Die Schwarze Fledermaus 48: In der Stadt lauert der Tod - G.W. Jones - E-Book

Die Schwarze Fledermaus 48: In der Stadt lauert der Tod E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Tony Quinn steht vor einem scheinbar unlösbaren Rätsel. Ein hochgeschätzter Geschäftsmann wurde auf offener Straße erschossen. Ein Tatverdächtiger kann nicht ermittelt werden.Doch dann meldet sich eine alte Dame. Sie möchte Quinn den Namen des Mörders jedoch nur unter einer Bedingung verraten.Für die Schwarze Fledermaus beginnt ein mörderischer Trip in eine Stadt des Verbrechens.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 48

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

6031 – Auf höchsten Befehl von A. S. Jones

6032 – Die weiße Hexe von G. W. Jones

6033 – Samariter des Todes von G. W. Jones

6034 – Mordgeschäfte von G. W. Jones

6035 – Auf falscher Fährte von G. W. Jones

6036 – Der Mann im Koffer von G. W. Jones

6037 – Bunte Steine von G. W. Jones

6038 – Tödliches Vermächtnis von G. W. Jones

6039 – Verräterische Spuren von G. W. Jones

6040 – Regie des Todes von G. W. Jones

6041 – Wer überlebt, stirbt! von G. W. Jones

6042 – Quinn unter Verdacht von G. W. Jones

6043 – Wölfe jagen im Rudel von G. W. Jones

6044 – Das Versteck am See von G. W. Jones

6045 – Johnny Hampelmann von G. W. Jones

6046 – Der Todeskandidat von G. W. Jones

6047 – Der vergessene Mord von G. W. Jones

6048 – In der Stadt lauert der Tod von G. W. Jones

6049 – Die Giftschlange von G. W. Jones

6050 – Geister der Vergangenheit von G. W. Jones

G. W. Jones

In der Stadt lauert der Tod

Aus dem Amerikanischenvon Harald Gehlen

Das Abenteuer In der Stadt lauert der Tod erschien im Dezember 1947 unter dem Titel City of Hidden Death in dem amerikanischen ­Magazin Black Book Detective.

Silk Kirby

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-048-2

Kapitel 1 – Der Handel

Der Mann, der aus dem Lift trat, war von untersetzter Gestalt. In seinem runden Gesicht befand sich ein dünn gestutzter Schnurrbart unter einer Nase mit breiten Löchern. Seine Kleidung war korrekt, so korrekt ein Anzug von der Stange eines günstigen Männer­bekleidungsgeschäftes eben sein konnte. Er trug eine Melone mitten auf dem Kopf, und ein finsterer Blick umspielte seine Züge.

In seiner Tasche befand sich ein Lederetui, in dem er ein goldenes Abzeichen aufbewahrte, auf dem zu lesen stand: Polizeidienststelle – Captain.

Sein Name lautete McGrath, und er war einer der energischsten, ehrlichsten und entschlossensten Männer, die für die Chicagoer Polizei arbeiteten. Er kleidete sich wie ein Bankangestellter und ließ sich von niemandem ein­reden, eher wie ein Polizist aus einem Leinwandkrimi denn wie ein echter Bulle auszusehen.

Er näherte sich einer Tür, auf der die Worte Anthony Quinn, Bezirksstaatsanwalt mit Sonderbefugnissen zu lesen waren. McGraths Mimik wirkte fast noch ein wenig entschlossener denn zuvor, als er den zentralen Büroraum betrat und den Mitarbeitern höflich zunickte. Ihm wurde sofort Einlass in Tony Quinns Einzelbüro gewährt.

Der Mann, der ihm die Tür öffnete, war mittelgroß und warf McGrath aus ungewöhnlich klaren blauen Augen einen eiskalten Blick zu. Sein Begrüßungslächeln strahlte mehr Höflichkeit als Freundlichkeit aus, und er verbeugte sich leicht vor dem Polizeibeamten.

