Die schwarze Fledermaus 52: Die Lügenmörder - G.W. Jones - E-Book

Die schwarze Fledermaus 52: Die Lügenmörder E-Book

G. W. Jones

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Beschreibung

Eine Familie wird mit dem Tod bedroht. Der Hauptbelastungszeuge muss fürchten, dass er und seine Angehörigen ermordet werden, wenn er vor dem Richter preisgibt, was er gesehen hat.

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DIE SCHWARZE FLEDERMAUSBand 52

In dieser Reihe bisher erschienen:

6001 – Der Anschlag von G. W. Jones

6002 – Der Sarg von G. W. Jones

6003 – Angriff der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6004 – Ein harmloser Fall von Angelika Schröder

6005 – Tote schweigen nicht von Margret Schwekendiek

6006 – Liga der Verdammten von G. W. Jones

6007 – Die Spione von G. W. Jones

6008 – Der Kreuzzug von G. W. Jones

6009 – Der Flammenpfad von G. W. Jones

6010 – Der Sieg der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6011 – Das Trojanische Pferd von G. W. Jones

6012 – Die Spur des Drachen von G. W. Jones

6013 – Das Gesetz der Schwarzen Fledermaus von G. W. Jones

6014 – Das nasse Grab von G. W. Jones

6015 – Stadt in Angst von G. W. Jones

6016 – Der unsichtbare Tod von G. W. Jones

6017 – Die Stimme der Gerechtigkeit von G. W. Jones

6018 – Die Augen des Blinden von G. W. Jones

6019 – Die Todesmaschine von G. W. Jones

6020 – Schatten des Bösen von G. W. Jones

6021 – Teufel ohne Gesicht von G. W. Jones

6022 – Prophet des Todes von G. W. Jones

6023 – Die Morde der Nazi-Spione von G. W. Jones

6024 – Die siebte Kolonne von G. W. Jones

6025 – Millionen für einen Mörder von G. W. Jones

6026 – Die Killer aus dem U-Boot von G. W. Jones

6027 – Die Vampire von Moosehead von G. W. Jones

6028 – Wächter in Schwarz von G. W. Jones

6029 – Rache aus dem Jenseits von M. S. Jones

6030 – Fabrik des Todes von G. W. Jones

6031 – Auf höchsten Befehl von A. S. Jones

6032 – Die weiße Hexe von G. W. Jones

6033 – Samariter des Todes von G. W. Jones

6034 – Mordgeschäfte von G. W. Jones

6035 – Auf falscher Fährte von G. W. Jones

6036 – Der Mann im Koffer von G. W. Jones

6037 – Bunte Steine von G. W. Jones

6038 – Tödliches Vermächtnis von G. W. Jones

6039 – Verräterische Spuren von G. W. Jones

6040 – Regie des Todes von G. W. Jones

6041 – Wer überlebt, stirbt! von G. W. Jones

6042 – Quinn unter Verdacht von G. W. Jones

6043 – Wölfe jagen im Rudel von G. W. Jones

6044 – Das Versteck am See von G. W. Jones

6045 – Johnny Hampelmann von G. W. Jones

6046 – Der Todeskandidat von G. W. Jones

6047 – Der vergessene Mord von G. W. Jones

6048 – In der Stadt lauert der Tod von G. W. Jones

6049 – Die Giftschlange von G. W. Jones

6050 – Geister der Vergangenheit von G. W. Jones

6051 – Der Mordmacher von G. W. Jones

6052 – Die Lügenmörder von G. W. Jones

6053 – Stadt aus Hass von G. W. Jones

6054 – Mord im Rathaus von G. W. Jones

G. W. Jones

Die Lügenmörder

Aus dem Amerikanischenvon Heinz Zwack

Das Abenteuer Die Lügenmörder erschien im September 1948 unter dem Titel The Lying Killers in dem amerikanischen ­Magazin Black Book Detective.

