Die Schwarze Fledermaus 38: Tödliches Vermächtnis - G.W. Jones - E-Book

Die Schwarze Fledermaus 38: Tödliches Vermächtnis E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Tony Quinn wird nachts in sein Büro gebeten, das im 16. Stockwerk eines Wolkenkratzers liegt, als ein Schatten an seinem Fenster in die Tiefe fällt. Nachdem die Identität des Toten ermittelt wurde, erforscht Quinn die mysteriösen Hintergründe.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 38

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

6031 – Auf höchsten Befehl von A. S. Jones

6032 – Die weiße Hexe von G. W. Jones

6033 – Samariter des Todes von G. W. Jones

6034 – Mordgeschäfte von G. W. Jones

6035 – Auf falscher Fährte von G. W. Jones

6036 – Der Mann im Koffer von G. W. Jones

6037 – Bunte Steine von G. W. Jones

6038 – Tödliches Vermächtnis von G. W. Jones

G. W. Jones

Tödliches Vermächtnis

Aus dem Amerikanischenvon W. Arnemann

Das Abenteuer Tödliches Vermächtnis erschien im Herbst 1945 unter dem Titel Murder Among the Dying in dem amerikanischen Magazin Black Book Detective.

Tony Quinn

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-038-3Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

1. Kapitel

Es begann zu regnen, als eine große Limousine vor dem Wolkenkratzer vorfuhr, in dem Tony Quinn, Staatsanwalt für besondere Aufgaben, sein Büro hatte.

Tagsüber herrschte hier reger Verkehr. Aber um diese späte Abendstunde lag das ganze Büroviertel ziemlich ausgestorben da.

Der Fahrer stieg aus, schlug den Mantelkragen hoch, um sich gegen den Regen zu schützen, ging um den Wagen herum und öffnete die rückwärtige Tür. Er streckte die Hand aus, um seinem Fahrgast beim Aussteigen zu helfen.

Dieser brauchte Hilfe – denn er war blind.

Ein Polizist kam auf seinem Streifengang vorbei. Er blieb einen Augenblick stehen und grüßte respektvoll

„’n Abend, Mister Quinn. Kann ich Ihnen behilflich sein? Ich bin Mike O’Keefe, Sir.“

Der blinde Staatsanwalt nickte.

„Guten Abend, O’Keefe. Ich habe Ihre Stimme gleich erkannt.“

„So spät noch ins Büro, Mister Quinn?“, wunderte sich der Polizist.

Quinn zuckte die Achseln.

„Es ist eine ungewöhnliche Zeit, um ins Büro zu gehen. Aber ein Staatsanwalt für besondere Aufgaben kommt eben Tag und Nacht nicht zur Ruhe. Scheußliches Wetter, nicht?“

„Scheußlich“, bekräftigte der Polizist. „Gute Nacht, Mister Quinn!“

Silk Kirby, Quinns Fahrer und Begleiter, warf die Wagentür zu und führte seinen Herrn zum Eingang.

Er sagte halblaut: „Wenn Sie mich fragen, Sir – ich finde es verrückt, bei dem Wetter in die Stadt zu fahren – noch dazu auf einen anonymen Brief hin. Wer kann Sie für halb zwölf Uhr nachts in Ihr Büro bestellt haben? Ich halte das Ganze für einen schlechten Scherz.“

Quinn antwortete unbeirrt: „Ich habe keinen Anlass, an der Aufrichtigkeit dieses Briefs zu zweifeln. Vielleicht ist der Briefschreiber durch die Umstände gezwungen, eine so ungewöhnliche Stunde zu wählen.“

Das städtische Bürogebäude war über zwanzig Stockwerke hoch. Quinns Büroräume befanden sich im sechzehnten Stock.

Silk führte Quinn zum Lift. Um diese Zeit hatte kein Liftführer mehr Dienst. Quinn bediente den Aufzug selbst und drückte den Knopf zum sechzehnten Stock.

