zu sein behauptet, dann springt eine ganze Menge Geld für ihn heraus.“

„Das ist doch Unsinn!“, wehrte der andere ab. „Man sagt, Ledoux habe die Macht, andere Menschen dazu zu zwingen, alles zu tun, was er von ihnen will. Das ist Hypnose ‒ nichts anderes als Hypnose.“

„Es sei denn, seine Opfer tun etwas, das ihrer Natur ganz und gar widerspricht“, meinte sein Gesprächspartner. „Ein normaler Mensch zum Beispiel wird selbst unter ­hypnotischem Einfluss keinen Mord begehen. Aber wir werden ja sehen.“

Sie gingen auf ihre Plätze. Zwei andere Männer, die ganz in der Nähe standen, hatten jedes Wort mit ­angehört. Einer von beiden war Distrikts-Staatsanwalt Paul Corday. Er hatte weißes Haar, sah gut aus und machte einen ziemlich unnahbaren Eindruck.

Seinem Begleiter sah man den Detektiv an. Er hatte breite Schuhe an den Füßen und trug einen Filzhut, den er selbst im Saal nicht abnahm, und einen gepflegten Schnurrbart. In der Tasche trug er eine Plakette mit der Aufschrift „Detektivinspektor“, und sein Name war McGrath.

„Das ist Humbug“, meinte er soeben, „Nichts als Humbug!“

Paul Corday sah McGrath mit gerunzelter Stirn an. „Ich bin gewohnt, mit ‚Herr Staatsanwalt‘ angesprochen zu werden Vergessen Sie das nicht, Inspektor!“

„Zu Befehl!“ McGrath schluckte. „Was halten Sie von diesem Ledoux? Ist er ein Schwindler?“

„Um das festzustellen, sind wir hier, Inspektor. Überlassen Sie das Denken ruhig mir. Ich habe Sie mitgenommen, damit Sie die Verhaftung vornehmen können, wenn ich es für nötig halte. Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich ruhig verhielten.“

McGrath sagte halblaut etwas und dachte im Stillen an die Amtsvorgänger von Corday, mit denen er lieber gearbeitet hatte. Fest stand jedenfalls heute schon, dass Corday ihm nicht besonders sympathisch war.

Ein Gongschlag ertönte. Dann trat ein etwas kurz geratener untersetzter Mann auf die Bühne und wartete, bis es im Saal ruhig wurde.

„Meine Damen und Herren!“, begann er. „Wir fangen jetzt gleich an. Ich bin David Hoffman, der Manager von Mister Jules Ledoux. Sie können mir glauben, dass das, was Sie nun sehen werden, Sie nicht weniger erstaunen wird, als es mich beim ersten Mal erstaunt hat. Alle hier Anwesenden sind wegen ihrer hohen Intelligenz, ihrer exponierten gesellschaftlichen Stellung und ihrer Aufgeschlossenheit eingeladen worden. So etwas wie das hier hat es noch nie gegeben. Ich hoffe, dass Sie der Lehre und der Macht von Jules Ledoux vertrauen werden, wenn Sie hier wieder weggehen. Ich danke Ihnen!“

Hoffman machte eine theatralische Handbewegung, und ein Mann in einem makellosen Abendanzug trat hervor. Er sah sehr gut aus, was einige der anwesenden Damen zu tiefen Seufzern veranlasste. Er war etwa 1,80 Meter groß und hielt sich sehr gerade. Im Übrigen schien er nichts von dem Mummenschanz zu halten, der sonst bei Angehörigen seines Berufes gang und gäbe war ‒ nicht einmal einen Bart trug er. Das einzige Auffällige an ihm waren seine brennenden Augen.

Als er in die Mitte der Bühne trat, wurde es im Saal still. Jules Ledoux hatte seine Zuhörer bereits mit seinem ersten Auftritt in seinen Bann gezogen.

„Meine Freunde!“, sagte er mit fester Stimme, die bis zu den hintersten Sitzreihen drang. „Ehe wir beginnen, möchte ich noch einmal ganz besonders darauf hinweisen, dass ich kein Zauberer bin. Ich besitze keine hypnotischen Kräfte, und was ich Ihnen zeigen werde, beruht einzig und allein auf Willensstärke, ist eine Manifestation der Macht des Geistes über die tote Materie. Damit Sie nicht etwa glauben, dass wir hier ein abgekartetes Spiel treiben, möchte ich irgendjemand aus Ihrer Mitte bitten, zu mir auf die Bühne zu kommen. Es muss aber ein Mann sein.“

Staatsanwalt Corday gab Inspektor McGrath einen leichten Stoß in die Seite.