Carol Baldwin

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Harald GehlenTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogogestaltung: Mark FreierIllustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-143-4

Kapitel 1 – Mord um Mitternacht

Paul Sinclair bot seiner Frau den Arm und ging mit ihr hinter den beiden Kindern Arthur und Susan her. Nach einem Abend wie diesem, einer guten Kabarett-­Aufführung und einem guten Abendessen, kam sich Paul Sinclair immer wie der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt vor.

Susan war zwanzig, Arthur achtzehn Jahre alt. Abgesehen von gelegentlichen kleinen Streitereien, verstanden sich die beiden prächtig. Seine Frau war nur zwei Jahre jünger als er ‒ Margaret war fünfundvierzig ‒, aber man sah ihr dieses Alter nicht an. Kurz und gut: Paul Sinclair hatte an seinem Leben nichts auszusetzen.

Der Wagen der Sinclairs stand auf einem öffentlichen Parkplatz. Als sie davorstanden, zögerte Paul etwas. „Wie wär’s noch mit einer Coca-Cola und einem belegten Brot, ehe wir heimgehen?“, fragte er. „Ich lade euch dazu ein, aber ich kann nicht mitkommen. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, ob ich den Stahlschrank im Büro abgeschlossen habe oder nicht. Das plagt mich jetzt schon den ganzen Abend. Ich denke, ich gehe lieber noch einmal nachsehen, sonst kann ich die ganze Nacht nicht schlafen.“

Margaret Sinclair tätschelte ihrem Mann die Hand. „Schon recht, Paul. Wir warten inzwischen dort drüben in der Imbissstube. Ich weiß schon, wie das ist.“

„Ja, vielleicht mache ich mir wirklich zu viele Gedanken darüber. Es ist zwar nichts im Safe, was einen ­besonderen Wert hätte, aber wenn Mister Warin herausbekommen würde, dass er nicht verschlossen war ‒ nun, ihr wisst ja, wie er ist. Ich bin gleich wieder da.“

„Lass dir nur Zeit, Paps“, meinte Arthur grinsend. „Ich bin ja schließlich alt genug, um mit zwei Frauen fertig zu werden.“

Paul lachte. Er ging aus dem Parkplatz heraus und bog in eine Seitenstraße ein. Sein Büro war nur vier Blocks weiter. Wahrscheinlich würde er es hin und zurück schaffen, ehe sie ihre Getränke hatten.

Er pfiff leise vor sich hin. Das war heute wirklich ein netter Abend gewesen, dachte er und passte unwillkürlich seine Schritte dem Rhythmus der kleinen Melodie an, die er pfiff. Wieder ging es um eine Ecke. Jetzt waren es nur mehr drei Straßen. Man konnte das graue Bürogebäude schon von Weitem sehen.

Paul Sinclair ging über die Straße, sah sich nach links und rechts um und erblickte einen uniformierten Stadt­polizisten. Der Beamte trottete langsam dahin und schwang seinen Knüppel. Paul hatte zwar keine Angst, aber der Anblick des Polizisten beruhigte ihn trotzdem. Die Straße war bei Nacht ebenso verlassen, wie sie tagsüber belebt war. In letzter Zeit hatte es eine ganze Menge Überfälle gegeben. Paul schmunzelte. So ein Bursche würde bei ihm genau zwanzig Dollar und ein paar Münzen erben.

Er kam noch eine Straße weiter, und da hörte er den Schuss. Er war bisher im Schatten der Häuser auf dem Bürgersteig gegangen, und da blieb er auch jetzt, um nicht gesehen zu werden.

Paul blieb stehen und blickte die Straße hinunter. Er konnte undeutlich zwei Männer erkennen. Einer davon schien recht unsicher auf den Beinen zu sein ‒ er trat schwankend zwei, drei Schritte vor, ging in die Knie und presste dann die Hände gegen das Pflaster, um sich auf diese Weise abzustützen.

Aber das half auch nichts. Seine Ellbogen versagten ihm den Dienst ebenso wie seine Knie. Sein Kopf war nur mehr einen Viertelmeter über dem Pflaster, aber er fiel, als sei er aus dem zwanzigsten Stockwerk gestürzt.