Während sie hinauffuhren, hakte Quinn seinen Blindenstock über den Arm, und sein Ausdruck veränderte sich völlig. Die starren, blicklosen Augen wurden seltsam lebendig. Denn Quinn war keineswegs blind, wie allgemein geglaubt wurde. Im Gegenteil – seine Augen waren bedeutend schärfer als die gewöhnlicher Menschen.

Er sagte: „Ich bin wirklich gespannt, was uns heute erwartet. Vielleicht ein interessanter neuer Fall. Vielleicht bloß das Geständnis eines kleinen Gauners, der Hemmungen hat, sich tagsüber zu stellen.“

Silk lachte und erwiderte: „Wahrscheinlich so was Ähnliches! Ein kleiner Bankkassierer, der beim Rennen verloren und sich an der Kasse vergriffen hat.“

„Wer weiß.“

Der Lift blieb stehen, als sie den sechzehnten Stock erreicht hatten.

Sofort nahmen Quinns Augen wieder den Ausdruck der Blindheit an, sie wurden leer und starr.

Silk öffnete und fasste Quinn am Arm, um ihn zu führen.

Mit der freien Hand streckte Quinn seinen Blindenstock vor und tastete sich den Weg über den Marmor­fußboden des Korridors.

Vor einer der Türen blieb Silk stehen. Die Milchglasscheibe trug Quinns Namen und Amtsbezeichnung.

Silk öffnete, knipste das Licht an, und sie traten ein. Noch fehlten fünfzehn Minuten bis zum Zeitpunkt der Verabredung.

Quinn setzte sich an seinen Schreibtisch und zog den anonymen Brief hervor.

Nachdem Silk sich vergewissert hatte, dass sie allein waren, konnte Quinn es wagen, auch hier die Maske der Blindheit fallenzulassen. Er überlas noch einmal den Brief. „Mister Quinn! Ich muss Sie unbedingt und streng vertraulich sprechen. Bitte seien Sie Dienstagabend um halb zwölf in Ihrem Büro. Ich werde pünktlich kommen. Ich bitte Sie dringend um diese Unterredung. Mein Leben hängt davon ab – vielleicht auch das Leben anderer. Auch muss ich Sie bitten, den Inhalt dieses Briefes für sich zu behalten. Ich kann ihn nicht mit meinem Namen unterzeichnen, das wäre zu gefährlich. Bitte kommen Sie auf jeden Fall! Ich werde versuchen, auch noch auf andere Weise mit Ihnen in Verbindung zu treten, denn mein Anliegen ist für mich von allergrößter Wichtigkeit.“

Quinn studierte die Schrift aufmerksam.

Er bemerkte: „Der Schreiber hat keinen Versuch gemacht, seine Handschrift zu verstellen.“

„Das wenigstens spricht für ihn“, brummte Silk, dem die ganze Sache missfiel.

„Es besagt gar nichts“, meinte Quinn. „Du weißt, Silk, dass ich im Allgemeinen nüchtern denke und nicht viel auf Ahnungen gebe. Aber in diesem Fall habe ich so ein Vorgefühl, als ob der Schreiber sich in einer verzweifelten Situation befände. Ich glaube, wir werden etwas Interessantes zu hören bekommen.“

Aber es wurde halb zwölf – und der Mann, der sie hierher bestellt hatte, zeigte sich nicht.

Quinn zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück und wartete geduldig.

Silk erhob sich, gereizt über die Verspätung des Unbekannten, und schlenderte ans Fenster. Er sah missmutig in den Regen hinaus.

Eine weitere Viertelstunde verging. Immer noch ließ der unbekannte Besucher auf sich warten.

Silk meinte: „Er kommt ja doch nicht mehr, Sir. Entweder es war ein Scherz – oder der Briefschreiber hat sich die Sache anders überlegt. Ich bin dafür, wir geben es auf und fahren nach Hause.“

Aber Quinn schüttelte den Kopf.

„Wir wollen ihm noch etwas Zeit geben.“

„Aber …“

„Versteh doch, Silk. Dem Brief nach steht der Mann unter irgendeinem Druck. Er war nicht einmal sicher, ob es ihm gelingen würde, die Verabredung einzuhalten. Darum wollte er versuchen, noch auf eine andere Weise mit mir Kontakt aufzunehmen. Das heißt doch, dass er sich bedroht fühlt, dass er in einer unmittelbaren Gefahr schwebt. Wir dürfen die Geduld nicht verlieren. Wir warten noch.“

Wieder vergingen ein paar Minuten.