„Ausgezeichnet! Gehen Sie hinauf! Wollen doch sehen, ob er Sie hereinlegen kann.“

„Ich?“, stöhnte McGrath. „O nein! Ich bekomme Lampenfieber.“

„Gehen Sie!“, bellte Corday. „Und nehmen Sie ein für alle Mal zur Kenntnis, dass ich Widerspruch nicht dulde!“

McGrath trottete langsam zwischen den Sitzreihen hindurch. Er kletterte auf die Bühne und wurde von Ledoux begrüßt, während hundert Augenpaare auf ihm ruhten.

„Um zu beweisen“, begann Ledoux, „dass Sie nicht doch einer meiner Leute sind, werde ich Sie bitten, sich vorzustellen, Herr Inspektor.“

„Ja ‒ natürlich.“ McGrath wäre lieber sechs Gangstern mit Maschinenpistole gegenübergetreten. „Ich bin Inspek­tor … He, woher wissen Sie denn, dass ich Inspek­tor bin?“

Ledoux lächelte wohlwollend. „Ganz einfach, Herr Inspektor. Als Sie mir die Hand gaben, dachten Sie: ‚Ich bin Polizeiinspektor und lasse mich doch von einem solchen Scharlatan nicht bluffen‘.“

„Oh!“, stieß McGrath verlegen hervor. „Nun, Sie haben recht. Ich habe Sie bis heute noch nie gesehen. Ich … He, woher wussten Sie eigentlich, was ich dachte?“

Ledoux lachte. „Ich habe Ihre Gedanken gelesen, Inspek­tor McGrath. Können wir jetzt weitermachen?“

McGrath fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Okay! Was soll ich tun?“

„Gehen Sie von hier aus geradewegs über die Bühne und sehen Sie dabei weder nach links noch nach rechts.“

McGrath zuckte die Achseln und ging los. Er drückte die Schultern zurück, hielt den Kopf hoch erhoben und ging insgesamt vielleicht etwas unnatürlich. Als er drei Schritte gegangen war, trat Ledoux leise hinter ihn.

Ledoux drückte ebenfalls die Schultern zurück und hob den Kopf ebenso wie McGrath. Seine Schritte waren genau wie die des Inspektors, aber McGrath hatte keine Ahnung, dass ihm der andere so dicht folgte. Als sie vielleicht ein Dutzend Schritte von der Wand entfernt waren, fuhr Ledoux plötzlich zurück, als wäre er im Begriff, hinzufallen.

Im selben Augenblick tat McGrath genau das Gleiche. Er verlor das Gleichgewicht und fiel polternd zu Boden.

Ledoux aber war nicht gefallen. Er bog sich geschickt zur Seite und war McGrath beim Aufstehen behilflich.

„Darf ich fragen, was geschehen ist, Herr Inspektor?“, fragte er lächelnd. „Hier ist doch kein Hindernis. Sie sind nicht gestolpert. Und trotzdem verloren Sie plötzlich das Gleichgewicht und fielen rückwärts.“

„Ich ‒ ich weiß nicht, was geschehen ist“, murmelte McGrath unsicher. „Mir war ‒ plötzlich drehte sich alles um mich. Ich ‒ ich glaube, es war mein Lampenfieber. Tut mir leid. Soll nicht wieder vorkommen.“

„Natürlich nicht.“ Ledoux lächelte. „Das war ein Teil der Vorstellung. Sehen Sie“, Ledoux’ Stimme wurde lauter, „Sie fielen, weil ich es so wollte. Ich ließ Sie absichtlich rückwärts fallen, weil es beinahe unmöglich ist, dass ein Mensch rückwärts fällt. Ich hätte Sie natürlich in jede Richtung fallen lassen können. Noch einmal, Herr Inspek­tor, ich danke Ihnen.“

McGrath ging mit gerötetem Gesicht von der Bühne und versuchte zu lächeln, als man ihm applaudierte. Dann klatschte Ledoux in die Hände, und sechs junge Männer erschienen auf der Bühne.

Von mehreren Seiten wurden erstaunte Rufe laut, denn die meisten der Anwesenden kannten diese jungen Männer. Alle sechs entstammten besten Familien. Sie stellten sich nebeneinander auf, lächelten freundlich, und einer von ihnen winkte sogar einem Freund im Zuhörerraum zu.

Ledoux tat, als sähe er sie nicht. Er trat unter den Scheinwerfer.