„Hallo Silk‟, grummelte McGrath und setzte seine Schritte fort, bis er vor dem Schreibtisch zum Stehen kam.

Hinter dem Schreibtisch saß eine seltsame Gestalt. Kräftig gebaut und gut gekleidet. Seine Augen – die eines blinden Mannes – starrten ins Leere. Um die Augen herum befanden sich tiefe Krater, als wäre die Augen­partie durch Säure oder Feuer entstellt worden.

Es handelte sich um Tony Quinn, den blinden Anwalt, der nun das Amt eines Bezirksstaatsanwalts mit Sonderbefugnissen übernommen hatte und für die Fälle verantwortlich war, die den regulären Bezirksstaatsanwalt überfordert hätten. Quinns Erfolgsquote beim Lösen dieser schwierigen Aufgaben war exzellent. Für einen blinden Mann fast schon unheimlich.

„Hallo Mac‟, sagte Quinn. „Wie läuft‛s bei Ihnen?‟

McGrath setzte sich und biss das Ende einer Zigarre ab. Dann zündete er sie an, während er Quinns Gesicht nicht aus den Augen ließ. „Sie wissen verdammt genau, wie es läuft‟, sagte er. „Nämlich gar nicht. Wir stecken fest, und ich sehe keinen einzigen Ausweg aus diesem Stillstand.‟

Quinn nickte. „Das hatte ich befürchtet, Mac. Wenn zwei Tage nach einem Mord vergehen und wir nicht mal auf den kleinsten Hinweis stoßen, wächst die Erkenntnis, dass dieses Verbrechen eventuell zu den wenigen Fällen gehört, die wir nicht lösen können. Fassen Sie nochmal zusammen, was Sie wissen.‟

McGrath paffte langsam an seiner Zigarre. „Vor zwei Nächten wurde John Powell tot vor dem Haus 1121 Wakefield Avenue gefunden. Ihm wurde zweimal in den Kopf geschossen, zweimal ins Herz, und zwei weitere Kugeln wurden in seinem Bauch gefunden. Die Schüsse ins Herz geschahen aus nächster Entfernung. Die weiteren Kugeln trafen ihn, als er bereits auf dem Bürgersteig lag. Niemand hat die Tat beobachtet. Niemand hat die Schüsse gehört. Sie wurden aus einer Kleinkaliberpistole abgefeuert und haben sich wohl angehört wie ein Motor, der bei sechs Startversuchen nicht anspringt.‟

Quinn entgegnete: „Wir können davon ausgehen, und das sind wir bisher auch, dass es sich um einen Mord aus starkem Hass handelt. Die vielen Schüsse beweisen das. Aber wir konnten nicht herausfinden, dass John Powell jemals in seinem Leben Feinde hatte. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die von allen gemocht wurden.‟

„Es gibt keine Spur ... nichts‟, sagte McGrath. „Die Straße war menschenleer. Ich habe mit jedem gesprochen, der in der Nähe des Tatorts wohnt, und alle haben mir versichert, dass sie weder etwas gesehen noch gehört haben. Es gibt kein Motiv und weit und breit keinen Verdächtigen. Dieser Fall wird nie gelöst werden, Tony.‟

Quinn lehnte sich zurück. „Vielleicht haben Sie recht, Mac. Ich bezweifle, dass selbst die Schwarze Fledermaus eine Spur finden könnte.‟

„Wird er es denn versuchen?‟

„Warum fragen Sie mich das? Ich bin nicht die Schwarze Fledermaus, auch wenn Sie davon überzeugt sind. Die Schwarze Fledermaus, Captain, verfügt über zwei hervorragende Augen. Ich habe sogar davon gehört, dass er die Fähigkeit besitzt, in völliger Dunkelheit sehen zu können. Und ich bin blind wie ein Maulwurf, ich lebe in der Dunkelheit.‟