Quinn rauchte ruhig in seinem Sessel, während Silk aus dem Fenster sah.

Plötzlich zuckte Silk zusammen.

Er schrie: „Ein Körper ist eben am Fenster vorbei­gesaust!“

Hastig riss er das Fenster auf und lehnte sich weit hinaus, um in den Hof hinunterzuspähen, der sechzehn Stockwerke tief unten lag. Der Hof war nur spärlich beleuchtet, und der Regen behinderte die Sicht. Silk konnte nichts feststellen.

Er wandte sich ins Zimmer zurück.

„Sehen Sie doch selbst, Sir!“ drängte er. „Niemand wird Sie bemerken.“

Quinn zögerte eine Sekunde, dann eilte er zum Fenster. Seine Augen waren mit der Nachtsichtigkeit eines Nachttiers begabt. Er konnte im Dunkeln ebenso gut sehen wie am hellen Tag.

Rasch beugte er sich aus dem Fenster und warf einen Blick in den Hof hinunter.

Tief unten auf dem Pflaster bemerkte er eine hingestreckte Gestalt. Kein Zweifel – es war ein menschlicher Körper.

Quinn zog sich vom Fenster zurück, nachdem er einen kurzen Blick nach oben geworfen hatte.

„Stimmt, Silk. Es war ein Mensch.“

„Er muss vom Dach gestürzt sein“, bemerkte Silk. „Oder aus einem der Stockwerke über uns. Was nun?“

„Ruf die Polizei an“, entschied Quinn. „Dann fahr mich mit dem Lastenaufzug hinunter. Wir benutzen den Hinterausgang, um in den Hof zu kommen und uns die Leiche anzusehen, bevor die Polizei eintrifft.“

Silk pfiff durch die Zähne.

„Glauben Sie, das war der Mann, der uns hierher bestellt hat?“

„Kommt mir etwas unwahrscheinlich vor“, meinte Quinn. „Was sollte er in einem der oberen Stockwerke gesucht haben, wenn er zu mir wollte? Mein Name und die Nummer meines Büros stehen unten in der Halle auf der großen Tafel. Aber auf jeden Fall wollen wir uns den Mann einmal ansehen.“

Silk rief die Polizei an und meldete den Vorfall. Dann fuhren sie hinunter und schlüpften durch den ­Hinter­ausgang in den Hof hinaus, in dem die Leiche lag.

Der Mann war etwa dreißig Jahre alt, mittelgroß, unauffällig, aber nicht billig gekleidet, Quinn schätzte allein den Preis seiner Krawatte auf gut zehn Dollar. Seine braunen Schuhe waren auf Hochglanz poliert und von bestem Leder.

Quinn untersuchte die Leiche flüchtig. Es war nur wenig oder gar kein Blut ausgetreten, aber jeder einzelne Knochen schien zerschmettert. Arme und Beine waren auf groteske Weise verdreht.

Quinn bat Silk: „Gib Acht, dass wir nicht überrascht werden. Ich möchte ihn mir näher ansehen.“

Er öffnete den Mantel des Toten und stellte fest, dass das Firmenzeichen herausgetrennt war. Eine Durch­suchung der Taschen ergab nichts. Sie waren völlig leer. Nicht einmal ein Taschentuch oder eine Streichholzschachtel waren zu finden.

Einer Eingebung folgend, drehte Quinn die Hände des Toten um, die mit den Handflächen nach unten lagen. Er ließ einen überraschten Ausruf hören.

Bevor Silk noch eine Frage stellen konnte, näherten sich Schritte.

Quinn richtete sich auf und zog sich zurück. Wieder verschleierte sich sein Blick, wurde starr und leblos. Er stützte sich schwer auf seinen Blindenstock und nahm die hilflose, unsichere Haltung des Blinden an.