„Meine Damen und Herren!“, sagte er. „Sie haben jetzt ein Beispiel meiner Macht über einen Polizeiinspektor gesehen, der ganz gewiss nicht von mir bezahlt ist. Diese sechs jungen Männer hier und ich arbeiten seit ein paar Wochen zusammen. Sie haben unter meiner Anleitung studiert, um an Geist, Körper und Seele gesünder zu werden. Diese jungen Männer haben ihren Geist ganz auf mich gerichtet. Ich kann sie dazu bringen, beinahe alles zu tun, was ich von ihnen will. Was Sie jetzt sehen werden, ist eine weitere Manifestation meiner Macht.“

Er trat an den Rand der Bühne, zündete sich eine Zigarette an, und noch während er das Streichholz an die Zigarette hielt, ging es los. Ohne das leiseste Zeichen von ihm, erstarrten die sechs Männer. Wie Marionetten gingen sie an das hintere Bühnenende, drehten sich um und rannten auf das Publikum zu, als wollten sie sich geradewegs in den Zuschauerraum stürzen. Wenige Zentimeter vom Rand der Bühne entfernt hielten sie alle gleichzeitig an, erstarrt in der Bewegung des Moments.

Ledoux trat zu dem ihm am nächsten Stehenden und gab ihm einen leichten Stoß. Der junge Mann fiel wie eine Puppe zu Boden. Als er auf dem Boden aufschlug, veränderte sich seine Haltung nicht im Geringsten. Arme, Beine und Körper blieben starr.

Ledoux lächelte, verbeugte sich, und die sechs Männer lösten sich aus ihrer Erstarrung. Drei von ihnen verschwanden hinter der Bühne. Die übrigen drei erhielten Befehle. Sie traten unter die Trapeze, zogen sich hinauf und begannen zu schwingen.

Fünf Minuten lang vollbrachten sie staunenerregende artistische Leistungen. Kein noch so gut ausgebildeter Varietékünstler hätte besser arbeiten können. Und dabei sah es alle paar Sekunden so aus, als würden sie abstürzen und sich das Genick brechen.

Plötzlich begann der Mann auf dem links hängenden Trapez wie wild zu schaukeln. Als er über die Zuschauer hinausschwebte, konnten sie sehen, dass seine Augen glasig wirkten. Über seinem Gesicht lag ein fatalistisches Lächeln.

Er schwang immer höher und weiter hinaus und über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Ledoux lehnte gleichgültig an einem Pfeiler.

Plötzlich löste sich der Mann vom Trapez. Er segelte weit in die Luft hinaus, überschlug sich und raste auf die Zuschauerbänke zu.

Frauen schrien auf, und Männer duckten sich. Der junge Mann landete im Mittelgang, überschlug sich zweimal und erhob sich wieder. Er hob ein Bein und streckte einen Arm in die Luft. So blieb er stehen, bis Ledoux nickte. Der junge Mann entspannte sich, sah sich um und war sichtlich erstaunt, sich plötzlich inmitten der Zuschauer zu befinden.

Als er sprach, klang seine Stimme völlig ruhig, und es war ihm nicht die geringste Spur einer Anstrengung anzumerken.

„Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Auf den telepathischen Befehl von Mister Ledoux hin, hörte mein Geist, auf mein eigener zu sein. Er wurde der seine. Ich weiß nicht, was ich getan habe, aber wenn es Ihnen gefallen hat, freut es mich. Ich danke Ihnen!“

Er ging zu Ledoux zurück, der ihm beim Erklettern der Bühne behilflich war. Ledoux trat in die Mitte der Bühne.

„Sie haben gesehen, was man mit geistiger Kraft erreichen kann. Diejenigen, die sich in meine Obhut begeben, werden feststellen, dass ich sie von allen Angewohnheiten befreie, von den guten wie den schlechten. Meine Behandlung ist sehr einschneidend. Sie umfasst harte körperliche Arbeit, Fasten, geistige Schulung, bis der Körper dem Geist voll und ganz unterworfen ist. Alle, die meinen Anweisungen gehorchen, werden feststellen, dass sie ebenso große geistige Kräfte haben wie ich. Sie werden in die Zukunft sehen, Gedanken lesen und Gedanken aussenden können. Ich gestehe offen, dass ich Ihre Unterstützung in finanzieller und persönlicher Beziehung brauche. Aber ich werde nur diejenigen aufnehmen, von denen ich sicher bin, dass sie auf meine Behandlung ansprechen.“

Im Hintergrund des Saales rieb sich Inspektor McGrath das Kinn und sagte grimmig: „Ich bin sicher, dass er schon eine Menge Gesetze gebrochen hat, Mister Corday.“

„Ganz und gar nicht“, widersprach Corday ungeduldig. „Er betätigt sich als Wahrsager und betreibt keine schwarze Magie. Er ist ein Gelehrter. Ich wollte, ich hätte einen Teil seiner Fähigkeiten.“

McGrath grinste und äußerte: „Ich glaube, ich weiß, weshalb. Morgen stehen Sie vor Gericht diesem Tony Quinn gegenüber, und ich habe gehört, dass der Bursche einiges los hat. Er ist ja selbst Staatsanwalt und kennt daher alle Tricks.“

„Behalten Sie Ihre Meinung gefälligst für sich, Inspektor! Wir gehen jetzt!“, fuhr Corday ihn grob an.