„Lassen Sie uns das Thema wechseln‟, sagte McGrath schnell. „Ich renne bei diesem Mordfall seit zwei Tagen gegen die Wand. Ich bin nicht in der Stimmung, mit Ihnen zu streiten, und ich bin mir sicher, dass die Schwarze ­Fledermaus auch nicht mehr erreichen könnte. Wie sieht der nächste Schritt aus?‟

Quinn zuckte mit den Schultern. „Wird es denn überhaupt einen nächsten Schritt geben? Man kann kein Verbrechen aufklären, bei dem es weder Indizien noch ein Motiv gibt. Mac, als Sie mit den Nachbarn gesprochen haben, haben Sie da auch eine ältere Dame namens Lydia Barr befragt, die im Erdgeschoss des Hauses 1125 ­Wakefield Avenue wohnt?‟

„Ich habe nicht mit ihr gesprochen, Tony. Ich habe mit ihrem Enkel und einem alten Mann im Rollstuhl gesprochen. Sie haben mir gesagt, die alte Dame sei zu alt, um Besuch zu bekommen. Die beiden wussten nichts von einem Mord und hatten noch nie von John Powell gehört.‟

Quinn griff nach seiner Pfeife und entzündete den Tabak. Durch den Rauch hindurch, der daraufhin den Raum durchzog, sagte er: „Ich frage mich, warum die alte Dame mich angerufen und gebeten hat, sie zu besuchen. Es klang sehr dringend, und ich soll erst nach ­Sonnenuntergang bei ihr sein. Es kann natürlich einen anderen Grund haben, aber da sie so nah am Tatort wohnt … nun, ich werde sie auf jeden Fall besuchen.‟

McGrath stand auf. „Lassen Sie mich wissen, ob sie irgendwelche Infos hat, Tony. Ich mach mich jetzt auf dem Weg nach Hause, meine Frau sagt, dass sie mich kaum noch kennt, weil ich so viel arbeite. Wir sehen uns.‟

Er verließ das Zimmer. Silk Kirby schloss die Bürotür, setzte sich in den Stuhl, in dem bis eben McGrath gesessen hatte, und lächelte. In diesem Moment geschah eine seltsame Verwandlung mit Tony Quinns Augen. Der leere Blick verschwand und wirkte auf einmal klar und gesund. Er griff nach frischem Tabak, ohne danach tasten zu müssen.

„Ich habe meine Untersuchungen zu Lydia Barr beendet, Sir‟, sagte Silk Kirby.

„Gut. Was hast du herausgefunden, Silk?‟

„Ihr Leben ist sozusagen eine Reise durch die Geschichte der nördlichen Staaten unseres Landes, Sir. Sie ist über 80. Sie wurde in Barrtown geboren, eine Stadt, die ihr Vater gegründet hat. Nach seinem Tod gehörte ihr dort alles. Die Banken, zumindest die meisten davon, die drei großen Fabriken, die alle möglichen Sportartikel herstellen, und die Bibliothek, die ihre Familie jahrelang als eine öffentliche Institution betrieben hat. Kurz, Lydia Barr war Barrtown. Sie hat jung geheiratet und hatte zwei Kinder, von denen nur noch eine Tochter lebt. Sie hat einige Enkel. Als ihr Ehemann starb, nahm sie wieder ihren Mädchennamen an, weil er in der Stadt so bekannt war.‟

Quinn rieb sich das Kinn. „Sie scheint am Ende einer langen Familiendynastie zu stehen. Wer hat heute in der Stadt das Sagen?‟

„Ihr Schwiegersohn. Ein Typ namens Lou Varden. Er ist fähig, effizient und ehrlich. Heute lebt Mrs. Barr in der Nähe des Tatortes von vorletzter Nacht. Ich bezweifle sehr, dass sie etwas darüber weiß. Dieser John Powell war, meines Wissens nach, noch nie in Barrtown oder kannte jemand von dort.‟

„Mrs. Barr könnte trotzdem etwas beobachtet haben‟, entgegnete Quinn.