Silk blieb neben der Leiche stehen und suchte neu­gierig nach der Ursache von Quinns Erstaunen.

Und dann sah auch er es. Die Handflächen des Toten wiesen zahlreiche Flecken in verschiedenen leuchtenden Farben auf. Mehrere Schattierungen von Rot und Blau, ein helles Grün, Gelb und Violett.

Es sah aus, als hätte der Mann in die Palette eines Malers gegriffen.

Zwei Polizisten kamen angelaufen. Bald darauf folgten noch einige andere.

Quinn erklärte, er hätte mit Silk noch spät in seinem Büro zu arbeiten gehabt. Silk habe die Gestalt am Fenster vorbei fallen sehen. Natürlich musste der Mann durch den Sturz aus solcher Höhe auf der Stelle getötet worden sein.

Ein Polizeisergeant meinte: „Ein Selbstmörder also. Man müsste feststellen, von wo aus er gesprungen ist. Wenn er gerade an Ihrem Fenster vorbeikam, Mr. Quinn, dann muss er aus dem Zimmer direkt über dem Ihren gesprungen sein.“

Sie fanden das betreffende Büro leicht, denn die Scheibe, die den oberen Teil der Tür bildete, war zer­brochen. Offenbar hatte der Selbstmörder sie eingedrückt, um sich Einlass zu verschaffen.

Das Fenster des Büros stand weit offen.

Auf dem Teppich waren deutlich die nassen Spuren zu sehen, die ein Paar Schuhe hinterlassen hatten.

Der Sergeant schnalzte mit der Zunge.

„Er muss verrückt gewesen sein! Sie können das nicht sehen, Mister Quinn. Aber es ist klar, dass er mit der Absicht hierher kam, Selbstmord zu begehen. Er brach in das Büro ein, öffnete das Fenster und sprang einfach hinaus. Spuren eines Kampfes sind nicht vorhanden. Er kann sich auch nicht lange in dem Büro aufgehalten haben, denn offenbar war er triefend nass, als er ankam. Und es regnet ja noch nicht lange. Vorher hatte es nur genieselt. Seine nassen Fußspuren sind deutlich zu sehen.“

Quinn schüttelte traurig den Kopf.

„Scheußlich. Es gibt nichts Unsinnigeres als Selbstmord. Haben Sie irgendetwas an dem Toten gefunden, das ermöglicht, ihn zu identifizieren?“

„Bis jetzt nicht, Sir“, antwortete der Sergeant. „Wir bringen ihn jetzt ins Leichenschauhaus. Dort wird er noch gründlicher untersucht werden. – Na, ich glaube, das ist alles. Gute Nacht, Sir! Und vielen Dank für die Hilfe!“

Silk nahm Quinn am Arm und führte ihn über den Fußboden, der mit Glasscherben bedeckt war.

Sie fuhren mit dem Lift die zwei Stockwerke bis zu Quinns Büro hinunter. Quinn hatte die Tür offengelassen für den Fall, dass sich der angemeldete Besucher doch noch einfinden sollte. Aber niemand erwartete sie.

Silk schloss und versperrte die äußere Bürotür von innen.

Er fragte: „Glauben Sie, Sir, dass das der Mann war, der uns besuchen wollte?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Quinn langsam. „Noch nicht. Eines macht mich stutzig, die Art, wie die Glasscheibe der Tür zerbrochen wurde. Nicht einfach eingedrückt, sondern völlig zerschmettert. Und jemand scheint absichtlich auf den Glasscherben herumgetrampelt zu haben, bis nur noch kleine Splitter übrig waren. Warum wohl?“

Silk zuckte die Achseln.

„Manchmal zerbricht Glas so gründlich. Das finde ich nicht weiter auffällig. Was mich wundert ist, dass sich an dem Toten nichts findet, was ihn identifizieren könnte. Na ja, manche Selbstmörder legen Wert darauf, nach ihrem Tod nicht identifiziert zu werden. Sollen wir noch länger warten, Sir?“

Quinn warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie hatte kein Glas, so dass er auch dann, wenn er den Blinden spielte, durch Betasten die Zeit feststellen konnte. Aber jetzt, da er sich unbeobachtet wusste, erübrigte sich dieses Manöver.