„Wie Sie wollen“, seufzte McGrath ergeben. „Wir sind hierhergekommen, um zu sehen, ob dieser Jules Ledoux die Macht hat, jemand dazu zu zwingen, etwas zu tun, was er normalerweise nicht tun würde. Das kann er, denn an mir hat er es bewiesen. Mir tut jetzt noch der Rücken weh. Also ‒ wie steht es nun? Barlow war ein Schüler von Ledoux. Glauben Sie, dass Ledoux ihn zu diesem Raub veranlasst hat?“

„Selbst, wenn er das getan hat“, sagte Corday nachdenklich, „können wir Ledoux nichts anhaben. Er ist kein Scharlatan, Inspektor. Er kann wirklich den Willen eines anderen Menschen beeinflussen. Wir haben es gesehen, aber wie weit das geht, ist uns immer noch ein Geheimnis. Gute Nacht. Inspektor!“

Kapitel 2 – Die Herausforderung

Das Kriminalgericht, Abteilung 4, war am folgenden Morgen nur mäßig besucht. Inspektor McGrath saß auf einem der harten Holzstühle. Er trat nicht gern vor Gericht auf. Staatsanwalt Corday hatte soeben sein ­Plädoyer beendet und verlangte eine zehnjährige Strafe für einen Verbrecher. Das Urteil lautete auf fünf Jahre Zuchthaus, und Corday lächelte befriedigt. Er pflegte immer das doppelte Strafmaß dessen zu verlangen, was er als Richter verhängt hätte, und war damit bisher stets gut gefahren.

Der Gerichtsschreiber rief den nächsten Fall auf, den letzten des heutigen Tages. „Der Staat Illinois gegen Byron Nash.“

Corday sah sich mit saurer Miene im Gerichtssaal um. „Die Anklagevertretung ist bereit, Hohes Gericht, wenn der Verteidiger und der Angeklagte je hier auftauchen sollten.“

Die Flügeltüren des Gerichtssaals öffneten sich, und zwei Männer traten ein. Einer von beiden war hochgewachsen. Er sah gut aus und hielt sich sehr aufrecht. Seine Augen blickten starr und verschleiert, und seine Schritte waren die tastenden Schritte eines Blinden. Er lehnte sich auf den Arm eines etwas kleineren Mannes, der völlig kahl war, schlank, vielleicht vierzig Jahre alt und den Namen Silk Kirby trug.

Der Blinde war Tony Quinn, Staatsanwalt für Sonderaufgaben. Die Verletzungen, die zu seiner Erblindung führten, hatte er in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten davongetragen. Ein verzweifelter Verbrecher hatte versucht, wichtiges Beweismaterial dadurch zu vernichten, als er eine Säureflasche darauf warf. Tony Quinn, der dies zu verhindern versucht hatte, war von der Säure im Gesicht getroffen worden und erblindet.

Hinter den beiden Männern kam der Angeklagte, ein verängstigt dreinsehender junger Mann. Quinn und der Angeklagte nahmen Platz. Silk Kirby hätte sich beinahe neben Inspektor McGrath gesetzt, sah aber plötzlich, was er zu tun im Begriffe war und suchte sich einen anderen Platz, einige Meter von dem Inspektor entfernt.

Corday nahm das Wort. Der junge Mann stand unter der Anklage, Modeschmuck im Wert von zwanzig Dollar gestohlen zu haben. Quinn erklärte im Auftrag seines Klienten sein „Nichtschuldig“ und lehnte sich zurück, während Corday den Fall vortrug.

Normalerweise hätte der Staatsanwalt einen derartig unwichtigen Fall nie übernommen, aber Corday hatte Quinn noch nie gemocht. Sie hatten schon oft vor Gericht juristische Schlachten ausgetragen, die Quinn gewöhnlich gewonnen hatte. Diesmal war Corday überzeugt, dass Quinn der Verlierer sein würde.