„Ich war noch nicht ganz fertig. Sie stirbt. Die Ärzte sagen, dass sie nur noch ein paar Tage zu leben hat.‟

„Wir werden heute zum Abendessen ausgehen‟, sagte Quinn. „Ein entspanntes Dinner. Nach Sonnenuntergang rufen wir Mrs. Barr an, so wie sie es gewünscht hat.‟

Silk seufzte. „Ich hoffe nur, dass sie etwas über den Mord weiß, Sir.‟

„Ich hoffe es auch, sonst sind wir aufgeschmissen, Silk. John Powell war ein wichtiger Mann mit ­beträcht­lichem Einfluss. Du hast mitbekommen, was McGrath mir erzählt hat. Es gibt nicht mal den Hauch einer Spur.‟

Jemand öffnete die Bürotür, und Quinns Blick wurde augenblicklich leer und ging ins Nichts. Ein Angestellter brachte Unterlagen vorbei. Silk nahm sie an, setzte sich wieder hin und las sie Quinn vor, der anschließend zu einem Diktiergerät griff und begann, hineinzusprechen. Silk Kirby agierte als Quinns Augen, solange jemand in der Nähe war, da Tony Quinn die Illusion ­aufrechterhalten musste, blind wie ein Maulwurf zu sein.

*

Um 20.30 Uhr hielt Silk vor dem Haus 1125 Wakefield Avenue. Im Erdgeschoss eines riesigen Gebäudes befand sich die Wohnung von Lydia Barr. Vor ihren Fenstern befanden sich dicke Gitterstäbe.

Ein Mann von Mitte zwanzig ließ sie herein. Er hatte rosa Wangen, zarte Haut, recht kleine blaue Augen und sah aus wie ein ewiger Jugendlicher. Er stellte sich selbst als Edward Ware vor.

„Lydia ist meine Großmutter‟, erklärte er. „Um ehrlich zu sein, sie sollte momentan keinen Besuch empfangen. Aber Sie sind Anwalt, und vielleicht möchte sie ein paar Änderungen an ihrem Testament vornehmen. Bitte folgen Sie mir.‟

Er führte sie durch ein wunderschön möbliertes Wohnzimmer mit Sesseln und Sofas aus Brokat, in dem zwei große Pianos und eine Orgel standen. Auf dem Boden lag ein bernsteinfarbener Teppich, der so dick war, dass man bis zu den Knöcheln darin versank. Woran Lydia Barr auch immer litt, Armut war es nicht.

Quinn hielt sich mit einer Hand an Silks Arm fest und einen weißen Gehstock schräg von sich abgespreizt, um unerwartete Hindernisse mit der anderen Hand zu ertasten. Sie kamen an einem hageren, weißhaarigen Mann vorbei, der in einem Rollstuhl saß. Quinn tat natürlich so, als hätte er den Mann nicht gesehen.

Der Mann in dem Rollstuhl sprach mit zorniger Stimme. „Edward, wer sind diese Männer?‟

Der junge Mann blieb stehen, und Quinn prallte gegen ihn, murmelte eine Entschuldigung und ließ sich von Silk dabei helfen, zur Seite zu treten.

„Das ist Anwalt Quinn‟, sagte Edward Ware. „Mr. Quinn, das ist Bernard Rogers, ein Vetter von Lydia Barr.‟

Quinn begrüßte den Weißhaarigen höflich. Rogers starrte ihn an. „Sie sind blind, oder? Was nutzt einem ein blinder Anwalt? Wer hat gesagt, dass Lydia ihn sehen möchte?‟

„Sie selbst‟, sagte Ware. „Sie hat mir gesagt, dass sie ihn erwartet.‟

Quinn setzte einen ernsten Gesichtsausdruck auf. „Lydia Barr rief mich an und hat diesen Termin mit mir ausgemacht, Mr. Rogers. Es tut mir leid, dass Sie nichts von einem blinden Anwalt halten. Vielleicht sieht Lydia Barr das anders.‟