Paul, der vor Schreck erstarrt war, sah alles mit an. Seine Augen wanderten zu dem zweiten Mann, der immer noch stand. Der Mann hatte etwas Glitzerndes in der Hand. Jetzt schob er es in die Hüfttasche, und Paul erkannte, dass es ein vernickelter Revolver war.

Paul erinnerte sich des Polizisten und wollte schreien. Aber er brachte nichts heraus. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er ging unbeholfen ein paar Schritte weiter und blieb dann wieder stehen. Der Mann mit dem Revolver kniete jetzt neben seinem Opfer und durchsuchte methodisch dessen Taschen. Ob der Niedergestreckte tot war oder nicht, konnte Paul nicht sehen, jedenfalls bewegte er sich nicht mehr. Dann richtete der andere sich auf, sah sich um und kam auf Paul zu.

Paul presste sich an die Hauswand. Hier war es ganz dunkel. Man konnte ihn bestenfalls aus einer Entfernung von vier oder fünf Metern sehen, sonst nicht. Aber wenn der andere auf dieser Straßenseite blieb, würde er noch viel näher an ihn herankommen. Plötzlich wurde Paul klar, was geschehen würde, wenn der Verbrecher ihn sah. Kein Mörder konnte es sich leisten, einen Augenzeugen seiner Tat am Leben zu lassen.

Und diese Erkenntnis gab Paul den Mut und die Stärke, die er brauchte. Freilich, es war der Mut eines in die Enge Getriebenen ‒ eines Verzweifelten, aber immerhin die Art von Courage, die Männer mutig in der Schlacht sterben ließ, und wenn sie noch so viel Angst hatten.

Paul wusste, dass er offensiv werden musste, ehe der Mörder zu seiner Waffe greifen konnte. Er atmete tief ein und stürzte sich plötzlich aus seinem düsteren Versteck auf den Mann, den er für einen Mörder hielt.

Der Mann mit dem Revolver blieb plötzlich stehen, drehte sich dann um und rannte davon. Paul war jetzt in voller Fahrt, und als er sah, dass der Verbrecher Fersengeld gab, verlieh ihm das noch mehr Zutrauen zu sich selbst. Er hatte sich nie ernsthaft mit Football abgegeben, aber jetzt stürzte er sich auf den anderen mit einem Hechtsprung, der manchem Nationalspieler Ehre gemacht hätte. Seine Arme schlangen sich um die Beine des Mörders, und dann gingen beide krachend zu Boden.

Jetzt fand Paul seine Stimme wieder. Er fing an zu schreien. Was er rief, wusste er nicht. Auf Worte kam es auch gar nicht an; die Hauptsache war, dass man aufmerksam wurde.

Der Mörder wehrte sich, versuchte mit der Hand in die Hüfttasche zu fassen. Paul ließ ihn nicht los, aber der andere war größer und verstand auch zweifellos mehr von Raufereien. Außerdem war er verzweifelter als Paul. Es dauerte höchstens eine Minute, bis er sich befreit hatte und auf die Füße kam.

Paul sprang ebenfalls auf und ballte die Fäuste. Ein oder zwei Schläge konnte er landen, aber ein Boxer war er nicht, und so steckte auch nicht besonders viel Kraft dahinter.

Paul selbst musste einen Schlag an der Wange einstecken. Langsam begann ihm der Atem auszugehen. Flüchtig kam ihm der Gedanke, dass es höchste Zeit sei, wieder in den Turnverein zu gehen. Beinahe hätte er laut gelacht, als er den Gedanken zu Ende gedacht hatte. Das würde ihm auch nichts mehr nützen, wenn er in diesem Kampf unterlag.

Der Revolvermann trat plötzlich einen Schritt zurück und schlug mit dem Fuß nach ihm. Paul stöhnte und krümmte sich vor Schmerz. Jeder Funken Kraft schien ihn zu verlassen, und jetzt war es auch um seinen Mut geschehen. Mit schreckgeweiteten Augen musste er zusehen, wie der Mann nach seinem Revolver langte, einen Schritt zurücktrat und die Waffe auf ihn anschlug.

Ein Schuss peitschte auf. Paul wunderte sich, warum die Explosion so entfernt klang, und dann fragte er sich, warum er keinen Schmerz verspürte. Auf diese Entfernung konnte der andere ihn doch gar nicht verfehlt haben.