Die Uhr zeigte zehn vor eins.

Er sagte: „Nein, ich glaube nicht, dass es noch Sinn hat, zu warten. Er kommt nicht. Vielleicht ist es doch der Mann, der dort unten im Hof liegt. – Silk, ich konnte keine Spuren eines Kampfes dort oben feststellen. Hast du etwas Derartiges gesehen?“

Aber auch Silk hatte nichts bemerkt

„Nein, Sir. Und ich glaube nicht, dass der Selbstmörder unser Briefschreiber ist. Das alles ist bloß Zufall. Wenn er wirklich den Brief geschrieben hat – warum sollte er dann in das Büro über Ihnen einbrechen und aus dem Fenster springen? Das kommt mir völlig sinnlos vor. Wenn er in Gefahr war und mit allen Mitteln Fühlung mit Ihnen nehmen wollte, so schließt das meiner Meinung nach die Möglichkeit seines Selbstmords aus.“

Quinn runzelte nachdenklich die Stirn.

„Gewiss. Aber ich bin nicht sicher, dass es sich um einen Selbstmord handelt. Mancher Mörder versucht sein Verbrechen so aufzuziehen, dass es wie ein Selbstmord aussieht … Für den Augenblick bleibt uns nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren.“

Sie fuhren mit dem Selbstbedienungslift in die Halle hinunter.

In der Nähe des Ausgangs blieb Quinn stehen, ohne auf den Polizisten zu achten, der an der Tür Wache hielt.

Er fragte: „Hast du eine Zigarette, Silk? Und bitte gib mir gleich Feuer.“

Silk gab ihm die Zigarette und riss ein Streichholz an. Als er es Quinn hinhielt, um ihm Feuer zu geben, flüsterte dieser: „Schau unauffällig nach der Wegweisertafel, Silk. Unsere Büronummer ist geändert. Statt 1620 steht dort 1820 – als ob es im 18. statt im 16. Stock wäre. 1820 aber ist die Nummer des Büros, aus dem der angebliche Selbstmörder sprang – oder geworfen wurde!“

Silk warf einen raschen Blick auf den Wegweiser, ohne jedoch eine Miene zu verziehen.

Sobald Quinns Zigarette brannte, gingen sie an dem Polizisten vorbei, der höflich grüßte und ihnen die Tür öffnete.

Erst als sie im Wagen und unterwegs waren, redete Silk wieder.

„Ich nehme alles zurück, Sir! Jetzt bin ich sicher, dass der angebliche Selbstmörder der Mann war, der Sie sprechen wollte! Jemand muss von seinem Vorhaben gewusst haben. Und dieser Jemand wechselte die Nummern auf der Wegweisertafel aus, um sein Opfer in das falsche Büro zu locken und dort zu ermorden. Ja, es war Mord!“

2. Kapitel

Sie fuhren zu dem ruhigen, vornehmen Wohnviertel, in dem sich Tony Quinns Haus befand.

Es lag am Ende einer mit Alleebäumen gesäumten Straße und war von einem großen, gut gepflegten Garten umgeben.

Silk bog in den Fahrweg zur Garage ein, stieg aus und öffnete die Garagentür. Dann eilte er durch den strömenden Regen zum Wagen zurück und fuhr diesen mit Quinn in die Garage. Er half dem Blinden beim Aussteigen, wie gewöhnlich. Quinn behielt die Verhaltungsweise eines Blinden bei, wann immer er mit einem heimlichen Beobachter rechnen musste. Er stieg unbeholfen aus und tastete sich mit seinem Blindenstock dem Garagenausgang zu.

Unterwegs blieb er stehen und entledigte sich seines Huts und Mantels.

„Das Zeug ist ganz durchnässt, Silk“, sagte er. „Wir nehmen es lieber nicht mit ins Haus. Häng es hier in der Garage an den Haken. Du kannst mir den alten Regenmantel über die Schulter werfen, der hier irgendwo hängen muss.“