„Sie ist nicht mehr ganz bei klarem Verstand‟, entgegnete Rogers wütend. „Die Frau stirbt. Sie ist eine sture, stolze, egozentrische Frau, die nicht weiß, wann es so weit ist aufzugeben, wenn ihre Zeit gekommen ist. Nun, Edward, führ die Herren zu ihr hinein. Ich bin mir sicher, dass ich nie mit einem blinden Mann Geschäfte machen würde.‟

Sie betraten ein Zimmer, in dem Quinn sofort auffiel, dass es zwei Fenster besaß, von denen man direkt auf die Straße gucken konnte. Von diesen Fenstern aus hätte man den Mord an John Powell so gut beobachten können, als säße man in der fünften Reihe im Publikum eines Theater­stücks.

Das Zimmer lag im trüben Schein einer Tischlampe. Das matte Licht fiel auf ein Bett, in dem eine Frau lag. Sie sah aus wie hundert Jahre alt. Dürr, schwach und zerbrechlich. Ihr weißes Haar war mühevoll zu Zöpfen geflochten mit Schleifen an den Enden. Ihre Augen waren verschlossen, ihre Brust hob und senkte sich kaum merklich.

„Großmutter‟, sagte Edward Ware vorsichtig, „Mr. Quinn ist hier.‟

Die alte Dame öffnete ihre Augen nicht, als sie sprach. „Geh raus, Edward. Geh raus und bleib draußen. Wer ist der Mann bei Ihnen, Mr. Quinn?‟Tony Quinn bemerkte, dass sie ihre Augen einen Spalt breit geöffnet hatte. Er antwortete: „Sein Name ist Kirby, Madame. Er arbeitet für mich, und er ist mein Freund. Ich bin vollkommen blind, und ich brauche jemanden, der mich begleitet.‟

„In Ordnung, wenn Sie ihm vertrauen, kann ich das wohl auch. Kirby, machen Sie sich nützlich. Bewegen Sie sich leise zur Tür und reißen Sie sie mit einem Ruck auf. Wenn mein Enkel, mein Vetter oder jemand von der Dienerschaft an der Tür lauscht, treten Sie ihm in den Hintern. Schließen Sie die Tür, drehen Sie den Schlüssel herum, stellen Sie sich mit dem Rücken dagegen und bleiben Sie dort.‟

Silk musste ein Lachen unterdrücken, während er Quinn dabei half, in einem Stuhl neben dem Bett Platz zu nehmen. Dann folgte er der Anweisung. Niemand lauschte an der Tür.

Lydia Barr richtete sich in eine sitzende Position auf. Ihre Augen waren nun weit offen. Ihr Blick wirkte matt, wässrig, aber immer noch aufmerksam genug, um sich ein klares Bild von dem Mann zu machen, der neben ihr saß.

„Sie sind also blind‟, sagte sie. „Gut! Das meine ich nicht so, wie Sie jetzt wahrscheinlich denken. Ich bin froh, dass Sie mich nicht sehen können. Ich war früher eine attraktive Frau, und nun bin ich ausgetrocknet, welk, wie Rosenblätter aus dem letzten Jahr, bereit, vom Wind weggeweht zu werden.‟

Quinn grinste. „So hören Sie sich aber nicht an.‟

Sie lachte. „Zuallererst müssen Sie eines verstehen, Mr. Quinn. Ich leide an einer inoperablen Form von Krebs. Die besten und teuersten Ärzte geben mir noch zwei Wochen. Aber bevor ich sterbe, möchte ich, dass Sie etwas für mich tun. Sie und ein Freund von Ihnen.‟

„Ein Freund von mir?‟

„Die Schwarze Fledermaus‟, flüsterte sie. „Oh, ich weiß, dass er mit Ihnen zusammenarbeitet. So etwas spricht sich herum. Sie beide zusammen sind in der Lage, meinen Auftrag auszuführen. Es ist allerdings sehr gefährlich, besonders für Sie, da Sie blind sind und Ihre Widersacher vollkommen skrupellos.‟„Bitte, fahren Sie fort‟, ermutigte sie Quinn und ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Er war sich absolut sicher gewesen, dass Lydia Barr ihnen den dringend benötigten Durchbruch im Mordfall John Powell liefern würde. Nun schien es ihm, dass sie Quinn aus rein persönlichen Motiven herbestellt hatte.