Paul hörte ein paar Flüche. Er richtete sich auf. Der Verbrecher hatte sich zur Flucht gewandt. Der Polizist, den er in der Seitenstraße gesehen hatte, kam schnell näher, die Pistole in der Hand. Der Mann gewann an Vorsprung. Er würde entfliehen. Paul fluchte. Er hatte seit Jahren nicht mehr geflucht, aber jetzt konnte er nicht anders.

Der Polizist blieb stehen und schlug den Revolver über die Armbeuge an. Er schrie: „He ‒ Sie da! Stehenbleiben oder ich schieße!“

Die Reaktion des anderen bestand darin, dass er sich umdrehte und einen Schuss über die Schulter abgab. Die Kugel schlug ein paar Meter neben ihm ein und schwirrte dann singend davon. Der Polizist atmete tief durch und zielte dann mit seinem Dienstrevolver. Paul hielt den Atem an. Seine Augen hefteten sich automatisch auf den Rücken des Fliehenden.

Der Beamte schoss. Nur einmal. Der Verbrecher schrie, taumelte nach links und stolperte. Der Polizist rührte sich nicht von der Stelle. Er zielte wieder. Aber der Mörder war jetzt an der Hauswand angekommen und krallte sich mit einer Hand daran fest, als könnte er dadurch auf den Beinen bleiben. Seine andere Hand bemühte sich, die Waffe zu heben, aber es gelang ihm nicht. Er sank zu Boden.

Der Polizist winkte Paul zu, ihm zu folgen, und sie gingen beide auf den Verwundeten zu. Etwa ein Dutzend Schritte vor ihm blieb der Beamte stehen und sah Paul an.

„Ich halte ihn von hier aus in Schach, und wenn er die kleinste Bewegung macht, dann knallt es. Gehen Sie zu ihm und nehmen Sie ihm das Schießeisen aus der Hand! Ich glaube, er ist ohnmächtig, aber es kann auch nur eine Finte sein. Sie halten sich am besten aus meiner Schusslinie.“

„Ja-ja“, schluckte Paul. „Freilich. Natürlich.“

Er ging langsam auf den Mann zu, sah sich nach dem Polizisten um, der ihm ermutigend zunickte. Paul bückte sich, packte den vernickelten Revolver am Lauf und nahm ihn dem anderen aus der Hand. Der Verwundete wehrte sich nicht. Paul richtete sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf.

Der Polizist trat heran, kniete nieder und drehte den Verwundeten um. Dieser sah wenig vertrauenerweckend aus. Er hatte eine eingeschlagene Nase und ein Gesicht, das vom Alkohol gezeichnet war.

„Mhm“, brummte der Polizist, „da hab ich schon den Richtigen erwischt. Das ist Ollie Tate.“

„Ist er ‒ t-tot?“, fragte Paul.

„No. Nur angekratzt, aber er hat eine Menge Blut verloren. Wie wäre es, wenn Sie mir jetzt sagten, was eigentlich los war, Freundchen? Ich weiß, dass dort droben ein Toter liegt, aber das ist alles.“

Paul feuchtete sich die Lippen an. „Ich heiße Paul ­Sinclair. Ich wohne in der Woodbridge Road Nr. 1198. Ich arbeite im Corring-Haus in der Firma Waring, Textilien en gros, und ‒“

„Heben Sie sich das für später auf!“

Der Polizist legte dem Verbrecher Handschellen an. „Mich interessiert nur, was das für eine Schießerei war.“

„Darauf komme ich ja noch. Ich war gerade auf dem Weg in mein Büro, weil ich nicht sicher war, ob ich heute Abend den Stahlschrank abgesperrt hatte. Ich sah diese beiden Männer ‒ und da fiel plötzlich ein Schuss.“

„Den hab ich auch gehört. Aber zwischen diesen hohen Häusern klingen Schüsse immer wie Fehlzündungen“, sagte der Polizist und nickte. „Sprechen Sie weiter!“

„Einer der beiden Männer, der dort hinten, ging ein paar Schritte zurück und stürzte dann. Als er am Boden lag, fing dieser ‒ dieser Bursche da an, ihn zu durchsuchen. Ich glaube, er hat ihm etwas aus der Tasche genommen.“

„Aha. Ich werde Ollie durchsuchen. Sie sind Zeuge. Passen Sie genau auf mich auf!“

Der Polizist holte aus Ollie Tates Innentasche ein dickes Bündel Geldscheine, alles Zehner und Zwanziger. Er richtete sich auf und blätterte in dem Bündel herum.