Ein Polizist trat in den Zeugenstand, bestätigte, die Verhaftung durchgeführt zu haben, und identifizierte ein auffälliges, kleines Halsband, von dem er ­behauptete, dass der Angeklagte es gestohlen habe. Auch der Eigentümer des Juweliergeschäftes identifizierte das Halsband. Quinn machte keine Anstalten, die Zeugen zu verhören. Als Corday den Besitzer des Juwelier­geschäftes aus dem Zeugenstand entließ, erhob sich der blinde Anwalt und wandte den Kopf in Cordays Richtung.

„Darf ich das Halsband anfassen?“, bat er. „Meine Finger ersetzen mir die Augen.“ Corday gab es ihm. Quinn betastete den billigen Schmuck, seufzte und legte das Halsband auf den Tisch. „Ist die Beweisaufnahme abgeschlossen?“, erkundigte er sich.

Obwohl Corday mit einem Trick rechnete, ging er Quinn doch in die Falle. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich wüsste nicht, welche weiteren Beweise wir noch brauchen sollten. Der Fall liegt doch ganz klar. Das Halsband ist von Zeugen identifiziert worden, die sogar zu berichten wussten, wie es gestohlen wurde. Natürlich ist die Beweisaufnahme von meiner Seite aus beendet.“

Quinn lächelte. „Danke schön, Mister Corday. Sie behaupten also, dass von meinem Klienten ein Halsband gestohlen wurde. Welches Halsband?“

Cordays Gesicht rötete sich, als er nach dem billigen Schmuck griff. „Das hier natürlich“, bellte er.

Quinns Stimme wurde noch sanfter. „Aber Mister Corday, soweit ich mich erinnere, ist kein Halsband als Beweisstück eingetragen worden. Man hat es identifiziert, aber ich bin überzeugt, dass der Gerichtsschreiber es weder als Beweisstück markiert noch auch nur ein Wort aufgenommen hat, in dem es als Beweisstück gekennzeichnet wird. Und ‒ Sie haben die Beweisaufnahme abgeschlossen. Erinnern Sie sich? Wie können Sie denn ohne ein Corpus delicti ein Urteil aussprechen?“

Corday sprang auf. „Hohes Gericht, das sind Taschenspielerkunststückchen niedrigster Art. Mein Gegner ist zwar Staatsanwalt, in diesem Falle aber operiert er wie ein Winkeladvokat. Er versucht, sich wegen lächerlicher technischer Details einen Vorteil zu verschaffen. Das ist unerhört!“

Der Richter räusperte sich und unterdrückte ein Lächeln. „Mir scheint, dass die Verteidigung völlig im Recht ist“, sagte er. „Es ist kein Beweisstück eingetragen, und dieses Gericht hält sich an die Gesetze.“

Quinn erhob sich schnell. „Hohes Gericht“, sagte er, und seine Augen waren auf eine Stelle etwas links vom Richterstuhl gerichtet. „Ich gestehe, dass ich die Nachlässigkeit des Anklagevertreters ausgenutzt habe. Ich arbeite gewöhnlich nicht mit solchen Tricks, aber in diesem besonderen Fall, glaube ich, wird man es mir nicht nachtragen. Der Angeklagte ist achtzehn Jahre alt. In vier Tagen soll er in die Armee eintreten. Eine Vorstrafe ‒ selbst mit Bewährung ‒ würde sich nachteilig für ihn auswirken. Und die Tat war wirklich unbedeutend. Bedenken Sie doch bitte, ein junger Mann, der eingezogen wird und zu arm ist, um seinem Mädchen ein Geschenk machen zu können …“

Corday sprang auf, aber der Richter ließ ihn nicht zu Wort kommen. Quinn fuhr fort, scheinbar, ohne die Unterbrechung bemerkt zu haben: „Der Angeklagte, Euer Ehren, hatte kein Geld ‒ keinen Cent. Er ging in das Juweliergeschäft, nur um zu sehen, ohne die leiseste Hoffnung, etwas kaufen zu können. Die Ladentische waren mit diesem ‒ eh ‒ billigen Tand überhäuft. Und da strauchelte mein Mandant ‒ zum ersten Male in seinem Leben. Und außerdem ‒ er stellte sich so ungeschickt an, dass man ihn dabei ertappte. Ferner hat man festgestellt, dass seine Beute den geradezu lächerlichen Wert von nur einem Dollar und 30 Cent hat! Ich danke Ihnen, Euer Ehren.“

„Der Angeklagte ist wegen Mangels an Beweisen freigesprochen“, erklärte der Richter und trat aus dem Richterstuhl.