„Ich sterbe, das ist wahr‟, sagte sie, „aber ich verfüge noch über mehr Energie, als ich mir anmerken lasse. Ich kann immer noch aufstehen und umhergehen, wenngleich mehr schlecht als recht. Aber nun zu unserem Geschäft. Mein Vater hat die Stadt Barrtown gegründet und aufgebaut. Zur Gründungszeit hatte Barrtown 250 Einwohner. Nun leben dort 150.000 Seelen. Mein Vater kontrollierte das Rathaus, die Banken, Schulen, Bibliotheken, Kranken­häuser und, vor allem, die großen Fabri­ken. Als er starb, übernahm ich das alles und machte einen guten Job, wenn ich das von mir selbst sagen darf.‟

„Das kann ich mir gut vorstellen‟, stimmte Quinn ihr zu.

„Danke. Aber die Dinge in Barrtown haben sich geändert, und ich möchte, dass Sie und die Schwarze ­Fledermaus dorthin fahren und für Ordnung sorgen.‟

„Für Ordnung sorgen?‟, hakte Quinn nach.

„Genauso, wie ich es gesagt habe. Ich kann Ihnen keine weiteren Einzelheiten verraten. Oberflächlich betrachtet ist Barrtown ein Vorbild für eine erfolgreiche Stadt, aber unter der Oberfläche wütet das Verbrechen. Dieser Sumpf muss komplett trockengelegt werden. Das ist die Aufgabe, die ich Ihnen anvertrauen will.‟

Quinns Lippen entkam ein leiser Pfiff. „Aber das ist doch keine Aufgabe für mich. Ich habe keine Macht in Ihrer Stadt. Wenn die Situation so schlecht ist, wie Sie sagen, sollte man vielleicht den Gouverneur einschalten.‟

„Der Gouverneur, ja klar‟, fuhr sie ihn an. „Der könnte 100 Ermittler dorthin schicken, nichts herausfinden und glauben, ich hätte den Verstand verloren. Vielleicht glauben Sie das ja auch, Mr. Quinn. Aber das habe ich nicht. Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und weiß, was ich tue. Barrtown muss ausgeräuchert werden, und Sie sind der richtige Mann dafür. Sie und Ihr Freund, die Schwarze Fledermaus. Sie haben zwei Wochen Zeit herauszufinden, was in der Stadt vor sich geht und wer dahintersteckt und den- oder diejenigen der Justiz zu überführen. Zwei Wochen – weil ich danach tot bin und Sie nicht mehr bezahlen kann.‟

„Mich bezahlen?‟ Quinn zog die Stirn in Falten.

„Sie haben doch nicht geglaubt, dass ich Ihnen diese Aufgabe übertragen möchte, ohne mich dafür erkenntlich zu zeigen, Mr. Quinn? Oh, ich weiß, Sie sind ein wohlhabender Mann und brauchen kein Geld. Ich habe auch nicht vor, Sie in bar zu bezahlen. Sie tun, was ich Ihnen aufgetragen habe, kommen zurück und beweisen mir, dass Sie erfolgreich waren – und ich erzähle Ihnen, wer John Powell getötet hat.‟

Quinn atmete langsam aus. „Also wissen Sie doch davon.‟

Sie nickte. „Ich kann nicht schlafen. Wozu brauch ich Schlaf, wenn ich bald für alle Ewigkeit schlafen werde? Nachts sitze ich am Fenster und denke nach. Auch in jener Nacht. Ich sah John Powell vor meinem Fenster und die Person, die ihn getötet hat. Soll ich Ihnen beweisen, dass ich es weiß?‟

„Es würde mich interessieren.‟