„Das sind gut 300 oder 400 Eier. Ein Raubüberfall also. Dafür ist Ollie bekannt. Diesmal haben wir ihn beim Schlafittchen und einen Augenzeugen obendrein.“

„Augenzeugen?“, fragte Paul mechanisch.

Der Polizist lachte. „Natürlich ‒ Sie! Sonst war ja niemand auf der Straße. Sie haben das Verbrechen gesehen und waren Zeuge, wie das Opfer beraubt wurde. Sie haben Ollie festhalten wollen, und er war gerade drauf und dran, Sie abzuknallen, als ich um die Ecke kam. Mister Sinclair, der Staatsanwalt hat noch nie Anklage gegen einen Verbrecher zu erheben gehabt, der den Stuhl eher verdient hätte als Ollie. Sie haben Glück gehabt, dass Ollie Sie nicht erwischt hat.“

„J-ja. Ja, ich denke, das habe ich“, sagte Paul. „Aber jetzt muss ich wirklich zu meiner Familie zurück. Sie wird sich schon Sorgen machen, dass mir etwas passiert ist.“

Der Beamte schüttelte den Kopf. „Eine Zeit lang werden Sie sie schon noch im Unklaren lassen müssen. Sie helfen jetzt dem Gesetz. Übrigens ‒ jetzt fällt es mir erst ein, Sie sind ja ein Held. Ihre Familie wird sehr stolz auf Sie sein. Einen bewaffneten Mörder einfach so anzugreifen! Ja, wirklich ein Held!“

Paul schluckte. „Ich komme mir aber gar nicht wie ein Held vor. Ich habe immer noch Angst.“

Der Polizist musste lachen. „Das haben alle Helden. Jetzt nehmen Sie diese Schlüssel. Gleich um die Ecke ist ein Polizeifernsprecher. Sie können mit diesem Bronze­schlüssel hier die Klappe aufmachen. Drücken Sie den Knopf, über dem Sprechen steht. Sie haben dann direkte Verbindung mit dem Polizeipräsidium. Berichten Sie, was geschehen ist, und sagen Sie, dass ich einen Kranken­wagen brauche.“

Paul nahm die Schlüssel und ging auf die ihm bezeichnete Ecke zu. Als er den Toten auf dem Bürgersteig sah, machte er einen großen Bogen um ihn.

Eine Viertelstunde später war die Straße alles andere als verlassen. Paul stand im Mittelpunkt des Interesses. Reporter machten unzählige Blitzlichtaufnahmen von ihm. Polizisten in Uniform und Zivil verhörten ihn, und die Hand wurde ihm mindestens ein halbes dutzendmal kräftig geschüttelt.

Paul strahlte. Vielleicht würden sich Margaret, Susan und Arthur darüber ärgern, dass er sie so lange warten ließ, aber dafür konnte er ihnen eine aufregende Geschichte erzählen. Und dann begann Ollie Tate ­plötzlich zu ­stöhnen. Eine Ambulanz rollte heran. Er wurde hineingeschoben, und sie fuhr ab.

Plötzlich dachte Paul an seine ursprüngliche Absicht, die er über all der Aufregung beinahe vergessen hätte. Er entschuldigte sich und rannte davon. Der Nacht­aufzug brachte ihn ins zweiundzwanzigste Stockwerk des Gebäudes, in dem sein Büro lag.

Die Stahlschranktür war verschlossen und die Kombination eingestellt. Paul fühlte sich etwas wohler. Er hätte sich geärgert, wenn er sich ein Versäumnis hätte zuschulden kommen lassen.

Kapitel 2 – Bild eines Mordes

Sieben Wochen später war Paul Sinclair kein Held mehr. Er war nur mehr ein ganz gewöhnlicher Kassierer, der ergeben für einen toleranten und sehr freundlichen Chef tätig war. Freilich, in ein oder zwei Tagen würde er in dem Prozess gegen Ollie Tate als Zeuge aussagen müssen und dadurch wieder für ein paar Tage einen zweifelhaften Ruhm ernten, aber auch das würde vorübergehen.

Ollie Tate wurde inzwischen aus seiner Zelle im Stadtgefängnis geführt. Man hatte ihn mit Handschellen an einen Beamten mittlerer Größe gefesselt, der einen kleinen Schnurrbart trug.

Tate trug eine Zigarette in den Mundwinkel geklemmt und warf jedermann verächtliche Blicke zu, der ihn zufällig ansah. Dann wandte er sich an den Beamten, an den er gefesselt war.

„Wo gehen wir denn hin?“, wollte er wissen.

Der Beamte schmunzelte. „Sie meinen am Ende? ‒ Nun, ich in Pension und Sie auf den Stuhl. Nur kommen Sie fünfzehn Jahre vor mir ans Ziel, das ist der Unterschied!“

„Wohin wir jetzt gehen, Dummkopf!“, knurrte Tate.

Jetzt hörte der Beamte auf zu grinsen. „Noch so eine Frechheit, und Sie werden es bereuen! Ich bin ­Inspektor McGrath, und so werden Sie mich gefälligst anreden. Sie gehen jetzt ins Büro des Staatsanwalts für Sonder­aufgaben. Warum er sich mit einem solchen Würstchen wie Ihnen abgibt, ist mir zwar schleierhaft, aber er will Sie jedenfalls sehen.“

„Welcher Staatsanwalt?“, fragte Tate mit einer Spur mehr Respekt.

„Tony Quinn. Aber das ist unwichtig. Ein frischgebackener Gerichtsassessor könnte Sie auf den Stuhl schicken.“

„Mhm. Freilich. Quinn, was? Das ist der Blinde, nicht?“

„Ja, er ist blind.“ McGrath zuckte unwillkürlich zusammen, als er das sagte. „Außerdem ist er zufällig auch der beste Mann, den die Staatsanwaltschaft überhaupt hat. Das werden Sie schon auch noch spitzkriegen, wenn übermorgen Ihre Verhandlung beginnt.“

Tate sagte gar nichts. Inspektor McGrath führt ihn durch die Tür, auf der Tony Quinns Name stand, quer durch das Empfangszimmer, in dem niemand auf sie ­achtete. Tate war etwas enttäuscht.

Und dann stand Ollie Tate vor einem Schreibtisch, hinter dem ein Mann saß, den man hätte hübsch nennen können, wenn die Narben um die Augen nicht gewesen wären.

Und seine Augen waren ausdruckslos, die Augen eines völlig Blinden. Sie schienen überhaupt nichts wahrzunehmen.

„Guten Morgen, Inspektor“, sagte Quinn. „Wen haben wir denn da?“

„Ollie Tate, Mister Quinn. Sie wollten ihn sehen.“

„O ja. Lassen Sie ihn sich hinsetzen, Inspektor. Mister Tate, das Gericht hat ihnen einen öffentlichen Verteidiger als Rechtsbeistand zugewiesen. Ihr Verteidiger war kürzlich bei mir und hat mich gebeten, Ihnen zu gestatten, sich des Totschlags schuldig zu bekennen.“

Tate fuhr halb aus dem Stuhl hoch, in den McGrath ihn gesteckt hatte. „Ich bekenne gar nichts, hören Sie?“

„Ich höre sehr gut“, erwiderte Quinn. „Ich hatte außerdem auch nicht die leiseste Absicht, diesem Vorschlag zuzustimmen. Aber ich habe Edward Karlton, Ihrem Verteidiger, versprochen, Sie mir wenigstens anzusehen.“

Tate lachte höhnisch. „Mich ansehen? Sie und sehen ‒ dass ich nicht lache!“